Über- ohne Mensch: Transhumanismus

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Am 30. März 2017 fei­er­te der mit Scar­lett Johans­son und Take­shi Kita­no pro­mi­nent besetz­te, 110 Mil­lio­nen Dol­lar teu­re Hol­ly­wood­film Ghost in the Shell sei­ne Deutsch­land­pre­mie­re. Bei dem von der Kri­tik nur mäßig auf­ge­nom­me­nen, effekt­ge­la­de­nen Werk han­delt es sich um die Real­ver­fil­mung des gleich­na­mi­gen japa­ni­schen Ani­me-Zei­chen­trick­films von 1995, der heu­te inner­halb des Gen­res einen Klas­si­ker­sta­tus inne­hat und des­sen welt­wei­te Popu­la­ri­tät maß­geb­lich anschob.

Im Ani­me wie im zugrun­de­lie­gen­den Man­ga Masa­mu­ne Shirows von 1989 wird eine schein­bar uto­pi­sche Zukunft Mit­te des 21. Jahr­hun­derts abge­bil­det, in der die Ver­bes­se­rung des mensch­li­chen Kör­pers durch syn­the­ti­sche Kom­po­nen­ten völ­lig selbst­ver­ständ­lich ist – das geht bis hin zu kom­plet­ten implan­tier­ten Cyber­ge­hir­nen (die titel­ge­ben­den Shells, »Gehäu­se«), in denen ledig­lich noch ein klei­ner Rest mensch­li­chen Ner­ven­ge­we­bes als Trä­ger von Per­sön­lich­keit und See­le (also des Ghosts) ent­hal­ten ist.

Die klas­si­sche, letzt­lich auf volks­tüm­li­che Mär­chen über magi­sche Krea­tu­ren zurück­ge­hen­de Fra­ge der Sci­ence-fic­tion lau­tet: »Wo fängt der Mensch an?« Die­se Grund­the­ma­tik zieht sich durch Jahr­hun­der­te der phan­tas­ti­schen Lite­ra­tur, wäh­rend par­al­lel zum tech­ni­schen Fort­schritt aus dem Golem und dem Homun­ku­lus der Robo­ter und die Künst­li­che Intel­li­genz wur­den. Ghost in the Shell steht bei­spiel­haft für eine alter­na­ti­ve Gen­re-Fra­ge­stel­lung: »Wo hört der Mensch auf?« Die Per­spek­ti­ve ist in der Regel eine düs­te­re, wo wie­der­be­leb­te Ver­stor­be­ne und ein­sa­me See­len in voll­stän­dig durch­me­cha­ni­sier­ten, über­mensch­lich star­ken Kör­pern dar­über medi­tie­ren, was die Tech­no­lo­gie von ihrem Eige­nen noch übrig­ge­las­sen hat.

Wer all das für Spin­ne­rei­en mit – wenn über­haupt – rei­nem Unter­hal­tungs­wert hält, bleibt letzt­lich in der hoch­mü­ti­gen Tech­nik­ne­ga­ti­on gefan­gen, vor der Arnold Geh­len bereits 1957 in Die See­le im tech­ni­schen Zeit­al­ter warn­te. Für den scheu­klap­pen­frei­en Beob­ach­ter ist nicht zu über­se­hen, daß sich die Mensch­heit spä­tes­tens seit dem Auf­kom­men des Inter­nets in einem schein­bar unauf­halt­sa­men Ent­wick­lungs­pro­zeß befin­det, des­sen Rich­tung und Ziel noch gänz­lich im dun­keln liegt und der nicht ein­fach irgend­wann irgend­wo halt­ma­chen wird: Das welt­wei­te Netz ist inner­halb einer ein­zi­gen Gene­ra­ti­on – der »Gene­ra­ti­on Y«, jener der soge­nann­ten Mil­le­ni­als, bei denen es sich um die ers­ten Digi­tal nati­ves han­delt, die also mit EDV und Inter­net auf­ge­wach­sen sind – expo­nen­ti­ell ange­wach­sen und hat sich dabei von einem rei­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um zu einer Insti­tu­ti­on transformiert.

