Der Umgang mit Frauen oder weiblichen Nutzernamen in rechten Foren ist meiner Erfahrung nach zum weit überwiegenden Teil sachlich, häufig freundlich und anerkennend. Wenn er gelegentlich Anlaß zu Kommentaren gibt, dann viel eher im Sinne einer positiven Auszeichnung als umgekehrt. Hier wie anderswo sind konventionelle Vorstellungen über »die Rechte« und »die Rechten« erfahrbar als das, was sie eben sind: als Klischees.
Dennoch stößt man nicht ganz selten auf eine aggressive Tendenz gegenüber Frauen, die unversehens erschreckende Wucht entfalten kann. Sein Haupt erhebt dann ein verfestigter, brennender Ärger, der sich nicht genugtun kann, eine Abneigung, die aus den schwarzen Tiefen der Kulturgeschichte auftaucht und ohne Vorwarnung vom Diskursiven ins Obszöne übergeht.
Freilich gibt es auch Anlaß zu berechtigter Kritik. Besonders seit der sogenannten Flüchtlingskrise finden sich wiederholt Netzeinträge, die nicht ganz zu Unrecht das willfährige Verhalten von Staat und Gesellschaft gegenüber den Hereindrängenden »den« Frauen anlasten. Der Anschein gibt den Kommentatoren recht, sind die freiwilligen Helfer doch meist freiwillige Helferinnen und ist der Mentalitätswandel, der diesen Defätismus hervorgebracht hat, erst durch die Vorarbeit der Grünen, einer ideologisch und personell weiblich dominierten Partei, möglich geworden.
Trotzdem: Jene Diskurse, welche diese invertierte Form der Hilfsbereitschaft rechtfertigen sollen, sind nicht von Frauen entwickelt worden. Die historisch tieferen Wurzeln sind in einer heute fast vollständig durch- gesetzten einseitigen Lektüre des Christentums zu suchen. Diese begreift dessen Gehalt unter Übergehung der Maiestas und des Tremendum, also der erhabenen, ja furchteinflößenden Momente der Gottheit, verkürzend als »Liebe«, und zwar als nichts als Liebe. Damit schließt diese Lesart problemlos an einen vagen Humanismus an, von dem sie letztlich nicht mehr unterscheidbar ist. Vorreiter dieser Tendenz war die als Neologie bekannte protestantische Theologie der Aufklärung, die ohne Rücksicht auf spirituelle Verluste Dogmen untergrub und göttliche Gebote als bloß moralische reformulierte.
Der nietzscheanisch inspirierte Vorwurf, das Christentum sei eine »weibische« Religion, ist mindestens mißverständlich. Denn »männlich« oder »weiblich« bleibt im Hinblick auf eine Religion zwangsläufig eine symbolische Qualifikation. Wo der Religionsgründer und alle, die sich in seiner Nachfolge institutionell behaupten konnten, Männer waren, tritt dieser Symbolcharakter geschlechtlicher Zuschreibungen mit besonderer Deutlichkeit hervor. Phänomene wie der teilweise erhebliche Einfluß der Frauenmystik oder der Frauen im Pietismus tun dieser Feststellung keinen Abbruch − sie bewahren immer ein antiinstitutionelles Moment. Weitere Quellen liegen bei jenen Denkern der Aufklärung, die die Geltung universeller Werte über alles andere gestellt sehen wollten und sich dabei auf ein abstraktes Konzept vom »Menschen« und seinen ihm von »Natur« aus zukommenden »Rechten« beriefen.
Diese agierten im Rahmen einer Salonkultur, die zwar von geistreichen Damen ausgerichtet, deren Diskurskultur aber von männlichen intellektuellen Matadoren beherrscht wurde, die die Stars der Soireen waren und blieben. Ob sie dabei über die Umgangsformen hinaus einem besonderen weiblichen Einfluß unterlagen, ist äußerst fraglich. Rousseau etwa steht, sieht man vom politischen Theoretiker ab, für ein in seiner Empfindsamkeit weiblich konnotiertes Denken. Dies hinderte ihn keineswegs daran, das Salonleben als effeminiert zu kritisieren und ein pädagogisches Modell zu verfechten, welches Frauen praktisch keine körperliche und intellektuelle Bewegungsfreiheit zugestand.
