Die AfD der Wahl: Machtfragen, Richtungsdebatten, Strategiefindung

Am 24. Sep­tem­ber hat der Demos gespro­chen und mit der AfD zum ers­ten Mal seit Jahr­zehn­ten eine ech­te Oppo­si­ti­ons­par­tei in den deut­schen Bun­des­tag gewählt. Dem ange­sichts wid­ri­ger Umstän­de acht­ba­ren Ergeb­nis ist ein tur­bu­len­tes und von inner­par­tei­li­chen Stür­men gepräg­tes Wahl­jahr vor­aus­ge­gan­gen, das mit dem bevor­ste­hen­den Bun­des­par­tei­tag im Dezem­ber sei­nen Abschluß fin­den wird.
Rück­schau: Aus­schluß­ver­fah­ren und Stra­te­gie­de­bat­ten Rück­bli­ckend begann das Wahl­jahr 2017 mit der Dresd­ner Rede von Björn Höcke am 17. Janu­ar und dem dar­auf fol­gen­den, von Frau­ke Petry for­cier­ten und macht­po­li­tisch moti­vier­ten Beschluß eines Par­tei­aus­schluß­ver­fah­rens gegen den Thü­rin­ger Lan­des­vor­sit­zen­den durch Tei­le des Bun­des­vor­stan­des am 13. Febru­ar. Für eine macht­po­li­ti­sche Moti­va­ti­on spricht nicht zuletzt der Umstand, daß sich in der Cau­sa Höcke mit Frau­ke Petry aus­ge­rech­net jene Per­son als trei­ben­de Kraft erwies, die noch weni­ge Mona­te zuvor gefor­dert hat­te, der Begriff des »Völ­ki­schen« müs­se nun­mehr wie­der posi­tiv besetzt werden.
Als sei das nicht genug des inner­par­tei­li­chen Scha­dens gewe­sen, bra­chen die Bun­des­vor­sit­zen­de und ihr Ehe­gat­te mit­tels eines »Zukunfts­an­tra­ges« weni­ge Wochen vor dem Bun­des­par­tei­tag am 22. und 23. April zur Unzeit eine Debat­te über eine soge­nann­te »real­po­li­ti­sche« und eine angeb­li­che »fun­da­men­tal­op­po­si­tio­nel­le« Stra­te­gie vom Zaun, zwi­schen denen sich die Par­tei­ba­sis zu ent­schei­den habe.

Dabei han­del­te es sich nach der Ein­lei­tung eines Aus­schluß­ver­fah­rens gegen Björn Höcke um eine neu­er­li­che poli­ti­sche Ese­lei son­der­glei­chen, birgt doch eine Debat­te über die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung einer Par­tei immer auch Spal­tungs­po­ten­ti­al in sich. Vor die­sem Hin­ter­grund tra­fen die Dele­gier­ten auf dem Bun­des­par­tei­tag eine wei­se Ent­schei­dung und stri­chen den »Zukunfts­an­trag« völ­lig zu Recht von der Tagesordnung.
Statt nun das Votum der Dele­gier­ten zu akzep­tie­ren und vor allem zu respek­tie­ren, fuhr das gede­mü­tig­te dyna­mi­sche Duo Petry und Pret­zell nach dem Par­tei­tag mit dem ver­ant­wor­tungs­lo­sen Gere­de vom dro­hen­den Rechts­ruck und einem not­wen­di­gen »real­po­li­ti­schen Kurs« fort und brach­te die AfD damit im Vor-Wahl­kampf ohne Not in schwe­res Fahrwasser.

Lage­ana­ly­se: inner­par­tei­li­che Bruchlinie

In die­sem Kon­text stellt sich die Fra­ge, was genau das Lager um Petry und Pret­zell unter der »real­po­li­ti­schen Opti­on« ver­steht. Eine Aus­wer­tung der Aus­sa­gen selbst­er­nann­ter Real­po­li­ti­ker läßt den Schluß zu, daß die­se danach trach­ten, schnellst­mög­lich poli­ti­sche Gestal­tungs­macht zu erlan­gen – und zwar um jeden Preis. Daß die AfD dabei abseh­bar zu einem Bestand­teil des Alt­par­tei­en­sys­tems wer­den und ihres Mar­ken­kerns ver­lus­tig gehen könn­te, wird bil­li­gend in Kauf genom­men. Ein Bei­spiel: In Nord­rhein-West­fa­len wur­den im Nach­gang zur dor­ti­gen Land­tags­wahl im Mai 2017 von Tei­len der AfD-Land­tags­frak­ti­on ernst­haf­te Über­le­gun­gen ange­stellt, den CDU-Mul­ti­kul­tu­ra­lis­ten und Mer­kel-Apo­lo­ge­ten Armin Laschet – natür­lich als real­po­li­ti­schen Akt – zum Minis­ter­prä­si­den­ten zu wäh­len. Erst nach hef­ti­gen Inter­ven­tio­nen sei­tens der Bun­des­ebe­ne lenk­te das Pret­zell-Lager schließ­lich ein.

