In seiner vielbeachteten Studie Der flexible Mensch wies der britische Soziologe Richard Sennett auf folgendes hin: Im zeitgenössischen (digitalen, postindustriellen) Entwicklungsstadium des Kapitalismus beherrschten die Kapitalisten nicht nur die Maschinen, sondern verfügten auch exklusiv über das technische Wissen und kontrollierten die Kommunikation. Es seien dies zwei Stränge, die grob als »hart« (Produktion und das Wissen darüber) und »weich« (Kommunikation- und Datenkontrolle) beschrieben werden könnten.
Man sollte diesen Gedanken aufgreifen und weiterführen: So, wie es zwei unterschiedliche und doch korrelierende Sphären sind, die in Sennetts Sinne von Großkonzernen beherrscht werden, sind es zwei unter- schiedliche Entwicklungsstränge des damit verbundenen gegenwärtigen technologischen Fortschritts, die weltweit für Unsicherheit und Besorgnis sorgen.
Denn einerseits treiben insbesondere die »Großen Fünf« – Facebook, Google, Amazon, Apple und Microsoft – die freiwillige integrale Selbstoffenlegung der Menschen voran. (Jeder soll von allen alles wissen können, nichts bleibt mehr verborgen, alle sind vernetzt, die totale Transparenz wird bisweilen als egalitäres, herrschaftsfreies Paradies stilisiert – während die tatsächliche Kontrolle und Weiterverwendung all der willfährig preisgegebenen Daten zunächst vor allem den Konzernen obliegt.) Andererseits – und auch hier mischen die »Großen Fünf« miterlebt die Arbeitsgesellschaft einen rasanten Wandel, der vermutlich soeben erst richtig Fahrt aufgenommen hat.
Vernetzte Maschinen, selbstlernende Hochleistungssysteme, Künstliche Intelligenzen (KI), kurz: die bedeutendsten Entwicklungen der »Industrie 4.0« (nach Dampfmaschine, Fließband und Computer) werden in der Zukunft zu gravierenden Einschnitten in der globalen Arbeitswelt führen, haben aber Wurzeln, die weit zurück reichen.
Carl Schmitt untersuchte in seiner Arbeit über den Nomos der Erde das Verhalten der einstigen alleinigen Superweltmacht Großbritannien, deren »Britannia rule the waves!« keine banale Ausübung von Hegemonie zugrunde gelegen hatte, sondern eine raffinierte Kunst der Verschleierung von realen Machtverhältnissen. Großbritannien wußte, daß ein offener Herrschaftsanspruch über die Weltmeere einer Kriegserklärung an andere Seefahrernationen gleichkäme. Statt dessen deklarierte man die Meere als eine Sache »aller und niemandes« (Resomnium et nullius) – und übte doch weitgehend die Kontrolle darüber aus, wer welche Räume nutzen konnte.
Der Kulturhistoriker und Soziologe Wolfgang Schivelbusch transferierte dieses Konzept der verschleierten Seenahme in die Sphäre der digitalen Revolution und verglich die Rolle der englischen Flotte als mit lauteren Absichten getarnter Akteur der Raumnahme im Bereich der Weltmeere mit der Rolle der Konzerne von heute, die mit Geheimdiensten kooperieren und – ebenfalls mit lauteren Absichten verschleiert – die aktive Raumnahme im Cyberspace praktizieren. Götz Kubitschek sprach in diesem Kontext von einer »ortlosen Mentalität«, die derartigen Strategien vorausgehen müsse. Man huldigt keinem ressentimentgetriebenen Antiamerikanismus, wenn man Kubitscheks Hinweis um die Feststellung ergänzt, daß es keinen Zufall darstellt, wenn alle die Entwicklung der Cyberspace-Raumnahme forcierenden Konzernkräfte ihren Ursprung und Wirkungsschwerpunkt im US-amerikanischen Silicon Valley besitzen.
In seiner fulminanten Darlegung der Auflösungen aller Bindungen in den Vereinigten Staaten hat George Packer darauf hingewiesen, daß Amerikaner es gewöhnt seien, »allein in einer Landschaft zu leben, in der nichts Haltbares ist, nichts Festes«. Daher kreierten sie leichter ihre eigenen Heilsversprechen, die Sinn stiften und zugleich neue Räume erschließen sollen.
