2017 ist nicht nur für die politische Linke ein Jahr der Erinnerung. Denn ihre beiden großen Jubiläen – 150 Jahre Publikation des ersten Kapital- Bandes von Karl Marx, 100 Jahre Oktoberrevolution in Rußland – sind zweifellos von welthistorischer Bedeutung: Das komplexe theoretische Werk des Kapitals ist aufgrund seiner Resonanz und der Rezeption durch praktische Revolutionäre als eines der folgenreichsten Bücher der Geschichte anzusehen, die Oktoberrevolution aufgrund ihrer polarisierenden Wirkung auf die Weltpolitik als die größte politische Zäsur nach der Französischen Revolution von 1789 /93.
Es geziemt sich also für politisch Denkende und Handelnde nicht, das Marxsche Hauptwerk beiseitezuschieben und die Oktoberrevolution zu ignorieren. Man sollte vielmehr einen »rechten« Zugang zum Kapital (I.), einen überlegten Standpunkt zur Oktoberrevolution (II.) und – auf diesen beiden Aspekten fußend – den Mut zu einer Neupositionierung finden (III.), welche die politische Rechte für kommende Herausforderungen geistig rüstet und gegen einen bestimmten liberalen Fehlschluß (IV.) feit.
Das Kapital, Band 1 – 150 Jahre danach
Der erste Band des Marx-Vermächtnisses Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie erschien 1867. Ursprünglich war es auf vier »Bücher« in drei »Bänden« ausgelegt, doch tatsächlich wurden drei Bücher in drei Bänden publiziert; das vierte Buch blieb ungeschrieben. Der Autor verfaßte sein Opus magnum im Exil in Großbritannien, dem damaligen Motor der Weltwirtschaft. Karl Marx lebte seit 1849 in der britischen Hauptstadt. Die Verbannung vom Festlandeuropa kam ihm dabei durchaus zupaß: Nur in London konnte er den Zustand der herrschenden Produktionsweise studieren, analysieren, kritisieren.
Im Auftaktband Der Produktionsprozeß des Kapitals widmet sich Marx dem grundsätzlichen Verhältnis von Kapital und Arbeit. Für seinen Kompagnon und Mäzen Friedrich Engels, der Band 2 (Der Zirkulationsprozeß des Kapitals, 1885) modifiziert herausgab und Band 3 (Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion, 1894) wesentlich gestaltete, war dieses Verhältnis »die Angel, um die sich unser ganzes heutiges Gesellschaftssystem dreht«. Marxens wissenschaftliche Leistung sei zudem geprägt von einer »Gründlichkeit und Schärfe, wie sie nur einem Deutschen möglich war«.
Die angesprochene Gründlichkeit ist denn auch ein Grund, weshalb sich viele Linke bis heute nur an einige Schlagworte oder an Marx-Verkürzungen der realsozialistischen Orthodoxie wagen; Das Kapital ist kein Manifest, kein Programm, keine von Antikapitalisten stur zu befolgende To-do-Liste, sondern eine teils polemische, vor allem aber nüchtern-akademische Analyse der zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes überlieferten wirtschaftlichen Grundannahmen. Marx richtet sich ganz zentral gegen die Deutungshoheit der führenden englischen Ökonomen Adam Smith und David Ricardo, er wollte deren Axiome wissenschaftlich kritisieren und eigene Definitionen von Arbeit, Wert und den Gesetzen der Ökonomie vorlegen.
Band 1 ist, wie Rolf Peter Sieferle festhielt, keine Darstellung der effektiven Wirklichkeit des Kapitalismus. Er ist vielmehr der Versuch, das darunterliegende Wesen (auch wenn Marx just diesen hegelianischen Begriff nicht goutierte) des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis zu erfassen, die kapitalistische Produktionsweise darzustellen und insbesondere auch eine Ideologiekritik der politischen Ökonomie vorzulegen – nicht aber ein gegenläufiges Modell zu entwerfen, weswegen im ersten Band des Kapital der Terminus »Sozialismus« nicht ein einziges Mal fällt.
Im dritten Band sollte Marx (vermittelt über Engels) dann verraten, daß es ihm zuallererst um eine idealtypische Gesamtschau des Kapitalismus ging, also um die Merkmale der herrschenden Produktionsweise, die es erlauben, den Begriff des »Kapitalismus« überhaupt als definierte Kategorie zu verwenden. Diese abstrakte Vorgehensweise eines zum besseren Verständnis der Analyse gedachten Durchschnittskapitalismus vernachlässigt die konkreten Verortungen des jeweiligen Kapitalismus: Er ist bis heute und trotz seiner globalen und virtuellen Expansion an konkrete Rahmenbedingungen gebunden.