Letzt­lich ebnet der pro­pa­gier­te real­po­li­ti­sche Weg also den Pfad hin zu einer mehr­heits­be­schaf­fen­den FDP 2.0. Im Ergeb­nis wür­de eine sol­cher­ma­ßen ent­kern­te AfD ihr Allein­stel­lungs­merk­mal und damit ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung im deut­schen Par­tei­en­spek­trum verlieren.
Dem­ge­gen­über pro­pa­giert der natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Flü­gel der AfD kei­nes­falls einen »fun­da­men­tal­op­po­si­tio­nel­len«, son­dern viel­mehr einen bewe­gungs­po­li­ti­schen Stra­te­gie­an­satz. Einer­seits soll die Bewe­gungs­par­tei AfD die Sys­tem­par­tei­en aus der Oppo­si­ti­on her­aus und auf der Stra­ße vor sich her­trei­ben. Gleich­zei­tig wird die Erlan­gung poli­ti­scher Gestal­tungs­macht ange­strebt, aller­dings nur zu eige­nen Bedin­gun­gen und kei­nes­falls zu den Bedin­gun­gen des Altparteienkartells.
Selbst­ver­ständ­lich beinhal­tet der bewe­gungs­po­li­ti­sche Ansatz sach­po­li­ti­sche Ele­men­te. Die­se Tat­sa­che läßt sich unschwer am Bei­spiel der AfD-Land­tags­frak­ti­on in Sach­sen-Anhalt illus­trie­ren: In den nun­mehr 18 Mona­ten ihres Bestehens hat die von André Pog­gen­burg geführ­te Frak­ti­on nicht nur zahl­rei­che Geset­zes­ent­wür­fe erar­bei­tet und hun­der­te Klei­ne Anfra­gen gestellt, son­dern auch maß­geb­lich zum Rück­tritt des CDU-Land­tags­prä­si­den­ten Güss­au und des SPD-Wirt­schafts­mi­nis­ters Fel­g­ner bei­getra­gen. Außer­dem hat die Frak­ti­on einen Unter­su­chungs­aus­schuß zur Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung sowie Enquete-Kom­mis­sio­nen zur Stär­kung direk­ter Demo­kra­tie und zur Bekämp­fung des Links­extre­mis­mus ein­ge­setzt sowie einen alter­na­ti­ven Haus­halts­ent­wurf ein­ge­bracht. Des wei­te­ren ist es mehr­fach gelun­gen, Kei­le in die CDU-Frak­ti­on und die mitt­ler­wei­le zer­strit­te­ne Kenia-Koali­ti­on zu treiben.
Ana­log zur Sach­po­li­tik in den Aus­schüs­sen und Ple­nar­sit­zun­gen fin­det indes auch eine Ver­net­zung mit dem vor­po­li­ti­schen Raum statt. Mit­glie­der der Land­tags­frak­ti­on spre­chen auf PEGI­DA-Demons­tra­tio­nen in Dres­den, tre­ten bei Aka­de­mien des Insti­tuts für Staats­po­li­tik auf oder besu­chen die Ein­wei­hungs­fei­er für das Haus­pro­jekt der Bür­ger­initia­ti­ve »Ein Pro­zent« in Hal­le. Auf die unab­ding­li­che Rol­len­hy­gie­ne wird dabei stets geachtet.
Dem­entspre­chend gelangt eine unlängst erschie­ne­ne Stu­die der Otto- Bren­ner-Stif­tung mit dem Titel Die AfD vor der Bun­des­tags­wahl 2017 in bezug auf das Wir­ken besag­ter Land­tags­frak­ti­on zu fol­gen­dem Befund:
»Der mit­glie­der­stärks­ten AfD-Frak­ti­on in Sach­sen-Anhalt ist es trotz inter­ner Kon­flik­te am erfolg­reichs­ten gelun­gen, als Oppo­si­ti­ons­kraft lan­des­po­li­ti­sche Akzen­te zu set­zen und vor allem die CDU – und damit auch die Kenia-Koali­ti­on ins­ge­samt – her­aus­zu­for­dern. Wäh­rend die AfD-Frak­ti­on die lan­des­par­la­men­ta­ri­sche Büh­ne einer­seits für teils radi­ka­le poli­ti­sche Vor­stö­ße nutz­te, erzeug­te sie ande­rer­seits mit pla­ka­ti­ven Brü­chen der par­la­men­ta­ri­schen Gepflo­gen­hei­ten Auf­merk­sam­keit und schrieb auf die­se Wei­se ihr Selbst­ver­ständ­nis als außer­par­la­men­ta­ri­sche Bewe­gungs­par­tei fort.«
Wäh­rend also der soge­nann­te real­po­li­ti­sche Ansatz das Heil der Par­tei in der Annä­he­rung und Anbie­de­rung an das poli­ti­sche Estab­lish­ment sieht und, kon­se­quent zu Ende gedacht, unwei­ger­lich im Eta­blier­ten endet, sieht der bewe­gungs­po­li­ti­sche Ansatz kei­ne Alter­na­ti­ve im Eta­blier­ten. Viel­mehr strebt die bewe­gungs­po­li­ti­sche Aus­rich­tung nach einer grund­le­gen­den Neu­ge­stal­tung der poli­ti­schen Land­schaft inklu­si­ve der Been­di­gung und Rück­ab­wick­lung links­li­be­ra­ler Gesell­schafts­expe­ri­men­te und also nach einer Poli­tik, die für und nicht gegen Deutsch­land und sein Staats­volk gerich­tet ist.
Die bereits bemüh­te Stu­die der Otto-Bren­ner-Stif­tung kommt außer­dem – unter Ver­wen­dung unver­meid­li­cher poli­ti­scher Kampf­be­grif­fe – zu dem Befund, daß sich der bewe­gungs­po­li­ti­sche Ansatz des natio­nal- kon­ser­va­ti­ven Par­tei­flü­gels um die Gali­ons­fi­gu­ren Alex­an­der Gau­land, Björn Höcke, Andre­as Kal­bitz, André Pog­gen­burg und Hans-Tho­mas Till­schnei­der inner­par­tei­lich zuneh­mend durch­setzt: »Über­dies ver­sucht die AfD, völ­ki­sche Vor­stel­lun­gen öffent­lich zu rehabilitieren.

