Viele Leute halten sich für »gewaltfrei«. Üblicherweise behaupten sie, Gewaltanwendung zu »verabscheuen«, und überhaupt nehmen die meisten Gewalt als etwas Negatives wahr. Viele sind nicht in der Lage, zwischen gerechtfertigter und ungerechtfertigter Gewalt zu unterscheiden. Und einige besonders eitle, selbstgerechte Typen möchten gerne glauben, sie hätten die garstigen, gewalttätigen Kulturen ihrer Vorfahren überwunden. Sie sagen: »Gewalt ist nicht die Antwort.« Sie sagen: »Gewalt löst keine Probleme.« Aber: Sie irren sich. Jeder einzelne von ihnen setzt tagtäglich auf Gewalt.
Wenn Wahltag ist, stellen sich alle möglichen Leute an, um ihre Stimme abzugeben. Sie hoffen, beeinflussen zu können, wer die Axt der Macht führen darf. Diejenigen, die die Gewalt abschaffen wollen (als ob das möglich oder überhaupt wünschenswert wäre!), versuchen oft, ihre Mitbürger zu entwaffnen. Das bereitet der Gewalt nicht wirklich ein Ende. Es verleiht lediglich den staatlichen Banden das Gewaltmonopol. Dadurch lebt man vielleicht »sicherer«, solange man nicht dem Boß auf die Füße tritt. Aber man darf sich nichts vormachen: Jede Regierung – links, rechts oder wie auch immer – beruht ihrem Wesen nach auf Zwang. Das ist un- umgänglich: Ordnung bedarf der Gewalt.
Ein Gesetz, hinter dem keine Androhung von Gewalt steht, ist nichts weiter als eine Anregung.
Staaten erlassen Gesetze, die von Männern durchgesetzt werden, die zur Gewaltanwendung gegenüber Gesetzesbrechern bereit sind. Jede Steuer, jede Auflagenordnung und jede Lizenzvorschrift verlangt eine sich verschärfende Abfolge von Strafen. An deren Ende steht entweder die gewaltsame Beschlagnahmung von Eigentum oder die Inhaftierung durch bewaffnete Männer, die darauf vorbereitet sind, im Falle von Verweigerung oder Widerstand Gewalt anzuwenden. Jedes einzelne Mal, wenn eine engagierte Mutti, eine Soccer mom, aufsteht und höhere Strafen für Trunkenheit am Steuer, den Verkauf von Zigaretten an Minderjährige, den Besitz eines Kampfhundes oder falsche Mülltrennung verlangt, fordert sie vom Staat die Anwendung von Gewalt, um anderen ihren Willen aufzuzwingen. Sie bittet nicht freundlich um Gehör.
Die Durchführbarkeit jedes einzelnen Gesetzes – ob nun zum Thema Familie, Waffenbesitz, Bauplanung, Straßenverkehr, Einwanderung, Wareneinfuhr, Warenausfuhr oder Haushaltspolitik – hängt sowohl von der Bereitschaft als auch der Fähigkeit der jeweiligen Gruppe ab, Ordnung mit Gewalt zu erzwingen.
Wenn Umweltschützer »Rettet die Wale!« verlangen, vertreten sie damit tatsächlich die Ansicht, daß die Rettung der Wale wichtig genug sei, um Menschen zu schaden, die Walen schaden. Der friedfertige Grüne fordert vom Leviathan, zugunsten des Leviathanschutzes die Anwendung von Gewalt zu genehmigen.
Würde die staatliche Führungsebene dem zu- stimmen und bekräftigen, daß »Rettet die Wale!« in der Tat wichtig sei, aber dann über Wal-Schädiger keine Strafen verhängen oder sich weigern, solche Strafen unter Androhung polizeilicher oder militärischer Gewalt durchzusetzen, so wäre die zum Ausdruck gebrachte Haltung nur eine bedeutungslose Gebärde. Wer den Wunsch hätte, Walen zu schaden, bekäme quasi einen Freibrief, dies – wie man so schön sagt – ungestraft zu tun.
Reden ohne Handeln ist nur Gerede. Gesetze ohne Gewalt sind nur Gerede. Gewalt ist nicht die einzige Lösung, aber sie ist die endgültige Lösung.
Man kann moralisch und ethisch argumentieren und an Vernunft, Emotionen, Ästhetik und Mitgefühl appellieren.