Ungeachtet vieler vom heutigen Kenntnisstand aus als falsch oder unzureichend anzusehender Teilanalysen und Prognosen erschuf der vor 150 Jahren erschienene Debütband bleibenden »Mehrwert« für die damals wie heute Lebenden. Zu nennen ist die Darstellung, daß ein wirtschaftliches System grundlegende Beziehungen schafft, denen einzelne Personen nicht entgehen können. Die Fokussierung auf Bankiers und Manager ist mit Marxens Kapital nicht zu rechtfertigen: Vielmehr weist Marx explizit darauf hin, daß der Einzelne »Geschöpf« der realen Verhältnisse sei, selbst dann noch, wenn dieser einzelne denkt, er sei von diesen unabhängig oder habe sie durchschaut.
Marx interessiert sich für die Kapitalisten nur insofern, als sie etwas Bestimmtes darstellen, nämlich die Vergegenständlichung einer Logik, die vom Kapitalismus indes vorgegeben wird: Das Herrschende im Kapitalismus ist das Kapital, nicht der Kapitalist als »Personifikation ökonomischer Kategorien« (Marx). Was Marx als Endziel vor Augen hatte, war die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise, nicht die Abschaffung eines bestimmten Ausbeutertyps oder die Forcierung einer »gerechteren« Umverteilung. Denn die Produktionsweise des Kapitalismus diene per se dem Kapital, nicht aber den Menschen, was den Kern des Übels bedeute.
Ein weiterer beispielhafter Aspekt ist die Tendenz des Kapitals, aufgrund seiner Basis – dem von Marx erklärten Wertprinzip – alles zu »kommodifizieren«, also alles zu einer Ware zu transformieren, jedem Ding, jeder Person einen Wert zuzuschreiben. Es sei dies ein Vorgang, der die zwischenmenschlichen Beziehungen einschließe und heute als Kommerzialisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens, in dem der schon damals konstatierte »Fetischcharakter der Warenwelt« (Marx) dutzendfach potenziert ist, wohl weiter fortgeschritten ist als noch zu Marxens Zeit.
Dasselbe gilt sicherlich auch für die von Marx vorweggenommene Globalisierung des Kapitals sowie die Herausstellung der kapitalistischen Dynamik – allein wie flexibel und anpassungsfähig sie indes bis heute alle Krisen und Widersprüche überdauert oder gar als Startrampen für Entwicklungsschübe nutzt, hätte Marx dann doch überrascht.
100 Jahre Oktoberrevolution
In seiner Marx-Einführung hebt Sieferle hervor, daß Marx als Polemiker gegen seine innersozialistischen Kontrahenten oft übers Ziel hinausschoß, indem er selbstherrlich agierte und Andersdenkende als »Narren« verhöhnte. So sehr dieses Verdikt auf überwiegend postum veröffentlichte Schriften wie die Theorien über den Mehrwert (von Karl Kautsky 1905 – 1910 ediert) zutrifft, darf der Folgeschluß – Marx als herrischer Gebieter, als geistiger Ahn Josef Stalins – nicht gezogen werden: Marx wollte keine gläubigen »Schüler« heranziehen, keine dogmatische Schule gründen, keinen Widerspruch verbieten. Im ersten Band des Kapital schrieb er explizit, daß ernste Kritik willkommen sei.
Die von ihm kritisierte bürgerliche Gesellschaft sei »kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus«. Wenn jedoch etwas umwandlungsfähig erscheint und beständiger Veränderung unterliegt, muß die Auseinandersetzung ebenfalls zeitgemäß, also »in der Lage« erfolgen, mithin also vorhergehende wissenschaftliche Urteile revidieren und neue formulieren.
Lenin als Kopf der Oktoberrevolution wie als rational-strategischer »Machiavell des Ostens« (Hugo Fischer) wußte noch überwiegend um diese Marxsche Flexibilität, die er sich selbst zu eigen machte, indem er gerade in der Vorgeschichte der Revolution oftmals aufgrund veränderter Lageanalysen neue Wege einschlug, die den vorigen mindestens widersprachen, sofern sie diese nicht gänzlich auf den Kopf stellten. In diesem Sinne nannte Nikolai Bucharin Lenins Gedankengebäude das »biegsamste aller erkenntnistheoretischen Instrumente«. Erst die Lenin folgenden Verantwortlichen machten aus dem sich dynamisch wandelnden Analysetool Marxens eine starre Doktrin, etwa Adam Deborin (»Der Marxismus […] ist eine geschlossene Weltanschauung«) oder, in pervertierter Form nach Lenins Tod 1924, Stalin und seine Claqueure.