Seine Vorstellungen über die Erziehung von Mädchen (Puppen ankleiden, Nähen, ausdauern- des Sticken) sind berüchtigt und würden mutatis mutandis auch in einem konservativen muslimischen Milieu nicht aus dem Rahmen fallen.
Haben Frauen in der Tat eine tragende Rolle in der »Willkommenskultur« gespielt, so ist die Annahme, der Begründungstypus, der hinter dem Helferinnen-Syndrom stand und steht, sei ein spezifisch oder sogar exklusiv weiblicher, also nicht besonders tragfähig. Sind Frauen wie die Kanzlerin und die notorischen Margot Käßmann, Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth seine prononcierten, aggressiv-missionarischen Verfechterinnen, so steuert das männliche Establishment mit Erscheinungen wie Hofreiter, Marx und Woelki seinen Anteil ebenfalls bei. Wäre dem nicht so, hätte sich die »Willkommenskultur« genannte Immunschwäche niemals etablieren können. Diese Immunschwäche ist ein gesamtkulturelles Phänomen. Es ist daher wichtig, zu begreifen, daß ihre Wahrnehmung und Beschreibung als »weiblich« zunächst nicht auf einen biologischen, sondern auf einen symbolischen, also kulturellen Sachverhalt Bezug nimmt (was eine biologische Komponente im Verhalten der beteiligten Frauen selbstverständlich nicht ausschließt).
Das führt auf die grundsätzliche Frage nach der Rolle der Biologie bei der Konzeption von Geschlecht. Für Rechte wie Linke scheint sie vorentschieden zu sein. Auf der Rechten hat man sich bislang weitestgehend auf die ausschließliche Betonung der biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückgezogen. Dies ist im Sinne einer größtmöglichen Erkennbarkeit der eigenen Positionen, also eines strategischen Abgrenzungsgebotes, verständlich, da damit der maximale Abstand zu typisch linken Milieutheorien markiert ist.
Ich möchte zeigen, daß dies für die Vertretung »rechter« oder konservativer Standpunkte weder nötig ist noch ein invariantes Kennzeichen konservativen Denkens bildet. (Man möge mir nachsehen, wenn ich hier »konservativ« und »rechts« synonym verwende. Das ist zwar falsch, für den vorliegenden Argumentationszusammenhang ist die Unterscheidung aber unnötig). Kein Geringerer als Arnold Gehlen schrieb bereits 1958 die folgenden erstaunlichen Sätze:
»Aus dem bisher Gesagten folgt, daß wir alles Natürliche am Menschen nur in der Imprägnierung durch ganz bestimmte kulturelle Färbungen erfahren können. Dies ist ein weitgehend zugestandener, aber selten ausgewerteter Satz. Wenn die Kultur dem Menschen natürlich ist, so bekommen wir auch umgekehrt seine Natur nie als solche, sondern nur in der Durchdringung mit je ganz bestimmten kulturellen Zusammenhängen zu Gesicht. Man kann z. B. die Frage nach dem Wesensunterschied der Geschlechter nicht allgemein, man kann sie nur für den Umkreis einer bestimmten Kultur beantworten, denn es handelt sich jeweils um kultur- bedingte Stilisierungen von irgendwelchen Substraten, die wir niemals als solche, in ihrer naturhaften Urwüchsigkeit kennenlernen.«
Diese Sätze sind aus Gehlens Feder deshalb erstaunlich, weil sie auf den ersten Blick exakt die Grundannahme der Genderlehre zu formulieren scheinen. Gehlen sagt uns schlicht, daß sich »kulturbedingte«, erlernte weibliche oder männliche Verhaltensmuster nicht sauber von »naturhaften«, also biologisch bedingten, trennen lassen. Dies insbesondere, weil das männliche oder weibliche Wesen uns immer schon in einer bestimmten Kultur entgegentrete, deren Einflüsse sich kaum herausfiltern ließen. Selbstverständlich sind uns als Mann und Frau biologisch konkrete Eigenschaften mitgegeben, diese treten aber in unterschiedlichen Kulturen in unterschiedlichen Formen zutage. Gehlens Formulierung legt nahe, daß es sich hierbei schon Ende der fünfziger Jahre um keine neue Perspektive gehandelt hat. Er formuliert Jahrzehnte früher jene Hauptthese vor, für welche die Vordenkerin aller Gendertheorien, Judith Butler, viel später als bahnbrechend innovativ gerühmt werden sollte; es wäre zweifellos interessant, einmal der Frage nachzugehen, ob sie Gehlens Schrift kannte.