Diese Mentalitätsäußerung ist bereits in der frühen Geschichte der Siedler angelegt. Von ihrem Mythos des unerschlossenen Raumes des 17. und 18. Jahrhunderts führt eine direkte Traditionslinie zum Silicon-Valley-Kapitalismus. Diese Ausprägung eines schier grenzenlosen Wachstumsstrebens entstand Mitte des 20. Jahrhunderts indes nicht ganz im luftleeren Raum der kalifornischen Einöde; tatsächlich wirkten die ersten IT- und High-Tech-Firmen in bis heute beibehaltener direkter Kooperation mit US-Geheimdiensten und dem Militärapparat, die das Valley frühzeitig als fruchtbares Experimentierfeld entdeckten. Ausgerechnet die in Kalifornien reüssierende Hippie-Kultur begünstigte die rasche Entwicklung als kapitalistische und militärindustrielle Pionierregion sogar: Die Zeit der Kommunen war zugleich die Zeit der Entstehung der frühen Computerwelt, sie war geprägt von individualistischem und experimentellem Denken, das keine Schranken kannte und keine Grenze akzeptierte.
Es ist daher kein Zufall, daß sich einige der bedeutendsten und prominentesten IT-Pioniere zwischen beiden Welten bewegten. Steve Jobs, der Gründer Apples, entstammte beispielsweise dem Anything- goes-Umfeld der Hippie-Bewegung; und die Frage ist berechtigt, ob einige Errungenschaften von Apple, Facebook und Co. überhaupt denkbar gewesen wären, wenn all die Startups ihre kreativen Köpfe in der Entstehungsphase nicht unmittelbar aus der bunten Welt des Experimentellen herausgelöst hätten und ihre überbordende Kreativität nun ökono- misch verwerteten.
Dabei verloren die erfolgreichen Unternehmer, die von Start-up-Motoren zu Konzernleitern wurden – ob nun beispielsweise Mark Zuckerberg (Facebook), Steve Jobs (Apple) oder Peter Thiel (PayPal) – nie vermeintlich oder tatsächlich philanthropische Zielsetzungen aus dem Auge. Wohltätigkeitssimulationen spielen bis heute eine große Rolle für die Konzernriesen, und es sind nur vordergründig die Millionen- oder gar Milliardenspenden, die das belegen. Viel stärker als Spendenbereitschaft für soziale Zwecke ist es der grundsätzliche Weltverbessererimpuls, der den digitalen Kapitalismus stützt.
Zuckerberg et al. sind von der Vorstellung beseelt, daß das, was sie tun, ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse auf globaler Ebene sei. Daß sie dies als menschenfreundliche Vision verkaufen, schließt nicht aus, daß sie gleichzeitig knallhart Geschäftsinteressen vertreten und Einfluß auf politische Entscheidungsgremien auf nationalstaatlicher oder supranationaler Ebene nehmen. Mit dem Auftreten der High-Tech-Wohltätigkeitskapitalisten trat die Frage in die Sphäre der politischen Ökonomie, ob es einen Unterschied mache, wenn die Interessen, die von den Großkonzernen in der Politik vertreten werden, nur privat egoistische seien, oder ob zusätzlich humanitäre Ansprüche dazukämen, ja ob man sich in außerökonomischen Fragen anmaße, mehr zu wissen, mehr zu können, es schlichtweg besser und effektiver zu organisieren als die Politiker und die Verwaltung.
Man geht im Silicon Valley also davon aus, Strukturen schaffen zu können, die es ermöglichen, tatsächlich besser zu handeln. Ziel ist es, an bestehenden demokratischen Institutionen vorbei die jeweiligen sogenannten Zivilgesellschaften so zu organisieren, daß sie in diejenige Richtung blicken und handeln, die wiederum dem Programm der Fortschrittsgläubigen entspricht.
Man sollte es nicht Marxisten überlassen, die Problematik herauszustreichen, daß am Ende derjenige Macht hat, der über Geld disponiert (Hans-Jürgen Jakobs), ja um festzustellen, daß das hypermoderne Auftreten der neuen Kapitalisten noch gefährlicher ist als das klassische Gewinnstreben der alten großen Unternehmer, mit denen man seitens des Staates Kompromisse (Schlichtungen, Vereinbarungen, Absprachen usw.) eingehen konnte – und die darüber hinaus häufig ethischen (religiösen, humanitären) Normen folgten und an eine gegenwärtig überwiegend verlorengegangene heimatliche Solidarität rückgebunden waren.
