Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) steht seit einiger Zeit im Visier der Verfassungsschützer. Nach mehreren Landesämtern hat im August auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die IBD mit der in diesen Fällen üblichen Auskunft, »Anhaltspunkte für Bestrebungen ge- gen die freiheitliche demokratische Grundordnung« ausgemacht zu haben, unter Beobachtung gestellt.
Am unverhohlensten indes sind die Drohungen, die das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hinsichtlich eines Engagements in der IBD, der eine »völkisch-rassistische Weltanschauung« unterstellt wird, auf seinen Netzseiten verbreitet. Diejenigen, die sich für diese angeblich »rechtsextremistische Gruppierung« – was erst noch zu beweisen wäre – engagierten, würden in den »Fokus des Nachrichtendienstes« geraten und als »Extremisten« gespeichert. Das könne für die Dauer der Betätigung in der IBD »das Aus für bestimmte berufliche Perspektiven bedeuten«. Begleitet wird diese »staatliche Feinderklärung«, wie es Josef Schüßlburner in Studie 30 des Instituts für Staatspolitik ausdrückt, mit einem Appell an das »soziale Umfeld junger Leute«, die mit dem Gedanken spielen, sich in der IB zu engagieren: »Jeder sollte sich so früh wie möglich an Behörden oder soziale Einrichtungen wenden, wenn rechtsextremistisches Engagement wahrgenommen wird.«
Alles das, so wird als Begründung »klar und deutlich« nachgeschoben, wolle unser Grundgesetz so, »damit unsere freiheitliche, pluralistische und auf Gleichberechtigung angelegte Demokratie nicht von Verfassungsfeinden beschädigt werden kann«. Wer der Frage nachgeht, ob »unser Grundgesetz« das wirklich so will, wird sehr schnell darauf stoßen, daß es in Deutschland mit der »demokratischen Wehrhaftigkeit« eine ganz eigene Bewandtnis hat. Es sei in diesem Zusammenhang nur daran erinnert, daß der Artikel 18 des deutschen Grundgesetzes, das Maximilian Zech in der Neuen Zürcher Zeitung (»Kann der Rechtsstaat vor seinen Feinden geschützt werden?«, NZZ vom 12. September 2016) als die »wohl ›militanteste‹ demokratische Verfassung der Welt« gekennzeichnet hat, die Möglichkeit eröffnet, Deutschen die Grundrechte zu entziehen, wenn sie diese »mißbräuchlich anwenden«.
In einer »dysfunktionalen Demokratie« sei dies, so Zech, der »Traum aller Diktatoren«. Eine Demokratie, so argumentiert Zech weiter, zeichne sich vor allem durch den in der Verfassung garantierten Schutz der Freiheit aus – worunter auch die Freiheit falle, sich gegen die politische Ordnung zu wenden. Wo dieser Schutz nicht ge- geben sei, könne »von einem demokratischen Rechtsstaat keine Rede mehr sein«.
Demgegenüber steht zweifelsohne die Gefahr, daß ein Maximum an Freiheit – Stichwort »Erfahrungen der Weimarer Republik« – die Gefahr mit sich bringt, daß diese Freiheit verloren gehen könnte. Die Schutzmechanismen gegen Verfassungsfeinde, die aufgrund dieser Überlegung in einige Verfassungen implementiert wurden, haben allerdings im deutschen Fall einen ganz eigenen Hintergrund.
Zechs Kennzeichnung des Grundgesetzes als »wohl ›militanteste‹ demokratischer Verfassung« transportiert bereits das richtige Stichwort, nämlich Militanz. Militant democracy heißt nämlich die Antwort, die die deutsch-jüdischen Emigranten Karl Löwenstein und Karl Mannheim unabhängig voneinander auf die von ihnen identifizierten Defizite der Weimarer Reichsverfassung gaben, die es ihren politischen Gegnern – allen voran natürlich den Nationalsozialisten – ermöglicht haben sollten, deren Abschaffung mit ihren eigenen Mitteln zu betreiben.
Zu diesen Defiziten zählte der frühere sozialdemokratische Münchner Rechtsanwalt Löwenstein den »Werterelativismus« oder die »Werteneutralität« der Weimarer Reichsverfassung, die maßgeblich zu deren Untergang beigetragen habe (»Militant Democracy and Fundamental Rights«, 1937). Grundlegende Werte wie »Brüderlichkeit, gegenseitige Hilfe, soziale Gerechtigkeit, Anständigkeit, Menschenwürde usw.«, so Karl Mann- heim (Diagnosis of Our Time, 1943), könnten nur in einer »militanten Demokratie« geschützt werden und seien der Ausgangspunkt für das Funktionieren einer gesellschaftlichen Ordnung. Sowohl Löwensteins als auch Mannheims »demokratischer Fundamentalismus« (Zech) fokussiert allerdings einseitig verfassungsrechtliche Aspekte; die allgemeine Katastrophenstimmung in der Endphase der Weimarer Republik, die unter anderem durch die Einstellung der US-amerikanischen Kredite für die deutsche Wirtschaft ausgelöst wurde, versetzte Deutschland in eine Existenzkrise.
Der versiegende Kapitalstrom und die um sich greifende soziale Not eröffne- ten den Gegnern der Republik ein großes Agi- tationsfeld gegen die demokratische Ordnung, was die politischen Rahmenbedingungen rasch veränderte bis hin zur »Machtübernahme« der Nationalsozialisten.
