Querfrontpotential? Populismus bei Mouffe und Laclau

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Es ist ein Dr. Ingo Elbe, der seit gerau­mer Zeit bei lin­ken Semi­na­ren über den »faschis­ti­schen Rechts­phi­lo­so­phen« Carl Schmitt des­in­for­miert und dabei aus­führt, daß des­sen kri­ti­sche Relek­tü­re von »links« nicht frucht­bar gemacht wer­den kön­ne, wol­le man sich nicht selbst mit men­schen­feind­li­chem Gedan­ken­gut kon­ta­mi­niert sehen. Und so war es nur eine Fra­ge der Zeit, bis Elbe, Pri­vat­do­zent an der Uni­ver­si­tät Olden­burg, Chan­tal Mouf­fe (geb. 1943) und Ernes­to Laclau (1935 –2014) zu sei­nen per­sön­li­chen wie ideen­po­li­ti­schen Geg­nern inner­halb des – im wei­tes­ten Sin­ne – eige­nen Lagers sti­li­sie­ren mußte.

Denn wie etwa zahl­rei­che Autoren des post­mar­xis­ti­schen Tra­di­ti­ons­ver­lags Mer­ve vor ihnen haben auch die lin­ken Den­ker Mouf­fe und Laclau Schmitt als poli­ti­schen Theo­re­ti­ker ent­deckt, als Fund­gru­be für eine gegen­warts- und zukunfts­be­zo­ge­ne Kri­tik der libe­ral- demo­kra­ti­schen Mise­re. Schlim­mer noch: Laclau und Mouf­fe sehen dane­ben in der lin­ken Abkehr vom »Volk« eine Gefahr, ja affir­mie­ren gar einen Popu­lis­mus des ein­fa­chen Volks gegen das auf­zu­bre­chen­de Kar­tell aus poli­ti­scher und wirt­schaft­li­cher Oligarchie.

Ent­spre­chend auf­ge­schreckt reagiert die anti­fa­schis­ti­sche Geis­ti­ge-Hygie­ne-Frak­ti­on um Dr. Elbe. In einer Ver­an­stal­tung der links­par­tei­na­hen Rosa-Luxem­burg-Stif­tung mit dem Titel »Die post­mo­der­ne Quer­front« griff Elbe im Juni Laclau und Mouf­fe als Vor­den­ker des Links­po­pu­lis­mus an, als »Irra­tio­na­lis­ten« mit Schmitt im Hand­ge­päck, als »ideo­lo­gi­sche Quer­front«. Quer­front! – Kein Vor­wurf könn­te aus Elbes Mund (oder Feder) schlim­mer sein, gilt doch der mit die­sem Stig­ma ver­se­he­ne Lin­ke in den Augen der ideo­lo­gi­schen Sze­ne­po­li­zei als Abweich­ler, als fort­an nicht mehr zitier­fä­hig, als Sub­jekt, das ent­tarnt wer­den muß. Ganz in die­sem Sin­ne arbei­tet Elbe, dies nur am Ran­de, der­zeit an einem Pro­jekt mit dem Titel »Die post­mar­xis­ti­sche Quer­front – Chan­tal Mouf­fes Theo­rie des Poli­ti­schen als Sozi­al­phi­lo­so- phie des auto­ri­tär-maso­chis­ti­schen Charakters«.

Nun ist Elbe hier­zu­lan­de nicht der ein­zi­ge lin­ke Akti­vist oder Theo­re­ti­ker, der sich am Duo Laclau/Mouffe abar­bei­tet; viel­mehr gehört osten­ta­ti­ves »Links­po­pu­lis­mus«-Bas­hing (ob nun gegen Laclau/Mouffe oder gegen ein real­po­li­ti­sches lin­kes Tan­dem namens Wagenknecht/Lafontaine) zum guten Ton einer betont urba­nen, kos­mo­po­li­ti­schen und eman­zi­pa­to­ri­schen Lin­ken von Jungle World bis zu Links­par­tei­netz­wer­ken wie dem »Forum Demo­kra­ti­scher Sozia­lis­mus« oder dem Gros der par­tei­ei­ge­nen Jugendverbände.