Das anfangs für Pro­gno­sen zu die­ser Ent­wick­lung her­an­ge­zo­ge­ne Met­cal­fe­sche Gesetz über das Kos­ten-Nut­zen-Ver­hält­nis von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­men ist dadurch, daß das Inter­net in sich einen Eigen­nut­zen gene­riert hat, voll­kom­men über­rollt wor­den – ein Schick­sal, das eben­so jeden betref­fen kann, der sich durch blo­ße Igno­ranz oder Ver­wei­ge­rung der längst ange­bro­che­nen, bei­spiel­lo­sen Trans­for­ma­ti­on von Gesell­schaft und Indi­vi­du­um ent­zie­hen zu kön­nen glaubt.

Als bis­lang gewal­tigs­ter Sprung nach vorn in die­sem Pro­zeß kann die Ent­wick­lung des Smart­phones und sei­ne welt­wei­te Durch­set­zung gel­ten. Heu­te ist es fast selbst­ver­ständ­lich, daß jeder­mann ein klei­nes Gerät in der Hosen­ta­sche trägt, des­sen Rechen­leis­tung die klo­bi­gen Com­pu­ter der spä­ten 1990er Jah­re weit über­trifft und mit des­sen Hil­fe man stän­di­gen poten­ti­el­len Zugriff auf das gesam­mel­te Wis­sen der gan­zen Welt hat – und doch ist es gera­de ein­mal zehn Jah­re her, daß die ers­te Gene­ra­ti­on des iPho­nes der stau­nen­den Öffent­lich­keit vor­ge­stellt wur­de. Smart­phones sind unun­ter­bro­chen akti­ve Sen­der und Emp­fän­ger; sie machen ihre Trä­ger jeder­zeit erreich- und ver­ort­bar, in der rea­len Welt eben­so wie in den zur zwei­ten Haut gewor­de­nen sozia­len Netzwerken.

Neue­re Gerä­te sind – »nütz­li­che« Gesund­heits-Apps vor­aus­ge­setzt – längst in der Lage, ganz neben­bei Vital­da­ten und Bewe­gungs­mus­ter ihrer Nut­zer auf­zu­zeich­nen, und wer sich dar­auf ein­läßt, kann nach Fei­er­abend eine Benach­rich­ti­gung von sei­nem Smart­phone auf sei­ne Smart­watch emp­fan­gen, daß er sei­ne täg­li­che Soll­schritt­zahl von 10.000 noch nicht erfüllt habe und noch einen klei­nen Spa­zier­gang antre­ten soll­te. Des­sen Ver­lauf kann via GPS abge­bil­det und mit eini­gen Pho­to­im­pres­sio­nen vom Weges­rand anschlie­ßend ohne Umschwei­fe hoch­ge­la­den wer­den – das Netz und sei­ne mobi­len End­ge­rä­te sind gleich­zei­tig Erzeu­ger und Über­trä­ger für »unse­ren Virus des Libe­ra­lis­mus, unse­ren Objekt- und Bil­der­zwang, unse­ren Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zwang« (Jean Baudrillard).

All die­se For­men und Wege der vir­tu­el­len (Selbst-)Darstellung las­sen das Indi­vi­du­um nicht nur schein­bar über sich hin­aus­wach­sen, son­dern machen es auch immer voll­stän­di­ger quan­ti­fi­zier­bar und spie­len glei­cher­ma­ßen den Inter­es­sen der Wirt­schaft wie staat­li­cher Über­wa­chungs­or­ga­ne in die Hän­de. Die von vie­len gefürch­te­ten und kri­ti­sier­ten »Daten­kra­ken« à la Goog­le oder Face­book leben letzt­lich davon, daß wir sie (noch) frei­wil­lig füt­tern – und es steht zu ver­mu­ten, daß nicht weni­gen Zeit­ge­nos­sen maß­ge­schnei­der­te Wer­be­an­zei­gen, stark ver­ein­fach­te Anmel­de­pro­ze­du­ren (dadurch, daß sich immer mehr eigen­stän­di­ge Benut­zer­kon­ten mit­ein­an­der ver­knüp­fen las­sen) und die im Zuge der all­mäh­li­chen Aus­schlei­chung des Bar­geld­ver­kehrs zuneh­men­de Popu­la­ri­tät der elek­tro­ni­schen Geld­bör­se eher nütz­lich als bedroh­lich vorkommen.

