Gerhard Unterthurner/Andreas Hetzel (Hrsg.): Postdemokratie und die Verleugnung des Politischen

Eine Rezension von Felix Dirsch 

Ger­hard Unterthurner/Andreas Het­zel (Hrsg.): Post­de­mo­kra­tie und die Ver­leug­nung des Poli­ti­schen, Baden-Baden: Nomos 2016. 210 S., 39 €

Zu den gro­ßen Erzäh­lun­gen in unse­rer angeb­lich nar­ra­ti­ons­lo­sen Epo­che gehört die Post­de­mo­kra­tie. In Kern die­ser zeit­si­gna­tu­ri­schen Dia­gno­se steht die Erkennt­nis, daß der an ein bestimm­tes Ter­ri­to­ri­um gebun­de­ne, poli­tisch orga­ni­sier­te Demosauf glo­ba­le Strö­mun­gen (Umwelt, Finan­zen, Migra­ti­on und so fort) immer weni­ger Ein­fluß neh­men kann. Neo­li­be­ra­le Dere­gu­lie­rung, media­le Insze­nie­rung der Poli­tik und Demo­kra­tie als rein for­mal-tech­ni­zis­ti­sche Ange­le­gen­heit – das prägt maß­geb­lich die Stim­mungs­la­gen der unmit­tel­ba­ren Gegenwart.

Die Auf­sät­ze des von Unter-thur­ner und Het­zel her­aus­ge­ge­be­nen Sam­mel­ban­des sind mehr als blo­ße Kom­men­tars-kom­men­ta­re zu häu­fig unter­such­ten Phä­no­me­nen. Von den Bei­trä­gen ist beson­ders der von Lea Kla­sen und Lisa Mat­tu­tat her­vor­zu­he­ben, der die Theo­rie Jac­ques Ran­ciè­res zu den aktu­el­len Debat­ten wür­digt, wei­ter der Text von Oli­ver Mar­chat. Er sieht momen­tan eine vor­herr­schen­de »lee­re Nacht des Sozia­lis­mus«. Die füh­ren­den Ver­tre­ter der Lin­ken wie Badiou, Žižek, ein obsku­res »Unsicht­ba­res Komi­tee« und so fort erman­geln Mar­chat zufol­ge einer rea­lis­ti­schen Urteils­kraft und faseln öfters von einer »Neu­en Ord­nung«, die frei­lich die Abschaf­fung der alten vor­aus­setzt. Jedoch kön­nen fun­da­men­ta­le Umwäl­zun­gen heu­te, in Zei­ten rela­tiv »kris­tal­li­ner« Ver­hält­nis­se, weni­ger denn je glaub­wür­dig begrün­det wer­den. Seit Jahr­zehn­ten wird in lin­ken Krei­sen dar­über dis­ku­tiert, wer denn das Sub­jekt der Ver­än­de­run­gen sein soll, Arbei­ter oder Intellektuelle?

Die wis­sens­ba­sier­te Gesell­schaft birgt weni­ger Poten­zi­al zum Auf­ruhr als die­je­ni­ge, die von der Maschi­nen­welt des 19. Jahr­hun­derts domi­niert wur­de. Ob es heu­te noch die Mög­lich­keit gibt, wie es einst der Fil­me­ma­cher Jean-Loc Godard pos­tu­lier­te, Theo­rie poli­tisch zu betrei­ben, kann auch der wei­ter­füh­ren­de Essay von Mar­chat nicht beant­wor­ten. Her­aus­zu­stel­len sind zudem die Über­le­gun­gen von Felix Traut­mann, der das »Ver­schwin­den des Erschei­nens« ana­ly­siert. Die Wich­tig­keit des The­mas leuch­tet ange­sichts der zuneh­men­den Abs­trakt­heit des All­tags unmit­tel­bar ein.

Wenig erstaun­lich für einen in aka­de­mi­schen Bah­nen kon­zi­pier­ten Band ist die Aus­blen­dung zen­tra­ler Grund­kon­flik­te, etwa zwi­schen den­je­ni­gen, die für den Erhalt einer wenigs­tens rela­ti­ven eth­no­kul­tu­rel­len Homo­ge­ni­tät ein­tre­ten und denen, die die mul­ti­kul­tu­rel­le Auf­lö­sung des Gemein­we­sens vor­an­trei­ben wol­len. Lie­ber wird über angeb­li­che Kon­flikt­scheu lamen­tiert, die bei genaue­rem Hin­se­hen mehr und mehr verschwindet.

Ger­hard Unter­thur­ners und Andre­as Het­zels Post­de­mo­kra­tie und die Ver­leug­nung des Poli­ti­schen kann man hier bestel­len.

 

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