Lin­ker Antilinks­po­pu­lis­mus ist dabei zuvor­derst eine bun­des­deut­sche Domä­ne, wäh­rend spe­zi­ell in Süd­eu­ro­pa die Strö­mun­gen der poli­ti­schen Lin­ken ver­su­chen, Laclaus und Mouf­fes Ana­ly­sen in poli­ti­sche Pra­xis zu über­set­zen. Doch was macht sie zur Ziel­schei­be betont »volks­fer­ner« lin­ker Krei­se, wie­so wer­den sie unter »Quer­front« sub­su­miert, wo immer der Vor­wurf mit­schwingt, die poli­ti­sche Rech­te zu begüns­ti­gen? Was ist Popu­lis­mus in die­sem Sin­ne, wo lie­gen die ideel­len Wur­zeln, der meta­po­li­ti­sche Mehr­wert, tat­säch­li­che Anknüpfungspunkte?

Laclau, argen­ti­ni­scher Poli­tik­pro­fes­sor zuletzt in Essex, wie auch sei­ne Ehe­frau Mouf­fe, bel­gi­sche Phi­lo­so­phin mit Lehr­auf­trä­gen u. a. in Lon­don, stam­men aus einer undog­ma­ti­schen  mar­xis­ti­schen  Rich­tung, die sich stark am ita­lie­ni­schen Den­ker Anto­nio Gramsci ori­en­tiert. Dabei haben sich die his­to­ri­schen und öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen, in denen Laclau und Mouf­fe arbei­ten, im Ver­gleich zu denen ihres geis­ti­gen Ahnen gänz­lich geän­dert. Der intel­lek­tu­el­le Kopf der ita­lie­ni­schen Kom­mu­nis­ten agier­te noch im direk­ten Wider­stand zum Faschis­mus (und sei­nem »Bei­werk« in Form der Mon­ar­chie) und ver­such­te, eine brei­te, volks­na­he, popu­la­re Alli­anz (oder, mit einem Ter­mi­nus Laclaus/Mouffes: »Äqui­va­lenz­ket­te«) gegen die­se »reak­tio­nä­re« Dop­pel­herr­schaft aus Duce und König zu formieren.

Laclau und Mouf­fe sehen sich dem­ge­gen- über mit dem all­um­fas­sen­den Regime des tech­no­kra­ti­schen, volks­fer­nen, bis­wei­len abs­trak­ten Neo­li­be­ra­lis­mus kon­fron­tiert, dem sie – in Anleh­nung an Gramscis popu­la­re Alli­anz – eine Theo­rie des neu­en Popu­lis­mus ent­ge­gen­stel­len wollen.

Dabei fol­gen sie zunächst der »typisch« popu­lis­ti­schen Dicho­to­mie Volk ver­sus Eli­te, drü­cken es aber ter­mi­no­lo­gisch gewen­det als »Anru­fung der Sub­al­ter­nen gegen die Macht­ha­ber« (Laclau) aus – und wer­fen ortho­dox mar­xis­tisch-leni­nis­ti­schen Bal­last über Bord. Ange­hö­ri­ger des Vol­kes ist hier jeder, der sich qua Enga­ge­ment im gemein­sa­men Stre­ben (im Regel­fall gegen die herr­schen­de »Olig­ar­chie«) zu ihm bekennt. Wie bei Gramsci erfolgt die Volks­ge­ne­se also gewis­ser­ma­ßen vol­un­t­a­ris­tisch, nicht über Abstam­mung; der Popu­lus ist daher – ähn­lich wie bei Hegel – schlicht­weg das orga­ni­sier­te Volk.

Für die­ses Volk soll das »Pro­jekt einer radi­ka­len und plu­ra­len Demo­kra­tie« im Zei­chen einer »Refor­mu­lie­rung der sozia­lis­ti­schen Idea­le« ent­wor­fen wer­den; Idea­le, die durch den rea­len Sozia­lis­mus des »Ost­blocks« eben­so des­avou­iert wur­den wie durch ähn­li­che Expe­ri­men­te in Asi­en. Der  Ent­wurf  Laclaus/Mouffes, der sich von ortho­dox-mar­xis­ti­schen Auf­fas­sun­gen eben­so frei­macht wie von »post­mo­der­nen« lin­ken Ent­wick­lun­gen, ist dem­entspre­chend nicht »ganz­heit­lich« oder »total« wie noch der­je­ni­ge Lenins oder Maos.

