Wiewohl seine islamkritischen Thesen ihm die Todes-Fatwa eingebracht haben, will Hamed Abdel-Samad den Titel seines neuen Buches doch nicht als polemische Tautologie verstanden wissen: Nicht den Islam als solchen, sondern lediglich den politischen Islam sucht er als eine virulente Form des Faschismus zu entlarven. Mit der Demokratie vereinbar wäre für ihn allerdings ein radikal privatisierter Islam, aber der scheint nur marginal vorhanden, und so beargwöhnt der Autor die berühmte»islamische Toleranz« als ein Trojanisches Pferd. Eine intime Kenntnis islamischer Glaubens- und Lebenswelten wird man dem deutsch-ägyptischen Politikwissenschaftler, der selber eine islamistische Lebensphase hinter sich hat, jedenfalls schwerlich absprechen können. Und erfreulicherweise läßt er seine plakative Rede vom »islamischen Faschismus« nicht zu einem politischen Kampfbegriff erstarren, sondern verfolgt kundig die realhistorischen Allianzen und massenpsychologischen Affinitäten zwischen Faschismus und Islamismus.
Beide »politischen Religionen« erhoben sich als Ressentimentphänomene großen Stils aus den Trümmern des Ersten Weltkrieges und wurden gerade in jenen »verspäteten Nationen« mächtig, die sich vom siegreichen Westen erniedrigt und beleidigt fühlten. Wie Ernst Nolte zählt auch Abdel-Samad die faschistischen und islamistischen Bewegungen zu den epochalen »Widerstandsbewegungen gegen die Moderne«; aber anders als der große Faschismustheoretiker führt unser Autor den islamistischen Antisemitismus nicht auf bloßen Antizionismus zurück, sondern legt dessen Wurzeln im »Urislam« selbst frei. Mohammeds mörderische »Säuberung Arabiens« von Juden und Ungläubigen, die sich bereits im Koran zu »Affen« und»Schweinen« entmenschlicht finden, gilt ihm als »Geburtsstunde des islamischen Faschismus«.
In seiner historischen Rückschau verschweigt Abdel-Samad die tolerantere arabische Hochkultur des Mittelalters keineswegs, doch sei diese eben nicht auf dem Boden der islamischen Religion, sondern aufgrund christlicher, griechischer und persischer Einflüsse aufgeblüht. Und den nachmaligen Verfall der islamischen Kultur wiederum hätten nicht die christlichen Eroberer, sondern die später eingefallenen Mongolen verursacht, bevor schließlich die Türken die arabische Halbinsel für mehrere Jahrhunderte vollständig von der europäischen Zivilisation abschotteten.
Nach dem Untergang des osmanischen Reiches, welcher die kulturelle Rückständigkeit der islamischen Welt offenbarte, erstarkten zunächst in Indien, dann in Ägypten fundamentalistische Kräfte, welche den Dschihad wiederbeleben und das glorreiche Kalifat wiederherstellen wollten. Aber nur dank der militärischen und ideologischen Zurüstung durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg konnte die von Hassan al-Banna gegründete ägyptische Muslimbruderschaft zur Mutterorganisation des islamistischen Terrorismus avancieren.
Muslimbrüder verbreiteten das Gerücht, Hitler sei zum Islam übergetreten und nenne sich seither »Hadsch Mohammed Hitler«, und al-Banna selbst rief den ersten Palästinenserführer el-Husseini zum Nachfolger Hitlers im Kampf gegen die Zionisten aus. Immerhin hatte dieser »Großmufti von Jerusalem« bereits 1929 ein »judenfreies Palästina« proklamiert, und als er 1941 von Heinrich Himmler über das unmittelbare Bevorstehen der »Endlösung« unterrichtet wurde, kündigte er eine solche öffentlich auch für Palästina an.
Diese Wahlverwandtschaft zwischen nazifizierten Deutschen und semitischen Arabern konnte allein durch die Rassenverwandtschaft mit den arischen Persern noch überboten werden. Als Spätfolge eines intensiven Ideologietransfers sollte der radikalfaschistische Vernichtungsantisemitismus daher gerade im Iran – und zwar bereits mit der Revolution des Ayatollah Khomeini – zur Staatsdoktrin werden. Gleichwohl etablierte sich Mein Kampf auch in der arabischen Welt als Dauerbestseller, und nicht nur auf die Schwarzhemd-Milizen der Hisbollah, die freimütig den deutschen Gruß pflegen, entfaltete Hitlers Bekenntnisschrift eine größere Wirkung als selbst der Koran. Über Unseren Kampf mit den Juden schrieb 1950 indessen auch der neue Vordenker der Muslimbruderschadt, Sayyid Kutb, der seinerseits radikal-islamistische Terrororganisationen wie Al-Kaida inspirieren sollte; noch der abgesetzte ägyptische Staatschef Mohammed Mursi fand in Kutbs Schriften den »wahren Islam« wieder.
Wenn Abdel-Samad mit seinen pointierten politischen Thesen und historischen Analysen auch nicht eigentlich wissenschaftliches Neuland betritt, so bezeugt doch das Aufsehen, welches sein populär geschriebenes Buch erregt hat, daß die Ergebnisse der aktuellen Forschungsliteratur sich in unserer – angeblich so islamophoben und proisraelischen – Öffentlichkeit noch längst nicht herumgesprochen haben. Jedenfalls hat ein Europa, das aus dem evidenten Nexus zwischen der Ausbreitung islamistischer Haßpropaganda und dem Anstieg antijüdischer Übergriffe politische Konsequenzen zu ziehen weder willens noch fähig scheint, eine solche Lektion bitter nötig.
Der islamische Faschismus. Eine Analyse von Hamed Abdel-Samad kann man hier bestellen.