Ist so bereits das Smart­phone zu einer weit­ge­hen­den Voll­pro­the­se des Intel­lekts gewor­den, die Nach­schla­ge­werk, Atlas, Wör­ter­buch und vie­les mehr in einem ein­zi­gen klei­nen Appa­rat bie­tet, erscheint eine zuneh­men­de Über­grif­fig­keit der Hoch­tech­no­lo­gie auf den mensch­li­chen Kör­per nur folgerichtig.

Dahin­ter steht kei­nes­wegs ein blin­der, wert­frei­er Fort­schritt als eine Art Pri­mum movens, son­dern eine voll­ent­wi­ckel­te Ideo­lo­gie. Der klas­si­sche, faus­tisch-pro­me­t­hei­sche Trieb des Men­schen, sich selbst zu tran­szen­die­ren und schein­ba­re Gren­zen bloß des­halb zu über­schrei­ten, weil er es kann, ver­bin­det sich dar­in mit Szi­en­tis­mus und ver­gan­ge­nen wie erwart­ba­ren tech­ni­schen Quan­ten­sprün­gen zu einer neu­en säku­la­ren Heils­re­li­gi­on: dem soge­nann­ten »Trans­hu­ma­nis­mus« (modisch-kyber­ne­tisch auch abge­kürzt als »H+«). Des­sen gedank­li­che Grund­la­gen sind ein Pro­dukt der indus­tri­el­len Ent­fes­se­lung im Ers­ten Welt­krieg: Nicht mehr Stahl­bä­der und Kno­chen­müh­len, son­dern die Fort­ent­wick­lung der Mensch­heit als Gan­zes sol­le Ziel der tota­len Mobil­ma­chung von Indus­trie und moder­ner Tech­no­lo­gie sein, die direkt in die mensch­li­che Bio­lo­gie hin­ein­wir­ken müßten.

Als Initi­al­zün­dung kann ein klei­ner Text des bri­ti­schen Bio­che­mi­kers und Gene­ti­kers John B. S. Hald­ane mit dem viel­sa­gen­den Titel Daeda­lus or Sci­ence and the Future (1923) ange­se­hen wer­den. Hald­anes Schrift dis­ku­tier­te – ganz auf der Höhe sei­ner Zeit – die bei gleich­zei­ti­ger ethi­scher Wei­ter­ent­wick­lung segens­rei­chen Mög­lich­kei­ten von Euge­nik, Ekto­ge­ne­se (künst­li­che Befruch­tung und Her­an­rei­fung von Lebe­we­sen) und geziel­ter Mani­pu­la­ti­on am sei­ner­zeit noch nicht ent­schlüs­sel­ten mensch­li­chen Genom.

Der Text hat­te gro­ßen Ein­fluß auf Aldous Hux­leys 1931 erschie­ne­ne Dys­to­pie Bra­ve New World. In die glei­che Ker­be schlug dann 1929 Hald­anes Lands­mann John Des­mond Ber­nal, Phy­si­ker und aus­ge­wie­se­ner Kom­mu­nist, der in The World, the Fle­sh and the Devil den Plan einer bio­lo­gis­ti­schen Auf­wer­tung des Men­schen zuguns­ten tech­ni­scher »Upgrades« hint­an­stell­te. Sei­ne Visi­on beinhal­te­te neben der Besie­de­lung des Welt­alls als Aus­weich­lö­sung für den mensch­li­chen Bevöl­ke­rungs­über­schuß radi­ka­le indi­vi­du­el­le Ein­grif­fe wie »Neu­ro-Enhance­ment« und bio­mime­ti­sche Implan­ta­te – Topoi, die seit­her zum klei­nen Ein­mal­eins des Trans­hu­ma­nis­mus gehören.

Der glei­che kol­lek­ti­vis­tisch-ega­li­tä­re Zug wie bei Ber­nal fin­det sich beim Bru­der Aldous Hux­leys, dem bri­ti­schen Bio­lo­gen, Euge­ni­ker, ers­ten UNESCO-Gene­ral­se­kre­tär und Stamm­va­ter der Inter­na­tio­na­len Huma­nis­ti­schen und Ethi­schen Uni­on Juli­an Hux­ley. Die­ser ver­öf­fent­lich­te 1957 in einer Antho­lo­gie den Auf­satz »Trans­hu­ma­nism«, der heu­te als Geburts­schrei der trans­hu­ma­nis­ti­schen Bewe­gung gilt und einen bevor­ste­hen­den evo­lu­tio­nä­ren Sprung der mensch­li­chen Spe­zi­es umreißt: Wäh­rend die wis­sen­schaft­li­chen und tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lun­gen bereits die Tür zum Neu­en Men­schen auf­ge­sto­ßen hät­ten, bedür­fe es nun ledig­lich noch einer bestimm­ten kri­ti­schen Mas­se an Wil­li­gen, um eine Zukunft zu eröff­nen, in der es kei­nen Hun­ger, kei­ne Krank­hei­ten, kei­ne Unter­drü­ckung und natür­lich auch kei­ne Klas­sen mehr gäbe.