Laclau und Mouf­fe wol­len die »radi­ka­le Demo­kra­tie«, der eine »sozia­lis­ti­sche Dimen­si­on (die Abschaf­fung kapi­ta­lis­ti­scher Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se)« inne­wohnt; sie negie­ren aber die »Vor­stel­lung, daß aus die­ser Abschaf- fung not­wen­dig die Besei­ti­gung ande­rer Ungleich­hei­ten folgt«, wie sie in ihrem gemein­sa­men Stan­dard­werk Hege­mo­nie und radi­ka­le Demo­kra­tie schrei­ben. Die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie soll erhal­ten blei­ben, aber – mit einem stark links­ge­wen­de­ten Schmitt – vor der All­macht des wirt­schaft­li­chen Libe­ra­lis­mus und sei­ner Olig­ar­chen zuguns­ten der »Sub­al­ter­nen«, also der brei­ten Schich­ten eines Vol­kes, geschützt wer­den, indem das Prin­zip der Volks­sou­ve­rä­ni­tät zurück in sei­ne Rech­te gesetzt wird.

Es geht daher bei die­sem links­po­pu­lis­ti­schen Kon­zept um die »Demo­kra­ti­sie­rung von Demo­kra­tie« (Oli­ver Mar­chart) gegen die uni­ver­sa­le Hege- monie eines nur klei­nen Krei­sen nüt­zen­den Neo­li­be­ra­lis­mus. Es geht um die lin­ke Wie­der­an­eig­nung von emo­tio­na­len Kon­zep­tio­nen wie dem Mythos-Sti­mu­lans Geor­ges Sor­els, um die Ver­söh­nung von sozia­lis­ti­schen Idea­len und plu­ra­lis­ti­scher Demo­kra­tie, fer­ner in gewis­sem Sin­ne um ein neu­er­li­ches »Ins-Volk-Gehen« der Lin­ken und eine Akzep­tanz des poli­ti­schen Geg­ners als Gesprächs­part­ner – womit zugleich die wesent­li­chen Kri­tik­punk­te der anti­po­pu­lis­ti­schen Lin­ken skiz­ziert sind.

Es ist an die­ser Stel­le nicht not­wen­dig, die ein­zel­nen, kom­ple­xe­ren Ideen­li­ni­en nach­zu­zeich­nen, die das post­mar­xis­ti­sche Werk Laclaus und Mouf­fes prä­gen. Ent­schei­dend für die Stif­tung eines lin­ken Popu­lis­mus, ent­schei­dend also für den Kon­text des »Querfront«-Vorwurfs sind allein fol­gen­de drei Aspekte:

1.) erkann­ten bei­de als ers­te lin­ke Den­ker der Gegen­wart an, daß die Lin­ke die emo­tio­na­le Sphä­re wie­der betre­ten müs­se. Man kön­ne, so Mouf­fe tref­fend in ihrer Schrift Ago­nis­tik, nicht Poli­tik betrei­ben, »ohne ›Lei­den­schaf­ten‹ als trei­ben­de Kraft auf dem Feld der Poli­tik zur Kennt­nis zu neh­men«. Die­se unum­stöß­li­che Tat­sa­che wur­de in der rein ratio­na­lis­tisch bis intel­lek­tua­lis­tisch gepräg­ten Lin­ken lan­ge igno­riert; auch weil man sich nicht direkt oder indi­rekt der Gefahr aus­set­zen woll­te, mit dem »Stamm­tisch« zu koope­rie­ren, ja zu »volks­tü­melnd« zu sein.

2.) betont Mouf­fe, daß Kon­sens­be­stre­bun­gen lin­ker Kräf­te oder die Leug­nung der Schmitt­schen Freund-Feind-Schei­dung apo­li­tisch sei­en. Das Aner­ken­nen des Vor­han­den­seins eines rea­len Geg­ners sei zen­tral, und die­ser müs­se ent­spre­chend her­aus­ge­stellt werden.
Die­se Kri­tik rich­tet sich impli­zit an die ton­an­ge­ben­de post­mo- der­ne Lin­ke, die etwa die Dicho­to­mie »Wir da unten« gegen »Die da oben« für min­des­tens regres­siv, bis­wei­len sogar für struk­tu­rell anti­se­mi­tisch hält und davor warnt, im poli­ti­schen Kampf gegen  den »abs­trak­ten« Kapi­ta­lis­mus kon­kre­te Geg­ner zu benen­nen oder zu »per­so­na­li­sie­ren«, etwa im Zuge einer kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ban­kiers­kas­te o. ä.

