Um aus dem begrenzten Gesichtskreis eines von der Erfahrung der Sklaverei geprägten Afrozentrismus einen umfassenden Überblick über Rassismus schlechthin bieten zu können, bedient sich Achille Mbembe auch in seinem neuen Buch poststrukturalistischer Theorieansätze, die es in der Tat erleichtern, komplexe historische Realitäten auf simple Konstruktionen zu reduzieren. Über die Ideologiegeschichte der neuzeitlichen Rassetheorien erfährt man in diesem politisch engagierten und methodisch konfusen Pamphlet des kamerunischen Politologen nämlich ebensowenig Substantielles wie über die Realgeschichte des Rassismus gegenüber Afrikanern.
Wofür es dem Leser allerdings die Augen öffnet, ist der von den postcolonial studies forcierte ideologische Verfall der Rassismusforschung, deren jüngste Schule sich critical whiteness nennt, so als wollte sie schon durch diese Selbstbezeichnung klarstellen, daß der Rassismus hier die Seiten gewechselt hat. Mit seiner axiomatischen Setzung, durch den transatlantischen Handel mit Negersklaven sei erstmals ein »Rassensubjekt« geschaffen worden, erklärt Mbembe die Schwarzen zu den exklusiven Opfern des Rassismus und damit die Weißen zu dessen nicht minder exklusiven Erfindern. Daß auch zahllose Angehörige nichtafrikanischer Ethnien das Schicksal der Sklaverei unter nichteuropäischer Herrschaft erlitten haben, blendet Mbembe in seiner Geschichtsklitterung konsequent aus, denn der Mythos schwarzer Unschuld und weißer Täterschaft ist ihm sakrosankt.
Faktisch aber waren es Afrikaner, die im Laufe des letzten Jahrtausends zig Millionen Afrikaner versklavten, um diese nach Abdeckung des Eigenbedarfs zunächst an orientalische und später auch an europäische Händler zu verkaufen. Daß Afrika ab dem 11. Jahrhundert zur weltgrößten Sklavenlieferzone wurde, war dabei maßgeblich dem Islam geschuldet, dessen drei Reiche vom 7. bis zum 20. Jahrhundert das großräumigste und langlebigste Sklavensystem der Weltgeschichte aufrechterhielten. Und als im 19. Jahrhundert Engländer und Franzosen die weltweite Abschaffung der Sklaverei in Angriff nahmen, rüsteten sich wiederum afroislamische Eliten und Warlords vom Niger bis zum Nil zu »antikolonialen Befreiungskriegen«, um ihre effektivste und profitabelste soziale Institution zu verteidigen. Tatsächlich wird die Sklaverei in schwarzafrikanischen Ländern wie dem Sudan oder Mauretanien noch heute praktiziert. Nichts von alldem wird von Mbembe auch nur erwähnt. Für ihn sind Täter und Opfer klar nach Hautfarben sortiert, und er kennt deren nur zwei.
Insofern wird man unserem Autor, der sich im Titel seines Buchs kühn an die Seite Immanuel Kants stellt, getrost einen gravierenden Mangel an intellektueller Redlichkeit bescheinigen dürfen. Wollte man ihn überdies als Vertreter des Postkolonialismus, der sich von alteuropäischen Wissenschaftsstandards längst verabschiedet hat, an eigenen Maßstäben messen, so müßte man die binäre Logik seines buchstäblichen »Schwarz/Weiß«-Denkens als selbst dekonstruktionswürdig zurückweisen.
Die Inkonsequenz schließlich, mit der Mbembe »Neger« (»négre«) einmal mit und einmal ohne Anführungszeichen schreibt, bezeugt nicht nur, daß sein radikaler Konstruktivismus keinerlei Unterscheidung zwischen Fiktionen und Fakten, Projektionen und Realitäten mehr erlaubt; sie bestätigt – unfreiwillig selbstbezüglich – zugleich seine Diagnose, daß die stolze »Négritude«, welche die Schwarzen nach der Entkolonialisierung davor geschützt hat, in ein identitäres Nichts zu stürzen, sich immer auch einer freundlichen Übernahme rassistischer Zuweisungen verdankte.
Kaum zufällig verfällt Mbembe, sobald er theoretisch abrüstet, literarisch ungeschützt den politisch-psychologischen Traumata der Afrikaner nachspürt und sich auf die Suche nach ihrer verlorenen Identität begibt, in apologetischen Afrokitsch.
Achille Mbembes Kritik der schwarzen Vernunft kann man hier bestellen.