Ich schreibe diese Zeilen an einem grauen Nachmittag. Der Sommer war so heiß, der Frühherbst so mild, dass ich heute Morgen verwundert mit den Augen blinzelte, als ich von den Münden der Menschen weiße Atemwolken aufsteigen sah – eine unangenehme Nasskälte hatte sich in der Nacht über die Stadt gelegt.
Heute ist ja auch Hessenwahl, das macht die Laune nicht unbedingt besser. Die politische Großwetterlage ist, nun, durchwachsen, und auch an diesem Sonntag ist wieder eine Woche vergangen in der viele Menschen von mir wissen wollten, warum wir in Halle uns überhaupt noch anstrengen.
„Das geht doch alles viel zu langsam“, „Wir sind viel zu wenige“- wer politisch aktiv ist, wird solche Sätze beinahe täglich hören. Die gehen in 9 von 10 Malen unbeachtet an einem vorbei, beim 10. Mal kann es sein, dass der Sonntag doch noch ein bisschen grauer wird.
Was für ein Glück also, dass es arte gibt. Ohne die hätte ich heute wahrscheinlich keinen guten Tag. Aber – dem Himmel sei Dank – die Sonntage immer den Künsten (Klonovsky), oder wenigstens den deroeinst als „Kunstsender“ verschrienen. Die haben sich nämlich mächtig ins Zeug gelegt, um den gelegentlich verzweifelnden Recken der Rechten einen ganzen Film zu widmen.
Also eigentlich nicht nur den Rechten, sondern den italienischen Populisten Matteo Salvini und Luigi di Maio, von denen die meisten ohnehin nur ersteren kennen. Die Reportage „Italien und die Populisten: Eine Gefahr für Europa?“ ist eine verblüffend authentische Bestandsaufnahme des italienischen Populismus, seiner Protagonisten und einer verzweifelten Armee langsam vergreisender Babyboomer, welche hilflos vor einer politischen Entwicklung stehen, die sie nicht begreifen.
Es ist köstlich: Die tapfere Truppe aus altersweisen Künstlern, Menopausen-Medienschaffenden mit entsprechend schrillen Brillenmodellen, kampferprobten Politfossilien, T‑Shirt-tragenden Flüchtlingspriestern (auch ein älteres Modell) und Francois Hollande (haha, ja, ernsthaft) klagt über die Schnelllebigkeit des politischen Alltags, über die Ablehnung traditioneller Kommunikationskanäle (über die sie freilich eine bequeme geistige Vorherrschaft genießen, die sie nicht einmal zu bemerken scheinen) durch ihre Antagonisten und darüber, dass die italienische Gesellschaft inzwischen so überaltert ist, dass die Alten sogar die spärlich vorhandene Jugend mit ihrer Angst vor Verlust, Veränderung und Vielfalt belasten. Diese Jugend hätte schließlich schon genug eigene Sorgen, wächst sie doch mitten hinein in eine desaströse wirtschaftliche und sozialpolitische Lage.
Ihnen gegenüber stehen die, vor denen sie sich fürchten: Die Populisten. Dynamisch, redegewandt, mit ausgesprochenem Anspruch auf die politisch Macht und – sie wagen es nur anzudeuten – vor Allem jung. Es ist wie eine Tasse heiße Schokolade an einem Regensonntag, der weinerlichen Klage über die Festsetzung des mit Migranten belandenen Schiffes „Diciotti“ im Hafen von Catania zu lauschen, verbunden mit der in die Jahre gekommenen Klassensprecherweisheit „Das ist nämlich verboten!“ und nach dem nächsten Kameraschnitt das lässige Selbstbewusstsein, die Nonchalance, und die bis ins kleinste perfektionierte Authentizität eines Matteo Salvini einzusaugen.
Das wärmt nicht nur das Herz, das macht auch gute Laune. Und zum Sonntag darf man, so finde ich, auch ein bisschen schadenfroh sein. Vor Allem dann, wenn die Gegenseite uns unsere eigenen Propagandafilme macht.
Brettenbacher
"Das wärmt nicht nur das Herz, das macht auch gute Laune."
Das gilt auch für Ihren Beitrag, Meister Wessels.