Gewiß lassen sich Menschen von diesen Argumenten bewegen, und wenn man ihnen hinreichend zuredet, entschließen sie sich oft, ihr Verhalten zu mäßigen oder zu ändern – vorausgesetzt natürlich, sie werden nicht über Gebühr belästigt. Die bereitwillige Unterwerfung vieler sorgt aber auch für eine Schwach- stelle, die nur darauf wartet, von jedem ausgenutzt zu werden, der die gesellschaftlichen und ethischen Normen abgeschüttelt hat. Wenn jeder seine Waffen niederlegen und sich weigern kann, sie wieder aufzunehmen, dann wird der erste, der sich wieder bewaffnet, allmächtig. Ohne Gewalt läßt sich Frieden nur so lange aufrechterhalten, wie jeder die Abmachung einhält – es muß also jeder einzelne Mensch jeder neuen Generation aufs Neue zustimmen, friedlich zu bleiben, auch dann, wenn der Krieg längst vergessen ist. Es darf nicht geschehen, daß irgendein Übeltäter oder Emporkömmling die Frage »Sonst: was?« stellt, denn in einer wirklich gewaltlosen Gesellschaft wäre die bestmögliche Antwort: »Sonst halten wir dich nicht mehr für sonderlich nett, und du kriegst nichts mehr von unseren Sachen ab.« Unser Unruhestifter könnte darauf ohne weiteres antworten: »Ist mir egal. Ich nehme mir einfach, was ich will.«
Gewalt ist die endgültige Antwort auf die Frage: »Sonst: was?« Gewalt ist der Goldstandard, die Währungsreserve, die für Ordnung bürgt.
Faktisch ist sie sogar besser als ein Goldstandard, denn Gewalt hat einen universellen Wert. Gewalt übersteigt die regionalen Eigenartigkeiten von Philosophie, Religion, Technologie und Kultur. Man sagt, Musik sei eine Universalsprache, und ein Schlag in die Fresse ist auch eine: Er tut immer weh, egal, welche Sprache man spricht oder was für Musik man bevorzugt. Wenn du mit mir in einem Raum eingesperrt bist, ich mir ein Rohr schnappe und Anstalten mache, dich damit zu schlagen, dann wird – ganz egal, wer du bist – dein Affenhirn sofort die Antwort auf »Sonst: was?« begreifen. Und so wird eine gewisse Ordnung hergestellt.
Ein zweckmäßiges Verständnis von Gewalt ist für das menschliche Leben und die menschliche Ordnung so grundlegend wie die Erkenntnis, daß Feuer heiß ist. Beides kann man nutzen, beides muß man respektieren. Man kann Maßnahmen dagegen ergreifen und es manchmal unter Kontrolle halten, aber man kann es nicht einfach davonwünschen. Wie ein Lauffeuer kann es einen überwältigen, und man merkt es nicht einmal, bevor es zu spät ist. Manchmal ist es größer als du. Frag nur mal die Cherokee, die Inka, die Romanows, die Juden, die Südstaatler, die Barba- ren, die Römer: Sie alle kennen die Antwort auf die Frage: »Sonst: was?«. Die grundsätzliche Feststellung, daß die Ordnung der Gewalt bedarf, ist keine Offenbarung, auch wenn sie manchen so erscheinen mag.
Schon die bloße Vorstellung wird manche Leute rasend machen, und einige werden blindwütig versuchen, sie mit allen möglichen verschwurbelten und konstruierten Argumenten anzufechten, weil sie nicht besonders »nett« klingt. Nur: Etwas muß nicht »nett« sein, um wahr sein zu können. Die Wirklichkeit verbiegt sich nicht, um der Phantasie oder der Gefühlsduse- lei einen Gefallen zu tun.
Unsere komplexe Gesellschaft verläßt sich so sehr auf mittelbare Gewalt, daß viele Durchschnittsbürger im privaten Sektor durchs Leben gehen können, ohne die Logik der Gewalt verstehen oder über sie nachdenken zu müssen: Sie liegt uns so fern! Wir können es uns leisten, sie als entlegenes, abstraktes Problem zu sehen, das sich durch anspruchsvolle Strategien und gesellschaftliche Programme lösen läßt. Wenn die Gewalt an die Tür klopft, rufen wir einfach die Polizei, um sie zu »stoppen«.
Nur wenige Zivilisten nehmen sich die Zeit, darüber nachzudenken, daß wir im Grunde einer bewaffneten Bande Schutzgeld zahlen, damit sie vorbei- kommt und in unserem Namen ordnungsgemäße Gewalt ausübt. Wenn diejenigen, die uns Gewalt antun könnten, ohne Scherereien verhaftet werden, geht den meisten von uns kein Licht auf; wir machen uns nicht einmal selbst klar, daß der Grund dafür, daß ein Gesetzesbrecher auf- gibt, die Waffe im Holster des Polizisten ist – oder das stillschweigende Wissen darum, daß er letztendlich von noch mehr Polizisten zur Strecke gebracht werden wird, die befugt sind, ihn zu töten, wenn er als Bedrohung eingestuft wird. Genauer: wenn er als Bedrohung der Ordnung ein- gestuft wird.
