Klaus Farin: Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten, Berlin: Archiv der Jugendkulturen 2015. 400 S., 36 €
Vieles ist kurios an diesem und um dieses Buch – nicht zuletzt die Tatsache, daß es an dieser Stelle als Hauptrezension besprochen wird. Also an einem Ort, wo für gewöhnlich gelehrte Schriften oder Briefwechsel verblichener Intellektueller gewürdigt werden. Gelehrt ist hier wenig – lehrreich hingegen vieles. Um dieses eindreiviertelkiloschwere, so großformatige wie kleingedruckte Mammutwerk komplett (die demnächst erscheinende ebook-Version wird noch umfangreicher sein) zu lesen, braucht es erstens einen Sessel mit hohen Armlehnen, zweitens viel Zeit, drittens (um es mit Vergnügen zu tun) eine gewisse Liebe zur »Hefe des Volkes«.
Dieses vielschichtige, reich bebilderte und vor allem soziologisch aufschlußreiche Porträt der als zunächst »Rechts-« dann»Deutschrockband« bekanntgewordenen Südtiroler Gruppe Frei.Wild ist von der Band nicht autorisiert worden. Verfaßt hat es der 57jährige Klaus Farin, Vorsitzender der Stiftung Respekt – Stiftung zur Förderung jugendkultureller Vielfalt und Toleranz. Farin ist Vorstandmitglied von Aktion Courage e.V., er war langjähriger Leiter des umtriebigen Archivs der Jugendkulturen. In dessen Reihe ist das Frei.Wild-Buch nun erschienen, umgeben von Titeln wie Veganismus; Cannabis in Jugendkulturen; Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics. Zuletzt (2015) hat Farin ein Buch über Die Autonomen verfaßt, sein Heimatmilieu.
Dem Band sind zwei Mottos vorangestellt, Farins eigenes (»Wer sich auf die Realität einläßt, muß die beruhigende Eindeutigkeit aufgeben«) und ein Frei.Wild-Liedtitel: »Wer nichts weiß wird alles glauben« (»… öffne du ihnen die Augen/ Lieber auf dem Scheiterhaufen/ als in Lügen zu ersaufen!«).
Ist das simpel? Prollig? Volkszorn? Je nun. Frei.Wild, das ergibt Farins Studie, wird kaum von Akademikern gehört, stattdessen von jungen Männern und (mindestens ebensovielen) Frauen, die vor allem im ländlichen mittel- und süddeutschen Raum wohnen. Die Lyrik der vier mitteljungen Männer (Frei.Wild wurde 2001 gegründet) ist weniger elaboriert als die Texte deutschsprachiger Nachdenksänger (gängige Volksfluchwörter wie »Fresse« »verarscht«,»Sch…« gehören zum Repertoire), doch weitaus komplexer als die der allermeisten anglophonen Hitparadenstürmer.
Apropos Hitparade: Die letzten drei der bislang zehn Frei.Wild–Studioalben standen je monatelang auf Platz 1 der Verkaufscharts, Feinde deiner Feinde (2012) ganze 39 Wochen lang. Im öffentlich-rechtlichen Radio oder im populären Privatfunk gespielt wurden und werden sie: nie. Dafür gelten sie (wie dazumal die Böhsen Onkelz) als zu »rechtslastig«, ein Verdikt, das stillschweigend auch auf Hits ohne Heimatliebebezug ausgeweitet wurde.
Von der »Echo«-Preisverleihung 2013 wurden sie unter Getöse aufgrund Protesten weniger erfolgreicher Gruppen ausgeladen. Farins Buch nun, man staune und schwelge, setzt sich nicht zuletzt harsch mit jenen »emotional-moralisch motivierten« Menschen auseinander, die (eventuell naiver veranlagt als die Frei.Wild-Hörer) den Kampagnen jener Profiteure des »Kampfes gegen rechts« auf den Leim gehen, die es hierzulande reichlich gibt. Farin: »Wenn es gegen rechts geht, sind viele schnell dabei. (…) Rechtsextremismus wird für diese Profiteure zur Gelddruckmaschine und Imagekampagne.
Dazu gehören zahlreiche Träger der politischen Bildung und große Wohlfahrtsverbände, denen es längst nicht mehr um Wohlfahrt geht, sondern um politische Macht und die Selbsterhaltung ihrer aufgeblähten Strukturen.« Mit Vorwort und Anhang finden wir neun in jeder Hinsicht bunte Kapitel, darunter einen Südtirol-Exkurs (»Kampf um und gegen die Moderne«), eine schöne Unterrichtsanregung zum Thema »Heimat« (anhand von Texten Frei.Wild/Grönemeyer) und eine großangelegte Fanstudie.
Wir sehen etwa ein Körperglied von Niels (26) aus Mölln, das scharfgestochen mit den Köpfen der Frei.-
Wild-Männer tätowiert ist und Arme, die von Handgelenk bis Achsel den (Liedtitel-)Schriftzug »Sieger stehen da auf, wo Verlierer liegen bleiben« tragen. Eine Polizeibeamtin »kotzt es an«, daß sie sich aufgrund ihres Berufs nicht Frei.-Wild auf den Unterarm stechen lassen darf. Diese Fans brennen! Frei.Wild-Konzerte sind selbst in größten Hallen rasch ausverkauft. Ein Fan benennt es gültig: »Diese Band ist mein Sprachrohr für Dinge, für die ich selbst schwer Worte finde.«
Frei.Wild (von Wikipedia trotzig als »italienische Band« geführt) ist ein Ventil, auf dem ein schwerer Deckel lastet. Klaus Farin läßt einen Filmsoziologen zu Wort kommen (über die Wirkung der Videos), daneben den Leiter des Aussteigerprogramms EXIT und zahlreiche rechte wie eindeutig nichtrechte Anhänger der Band. Er stellt kluge Fragen, ordnet ein. Farins Buch laviert zwischen seriösem Künstlerportrait, Bravo-Stil und Soziopanel. Frei.Wild, das ist eine Art PEGIDA-Sound: kein Streichquartett, kein Gangster-Rap und definitiv kein Naziliedgut: »Jedes mal die gleiche Frage / Jedes mal der gleiche Scheiß / Seid ihr nicht die, die, die? / Komm, laß stecken, ich weiß / Wir fragen uns: Bist du nur bescheuert oder auch taub und blind?«
Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten von Klaus Farin kann man hier bestellen.