Was sehen wir? Sieben Personen. Sechs davon agieren definitiv eine männliche Rolle aus. Bei der siebten, ganz rechts im Bild, blieb die geschlechtliche Zuweisung auch unter Hinzuziehung weiterer Bilder allen Betrachtern unklar. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sie als einzige Person unverschleiert »Gesicht zeigt«. Drei Männer sind in dieser Aufnahme verdeckt, jedoch tragen auch sie Kapuzen und zum Teil Sonnenbrillen. Wir sehen ferner eine zeltähnliche Überdachung und ein Banner, das sich aufgrund typographischer Eigenheiten als Werbestoff der Partei »Die Linke« zuordnen läßt. Was ist da los? Warum der Gletscherlook?
Der 17. Februar 2017, der Aufnahmetag des Photos, ging weder aufgrund einer besonderen Intensität der Sonnenstrahlung noch einer extremen Kälte in die meteorologischen Annalen des Landkreises Saalekreis ein. Die Kluft diente der Tarnung. Denn: Das hier abgebildete Personal war Teil eines Aufmarsches, der sich gegen die Winterakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS) richtete. Unter dem Kampfruf »IfS dichtmachen!« hatten im Vorfeld sowohl an Universitäten als auch in sachsen-anhaltischen Kleinstädten mehr als ein Dutzend »Mobilisierungsveranstaltungen« stattgefunden, auf denen dazu aufgerufen wurde, mißliebige Einstellungen mundtot zu machen.
Bemerkenswert: Sogar auf diesen oft stundenlangen »Mobi-Treffen« innerhalb universitären, mithin staatlichen Geländes wurde so sorgsam wie lookistisch sortiert. Als »Interes- sent« ging nur durch, wer links genug aussah. Wer den linksradikalen Äußerlichkeitskriterien nicht vollends entsprach, wurde hinauskomplimentiert – so geschehen in Halle und Dresden. In Leipzig und Merseburg hingegen war die Tarnung wohl geschmeidig genug.
Knapp einhundert Menschen folgten letztlich dem breitgestreuten Ruf (es riefen unter anderem: Bündnis Aufstehen gegen Rassismus Mitteldeutschland; Bündnis Querfurt für Weltoffenheit; SDS.Die Linke MLU) ins erklärte Feindesland Schnellroda. Sie zogen krakeelend, mittelfingerstreckend und bannerschwenkend (»Intelektuelle [sic!] Rechte halt’s Maul!«) durchs Dorf.
Nun also diese Gruppe hier. Widmen wir uns der dritten Person, von rechts gesehen. Hände vergraben in Bluejeans, das Kinn im schwarzen Megaschal verborgen, die Augen sonnenbrillenbedeckt, das empfindliche Haupt doppelt gehütet sowohl von Basecap als auch von einer Kapuze. Bleiben sichtbar: Wangenpartie, strichförmig gespreizte Lippen, Nasolabialbereich. Der kecke Spruch über Mother’s baby, father’s maybe findet hier definitiv keinen Anker: Das ist ganz offenkundig, allen Tarnversuchen zum Trotz, das junge Antlitz eines Ralf Stegner!
Ist es wirklich: Der uns hier so rechtwinklig angrient, ist Fabian Stegner, seines Zeichens Sohn von Ralf, dem Linksausleger und stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, Chef seiner schleswigholsteinischen Landespartei. Es ging oft über die »vaterlose Gesellschaft« (Alexander Mitscherlich); hier wäre ein Gegenbeispiel. Der Nachkriegsgeneration war oft ihr krankhafter Bruch mit den »Vätern« vorgeworfen worden – hier finden wir ein Indiz des Gegenteils: der Überidentifikation. Papa Ralf hatte sich gelegentlich so sehr im Ton gegenüber der politischen Konkurrenz vergriffen, daß es strafrechtlich relevant wurde.
