Der Sozialphilosoph Peter Furth zählt nicht zu jenen Wissenschaftlern, die ihre Arbeiten wie am sprichwörtlichen Fließband publizieren. Aber das, was Furth veröffentlicht, hat es in sich. Sieben Jahre nach der bedeutenden Aufsatzsammlung Troja hört nicht auf zu brennen legt der Doktorvater Rudi Dutschkes nun eine Textsammlung vor, die vier Essays (zwei bis dato unveröffentlicht) und eine umfangreiche, beachtenswerte Einleitung Frank Böckelmanns beinhaltet.
Der Herausgeber der Vierteljahreszeitschrift Tumult bietet dem Leser die erste Tour d’horizon durch Furths Werkbiographie: Dessen Weg führte ihn über die Kritische Theorie (er war zeitweise Hilfskraft in Adornos Frankfurter Institut für Sozialforschung) ins Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), hernach zur Forschung an der Freien Universität Berlin, bevor es zu seinem persönlichen Wendepunkt kam, an dem er sich von der Kulturrevolution der »68er« abwandte und beispielsweise für die Staatsbriefe Hans-Dietrich Sanders zur Feder griff.
Freilich ist Furth kein Renegat im strengen Sinne. Der Epoche der Aufklärung wie einer »konservativen Verteidigung des Marxismus« fühlt er sich weiter verbunden. Gerade weil er etwa den Marxismus und seine Feinheiten versteht, kann er die Unzulänglichkeiten der postmodernen Linken offenlegen und analysieren. Neben seiner zeitgeschichtlichen Forschung tritt seit seiner Emeritierung – an Panajotis Kondylis (1943–1998) geschult, seine Thesen weiterführend – eine zeitdiagnostische hinzu, wobei der Terminus »Massendemokratie« im Zentrum des Interesses steht.
Furths Kernthese nun: Trotz der Widersprüche des Kapitalismus und seiner bürgerlichen Gesellschaft gehe die Bourgeoisie ihrer Herrschaft nicht verlustig. Das Selbstzerstörungspotential der bürgerlichen Gesellschaft wird durch Massendemokratie gebändigt, d.h. durch den Kompromiß zwischen Liberalismus (des Bürgertums) und Sozialismus (der unteren Schichten) als »Abschluß der Kämpfe um den Nachlaß der bürgerlichen Revolution« (Furth). Die Übereinkunft besteht – vereinfacht gesagt – darin, daß beide Ideologien ihre Endziele vertagen; die Zufriedenheit der Masse wird durch Konsum und Partizipation am Güterreichtum hergestellt, die Zufriedenheit des Bürgertums durch die Bewahrung seiner hegemonialen Stellung in Staat und Gesellschaft im massendemokratischen Postkapitalismus, dessen Verwerfungen durch den Sozialstaat, diese »alles überwölbende Institution« (Furth), abgefedert werden.
Zudem bearbeitet Furth die soziale Kontrollfunktion der allgegenwärtigen »Political Correctness«. Doch trotz solcher Bindemittel, zu denen er auch Ideologeme des Humanitarismus rechnet, gibt es auch für diese Querfront der Materialismen keine Ewigkeitsklausel. Furth gibt daher zu bedenken, daß die Saturiertheit der Massendemokratie verloren gehen werde. Woher diese – ohne ihre Stabilitätsbedingung Wohlstand – Legitimität vor den Menschen bezöge, bleibt folglich offen. Gemeinschaftsdenken fällt als allgemeine Klammer aus; die Bedeutung von Abstammung und Religion, Staat und Nation wurde durch beide großen Ideologien zugunsten schrankenloser Atomisierung nivelliert. Das wird zur Gefahr für die Massendemokratie, deren dauerhaftes Überleben nach Furth auch im 21. Jahrhundert wesentlich an eine föderal- oder nationalstaatliche Konzeption geknüpft ist.
Massendemokratie von Peter Furth kann man hier bestellen.