Nemesis des Establishments – Das Modell »Breitbart News

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

»Ste­phen Ban­non zum ›chief of staff‹ zu ernen­nen, wäre wie Götz Kubit­schek oder Jür­gen Elsäs­ser zum Kanz­ler­amts­mi­nis­ter  zu  machen #Trump«, tweete­te der Spie­gel-Deutsch­land­re­dak­teur Wolf Wied­mann-Schmidt am 12. Novem­ber, pünkt­lich zu Beginn des Rin­gens  um die Beset­zung des neu­en US-Kabi­netts unter dem desi­gnier­ten Prä­si­den­ten Donald J. Trump.

Woher aber kommt die­ser Ste­phen Ban­non, der tags dar­auf zum Coun­se­lor to the Pre­si­dent und damit Chef­stra­te­gen und obers­ten Bera­ter im Wei­ßen Haus ernannt wur­de; die­ser Ste­phen Ban­non, über des­sen Ein­fluß auf die neue Regie­rung seit sei­ner Beru­fung zum Lei­ter von Trumps Wahl­kampf­kam­pa­gne die eta­blier­ten US-Medi­en und inzwi­schen auch ihre deut­schen Gegen­stü­cke in heil­lo­se Auf­re­gung gera­ten sind – und was macht Wied­mann-Schmidt so nervös?

Wenn über­haupt etwas, dann ist der Mann eine schil­lern­de Per­sön­lich­keit: Ban­non ist Jahr­gang 1953, ein Baby boo­mer also, und Sohn einer irisch­stäm­mi­gen Nor­fol­ker Arbei­ter­fa­mi­lie, in der John F. Ken­ne­dy und die Gewerk­schafts­be­we­gung ido­li­siert und ganz selbst­ver­ständ­lich die Demo­kra­ten gewählt wur­den. Nach sei­nem poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Abschluß mit Schwer­punkt auf Natio­na­ler Sicher­heit an der eli­tä­ren, von Jesui­ten geführ­ten Washing­to­ner Pri­vat­uni­ver­si­tät George­town 1976 ging »Ste­ve« zur Mari­ne und dien­te sie­ben Jah­re lang zuerst als Offi­zier für Über­was­ser­kampf­füh­rung auf dem Eskort­zer­stö­rer »USS Paul F. Fos­ter« sowie anschlie­ßend als Assis­tent des Admi­ral­stabs­chefs im Pen­ta­gon. Par­al­lel erwarb er einen post­gra­dua­len cum-lau­de-Abschluß als Mas­ter of Busi­ness Admi­nis­tra­ti­on in Har­vard und wech­sel­te nach Aus­schei­den aus dem Mili­tär zuerst zu Gold­man Sachs, um sich 1990 gemein­sam mit eini­gen Kol­le­gen als »Ban­non & Co.« im Invest­ment­be­reich selb­stän­dig zu machen.

1993 wur­de er zusätz­lich für zwei Jah­re geschäfts­füh­ren­der Direk­tor des (inzwi­schen geschei­ter­ten) Öko­lo­gie­pro­jekts »Bio­sphe­re 2«, des­sen Fokus er von Mög­lich­kei­ten der Welt­raum­ko­lo­ni­sa­ti­on hin zu Umwelt­ver­schmut­zung und Kli­ma­fra­gen ver­schob. 1998 wur­de »Ban­non & Co.« von der fran­zö­si­schen Socié­té Géné­ra­le auf­ge­kauft, und Ban­non begann mit dem Erlös eine neue Kar­rie­re als Hol­ly­wood­pro­du­zent. Wäh­rend der Arbeit an einem Doku­men­tar­film zu Ronald Rea­gans Rol­le im Kal­ten Krieg (In the Face of Evil, 2004) begeg­ne­te er einem 16 Jah­re jün­ge­ren Mann, der – pos­tum – ent­schei­dend für die US-Prä­si­dent­schafts­wahl 2016 wer­den soll­te: Andrew Breitbart.