In den USA sind ungefähr zweieinhalb Millionen Menschen inhaftiert; mehr als 90 Prozent davon sind Männer. Die meisten von ihnen haben sich nicht freiwillig gestellt. Die meisten von ihnen versuchen nachts nicht zu fliehen, denn es gibt auf irgendeinem Wachtturm jemanden, der bereitsteht, um sie über den Haufen zu schießen. Viele sind nicht gewalttätig. Soccer moms, Buchhalter, engagierte Prominente und freilaufende Veganer, sie alle schieben ihre Steuergelder rüber und geben mittelbar Milliarden und Abermilliarden dafür aus, eine bewaffnete Regierung durch- zufüttern, die die Ordnung mit Gewalt aufrechterhält.
Erst wenn unsere geordnete Gewalt der ungeordneten Gewalt weichen muß, etwa im Nachgang einer Naturkatastrophe, sind wir gezwungen, einzusehen, wie sehr wir von denen abhängig sind, die die Ordnung mit Gewalt aufrechterhalten. Menschen plündern, weil sie es können, und sie bringen andere um, weil sie glauben, damit davonzukommen. Mit Gewalt umzugehen und gewalttätige Männer zu finden, die einen vor anderen gewalttätigen Männern beschützen, wird plötzlich zu einer ernsten und drängenden Sache.
Ein Kumpel erzählte mir mal die Geschichte eines Vorfalls, der einem Freund der Familie – der Polizist ist – widerfahren war und den Stand- punkt meines Erachtens verständlich macht. Ein paar Halbstarke hingen im Einkaufszentrum vor einem Buchladen ab. Sie alberten herum und sprachen Polizisten an, die vorbeikamen; unter den Polizisten war ein ziemlich kräftiger Kerl, mit dem man sich lieber nicht anlegen will. Einer der Jungs sagte ihm, daß er nicht verstehe, wozu die Gesellschaft eine Polizei brauche. Der Polizist beugte sich vor und fragte den dürren Knaben:
»Hast du irgendeinen noch so kleinen Zweifel daran, daß ich dir die Arme brechen und dein Buch wegnehmen könnte, wenn ich Lust dazu hätte?« Der Teenager, sichtlich erschüttert von der brutalen Frage, verneinte. »Genau deshalb braucht es Polizisten, Junge.«
In seinem Essay Notes on Nationalism schrieb George Orwell, daß für den Pazifisten eine Wahrheit zwar offenkundig, aber unmöglich hinzunehmen sei: »Diejenigen, die der Gewalt ›entsagen‹, sind dazu nur in der Lage, weil andere in ihrem Namen Gewalt ausüben.« Aus dieser Unfähigkeit, unser passives Angewiesensein auf Gewalt zu unserem Schutz zu akzeptieren, entspringt viel Unvernunft. Eskapistische Phantasien im Stil von John Lennons »Imagine« verderben unsere Fähigkeit, die Welt realistisch zu sehen und uns selbst ehrlich einzugestehen, daß Gewalt etwas ganz Natürliches für das menschliche Tier ist. Es gibt keinerlei Beweise, die die Vorstellung stützten, der Mensch sei ein grundsätzlich friedfertiges Wesen. Hingegen gibt es stichhaltige Beweise dafür, daß Gewalt immer ein Teil des menschlichen Lebens war.
Jeden Tag finden Archäologen neue Schädel von Urmenschen, die von Waffen oder stumpfer Gewalteinwirkung gezeichnet sind. Die ältesten bekannten Gesetzestexte, etwa der Codex Hammurabi, sind von erschreckender Grausamkeit. Wenn wir uns heute weniger bedroht fühlen, so als würden wir in einer gewaltfreien Gesellschaft leben, dann nur deshalb, weil wir so viel Macht über unser Alltagsleben an den Staat abgegeben haben. Manche nennen das vernünftig, aber wir können es genausogut als Faulheit bezeichnen. Es scheint eine gefährliche Faulheit zu sein, zieht man in Betracht, wie wenig die meisten Menschen laut eigener Aussage Politikern über den Weg trauen.
Gewalt kommt nicht von Filmen, Videospielen oder Musik. Gewalt kommt von Menschen. Es wird Zeit, daß die Leute aus ihrer Sechziger- Jahre-Trance aufwachen und damit anfangen, wieder ehrlich über Gewalt zu reden. Menschen sind gewalttätig, und das ist in Ordnung so. Man kann dagegen keine Gesetze erlassen oder drumherumreden. Der verfüg- baren Beweislage nach zu urteilen, gibt es keinen Grund zu der Annahme, daß sich jemals ein Weltfrieden einrichten oder die Gewalt »stoppen« ließe. Es wird Zeit, zu lernen, die Streitaxt zu lieben. Die Geschichte lehrt:
Wenn wir es nicht tun, wird es jemand anders tun.