Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.): Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht, Paderborn: Ferdinand Schöningh-Verlag 2016. 270 S., 26.90 €
Der massenhafte Rechtsbruch an den Grenzen, der 2015 seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, schreckte auch eine Gruppe von bekannten Staatsrechtslehrern auf, die sich Ende letzten Jahres zu einer Tagung in Bonn versammelte. Die veröffentlichten Beiträge sind kritisch eingestellt gegenüber der aktuellen Flüchtlingspolitik. So notiert Frank Schorkopf, daß das deutsche Handeln »wie die Sehnsucht nach Erlösung von der historischen Schuld und vom schlechten Gewissen wegen des relativen Wohlstands« anmute. Otto Depenheuer erörtert die neue Völkerwanderung angesichts des menschenrechtlichen Universalismus. Utopien aus dem 18. Jahrhundert (»Alle Menschen werden Brüder«) mutieren mehr und mehr zur Realität – mit Folgen freilich, die sich aufgeklärte Menschheitsbeglücker nicht vorstellen konnten.
Der inhaltsreichste Aufsatz stammt von dem Freiburger Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek, der das hier und da längst eingetretene Menetekel vom »großen Austausch« ernst nimmt und in juristische Terminologie kleidet. Die Staatsgewalt gehe nicht von irgendeinem Agglomerat von Menschen aus, sondern vom deutschen Volk. Das Grundgesetz als nationalstaatliche Verfassung, die von den Vätern und Müttern unmittelbar nach 1945 ausdrücklich gewollt worden sei, setze voraus, daß das Staatsvolk mehrheitlich »aus ethnisch Deutschen« bestehe. Starker Tobak für alle Deutschland-Abschaffer, die nur noch abstrakt-volatile »Wertegemeinschaften« kennen! Daß Gelehrte wie Murswiek sich für den Erhalt der Identität des deutschen Volkes einsetzen, macht sie im medialen Diskurs zu Außenseitern. Erfreulich ist auch Murswieks Verteidigung von Einwanderungsobergrenzen als Voraussetzung für die demokratische Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens.
Ebenfalls finden sich klare Aussagen in dem Essay von Christian Hillgruber. Viele der Einwandernden suchten ein besseres Leben, was verständlich sei, aber kein juristisches Bleiberecht verschaffen könne. Bezüglich der gegenwärtigen Rechtslage konstatiert er einen gleitenden Übergang vom Flüchtlingsschutz zur Arbeitsmigration.
Der Bonner Emeritus Josef Isensee attackiert die Freimütigkeit der Bundeskanzlerin, die er als »Welt-Schutzmantelmadonna« tituliert. Ebenso vehement zeigt er die Grenzen des Bundesverfassungsgerichts auf (»Karlsruher Schönwetterjudikatur«). Isensee lehnt es ab, die Menschenwürdegarantie als Eintrittskarte in die Willkommenskultur und als Scheckkarte zu mißbrauchen. Derartigem fatalen Idealismus stellt er den »Vorbehalt des Möglichen« gegenüber. Solchen eindeutigen Worten ist nichts hinzuzufügen!
Der Staat in der Flüchtlingskrise kann hier bestellt werden.