Zunächst von den ost­deut­schen Lan­des­ver­bän­den offen­siv ver­tre­ten, öff­net sich die gesam­te Par­tei gegen­wär­tig immer stär­ker in Rich­tung eines ›völ­kisch-auto­ri­tä­ren Natio­na­lis­mus‹ mit geschichts­re­vi­sio­nis­ti­schen Zügen, der mitt­ler­wei­le auch in den west­deut­schen Bun­des­län­dern zuse­hends ent­hemmt pro­pa­giert wird. […] Durch die AfD haben sich die roten Lini­en der poli­ti­schen Kul­tur frag­los ver­scho­ben, was man als AfD-Effekt ver­bu­chen kann.«
Wir hal­ten fest: Die real exis­tie­ren­de inner­par­tei­li­che Bruch­li­nie der AfD ver­läuft nicht zwi­schen »real­po­li­ti­schen« und »fun­da­men­tal­op­po­si­tio­nel­len« Kräf­ten, son­dern viel­mehr zwi­schen bewe­gungs­po­li­ti­schen Idea­lis­ten und Kar­rie­ris­ten im real­po­li­ti­schen Schafspelz.
Blick nach vorn: Alter­na­ti­ve Mit­te – macht Petry den Lucke? Die meta­po­li­tisch indu­zier­te und durch den natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Flü­gel der AfD imple­men­tier­te kon­ti­nu­ier­li­che Ver­schie­bung des BRD-Dis­kurs­fens­ters ist inner­par­tei­li­chen Kar­rie­ris­ten, die schnellst­mög­lich im poli­ti­schen Estab­lish­ment ankom­men und also dau­er­haft an die poli­ti­schen Fut­ter­trö­ge ando­cken wol­len, frei­lich ein Dorn im Auge.

Mit­ten im Wahl­kampf grün­de­te sich die soge­nann­te Alter­na­ti­ve Mit­te (AM), deren Grün­dungs­le­gi­ti­ma­ti­on und Aus­rich­tung an den »Weck­ruf« von Bernd Lucke erin­nert. Aus dem »Weck­ruf« ging nach dem AfD-Bun­des­par­tei­tag in Essen im Juli 2015 die AfD-Abspal­tung ALFA her­vor, die mitt­ler­wei­le im Nir­va­na poli­ti­scher Bedeu­tungs­lo­sig­keit ver­schwun­den ist. Das bekann­tes­te Gesicht der AM ist das rela­tiv unbe­kann­te Bun­des­vor- stands­mit­glied Dirk Drie­sang. Unter­stützt wird die Grup­pie­rung aller­dings von Mar­kus Pret­zell (»Ich beken­ne mich voll­stän­dig zu den Idea­len der AM.«) und Frau­ke Petry, die Gerüch­ten um eine etwa­ige neu­er­li­che Abspal­tung wie­der­holt Nah­rung gege­ben hat.