3.) wird klar­ge­stellt, daß die Unter­schie­de inner­halb des herr­schen­den Macht­kar­tells der eta­blier­ten Par­tei­en nur mar­gi­nal seien.
Es gebe in Zei­ten des neo­li­be­ra­len Kapi­ta­lis­mus kei­nen fun­da­men­ta­len Dis­sens mehr zwi­schen den ein­zel­nen poli­ti­schen Lagern, und daher »ver­su­chen sie, ihre Pro­duk­te mit Hil­fe von Wer­be­agen­tu­ren durch cle­ve­res Mar­ke­ting zu ver­kau­fen«, so Mouf­fe in der Schlüs­sel­schrift Über das Poli­ti­sche. Gegen die­se Ent­po­li­ti­sie­rung im Gefol­ge des herr­schen­den Zeit­geis­tes will Mouf­fe daher die hier unter »Ers­tens« und »Zwei­tens« genann­ten Aspek­te zurück in das Poli­ti­sche brin­gen: Lei­den­schaft und Pola­ri­sie­rung brei­ter Schich­ten gegen eine die Volks­sou­ve­rä­ni­tät negie­ren­de Macht der Tech­no­kra­ten und Kapitalisten.

Links­po­pu­lis­mus im Sin­ne Laclaus/Mouffes ist also – zusam­men­ge­faßt – eine poli­ti­sche Rich­tung, »die eine Samm­lung unter­schied­li­cher Ele­men­te sub­al­ter­ner Klas­sen anstrebt oder rea­li­siert; sie ver­sucht, die herr­schen- den poli­tisch-öko­no­mi­schen Füh­rungs­trup­pen anzu­grei­fen (abzu­lö­sen), um sozi­al gerech­te­re, natio­nal-sou­ve­rä­ne, demo­kra­tisch-selbst­be­stimm­te Poli­ti­ken in Angriff zu neh­men«. Die­se Defi­ni­ti­on, die in Z. Zeit­schrift Mar­xis­ti­sche Erneue­rung (Sept. 2016) von Die­ter Boris mit kri­ti­schem Wohl­wol­len for­mu­liert wird, trifft im wesent­li­chen zu; sie muß gleich­wohl zwin­gend um die Dimen­si­on der Gefühls­ebe­ne ergänzt werden.

Daß in die­sem Ideen­kon­glo­me­rat Laclaus/Mouffes Quer­front­po­ten­ti­al auf­scheint, ist nicht nur anti­fa­schis­ti­schen Akteu­ren auf­ge­fal­len. Alain de Benoist bezieht sich bei sei­nen Arbei­ten zum The­men­kom­plex des Popu­lis­mus zwar vor allem auf den anti­li­be­ra­len lin­ken Phi­lo­so­phen Jean-Clau­de Michéa, der an einem Popu­lis­me trans­ver­sal, einem Quer­front­po­pu­lis­mus also, arbei­tet, weiß sich mit Laclau/Mouffe aber in wesent­li­chen Punk­ten einig: Wie bei sei­nen lin­ken Gegen­spie­lern ver­tritt auch er das Prin­zip akti­ver Staats­bür­ger­schaft, teilt auch er den Sinn fürs Gemein­wohl und gemein­sa­me Wer­te, fer­ner die instink­ti­ve Abnei­gung gegen Finanz­ka­pi­ta­lis­mus und all­um­fas­sen­de Markt­lo­gik, sieht auch er ein dau­er­haf­tes Revi­val des Popu­lis­mus als poli­ti­sches Konzept.

Benoists Popu­lis­mus wen­det sich gegen die Bevor­mun­dungs­po­li­tik der Eta­blier­ten, die nur dann nach »mehr Demo­kra­tie« rufen, wenn es in ihrem Sin­ne erscheint. Die Ver­un­glimp­fung des Popu­lis­mus durch eben­die­se Eta­blier­ten, ihr »Anti­po­pu­lis­mus«, die letzt­end­li­che Gering­schät­zung für Demo­kra­tie und den Sou­ve­rän (das Volk): All das näh­re die Gene­se neu­er Popu­lis­men. Solan­ge die Herr­schen­den also han­deln, wie sie han­deln, so lan­ge wird es popu­lis­ti­sche Erschei­nun­gen geben, die Benoist frucht­bar machen möch­te gegen das herr­schen­de Kartell.