Mitt­ler­wei­le erstreckt sich die­se Ver­hei­ßung nicht mehr nur auf Men­schen: Gemäß der letz­ten Fas­sung der »Trans­hu­ma­nis­ti­schen Erklä­rung« von 2009 (ein­seh­bar unter www.humanityplus.org) ver­ficht die Bewe­gung das Wohl­erge­hen »aller emp­fin­dungs­fä­hi­gen Lebens­for­men, ein­schließ­lich Men­schen und nicht­mensch­li­cher Tie­re sowie zukünf­ti­ger künst­li­cher Intel­li­gen­zen, modi­fi­zier­ter Lebens­for­men und ande­rer Intel­li­genz­for­men, die tech­no­lo­gi­scher und wis­sen­schaft­li­cher Fort­schritt schaf­fen mögen«.

Die 1960er Jah­re sahen das all­mäh­li­che Aus­grei­fen trans­hu­ma­nis­ti­schen Gedan­ken­guts, inter­es­san­ter­wei­se zu kei­nem gerin­gen Teil inspi­riert durch klas­si­sche und zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence-fic­tion. Der Phy­si­ker Robert Ettin­ger etwa, heu­te bekannt als »Vater der Kryo­nik« (also des Ein­frie­rens von Toten bzw. ihren Gehir­nen), ver­öf­fent­lich­te sein Mani­fest The Pro­s­pect of Immor­ta­li­ty 1962 nach Jahr­zehn­ten des Nach­sin­nens über die Kurz­ge­schich­te »The Jame­son Satel­li­te« von 1931, in der ein Toter ins All geschos­sen und Mil­lio­nen Jah­re spä­ter von hoch­ent­wi­ckel­ten Außer­ir­di­schen wie­der­be­lebt wird – er hat­te sie als Kind in dem Gro­schen­heft Ama­zing Sto­ries gele­sen.

1965 erschien »Spe­cu­la­ti­ons Con­cer­ning the First Ultrain­tel­li­gent Machi­ne« aus der Feder des Mathe­ma­ti­kers und »Enigma«-Codeknackers Irving J. Good, in dem er das Auf­tre­ten über­mensch­li­cher künst­li­cher Intel­li­genz, die soge­nann­te »Sin­gu­la­ri­tät«, durch eine Intel­li­gence explo­si­on vor­aus­sag­te; die ers­te Visi­on einer digi­ta­len Ver­viel­fäl­ti­gung des mensch­li­chen Bewußt­seins (Mind-uploa­ding) hat­te der Dreh­buch­au­tor Jer­ry Sohl bereits 1954 in sei­nem Roman The Alte­red Ego (dt. Das ver­tausch­te Ich, Ber­lin 1958/1983) vorgelegt.

Zukunfts­mu­sik ist das alles längst nicht mehr. Der heu­ti­ge Trans­hu­ma­nis­mus läßt sich sehr grob in zwei Strö­mun­gen unter­tei­len, wobei die »wei­che« Vari­an­te vor allem auf die Ver­bes­se­rung der mensch­li­chen Lebens­um­stän­de durch Fort­schrit­te in Medi­zin, Gen- und Bio­tech­no­lo­gie abzielt. Für sie hat sich der Begriff »Extro­pia­nis­mus« eta­bliert: Der Entro­pie inner­halb der Con­di­tio huma­na, dem krank­heits­an­fäl­li­gen, altern­den und schließ­lich ster­ben­den Fleisch soll die »Extro­pie« der tech­no­lo­gi­schen Mach­bar­keit ent­ge­gen­ge­setzt wer­den. Ein Sinn­bild die­ses Den­kens ist der süd­afri­ka­ni­sche Sport­ler Oscar Pis­to­ri­us, der mit ver­krüp­pel­ten Bei­nen gebo­ren wur­de, die unter­halb der Knie ampu­tiert wer­den muß­ten, und der auf spe­zi­ell für ihn ange­fer­tig­ten Pro­the­sen zum Welt­re­kord­sprin­ter wurde.