Bereits vor dem Bun­des­par­tei­tag in Köln berich­te­te der Münch­ner Mer­kur: »Soll­te es ihnen bis Herbst nicht gelun­gen sein, die AfD auf einen real­po­li­ti­schen Kurs zu zwin­gen und Höcke aus der Par­tei zu drän­gen, haben die Anhän­ger des Petry-Lagers des­halb offen­bar einen Plan gefasst. Sie wol­len nach der Bun­des­tags­wahl mit ihren Abge­ord­ne­ten die AfD-Frak­tio­nen im Bun­des­tag und in den Land­ta­gen ver­las­sen und eine neue Par­tei grün­den. […] Sowohl Petry als auch Pret­zell woll­ten die Plä­ne auf Anfra­ge nicht kommentieren.«

Und am 13. Sep­tem­ber, also kei­ne zwei Wochen vor der Bun­des­tags­wahl, ant­wor­te­te Petry auf die Fra­ge der Neu­en Zür­cher Zei­tung, ob sie unab­hän­gig davon, wel­che AfD-Kan­di­da­ten in den Bun­des- tag ein­zie­hen, in der neu­en AfD-Frak­ti­on sit­zen wer­de: »Na ja, las­sen Sie uns ein­mal abwar­ten, wie das Wahl­er­geb­nis am 24.9. aus­sieht, bis all die Man­da­te gezählt sind, und dann reden wir ab dem 25.9. dar­über, wie es in der AfD weitergeht.«

An die­sem 25. 9. ver­kün­de­te Petry dann im Rah­men der Bun­des­pres­se­kon­fe­renz, daß sie der neu­en AfD-Bun­des­tags­frak­ti­on trotz ihres Direkt­man­dats nicht ange­hö­ren wer­de. Spit­zen­po­li­ti­ker der AfD for­der­ten sie in den Stun­den danach auf, die AfD zu ver­las­sen. Petry und mit ihr Pret­zell kün­dig­ten die­sen Schritt tat­säch­lich für die kom­men­den Wochen an.
Die Par­al­lel­struk­tur ist damit aber nicht vom Tisch. In der Ein­la­dung zur »Deutsch­land­ta­gung der Alter­na­ti­ven Mit­te« am 3. Okto­ber 2017 steht zudem zu lesen: »Auf dem Bun­des­par­tei­tag im Dezem­ber wird sich der wei­te­re Wer­de­gang der AfD ent­schei­den. Ver­liert die AfD dann die Anschluss­fä­hig­keit an wei­te bür­ger­li­che Krei­se, so ist das Ende absehbar.«

Die Fra­ge, ob es zu einer neu­er­li­chen Abspal­tung von der AfD kom­men wird oder nicht, wird spä­tes­tens nach dem kom­men­den Bun­des­par­tei­tag abschlie­ßend beant­wor­tet wer­den kön­nen. Unab­hän­gig davon zeigt die Geschich­te der Par­tei, daß die Abspal­tung der neo­li­be­ral-trans­at­lan­ti­schen Kräf­te um Bernd Lucke und Hans-Olaf Hen­kel im Jah­re 2015 kei­nen nach­hal­ti­gen Scha­den hin­ter­las­sen hat. Damals konn­te der Ader­laß in Form von eini­gen tau­send Mit­glie­dern rela­tiv pro­blem­los kom­pen­siert wer­den. In der Fol­ge wur­de die AfD nicht – wie von den Luckis­ten ange­dacht – zur sys­tem­in­te­grier­ten Mehr­heits­be­schaf­fer­par­tei der CDU, son­dern bewahr­te sich einen Man­gel an Ver­söh­nung mit den BRD-Funk­ti­ons­eli­ten. Häu­tungs­pro­zes­se der jun­gen Par­tei kön­nen für deren wei­te­ren Wer­de­gang also durch­aus eine nut­zen­stif­ten­de Wir­kung entfalten.
»In der AfD sind Wöl­fe unter­wegs«, stell­te der CSU-Spit­zen­kan­di­dat Joa­chim Herr­mann in einem im Sep­tem­ber geführ­ten Wahl­kamp­fin­ter­view fest. Zwei der Rudel­füh­rer haben sich gera­de selbst erledigt.

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