Es setzte sich in der Folge als bis heute herrschende Lehrmeinung indes die These durch, die Weimarer Republik habe keine hinreichenden institutionellen Vorkehrungen getroffen, um den Feinden der Republik die Stirn zu bieten. Diese Sichtweise hat auch im Grundgesetz, in das wichtige normative Grundlagen einer »wehrhaften Demokratie« implementiert wurden, ihren Niederschlag gefunden. Die drei grundlegenden Prinzipien der »wehrhaften Demokratie« lauten: Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung des Verfassungsschutzes.
Die Verfassungsväter hatten dabei ausschließlich totalitäre Strömungen von links und rechts im Auge, mit denen auch eine »geistig-politische Auseinandersetzung« zu führen sei. Hierzu sollten die Verfassungsschutzberichte, aber auch das Informationsmaterial der Landeszentralen oder der Bundeszentrale für politische Bildung einen Beitrag liefern. Der Zusatz »geistig«, so Christiane Hubo bereits vor knapp 20 Jahren in ihrer Dissertation Verfassungsschutz des Staates als geistig-politische Auseinandersetzung (Göttin- gen 1998), ziele auf den »Kampf um die Köpfe«, also auf das Bewußtsein und das Denken. Allerdings dürfe der Staat der »heterogen denkenden und fühlenden Bürgerschaft keine Wertehomogenität aufzwingen, wenn er etwa die Verweigerung einer Überfremdung der eigenen Heimat als ›Fremdenfeindlichkeit‹ brandmarken würde, um eine multikulturelle Gesellschaft als Wert zu installieren«.
Die Art und Weise der Wertevermittlung (Stichwort »Erziehung zur Toleranz«), die zum Beispiel im Informationsmaterial der Zentralen für politische Bildung zum Ausdruck kommt, läuft aber genau darauf hinaus, weil sie den geistigen Boden, der aus ihrer Sicht für die Ge- walt an Fremden verantwortlich sein soll, mit zu inkriminieren trachtet. Bei dem Versuch, die »rechtsextreme Substanz« freizulegen, die als »rassistische und völkisch-nationalistische Denk- und Verhaltensweise« identifiziert wird, gerät nach Hubo der »Bezug zum Nationalen, soweit es sich um die deutsche Nation handelt« bzw. »die Artikulation nationaler Interessen« »unter das Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit«. Durch die »tabuisierende Wirkung« der Etikettierung als »verfassungsfeindlich« indes wird aber das Verfahren der demokratischen Willensbildung im Hinblick auf die Umwandlung Deutschlands in einen multiethnischen Staat behindert. Dafür sind die »hoheitlichen Verrufserklärungen« (Hubo) im Hinblick auf PEGIDA-Bewegung und IBD nur die aktuellsten Beispiele.
Diese Umwandlung hat im letzten Jahr er- heblich an Fahrt gewonnen. Betonte noch 1991 Eckart Schiffer, im Spiegel als »Chefdenker für Ausländerpolitik« des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble vorgestellt, daß Heimat im »Sinne vertrauter Umwelt« so etwas »wie ein kollektives Menschenrecht« und die Brandmarkung der Verweigerung einer »Überfremdung der eigenen Heimat« als »Fremdenfeindlichkeit« »zum Scheitern verurteilt« sei, hat sich die Regierung Merkel spätestens mit ihrer Grenzöffnung im Jahre 2015 über derartige Kautelen hinweggesetzt.
Es sei hier nur daran erinnert, daß zwei ehemalige deutsche Verfassungsrichter, nämlich Udo Di Fabio und Hans- Jürgen Papier, die Bundesregierung aufgefordert haben, zum deutschen Recht zurückzukehren. Das ist bis heute nicht eingelöst. Anfang November lamentierte Reinhard Müller in einem Kommentar für die FAZ darüber, daß im »offenen Deutschland ohnehin jeder bleiben« dürfe, daher seien sowohl »Asyl für Verfolgte als auch eine Einwanderungsregelung überflüssig«. Es gehe »allenfalls noch um Schutz«, und zwar »für Deutsche« (»Wenn jeder bleibt«, FAZ vom 7.November 2016).
Die unzureichende öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Vorgängen dürfte auch mit der in Deutschland verbreiteten »ethnonegativen Einstellung zur eigenen Großgruppe Volk« zusammenhängen, die es, so Hubo, gestatte, »den Begriff Volk und seine Verwendung als ein Anzeichen von Rechtsextremismus zu klassifizieren«, womit eine wichtige Rahmenbedingung von »Gemeinsinn, Stabilität des Staates und demokratischer Ordnung« »nachhaltig gestört« werde.
Aus all dem kann nur eine Schlußfolgerung gezogen werden: Nicht die IBD oder die AfD, die der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnenderweise gern in den VS-Berichten sähe, erodieren die Demokratie in Deutschland, sondern diejenigen »Extremisten der Mitte« (Schüßlburner), die unter dem Deckmantel der
»Wehrhaftigkeit der Demokratie« eine freie »geistig-politische Auseinandersetzung« mit unbequemen politischen Opponenten über die Gestaltung Deutschlands unter mißbräuchlicher Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes zu unterbinden versuchen.