Heute hat man es mit einer qualitativ neuen Dimension zu tun: Eine Gruppe von Menschen glaubt tatsächlich, daß alle Probleme (medizinische, gesell- schaftliche, wirtschaftliche etc.) durch die permanente digitale Revolution technisch lösbar seien und daß nur sie über die technologischen Mittel und Ideen verfügten, dieses große, die Zukunft der Menschheit verändernde Projekt zu bewältigen. Sie wähnen sich mithin als Katalysatoren einer weltgeschichtlichen Mission.
Dietmar Dath spottet über solchen »Rechnermessianismus«, der, wie er selbst einräumt, auch Linke jeder Couleur befallen kann. Denn die »alte bürgerliche Erbsünde des Glaubens an einen quasi naturgesetzlichen Fortschritt«, die Dath moniert, ist auch eine dieser linken »Erbsünden«, denen der Glauben an die emanzipatorische Kraft der Technologie innewohnt. Eine technikspezifische Lektüre des linken Sozialisten Dath ist daher um die Lektüre des rechten Sozialisten Ernst Niekisch zu ergänzen. Jahrzehnte vor dem Entstehen des Silicon-Valley-Kapitalismus und seiner dualen Struktur aus Ichbezogenheit und Fortschrittsmission betonte Niekisch in seinem Aufsatz »Menschenfresser Technik«, daß es dieselbe Luft sei, »innerhalb deren sich die Entfesselung des Individualismus und die Vollendung der Technik vollzieht«.
Der »Zug zur Grenzenlosigkeit« ist dieser Denkart immanent, die Technik sehe sich, so Niekisch vorausblickend, »jeder Aufgabe gewachsen«. Parallel werde die Wirtschaftsproduktion ins Maßlose drängen, das Individuum alle Bindungen leugnen und keine Grenzen mehr anerkennen. Wer aber keine Grenzen der Machbarkeit mehr kenne, gehe weiter, als es statthaft wäre, der entweihe natürlich Gewordenes, »denn alles Gewachsene ist ein Begrenztes«. Diesen Vorwurf richtet Niekisch nicht nur an die von ihm vorweggenommenen Kapitalisten unserer Zeit, sondern ebenso an deren marxistische Kritiker, wie sie heute in Person von Dath verkörpert werden. Niekisch beanstandete bei ihnen einen folgenschweren Fortschrittstrugschluß: Sie würden daran glauben, daß man Technisierung, Rationalisierung, technologischen Fortschritt an sich etc. vorantreiben müsse. Indem man so handle, würde man die kapitalistische Gesellschaft ihrem äußersten Punkt näherbringen, woraufhin auf Basis des erreichten Fortschritts ein dialektischer Umschlag folgte, der den Sozialismus mit sich brächte.
Niekisch bewertete solche Denkschablonen mit Recht als naiv. Doch ebensosehr wandte er sich gegen die konservative Sehnsucht nach einem »Zurück«, das es nicht geben könne, da der »Siegeslauf der Technik über die Erde« unausweichlich sei. Was Niekisch gegen das den Fortschritt antreibende Duo aus Kapitalismus und Individualismus stellen wollte, war eine Wendung hin zum gemeinschaftlichen bis kollektivistischen Denken. Das Sowjetrußland seiner Tage sah er als lebendigen, »plastisch-organischen« Gegenpol zum kapitalistischen Fortschrittsprinzip der totalen Entgrenzung, da sich Lenins Reich der Technik bemächtigt habe, aber nicht zuließ, daß sich die Technik seiner bemächtigte.
In den 80 Jahren seit der Erstpublikation dieses Niekisch-Aufsatzes hat sich die Welt natürlich weitergedreht, die Sowjetunion ist zerfallen und der Kapitalismus hat seinen kollektivistischen, kommunistischen Gegenspieler verloren. In Dave Eggers Roman Der Circle betritt nun ein anderer scheinbarer »Kommunismus« die Bühne: der »Informationskommunismus«. Konkret geht es um den fiktiven Riesenkonzern »Circle«, der alle Bereiche, die bis dato getrennt waren (Social Media, Mail-Accounts, Bezahlapps etc.), in einem einzigen System vereint. Das Programm »TruYou« ist auf dem Prinzip »ein Konto, eine Identität, ein Paßwort, ein Zahlungssystem« pro Person aufgebaut.