Sohn Fabian (einer von drei Stegner-Söhnen) nun studiert, rund 450 Kilometer von Mama und Papa entfernt, in Halle/Saale Lehramt für Förderschulen. Fabian hat sein Twitter-Konto monströs durch kommunistische Symbolik verziert. Während der Papa oft mehrmals in der Stunde zwitchert (Sachen wie »mein Musiktipp für Euch da draußen«; Reinhard Mey, Sweet Baby et al.), verhält es sich mit dem Schnäbelchen des Sohnemanns anders, da gibt es über Monate Ladehemmung. Auch keine Stellungnahme zu jenen Kombattanten in Schnellroda, die da skandierten:
»Faschofresse, Kinderschreck, haut Kubitschek die Zähne weg!« Artig hingegen der Tweet des Jungstudenten von anno 2013: »Heute per Briefwahl beide Stimmen der SPD gegeben. Veränderung durch Bewegung! Jetzt!«
Ich bewege mich bedeutet à la Fabian: Taschenbillard, Schalkragen hochziehen, familiär bedingte Mundwinkelanspannung. Papa Ralf hatte im Mai 2016 dazu aufgerufen, »Rechtspopulisten und ihr Personal« anzugreifen. An dieser Stelle fehlt der Platz, sämtliche seither erfolgten Anschläge auf AfD-Büros, Autos und Infostände der SPD-Konkurrenz aufzuzählen. Jedoch: Das Fünkchen lodert fort! So unterstützt der Studierendenrat der Martin-Luther-Universität Halle (wiewohl nur mit einem hochschulpolitischen Mandat ausgestattet) einen sogenannten »Arbeitskreis Protest«, und zwar mit bis zu 9259 Euro im Jahr. Dieser Kreis arbeitet eng mit dem Bündnis Halle gegen Rechts zusammen und hat seine Ausrichtung entsprechend angepaßt.
Auch die Aktionen gegen »Schnellroda« wurden aus diesem Säckel gefördert. Ach, Studentenrat, Studentenparlament! (Pardon: Heute heißt es »geschlechtergerecht« Studierendendings.) Wo ist die Legitimation für eine Agitprop-Truppe, wenn die Wahlbeteiligung unter 20 Prozent liegt?
Wir weichen ab. Es ging um Fabian Stegner und sein Vermummungsspiel. Es gibt auf You-Tube einen selten gesehenen Filmschnipsel, der unter der Suchanfrage »Haben die Alten unsere Zukunft versaut?« leicht zu finden ist. Dort wird Stegner jun. gemeinsam mit Johannes Kretschmann (»Dr Ernscht dr Lage«; Sohn des baden-württembergischen Landesvaters Winfried Kretschmann) unverhüllt interviewt. Die Aufnahme datiert von 2012. Der Stegnerfilius trägt hier ein Botschafts-T-Shirt mit der Aufschrift »Stateless. No leaders. No nations. No borders« zur Schau. Stegner raucht. Und wie!
Ja, wie denn? Ich habe es mir auf der Lifestyle-Netzseite pinehearts.at erläutern lassen. Dort: »Im Gegensatz zu Frauen, wo man diese Gestik fast nie sieht, erkennt man dies bei vielen Männern, die die Zigarette ›aus der Handfläche heraus‹ rauchen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass es zweckmäßig ist, solchen Menschen mit Vorsicht zu begegnen, da deren Empfindungsleben sich auf das Allernotwendigste beschränkt, um mit der eigenen Umwelt fertig zu werden. Das ist übrigens auch einer der Gründe, wieso in typischen Filmen aus Hollywood über den Zweiten Weltkrieg rauchende Nazis die Zigarette fast immer ganz unten am Handteller halten. Diese Gestik wird in Filmen bewusst eingesetzt, um so eine kältere und härtere Wesensart der betreffenden Person darzustellen.«
In Wahrheit wissen wir natürlich wenig über das Empfindungsleben eines Fabian Stegner. Wir kennen ja nur unseren Mitscherlich in- und auswendig. Er läßt kaum Gutes an der übertriebenen Prägung durch den Vater. Mitscherlich: »Unverstand und Neigung zu Brutalität, die wir in der Kindheit erfahren, hinterlassen für immer Spuren in unserem Charakter. Wir sind eingedenk des Pascalschen Satzes: ›Niemals tut man so vollständig und gut das Böse, als wenn man es mit gutem Gewissen tut.‹ […] Das sind die Aspekte des entarteten Gewissens, dessen Gehorsamsforderung nicht von Einsicht gelenkt ist, sondern wiederum ein unzugängliches Absolutum darstellt.«
Fabian! Laß den Mummenschanz! Emanzipier’ dich mal von Papa!