Das klingt nun ganz nach »Genderismus«, aber damit würde man Gehlen Unrecht tun: Es gibt einen bezeichnenden Unterschied, und der liegt in dem Wort »Substrat«. Während Gehlen eine biologische Basis zugesteht, die aus praktischen Gründen unerkennbar, weil stets kulturell überformt sei, geht die Gendertheorie einen Schritt weiter. Dieser Schritt weiter ist der berühmte Schritt vorwärts in den (argumentativen) Abgrund. »Genderismus« leugnet nämlich längst auf breiter Front die Existenz dieser biologischen Basis und streicht damit die Natur, die bei Gehlen eine unbestrittene, wenn auch schwer isolierbare Grundlage bildete, gleich ganz. Verhaltens‑, Wahrnehmungs‑, Empfindungs- und Leistungsunterschiede bei Männern und Frauen werden daher bekanntlich als rein kulturell geprägt aufgefaßt und somit auch als beliebig veränderbar. Daß dieses Eskamotieren der Physis eine karnevalistische begriffliche Taschenspielerei darstellt und mit Wissenschaft nur zu tun hat, insofern es innerhalb des Wissenschaftsbetriebs stattfinden kann, bedarf keiner Erläuterung.
Während also diese Position ebenso absurd wie intellektuell unredlich ist, weil sie nicht einem Erkenntnisinteresse, sondern dem einer Lobbygruppe folgt, läßt diejenige Gehlens sich nicht vom Tisch wischen. Sie belegt, daß »rechte« Beschreibungen keineswegs primären Rekurs auf biologische Gegebenheiten nehmen müssen, ja dies nicht einmal können. Erstens nicht, weil eben Natürliches und Kulturelles sich nur sehr bedingt auseinanderdividieren lassen. Zweitens aber, weil die Position von Wissenschaft selbst (ich meine hier Naturwissenschaft, ähnliches gilt aber auch für Soziologie, Ökonomie etc.) in einer modernen Wissensgesellschaft höchst zwiespältig ist. In dem Maße, in dem diese Wissen schafft, vermehrt sie gleichzeitig das Unwissen (oder Halbwissen).
Das liegt an der Komplexität und am Spezialisierungsgrad, den wissenschaftliche Disziplinen heute erreichen, wo häufig auch Fachkollegen die Spezialstudien von Kollegen nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen können. Auf diese Situation trifft zugleich ein enormes mediales Interesse an wissenschaftlichen Ergebnissen insbesondere dort, wo diese weltanschauliche Fragen tangieren. Das Ergebnis ist eine Art gesellschaftlicher »Doppelexistenz« von Wissenschaft: einmal als das, was sie im jeweiligen Fach tatsächlich ist, und einmal als ihre mediale Repräsentation, als ihr eigenes »Double«. Und das ist leider die einzige Form, unter der sie uns, mit Ausnahme unserer jeweils eigenen Spezialgebiete, erreichen kann.
Wissenschaftliche Ergebnisse, die unsere weltanschaulichen Präferenzen zu stützen scheinen, werden habituell als Beleg für Weltanschauung herangezogen. Sie werden in Dienst genommen, um vorgängige Werturteile zu untermauern, was sich sehr schnell als Bumerang erweisen kann. Werden die Ergebnisse nämlich einmal wirklich wissenschaftlich überholt oder auch nur scheinbar überzeugend angefochten, brechen augenblicklich Stücke aus der Mauer der eigenen Argumentation heraus.