Alain de Benoists Popu­lis­mus-Theo­rie ist dabei mit der­je­ni­gen von Laclau/Mouffe ideen­po­li­tisch bis zu einem bestimm­ten Punk­te kon­gru­ent, obwohl die genann­ten Den­ker aus ver­schie­de­nen Lagern und geis­tes­ge­schicht­li­chen Milieus stam­men. Der wohl ent­schei­den­de Unter­schied zwi­schen dem neu­rech­ten Vor­den­ker Benoist und den links­ori­en­tier­ten Popu­lis­ten ist letzt­lich, daß Benoist davon aus­geht, eine direk­te­re Demo­kra­tie (anstel­le der jet­zi­gen reprä­sen­ta­tiv-libe­ra­len) set­ze a prio­ri vor- aus, was Laclau/Mouffe leug­nen: Die »Exis­tenz eines rela­tiv homo­ge­nen Vol­kes«, »das sich des­sen bewußt ist, was es eigent­lich ist«, wie Benoist bereits 1986 in sei­ner Mono­gra­phie zur Demo­kra­tie arti­ku­lier­te.

Laclau/Mouffe wol­len ein »Volk« kon­stru­ie­ren, das sich in gemein­sa­men gesell­schaft­li­chen Kämp­fen (z. B. gegen eine volks­fer­ne Eli­te) aus sozia­len Grup­pen und Ein­zel­per­so­nen brei­ter Schich­ten kon­sti­tu­iert; Benoist dem- gegen­über weist dar­auf hin, daß es von Geburt an ein »Schon-Vor­han­de­nes« gebe, »einen Hin­ter­grund, der den Rah­men bil­det für die Kon­struk­ti­on des Selbst« – eben ein Volk nicht nur im Sin­ne von Demos, son­dern auch (aber wie­der­um nicht aus­schließ­lich) im Sin­ne von Eth­nos.

In der gegen­wär­tig herr­schen­den (Un-)Ordnung der Euro­päi­schen Uni­on und der ent­po­li­ti­sier­ten Tech­no­kra­tie des Libe­ral­ka­pi­ta­lis­mus sieht Alain de Benoist nun die Stun­de des Volks, ja die Stun­de des Popu­lis­mus gekom­men; er for­mie­re sich als »Bewe­gung neu­en Typs« (so die Bezeich­nung in sei­ner neu­en Schrift Le Moment popu­lis­te), als Revol­te des Vol­kes gegen die Clas­se diri­ge­an­te – die herr­schen­de poli­ti­sche Klas­se –, als Revol­te der Gemein­schafts­be­für­wor­ter gegen die libe­ra­le Hege­mo­nie und ihre indi­vi­dua­lis­ti­schen Para­dig­men, als Revol­te der Glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­ker – ob links oder rechts – gegen die »Glo­ba­lis­ten« jeder Cou­leur. Wie Laclau/Mouffe sieht Benoist den popu­lis­ti­schen Moment auch des­halb gekom­men, weil die Völ­ker nicht mehr län­ger akzep­tie­ren, daß das Ide­al der libe­ra­len Ord­nung in sei­nen real­po­li­ti­schen Kon­se­quen­zen »Regie­ren ohne das Volk« oder aber, wie in eini­gen Mit­glieds­staa­ten der EU, sogar »Regie­ren gegen das Volk« bedeutet.

In Spa­ni­en ist die­ses dif­fu­se Gefühl für die Estab­lish­ment­pra­xis des Gegen-das-Volk-Regie­rens beson­ders stark, und Spa­ni­en ist denn auch das Land, in dem die Ideen Laclaus und Mouf­fes stark rezi­piert wer­den. Neben Fach­fra­gen (Aus­rich­tung der spa­ni­schen Poli­tik auf Immo­bi­li­en- und Bau­bran­che, Austeri­täts­po­li­tik, Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit) setzt Pode­mos bewußt auf popu­lis­ti­sche Theo­rie und Pra­xis. Die Par­tei um Pablo Igle­si­as ver­tritt seit 2014 zuge­spitz­te Posi­tio­nen in bezug auf die »Kas­ten« der Poli­ti­ker und der ihnen höri­gen Jour­na­lis­ten, die abge­ho­ben vom»Volk« agier­ten und durch Kor­rup­ti­on und Klep­to­kra­tie gekenn­zeich­net seien.