Dem gegen­über steht der »har­te« Trans- oder Post­hu­ma­nis­mus, der auf die Sin­gu­la­ri­tät hin ori­en­tiert ist und daher »Sin­gu­la­ri­ta­ria­nis­mus« genannt wird: Dem­nach sei die Ver­drän­gung des Men­schen als Kro­ne der Schöp­fung durch eine über­le­ge­ne Intel­li­genz letzt­lich unver­meid­lich und müs­se bereits jetzt in geord­ne­te Bah­nen gelenkt wer­den, um Scha­den abzu­wen­den. Dahin­ter ste­hen ins­be­son­de­re inter­es­sier­te Wirt­schafts­krei­se, so etwa der aus Süd­afri­ka stam­men­de, auf Zukunfts­tech­no­lo­gien abon­nier­te US-Inves­tor und Fir­men­grün­der Elon Musk (Pay­Pal, Tes­la, Hyper­loop), des­sen 2015 gegrün­de­tes Unter­neh­men Ope­nAI sich mit der gemein­nüt­zi­gen Erfor­schung künst­li­cher Intel­li­genz befaßt. Nach der Über­win­dung der mora­lisch nicht trag­ba­ren bio­lo­gis­ti­schen Vor­stel­lung von mensch­li­cher Evo­lu­ti­on steht dem­nach die unum­kehr­ba­re Tran­szen­denz des Men­schen hin­ein in die Maschi­ne und das Ver­pflan­zen der Maschi­ne hin­ein in den Men­schen als eine Art drit­ter Natur – eine mög­li­che Ent­wick­lung, ange­sichts derer der Bon­ner Neu­ro­lo­gie­pro­fes­sor Mar­tin Kur­then mit Recht frag­te: »Wozu noch Körper?«

Wohin also geht die Rei­se? Im (vor-)medizinischen Bereich sind ver­schie­de­ne Grau­stu­fen des wei­chen Trans­hu­ma­nis­mus längst gang und gäbe und wer­den oft kaum noch in die­sem Sin­ne gese­hen. Das reicht vom »Neu­ro-Enhance­ment« durch Ein­nah­me von Kof­fe­in oder – in schwe­re­ren Fäl­len – Rital­in über die Anwen­dung endo­kri­ner Dis­rup­t­o­ren, die den Hor­mon­stoff­wech­sel umstel­len (z.B. der Anti­ba­by­pil­le), und die Xeno­trans­plan­ta­ti­on etwa von Schwei­ne­herz­klap­pen als Ersatz für feh­ler­haf­te mensch­li­che Herz­klap­pen bis hin zur Implan­ta­ti­ons­me­di­zin: Von künst­li­chen Her­zen über inne­re Schritt­ma­cher und Defi­bril­la­to­ren bis hin zu Hör­ge­rä­ten mit direk­ter Ver­bin­dung zum Hirn­stamm befin­den sich elek­tro­ni­sche Hilfs­or­ga­ne bereits in Ver­wen­dung oder in der Erpro­bungs­pha­se (Reti­na­im­plan­ta­te für Sehgeschädigte).

Die Gren­ze zur tat­säch­li­chen Maschi­ni­sie­rung des Men­schen ist durch­läs­sig – wäh­rend sich ein­zel­ne Enthu­si­as­ten bereits Ende der 1990er Jah­re selbst USB-Schnitt­stel­len implan­tier­ten, haben Fir­men in Bel­gi­en und Schwe­den mitt­ler­wei­le begon­nen, ihren Ange­stell­ten auf frei­wil­li­ger Basis rou­ti­ne­mä­ßig NFC-Chips ein­zu­pflan­zen (Asso­cia­ted Press vom 3. April 2017). Durch den auf elek­tro­ma­gne­ti­scher Induk­ti­on basie­ren­den inter­na­tio­na­len Über­tra­gungs­stan­dard kön­nen die fak­ti­schen Cyborgs fort­an mit­tels einer ein­fa­chen Hand­be­we­gung Tür­öff­ner, Kopie­rer oder Geträn­ke­au­to­ma­ten bedienen.