Der 2012 uner­war­tet ver­stor­be­ne, ursprüng­lich von links kom­men­de jüdi­sche Publi­zist Breit­bart hat­te sein poli­ti­sches Damas­kus­er­leb­nis infol­ge der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Nomi­nie­rung Cla­rence Tho­mas’ für den Obers­ten Gerichts­hof 1991 und ori­en­tier­te sich unter maß­geb­li­chem Ein­fluß kon­ser­va­ti­ver  Medi­en­ma­cher wie Rush Lim­baugh um zu einer dezi­diert rech­ten Medi­en- und Kul­tur­kri­tik. Vom US-Main­stream ent­täuscht, wur­de er selbst aktiv: Bereits Mit­te der neun­zi­ger Jah­re Redak­teur des Pro­to­typs kon­ser­va­ti­ver Online-Nach­rich­ten­diens­te, The Drudge Report, betei­lig­te sich der streit­ba­re Voll­blut­ak­ti­vist (Mot­to: »Schlag immer dop­pelt so hart zurück!«) 2005 an der Grün­dung der ursprüng­lich kon­ser­va­ti­ven Huf­fing­ton Post und schuf zeit­gleich sei­ne eige­ne Prä­senz breitbart.com, die dank Unter­stüt­zung durch Drudge Report umge­hend immense Zugriffs­zah­len erreichte.

2010 unter­zog Breit­bart sei­nen Nach­rich­ten­dienst einer Gene­ral­über­ho­lung und ging mit etli­chen Unter­sei­ten und nun­mehr selbst recher­chier­ten Geschich­ten zum Angriff über – der Asso­cia­ted Press sag­te er, er sehe sich »der Zer­stö­rung der alten Medi­en­gar­de ver­pflich­tet«. Seit­her führ­ten Breit­bart-Ent­hül­lun­gen unter ande­rem zu Bank­rott und Liqui­da­ti­on der lin­ken Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on ACORN wegen schein­ba­rer Unter­stüt­zung von Men­schen­han­del und Kin­der­pro­sti­tu­ti­on (2009), zum – vor­schnell – erzwun­ge­nen Rück­tritt der Direk­to­rin für land­wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung des Bun­des­staats Geor­gia wegen »anti­wei­ßen Ras­sis­mus’« (2010) sowie zum Sturz des New Yor­ker Kon­greß­ab­ge­ord­ne­ten Antho­ny Wei­ner über einen Sex­ting-Skan­dal (2011, »Wei­ner­ga­te«).

Nach Breit­barts Tod wur­de Ban­non neu­er Vor­stands­vor­sit­zen­der des Breit­bart News Net­work, form­te es end­gül­tig zu einer bou­le­vard­zei­tungs­ar­ti­gen Netz­prä­senz um und ver­tief­te sei­nen aggres­si­ven Kurs gegen­über US-Poli­tik und ‑Medi­en – »Wir sehen uns selbst als sehr scharf gegen das Estab­lish­ment gerich­tet, ins­be­son­de­re gegen die bestän­di­ge poli­ti­sche Klas­se.« – durch eine Annä­he­rung an die wild­wüch­si­gen rech­ten Inter­netz­ir­kel der »Alt­Right« (vgl. Sezession 69). Als 2014 die soge­nann­te »Gamergate«-Affäre um die Ein­fluß­nah­me von Femi­nis­mus­ak­ti­vis­tin­nen auf die Com­pu­ter­spiel­bran­che und den Wider­stand dage­gen los­brach, bewies Ban­non (von 2007 bis 2011 selbst Geschäfts­füh­rer des Online­spie­le-Unter­neh­mens Affi­ni­ty Media) stra­te­gi­sches Geschick: Er enga­gier­te einen jun­gen Bri­ten für die neue »Mei­nungs­frei­heits­zen­tra­le« Breit­bart Tech, der sich im »Gamergate«-Verlauf zur tabu- und respekt­lo­sen jour­na­lis­ti­schen Stim­me der poli­tisch Inkor­rek­ten auf­ge­schwun­gen hat­te – Milo Yiannopoulos.

Gegen­über Yiann­o­pou­los, Sohn eines Grie­chen und Enkel einer Jüdin sowie offen Homo­se­xu­el­ler mit Vor­lie­be für grel­le Kos­tü­mie­run­gen und mus­ku­lö­se schwar­ze Män­ner, lie­fen libe­ra­le Feind­mar­kie­run­gen ins Lee­re, so daß sich sei­ne Lust an größt­mög­li­cher Pro­vo­ka­ti­on und das Ban­non­sche Selbst­ver­ständ­nis als Dampf­ram­me rech­ter Dis­si­denz ergänz­ten. Yiann­o­pou­los mach­te ins­be­son­de­re als rabia­ter Kri­ti­ker von Femi­nis­mus und »Black-Lives-Matter«-Bewegung von sich reden.