Der Begriff der »Kas­te« ist dabei ele­men­ta­rer Bestand­teil der Pode­mos-Ver­laut­ba­run­gen; er wirkt inte­grie­rend auf Unzu­frie­de­ne jeder Cou­leur und jeder gesell­schaft­li­chen Schicht, die aus ganz unter­schied­li­chen Moti­ven die Machen­schaf­ten des herr­schen­den Blocks ableh­nen und sich in die­ser Ableh­nung gemein mit vie­len ande­ren Men­schen wissen.

Ini­go Erre­jón, Poli­tik­wis­sen­schaft­ler und »Num­mer zwei« von Pode­mos nach Igle­si­as, ist ver­ant­wort­lich für die Wahl­kampf­stra­te­gien der lin­ken Popu­lis­ten; er beruft sich dabei nament­lich auf Ernes­to Laclau und Chan­tal Mouf­fe. Erre­jón befin­det popu­lis­ti­sche Mar­kie­run­gen wie zu errei­chen­de »ech­te Demo­kra­tie« (als Gegen­bild zur der­zeit herr­schen­den) oder eben die abge­ho­be­ne »Kas­te« für unver­zicht­bar; die »lee­ren Signi­fi­kan­ten« (Laclau/Mouffe) wür­den benö­tigt, um einen gemein­sa­men Bezugs­punkt aller Unzu­frie­de­nen und Aus­ge­schlos­se­nen – in lin­ker Dik­ti­on: aller »Sub­al­ter­nen« – zu schaffen.

Wie im Fal­le von Jean-Luc Mélen­chon und sei­ner »Links­front« in Frank­reich ver­sucht auch der Links­po­pu­lis­mus Mar­ke Pode­mos, posi­ti­ve Bezug­nah­men auf Patrio­tis­mus und Vater­land in das moder­ne lin­ke Pro­gramm zu inte­grie­ren. Damit eckt man aber im wei­te­ren lin­ken Spek­trum – inner- und außer­halb Spa­ni­ens – durch­aus an und sorgt für Aus­fran­sun­gen am lin­ken Rand, die die Gefahr sehen, vor­han­de­ne Unzu­frie­den­heit poten­ti­ell »rechts« oder »links-natio­nal« aufzuladen.

Mit Laclau zeigt sich auch Erre­jón in einem Inter­view in der Zeit­schrift Luxem­burg selbst unsi­cher, wie »man von der Unzu­frie­den­heit, von dem unter­schied­li­chen Leid, zu einem gemein­sa­men Wil­len« kom­men kön­ne. Doch mit Mouf­fe ver­weist er auf die fak­ti­sche Not­wen­dig­keit, eine neue Dicho­to­mi­sie­rung im Sin­ne einer Auf­spal­tung von »Wir« und die »Ande­ren« her­bei­zu­füh­ren bzw. zu ver­stär­ken. Der wei­te­re Weg der Laclau/­Mouf­fe-Anhän­ger ist dabei aber noch nicht fest­ge­legt. Erre­jón ver­sucht mitt­ler­wei­le im Sin­ne Miché­as (»Nicht links, nicht rechts, son­dern trans­ver­sal«) oder Robert B. Reichs aus­zu­grei­fen, was den promp­ten Wider­spruch radi­ka­ler Lin­ker findet.

Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung des von Laclau und Mouf­fe inspi­rier­ten Links­po­pu­lis­mus, wie er von Mélen­chon in Frank­reich oder Igle­si­as  in Spa­ni­en ver­kör­pert wird, ist die Dis­kus­si­on dar­über, wer nun eigent­lich »das Volk« oder die »Volks­klas­sen« dar­stellt, mit denen man gemein­sam gegen »die da oben« zu agie­ren gedenkt. Es ist dies ein genu­in lin­kes Pro­blem, mit dem sich kaum ein rech­ter Popu­lis­mus kon­fron­tiert sieht, da im rech­ten Beritt über­wie­gend Klar­heit dar­über herrscht, wer zum Volk gehört und wer nicht.

Die Lin­ke hat den Nach­teil, daß sie ihre eige­ne Vor­stel­lung von »Volk« erst aus­zu­dis­ku­tie­ren hät­te, was dadurch wesent­lich erschwert wird, daß wei­te Tei­le der Lin­ken an die­sem Dis­kurs Des­in­ter­es­se zei­gen, weil man die blo­ße Gefahr einer Annä­he­rung an rech­te Posi­tio­nen abso­lut­setzt. Der »volks­na­he« oder »popu­lar-natio­na­le« (Gramsci) Flü­gel des Links­po­pu­lis­mus, der sich posi­tiv auf »Volk« oder »Nati­on« und auf einen gemein­sa­men Kampf gegen die Nomen­kla­tu­ra bezieht, wird daher bereits auf­grund der blo­ßen Ver­wen­dung die­ser (eigent­lich mit Inhal­ten zu fül­len­den) Reiz­wör­ter immer wie­der in die Nähe der »Quer­front« gerückt und poli­tisch bekämpft.

