5:45 Uhr, irgendwo im preußischen Commonwealth: Zu den sanften Klängen des Hohenfriedbergers erhebt sich unser Held aus dem schneeweißen Linnen, das für wenige Stunden seinen drahtigen Körper deckte. Nach einer kurzen kalten Dusche tritt er vor den ausladenden Gründerzeitspiegel.
Mit wenigen, routinierten Zügen sind die stahlfarbenen Haare zu einer zuverlässigen Bürstenfrisur gerichtet, ein scharfer Rasierer befreit die markanten Wangenknochen von den düsteren Stoppeln, sodass sie in einem nüchternen Beamtengrau erstrahlen.
Mit ernsten Schritten tritt er anschließend vor den geräumigen Kleiderschrank, in dem reihenweise makellos gebügelte Hemden hängen. Als er die Wohnung verlässt bleibt sein Blick kurz am Spiegel der Flurgarderobe hängen – „Diese Welt braucht Dich“ flüstert unser Held und blickt sich dabei in die klaren Augen.
Wenig später betritt er – nach kurzer Autofahrt in einem Dieselfahrzeug – sein Büro; auf dem eleganten Eichenholzschreibtisch wartet bereits die Post und das Montagsbriefing. Schwer liegen die buschigen Brauen auf seiner Stirn als er die Nachrichten des Tages liest – es steht schlimm um das Wohl der Nation, das wird ihm in diesen Stunden immer besonders bewusst. Mit düsteren Gedanken sortiert er die Post:
Vertriebenenverbände, eine Otto-von-Bismarck-Gesellschaft, ein Rundschreiben der RWE AG an ihre Aktionäre, abermals Vertriebenenverbände, eine Reservistenzeitung, ein Jagdmagazin; mittendrin: Die Quartalszahlen für den hauseigenen Buchversand. Zufrieden geht er die Tabellen durch – der neue Sarazzin läuft klasse, es ist ja auch ein hervorragendes Buch. Gerade will er den Bogen weglegen, als er eine plötzliche Erschütterung der konservativen Mitte spürt: Zwischen einer Adenauer-Biographie und einem Buch gegen Gendermainstreaming sticht ein Reizwort aus den sauberen Tabellen hervor.
Der große Mund, aus dem unser Held nicht müde wird zu mahnen, zieht sich säuerlich zusammen, die starken Schultern, mit denen er sich stets schützend vor das von allen Seiten verächtlich gemachte Bürgertum stellte, spannen sich an: Die Papiere verzeichnen hervorragende Verkaufszahlen zu einem kleinen Bändchen namens „Marx von rechts“ – Der Chef einer Wochenzeitung für Debatte greift zum Telefon, der freie Markt wird sich dieses Problems annehmen.
Nach einem kurzen Gespräch ist das Ärgernis entfernt – kryptokommunistische Literatur, die zur produktiven Auseinandersetzung mit dem Massenmörder Karl Marx aufruft, wird es in seinem Buchdienst nicht geben. Zu jung die Freiheit, um sie den raffgierigen Händen der Enteigner zum Fraß vorzuwerfen. Dieses Buch, da ist er sicher, es ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die von der entgrenzten Marktwirtschaft profitieren.
An diesem Tag wird unser Held bis in die Abendstunden im Büro bleiben, er grübelt an einem ernsten Problem: Wie kann er eine VS-Beobachtung der AfD verhindern? Nach langem Überlegen, analytischem Abwägen, einigen Anrufen bei alten Weggefährten und einer Tasse Kaffee kommt ihm endlich der rettende Einfall, die Lösung ist komplex: Die Partei muss sich von denen, die eine grundsätzliche Veränderung wollen, lösen und endlich wieder zu einer Partei des gesunden Menschenverstands werden!
Wenn sie sich nicht von den Sozialromantikern und Populisten trennt, wird sie sich sonst in den Augen der konservativ-bürgerlichen Wählerschaft endgültig desavouieren. Das hatte er bereits zu Lucke-Zeiten prophezeit, die aktuellen Umfrageergebnisse geben ihm Recht.
Als er zu später Stunde auf die verregneten Straßen der Hauptstadt tritt, fröstelt er – es ist Herbst geworden in der Republik, die er so liebt. Mit klammen Fingern schlägt er seinen Kragen hoch und geht mit raschen Schritten in Richtung Auto – in den Pfützen spiegelt sich sein Mantel, der wie ein Cape im Wind flattert.
An der Haustür verabschieden wir uns von unserem Helden. Er wird nicht mehr lange wach bleiben, vielleicht ein Glas Wein trinken, noch ein bisschen im Grundgesetz schmökern und sich dann zur Ruhe begeben in dem Wissen, wieder einmal die Welt vor den Feinden der Freiheit gerettet zu haben.
Der_Juergen
Einer der bisher besten Beiträge von Till-Lucas Wessels.
Ich habe diesen "Stein" stets für einen Bremser gehalten, der alles tut, um das Hochkommen einer authentisch patriotisch-sozialen Rechten zu verhindern. Zum Buch "Marx von rechts" kann ich mich vorderhand nicht äussern, da ich es noch nicht gelesen habe, doch warum sollte ein Rechter bei Marx (oder bei Gramsci, oder bei sonstigen linken Ikonen) nichts Positives und heute noch Brauchbares entdecken dürfen? Solche dogmatischen Denkverbote haben in der freien Debatte, für die wir uns einsetzen, nichts verloren.
Vor ein paar Tagen las ich im Netz einen Beitrag über Finnlands Umgang mit den "Rechtspopulisten", der Partei "Wahre Finnen". Die Regierung in Helsinki hat das Problem gelöst, indem sie diese Partei an der Regierungsverantwortung beteiligte, unter der Bedingung, dass sie von "radikalen" Forderungen abrückte. Als Reaktion darauf verliessen die "Radikalen" die Partei. Somit sind die "wahren Finnen" als authentisch nationale Oppositionspartei ausgeschaltet.
Nach diesem Muster werden die intelligenteren Vertreter des deutschen Regimes auch mit der AFD umgehen wollen: Da man die Partei nicht zum Verschwinden bringen kann, wird man versuchen, sie in das antideutsche Kartell einzubetten, nachdem man sie gezwungen hat, sich von nicht korrumpierbaren Idealisten wie Björn Höcke zu trennen. Gelingt dieser Plan, ist die AFD keine Alternative für Deutschland mehr und kann bestenfalls ein paar kosmetische Korrekturen an der Politik der Deutschlandvernichter bewirken.
Auf die Unterstützung charakterlose Opportunisten wie Dieter Stein wird das Regime bei solchen Bestrebungen zählen können. Wir werden sehen, ob sich die AFD-Spitze umgarnen lassen wird.