Der Man­ga Ghost in the Shell endet damit, daß sich der Ghost der ansons­ten voll­stän­dig mecha­ni­sier­ten Haupt­fi­gur mit einer im Gehei­men geschaf­fe­nen Künst­li­chen Intel­li­genz ver­bin­det und so die Sin­gu­la­ri­tät tat­säch­lich ein­tritt: eine neue Evo­lu­ti­ons­stu­fe für Mensch wie Maschi­ne. Die Ent­wick­lung hin zum Neu­en Men­schen, oder was immer auf den gewohn­ten Men­schen fol­gen mag, wird in unse­rer Gegen­wart mas­siv geför­dert, doch sehr wahr­schein­lich steht ihr ein ande­rer Ver­lauf bevor: Die Visi­on einer kom­plett phy­sio­lo­gisch ver­netz­ten Mensch­heit ist mit dem der­zei­ti­gen Res­sour­cen­stand schlicht nicht zu rea­li­sie­ren. Ganz abge­se­hen von Unmen­gen an Sel­te­nen Erden und sons­ti­gen Roh­stof­fen wür­den die not­wen­di­gen Sys­te­me unvor­stell­ba­re Men­gen an Ener­gie ver­brau­chen, die mit kon­ven­tio­nel­len Metho­den nicht zu erzeu­gen sind. Auch der mensch­li­che Kör­per selbst begrenzt die Mög­lich­kei­ten; wie etwa wäre die zwangs­läu­fig erzeug­te Hit­ze abzu­lei­ten, ohne daß Pro­te­ine dena­tu­rier­ten und inne­re Orga­ne verkochten?

Zu guter Letzt bleibt immer noch eine Ret­tungs­mög­lich­keit vor dem zukünf­ti­gen Dasein als Droh­ne einer in die rea­le Welt her­über­ge­schwapp­ten, zen­tral ver­wal­te­ten Schwarm­in­tel­li­genz, denn natür­lich ist auch der Trans­hu­ma­nis­mus mitt­ler­wei­le von rechts unter­wan­dert, wie Mark Sie­mons in der FAS unter der Über­schrift »Neo­re­ak­ti­on im Sili­con Val­ley« alar­miert dar­leg­te. Gemeint ist die Strö­mung der »Neo­re­ak­tio­nä­re« inner­halb der Alt­Right (»NRx«) und ihr Kon­zept des Dark Enligh­ten­ment:

Ent­schei­dend ist bei ihnen, dass Tra­di­tio­nen für sie kei­ne Rol­le spie­len und sie jeg­li­che ›Natur‹ nicht weni­ger für ein kul­tu­rel­les und gesell­schaft­li­ches Kon­strukt hal­ten als die lin­ken und libe­ra­len Theo­re­ti­ker, die angeb­lich den von ihnen so ver­hass­ten Main­stream prä­gen. Der Unter­schied ist, dass sie die­sem Denk­mus­ter eine neue Fül­lung geben, eine unver­hoh­len ras­sis­ti­sche und auto­ri­tä­re näm­lich. Sie erhe­ben den Anspruch, die Ratio­na­li­tät, die als eman­zi­pa­to­ri­sches Fort­schritts­pro­jekt ange­tre­ten war, neu zu programmieren.

Auch Alex­an­der Dugin hat im Rah­men sei­ner Vier­ten Poli­ti­schen Theo­rie (Lon­don 2013) der libe­ra­lis­ti­schen, post­mo­der­nen Schwund­stu­fe des Trans­hu­ma­nis­mus sei­ne eigen­wil­li­ge Vor­stel­lung von einer eso­te­ri­schen »Ange­lo­lo­gie« ent­ge­gen­ge­setzt – die Repo­li­ti­sie­rung des Lebens nach der Über­win­dung des Men­schen durch die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen über­mensch­li­chen Wesen anstel­le des fort­schritts­gläu­bi­gen Idylls von kör­per­li­chen Bedürf­nis­sen wei­test­ge­hend abge­kop­pel­ter letz­ter Men­schen. Viel­leicht ist doch das Poli­ti­sche das Escha­ton, der wah­re Ghost in der fleisch­li­chen Shell?

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)