Als Allzweckwaffe für solche Manöver dient gewöhnlich die Ethnologie. Belege für ein beliebiges, als universell geltendes Verhalten werden scheinbar aus den Angeln gehoben, sowie irgendein Stamm, der hiervon abzuweichen scheint, in den Fokus des Interesses rückt. Und da die Ethnologie ein durchaus nicht ideologiefreies Fach ist, kann man getrost davon ausgehen, daß ein solcher Stamm genau dann auftaucht, wenn er argumentativ benötigt wird.
Das berühmteste Beispiel hierfür ist der im letzten Heft ausführlich zur Sprache gekommene Fall von Margaret Meads Aufenthalt auf Samoa, der in die systematische Verzeichnung der von ihr vorgefundenen Südseegesellschaft ins Paradiesische mündete. Sie löste damit die Erwartungen ihres akademischen Lehrers Franz Boas ein, der nachdrücklich den Vorrang freier Sexualität und die nahezu unbegrenzte Formbarkeit von Geschlechterrollen verfochten hatte.
Auch jenseits von Geschlechterfragen folgen Klassiker der Ethnologie, wie Claude Lévi-Strauss’ Traurige Tropen, häufig diesem Muster eines nicht durch Reflexion aufgelösten Vor-Urteils. Völlig zu Recht qualifizierte der US-amerikanische Ethnologe Clifford Geertz Lévi-Strauss’ Werk als einen von Ekel über die eigene Kultur gezeichneten »reformistischen Traktat«. Die »künstlichen Wilden« bilden eben ein methodologisches Dauerproblem der Ethnologie. Dieses funktioniert freilich nach beiden ideologischen Seiten: Nicht nur die rousseauistisch inspirierten Naturmenschen mit kindhaft-unschuldigem Verhältnis zur Sexualität stellen sich auf Zuruf ein, sondern desgleichen die gesunden Geschlechterverhältnisse mit naturgegebener Unterordnung der Frau. Was letztere betrifft, so ist bei diesem Rennen zwischen Hase und Igel die Linke stets im Vorteil, muß sie doch lediglich beweisen, daß es Ausnahmen von den männlichen Dominanzverhältnissen gibt, was offenbar nicht schwerfällt, während die Rechte stets versucht, die Universalität dieser Verhältnisse zu beweisen, was offenbar zum Scheitern verurteilt ist.
Es stellt sich daher die Frage, ob es nicht strategisch klüger wäre, den Rekurs auf solche Argumentationsmuster einzustellen, also etwa nicht zu erklären, daß man die klassische Familie, sei es in klein- oder großfamiliärer Form, bevorzugt, weil man sie als »natürlicher« einstuft. Man verstrickt sich damit in ein Argumentationsspiel, das aus den genannten Gründen kaum zu gewinnen ist. Gefügte Familienstrukturen sind Teil unserer Identität, und dies mit bei weitem nicht so großen Variationen, wie ideologisierte Geschlechtertheorien uns glauben machen wollen. Die Entscheidung für diese Lebensformen profitiert damit von der Würde der Tradition und ist eine Wahl, die als solche im Gegensatz zu biologistischen Argumenten unanfechtbar ist. Wieso sollte auch ausgerechnet für traditionell orientierte heterosexuelle Paare nicht gelten, was für alle an- deren möglichen und unmöglichen Paarungen in Anspruch genommen wird? Neben der kulturellen Verankerung als Lebensform läßt sich auf die historische Produktivität des arbeitsteiligen heterosexuellen Paares hinweisen.
Mit beiden Argumenten hat man sich des Beweiszwangs für biologische Grundlagen entledigt. Es geht auch gar nicht darum, derartiges zu beweisen, denn der Rechte (oder Konservative) ist für mein Verständnis nicht der Herold seiner eigenen Physiologie oder Natur, die ihm nur vermittelt und indirekt zugänglich ist, sondern des Herkommens, er ist der Vertreter seiner Kultur und Tradition. Aus dieser, die an biologische Grundlagen offenbar erstklassig angepaßt war (sonst hätte sie kaum so lange erfolgreich überlebt), ergibt sich das, was man als das »Naturgemäße«, Mittlere und – ja, Rechte ansehen kann.