Die Handlung spitzt sich zu, der Circle wächst und weitet sich aus, stattet Mitarbeiter mit 24-Stunden-Cams aus, die ihr ganzes Leben (freiwillig) offenlegen, treibt Widerständige in den Wahnsinn (oder in den Tod) und übt direkten Einfluß auf das politische Washington aus. Das Perfide daran: alles geschieht freiwillig, Milliarden Menschen werden dazu geführt, freiwillig zur Beute zu werden; die »systemerhaltende Macht« ist »nicht mehr repressiv, sondern seduktiv, das heißt, verführend« (Byung-Chul Han). Gab es vor dem Circle die Möglichkeit, »auszusteigen« aus dem System, ist es am Ende des Romans damit vorbei; der Kreis (Circle) schließt sich, die Vollendung ist erreicht, jeder transparent, alles offengelegt, der totalitäre Alptraum Realität. Die Erlösungsvorstellung der fiktiven Circle-Jünger ist dabei die Erlösungsphantasie der realexistierenden Konzernriesen auf die Spitze getrieben, der »technologische Totalitarismus« (Frank Schirrmacher) in Vollendung.
Der Clou des Circles ist, daß durch die totale Offenlegung, durch die zum Prinzip erhobene vollständige Transparenz jegliches Wissen (auch privater und intimer Natur) allen gehört, eine perverse Form von »Infokommunismus«. Eine geläuterte Circle-Mitarbeiterin verweist am Ende auf dieses Phänomen, denn natürlich handelt es sich – in der Theorie des Romans wie in der Praxis von nur scheinbar kosten- und gegenleistungslosem Facebook und Konsorten – gerade darum, daß der sukzessive erzielte Infokommunismus mit puren kapitalistischen Zielsetzungen einhergeht. Das Sammeln von Daten ist ein neues Geschäftsmodell, und wer sie einschließlich der Kommunikation der Menschen kontrolliert (und weiterverwenden kann), akkumuliert in der Informationsgesellschaft damit unvorstellbaren Reichtum
Daß das Sammeln und Auswerten von allerhand Daten (Krankenakte, Eß- und Sportgewohnheiten, Kaufverhalten etc. pp.) die Möglichkeit bietet, einige Probleme zu lösen, mag stimmen. Die Gefahren wiegen aber weitaus schwerer als die Vorteile. Denn das grundsätzlichere Problem ist die private Aneignung von Daten.
Jene, die heute propagieren, Daten »für den guten Zweck« zu sammeln, die vorgeben, Armutsherausforderungen wären lösbar durch Datensteuerung und darauf aufbauende Planung durch zentrale Konzernstellen, bilden zugleich dieselben Kreise, die sich eine Gesellschaft jenseits des enthemmten Kapitalismus nicht vorstellen können, weil es sich verhält wie Alain de Benoist betonte: Wer einmal das Werteverständnis dieser Form des Kapitalismus angenommen hat, kann aufgrund dieser Beschränkung keine grundlegenden Alternativen finden. Aus diesem Grund bleiben philanthropische Bemühungen von Leuten wie Bill Gates, Mark Zuckerberg und anderen zwecklos: Es gibt kein richtiges wohltätiges Verhalten im falschen zugrundeliegenden Paradigmensystem.
Worum es im 21. Jahrhundert also gehen wird, ist die Rückeroberung des öffentlichen Raums. Da es jedoch keine Patentrezepte gibt und die Situation des derzeitigen Fortschritts eine neuartige Problemstellung darstellt, kann es nur darum gehen, erste Debatten zu entfachen, wie es jenseits der Herrschaft der US-Monopolkonzerne weiter gehen könnte.
Dafür ist die Herausbildung einer kritischen Masse von Unzufriedenen mit dem bestehenden Daten- und Kontrollsystem unerläßlich. Realpolitische Maßnahmen seitens der Staatenwelt wären sogar bereits jetzt möglich; ins Kerngeschäft der Großen – also in die Werbungsindustrie – einzugreifen, würde für Wirbel sorgen, denn Datensammlung zum Weiterverkauf ist der hauptsächliche Profitgenerator. Staatlicherseits gesetzte Werbeeinschränkungen würden diese Konzerne kleiner machen, gefährden, herausfordern, und damit wäre eine solche Einschränkung die naheliegende primäre Art der Intervention.