Die­se ver­schie­de­nen Blo­cka­den für einen lin­ken Popu­lis­mus, die spe­zi­ell ja in Deutsch­land zu ver­zeich­nen sind, ändern nichts an der Tat­sa­che, daß eini­ge the­ma­ti­sche Anlie­gen von Laclau und Mouf­fe beden­kens­wert erschei­nen, etwa der Kampf gegen die enor­me Macht­kon­zen­tra­ti­on (wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Natur) olig­ar­chi­scher Struk­tu­ren auch in West­eu­ro­pa; die Bean­stan­dung neo­li­be­ra­ler Total­durch­drin­gung aller gesell­schaft­li­chen Teil­be­rei­che; die prin­zi­pi­el­le Geg­ner­schaft zu einem indi­vi­dua­lis­ti­schen Regime, in dem jede Per­son nur noch als »Unter­neh­mer sei­ner selbst« (Michel Fou­cault) ver­stan­den wird; schließ­lich die Ableh­nung der neo­li­be­ra­len Pen­sée uni­que, der alter­na­tiv­lo­sen Logik des Mark­tes und sei­ner poli­tisch folg­sa­men Akteu­re der gro­ßen »Mit­te«- Par­tei­en, ob sie nun christ- oder sozi­al­de­mo­kra­tisch auftreten.

Die­se Anlie­gen kön­nen sei­tens der deutsch­spra­chi­gen rech­ten Intel­li­genz schad­los und ohne wirk­mäch­ti­ge Kon­kur­renz adap­tiert wer­den, da die hie­si­ge »ver­welt­bür­ger­lich­te Lin­ke« (Wolf­gang Stre­eck) die Stun­de des Popu­lis­mus aus ideo­lo­gi­schen wie mora­li­schen Moti­ven her­aus unbe­ach­tet ver­strei­chen las­sen wird. Doch die­se Stun­de rückt näher: Um so abge­ho­be­ner von den Belan­gen des »ein­fa­chen Vol­kes« und um so lebens­fer­ner sich die herr­schen­de Klas­se sti­li­siert, um so stär­ker wird die Gegen­be­we­gung in Rich­tung einer neu­en Suche nach Ver­wur­ze­lung und Ver­or­tung, nach sozia­ler Für­sor­ge und soli­da­ri­scher Gemein­schaft in einem wahr­haft demo­kra­tisch struk­tu­rier­ten Gan­zen ausfallen.

Die popu­lis­ti­sche Zuspit­zung – ob im Sin­ne Laclaus/Mouffes oder auch Benoists – beschleu­nigt hier­bei nur das Ent­ste­hen von Bewußt­sein für die­se Pro­zes­se, für die Kluft zwi­schen »Volk« und »Eli­te«; sie löst die­se Ent­wick­lun­gen nicht aus.

Wenn die Popu­lis­mus-For­sche­rin Karin Pries­ter in ihrer Stu­die Rech­ter und lin­ker Popu­lis­mus recht hat, daß sich die gras­sie­ren­de »popu­lis­ti­sche Revol­te« vor allem gegen einen (kas­ten­ar­ti­gen) Kom­plex des Staats rich­tet, »der sich hin­ter einem Wall ver­schanzt hat«, dann wer­den es kämp­fe­risch-kon­ser­va­ti­ve Akteu­re sein müs­sen, die die­sen Wall nie­der­rei­ßen. Die deut­sche Lin­ke wird über­wie­gend abseits ste­hen und ela­bo­rier­te Dis­kur­se füh­ren, die alles sind, aber nicht popu­lar, volks­nah, volks­tüm­lich – oder eben popu­lis­tisch. Ideen von Ernes­to Laclau und Chan­tal Mouf­fe sind im deutsch­spra­chi­gen Raum für meta­po­li­ti­sche Theo­rie und Pra­xis also noch frucht­bar zu machen. Dank Ingo Elbe und Co. wird die poli­ti­sche Rech­te dabei kon­kur­renz­los sein.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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