Es waren Über­schrif­ten wie »Wovon wür­den Sie Ihr Kind lie­ber befal­len sehen, Femi­nis­mus oder Krebs?«, die zu sei­ner nament­li­chen Erwäh­nung in Hil­la­ry Clin­tons bereits legen­där gewor­de­ner öffent­li­chen Kla­ge über die »Alt­Right« am 25. August 2016 führ­ten und die ame­ri­ka­ni­sche Gegen­öf­fent­lich­keit so in jeden Haus­halt hin­ein­tru­gen. Eine Woche vor Clin­tons Rede war Ban­non vom Vor­stands­vor­sitz zurück­ge­tre­ten, um Trumps Kam­pa­gne zu leiten.

Was also läßt sich vom Modell Breit­bart News ler­nen und von der poli­ti­schen Eska­la­ti­ons­spi­ra­le, die sei­nen ehe­ma­li­gen CEO inner­halb von knapp 13 Wochen auf eine welt­ge­schicht­lich bedeut­sa­me Posi­ti­on kata­pul­tiert hat? Die Erfolgs­ge­schich­te ist auf drei zen­tra­le Fak­to­ren zurückzuführen:

  • Aktua­li­tät: Das Breit­bart-Netz­werk ver­fügt seit 2014 neben der Zen­tra­le in Los Ange­les über Regio­nal­bü­ros für Texas, Flo­ri­da, Kali­for­ni­en, London/Europa, Kairo/Nahost sowie Jeru­sa­lem, die rund um die Uhr jeweils bedeut­sa­me tages­ak­tu­el­le The­men auf­grei­fen und beset­zen. Eine wei­te­re euro­päi­sche Aus­deh­nung ist geplant; Süd­deut­sche, Welt, Spie­gel etc. warn­ten bereits panisch vor einem mög­li­chen Breit­bart News Ger­ma­ny, das den mas­sen­me­dia­len Mei­nungs­kon­sens auf­bre­chen könnte.
  • Zeit­ge­mäß­heit: Die Mit­ar­bei­ter von Breit­bart News bedie­nen sich vir­tu­os der sozia­len Medi­en, um einer­seits im Trend lie­gen­de The­men und Geschich­ten auf­zu­spü­ren, ande­rer­seits ihre eige­nen Inhal­te viral zu ver­brei­ten. Zu die­ser Netz­kom­pe­tenz, die die eta­blier­ten Nach­rich­ten­diens­te und Zei­tun­gen fast aus­nahms­los mis­sen las­sen, trägt mas­siv bei, daß der Alters­durch­schnitt der Redak­ti­ons­mit­ar­bei­ter ver­hält­nis­mä­ßig nied­rig ist und anstel­le jahr­zehn­te­lang geschul­ter Berufs­jour­na­lis­ten bevor­zugt Fach­leu­te gera­de aus Medi­en­be­rei­chen ange­wor­ben werden.
  • Intran­si­genz: Bei Breit­bart News wird sich nicht ent­schul­digt, und es wer­den kei­ne Kon­zes­sio­nen gemacht. Das gilt ins­be­son­de­re für die Con­di­tio sine qua non der Anti-Estab­lish­ment-Hal­tung: Das Netz­werk macht die übli­che Lie­be­die­ne­rei der Leit­me­di­en gegen­über der Poli­tik nicht mit (wie­wohl die News-Kon­kur­renz dies wäh­rend des US-Wahl­kampfs behaup­te­te), son­dern hat viel­mehr den Anspruch, die Poli­tik vor sich her­zu­trei­ben. Das galt für Ban­non zu sei­ner Zeit als Vor­stands­vor­sit­zen­der genau­so wie zuletzt für Rahe­em Kas­sam, Chef­re­dak­teur von Breit­bart News Lon­don, der Nigel Fara­ge bis zu des­sen Rück­zug vom UKIP-Par­tei­vor­sitz als obers­ter Bera­ter dien­te und im Anschluß vor­über­ge­hend selbst für das Amt kandidierte.

Die deut­sche Medi­en­land­schaft fürch­tet das Modell Breit­bart News, weil es ihre Abwehr­me­cha­nis­men unter­läuft. Das US-Por­tal hat alle Anfein­dun­gen über­stan­den; Ban­nons neu­er Pos­ten bezeugt die Wirk­sam­keit der Stra­te­gie. Die rat­lo­sen Reak­tio­nen auf ers­te deut­sche Spin doc­tors außer­halb des poli­tisch-media­len Kom­ple­xes, wie Micha­el Klo­novs­ky und Gün­ther Lach­mann, zeugt von dem revo­lu­tio­nä­ren Poten­ti­al eines deut­schen Breit­bart-Able­gers: Der erstarr­te Kon­sens der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung wür­de zer­trüm­mert, die poli­ti­schen Kar­ten neu gemischt. Es gibt kei­nen Anlaß, dem nicht gespannt entgegenzusehen.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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