An einem späteren Punkt müßte versucht werden, in mehreren Staaten gleichzeitig öffentliche Netz-Strukturen zu schaffen, statt das Spielfeld den Privatkonzernen zu überlassen. Dies setzt jedoch voraus, daß vorher ein kritisches Bewußtsein geschaffen wird, ja daß gemeinschaftliche Aufklärung und Mobilisierung durch einige Vorhut-Akteure ein massives Umdenken breiterer Massen herbeiführt analog der einstigen Umweltbewegung, die nur wenige zehntausend Menschen mobilisierte, aber das Bewußtsein einer ganzen Gesellschaft umgestaltete. Nötig ist letzt- endlich also ein – zum jetzigen Zeitpunkt kaum vorstellbares – Phänomen des Bewußtseinswandels um hundertachtzig Grad.
Diese ersten Ansatzpunkte können freilich nur Diskussionen über den Aspekt von Daten- und Kommunikationskontrolle herbeiführen. Die Zukunft der Arbeit ist dabei noch gar kein Thema gewesen. Auf diesem Felde stehen uns ebensosehr weitreichende Veränderungen bevor. Viele Fragen drängen sich auf, die man speziell seitens der europäischen Staatenwelt nicht länger ignorieren können wird. Was passiert, um nur ein Beispiel anzuführen, wenn zahlreiche Beschäftigungsverhältnisse aus dem unteren Qualifikations- und Entgeltsegment Europas überflüssig werden durch Roboter oder Künstliche Intelligenzen, aber die Flüchtlingsbewegungen noch mehr potentielle Angehörige »unterer Schichten« mit sich bringen?
Hier ist einerseits vorstellbar, daß die massenhafte Zuwanderung von Menschen, die bereitwillig prekärer Beschäftigung nachgehen (müssen), zu bestimmten Rationalisierungen führt, daß man also einzelne technologische Errungenschaften gar nicht einsetzt, weil es teurer wäre, die Technik zu verwenden, als die günstigen neu hinzugekommenen Arbeitskräfte zu nutzen. Andererseits sind in diesem Beritt erste Überlegungen auch seitens der Kapitalistenklasse zu bewerten, die sich – etwa in Person von Großunternehmer Götz Werner (dm-Drogerie) oder Spitzenmanagern wie Timotheus Höttges (Telekom) – positiv über ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) äußern.
Auch Akteure milliardenschwerer Konzerne wissen, daß nicht für alle schlecht qualifizierten Migranten (und Einheimischen) »Jobs« zu schaffen sind. Zahlt man jedem einzelnen jedoch ein BGE aus, dessen Höhe kontrovers diskutiert wird, so legt dasjenige Prekariat quantitativ zu, das zwar ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe ist, aber durch die Möglichkeit des Konsumentendaseins politisch neutralisiert wird. Daran anschließende Überlegungen eher traditionell argumentierender Linker, hier könnte die »Klasse an sich« eine »Klasse für sich« werden, ja hier könnte eine neue Allianz der Ausgebeuteten entstehen zwischen den autochthonen »Überflüssigen« und den importierten, krankt an mangelndem Sinn für die objektiven wie subjektiven Realitäten.
Dessenungeachtet haben nichtkapitalistische Rechte und Teile der Linken vor allem die Absage an Transhumanismus und an den Glauben totaler Machbarkeit gemein; sie vertreten beide Standpunkte auf Basis der Annahme, daß der Mensch mehr ist als nur Schmiermittel der kapitalistischen Maschinerie. In einem Entwicklungsstadium ebendieser Maschinerie, das geprägt ist von Vereinzelungsprozessen und Gemeinschaftssimulation durch »soziale Medien«, werden die Menschen über kurz oder lang wieder stärker nach echtem Halt und Bindung suchen.
Die Rückkehr des »Wir«-Gedankens samt solidarischer Basis ist die größte Gefahr für das kapitalistische Prinzip des universellen Egoismus. Ein »Regime, das Menschen keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten«, wie Richard Sennett unterstrich. Es gilt daher, auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Akteuren in Richtung einer »Gemeinschaft füreinander tätiger Subjekte« (Axel Honneth) als Gegenerzählung zum Silicon-Valley- basierten Technokraten-Individualismus hinzuarbeiten.