Theresa Bäuerlein/Friederike Knüpling: Tussikratie

Theresa Bäuerlein/Friederike Knüpling: Tussikratie. Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können, München: Heyne 2014. 317 S., 16.99 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Zunächst ist die­ses breit rezi­pier­te, von allen poli­ti­schen Lagern sowohl geschol­te­ne als auch gelob­te Buch ein Wech­sel­bad: Die­ser Neon­ti­tel – Hil­fe! Der Unter­ti­tel dann sowie das Klein­ge­druck­te auf dem Cover (die »Tus­si« quäkt ihre Sprech­bla­se: Immer ist der Mann schuld oder »männ­li­che Struk­tu­ren«: wenn es mit der Kar­rie­re nicht läuft, wenn die Kin­der ner­ven, wenn kei­ne Kin­der sich ein­stel­len …): Ja! Das ist ein The­ma, über das sich reden lie­ße. Daß Gesprächs­be­darf herrscht zum The­ma All-over-Femi­nis­mus, hat der Erfolg von Bir­git Kel­les Buch Dann mach doch die Blu­se zu gezeigt.

War­um die bei­den Autorin­nen (drei­ßi­gund­et­was, kin­der­los) sich auf den Begriff »Tus­si« (ist das nicht die mit der Läs­ter­schnau­ze und den straß­ver­zier­ten Fin­ger­nä­geln?) geei­nigt haben, bleibt wirr und weit her­ge­holt. Sie bin­den ihr im Ver­lauf des Buches immer unkla­rer wer­den­des Feind­bild an die Thus­nel­da aus Kleists Her­mann­schlacht an. Thus­nel­da, die Ehe­frau Her­manns, wur­de von einem römi­schen Lega­ten umwor­ben. Als sie merkt, daß man sie getäuscht hat, lockt sie den Römer in ein Bären­ge­he­ge und läßt ihn zerfleischen.

Sol­che Hand­lung ist zwar hoch sym­bo­lisch, wird für den gewünsch­ten Zusam­men­hang aber arg ampu­tiert und zurecht­ge­schnit­ten. Wenn die Autorin­nen dann noch von den Gegen­spie­lern Her­mann und Armi­ni­us spre­chen, fühlt sich der Boden, auf dem hier gestrit­ten wer­den soll, recht wacke­lig an. Aber man will mit Empa­thie lesen und geht auch über all die Wen­dun­gen hin­weg, die ein schick geschrie­be­nes Buch not­wen­dig beinhal­ten: über all die Beteue­run­gen, wie »auf­re­gend« es sei, daß über die Rol­len­fra­ge debat­tiert wer­de und dar­über, was Geschlecht »eigent­lich« bedeu­te. So reden und emp­fin­den sie eben heute!

Zügig kom­men Bäuerlein/Knüpling zur Sache: Der aktu­el­le Geschlech­ter­dis­kurs sei nicht »geschlechts­sen­si­bel«, son­dern »geschlechts­be­ses­sen«. Es sei eine Dis­kus­si­on, in der von vorn­her­ein fest­ste­he, »daß nur ganz bestimm­te Bei­trä­ge erwünscht« sei­en: näm­lich sol­che, die klar von einer gesell­schaft­li­chen Unter­drü­ckung der Frau aus­ge­hen. Die die Frau ent­we­der als Opfer oder als Hei­li­ge prä­sen­tie­ren. Auf­ge­räumt wird (zum x‑tenmal, was nicht scha­den kann ange­sichts der Behar­rungs­kraft der gän­gi­gen Paro­len) mit der Mär von der Gen­der-Gap, vom fest­sit­zen­den Gerücht also, daß Frau­en 22 Pro­zent weni­ger ver­die­nen als Män­ner. Sie wol­len es nicht anders, unterm Strich, und die Autorin­nen hal­ten es für denk­bar, daß der Ver­zicht auf eine Eins-A-Kar­rie­re, auf per­ma­nen­te Über­stun­den und auf die Prio­ri­tät Erwerbs­welt gar kei­ne schlech­te Wahl sei. Klug: Wenn »der Ruf der Haus­frau nicht so gründ­lich her­ab­ge­setzt wäre«, gäbe der Femi­nis­mus­dis­kurs deut­lich mehr »gesell­schafts­kri­ti­sches Poten­ti­al« her!

Die Autorin­nen beru­fen sich auf den »Klas­sen­stand­punkt«. Das klingt forsch. Sie mei­nen damit, daß vie­le Pro­ble­me, die unter Geschlech­ter­fra­gen abge­han­delt wer­den, bes­ser aus über­ge­ord­ne­ter Per­spek­ti­ve betrach­tet wer­den soll­ten: Pre­kä­re Jobs sind kein Frau­en­the­ma. Über­haupt sol­le man sich hüten, von »den Frau­en« zu reden, wo es um indi­vi­du­el­le Bedürf­nis­se gehe. Rich­tig: Die soge­nann­te Tus­si ver­steckt sich hin­ter einer sta­tis­ti­schen Grö­ße, der »durch­schnitt­lich unter­drück­ten Frau«. Quo­ten­fra­gen betref­fen Bevöl­ke­rungs­grö­ßen im Pro­mil­le­be­reich. Im Bewußt­sein von Lies­chen Mül­ler kommt aber an: Wir Frau­en wer­den unterdrückt.

Die Autorin­nen sind in punc­to Indi­vi­dua­li­tät ein wenig inkon­se­quent, zumal das Buch im Ich-Ton gehal­ten ist. Ich sind in dem Fall zwei Per­so­nen. Die bei­den ken­nen die gän­gi­ge popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur zum The­ma und refe­rie­ren sie breit. Das ist für jenen Leser ermü­dend, der die gän­gi­ge Lite­ra­tur eben­falls kennt und weiß, daß die­se zu gro­ßen Tei­len aus Refe­ra­ten gän­gi­ger Lite­ra­tur besteht. In Sachen Geschlech­ter­dis­kurs wird immer bei Null angesetzt!

Nach vie­len her­vor­ra­gen­den Beob­ach­tun­gen (eine Autorin muß­te nach ihrem Anti-Harass­ment-Trai­ning lau­fend an Sex und sexu­el­le Bedro­hun­gen den­ken), die sich mit streit­ba­ren Ein­stel­lun­gen (jen­seits des Kreiß­saals sei die Welt geschlechts­neu­tral) abwech­seln, wird das Buch merk­wür­dig flau und ver­liert sein The­ma. Knü­pling prä­sen­tiert ihr Tage­buch als Ama­teur­bo­xe­rin. Por­no als Kunst­form wird lei­den­schaft­lich ver­tei­digt (eine Autorin war mal am Set und hat sich »ver­dammt wohl gefühlt«: lau­ter coo­le Men­schen dort), der Freund trägt pin­ke Schu­he, Trans- und Inter­se­xu­el­le kom­men in Pro­to­kol­len genau­so zu Wort wie eige­ne sexu­el­le Erfah­run­gen. Was war noch mal das The­ma? Schat­ten­bo­xen, Spiegelfechten?

Tus­sik­ra­tie von The­re­sa Bäu­er­lein und Frie­de­ri­ke Knü­pling kann man hier bestel­len. 

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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