Die Essenz des Marxschen Kapital von 1867 wirkte zweifellos auf die Bolschewiki der Oktoberrevolution von 1917. Sie wirkte aber in einer radikal vereinfachten bis verkümmerten Form. Zunächst, nach Marxens Tod 1883, systematisierte Engels das Marx-Erbe, veröffentlichte Fragmente und bearbeitete Nachlaßaufsätze in seinem Sinne. Als Engels zwölf Jahre später selbst verschied, übernahm Kautsky die vereinfachte Darstellung der Marx-Engels-Publikationen, so daß sie gewöhnlichen Arbeitern verständlicher wurden.
Ein weiterer, dritter Vulgarisierungsschritt wurde durch die russischen Bolschewiki vorgenommen, so daß bereits im Jahr der Februar- und Oktoberrevolution ein doktrinär vereinfachter und auf einige Lehr- und Leerphrasen reduzierter »Marxismus« das aus westeuropäischer Sicht unterentwickelte respektive revolutionsunreife Rußland heimsuchte und in die Diktatur einer Minderheit überführte. Stalin wiederum vereinfachte die bereits mehrfach verkürzte bolschewistische Marx-Exegese erneut; man war beim geistig verkümmerten Tiefpunkt des Stalinschen »Marxismus-Leninismus« angelangt.
Der Engelstreue Lenin war in diesem Chor der extremen Vereinfacherer eine rare Ausnahme, und doch konnte (oder wollte) er dieser Entwicklung nichts Substantielles entgegenstellen. Entgegen heute gängiger Meinungsbilder war er 1917ff. eben kein Diktator im klassischen Sinne, sondern nur eines von mehreren autoritären Kraftzentren innerhalb der damals noch fraktionell gespaltenen Bolschewiki. Seine parteiinterne Macht 1923 /24 reichte noch nicht einmal aus, den von ihm auf dem Sterbebett als gewaltige Gefahr angesehenen Stalin seines Amtes als Generalsekretär der Partei entheben zu lassen – eine folgenschwere Entwicklung und Starthilfe für die Ausprägung des spätestens 1932 (Holodomor) bzw. 1936 (Stalinsche Säuberungen) gefestigten Terrorregimes. Aber diese Entwicklung war 1917 nicht linear vorgezeichnet.
War die Revolution zwar durchaus gewaltsam verlaufen, sah sich nichtsdestoweniger die schaurige Dialektik aus rotem und weißem Terror noch nicht zur vollen Entfaltung gekommen, wurden die die Zustände verschärfenden Interventionskriege der Westmächte noch nicht geführt usf.
Die vor 100 Jahren vollzogene zweifache Russische Revolution nur von ihrer – zwei Dekaden später – im Vernichtungswahn endenden Stalinschen Verfallsform einer totalitären Bürokratie zu betrachten, verstellt daher den Blick auf wichtige Erkenntnisse. Zunächst war die Oktoberrevolution (mehr als ihr Vorläufer, die Februarrevolution; vgl. Sezession 77) jene Erscheinung, die im 20. Jahrhundert die stärksten Kräfte, die heftigsten Gefühle – jeweils für und wider sie – entfesselte.
Gemeinsam mit dem Weltkrieg von 14 /18 legte sie den Grundstein für die weiteren Dezennien des Jahrhunderts, für den Zweiten Weltkrieg, für den Kalten Krieg, nach dem Scheitern ihres sowjetischen Experiments 1989 /91 sogar für die an ihr Ende geratende unipolare Welt der Jetztzeit. Die Oktoberrevolution war aber zugleich ein Fanal alternativer Weltgeschichte. Erstmals brach eine politische Gruppe auf, um das Zeitalter eines ganzen Gesellschaftssystems, namentlich des kapitalistischen, das auf Ausbeutung und Profitmaximierung, auf Kolonialisierung und kriegerische Expansion, auf totale Kommodifizierung aller menschlichen Beziehungen setzte, zu beenden.
Weltweit blickten Menschen nach Moskau und Petersburg, reisten in die Sowjetunion und erträumten sich das Vaterland aller freien, tätigen Menschen – die Sowjetpropaganda verstärkte diese Begeisterung, mußte sie aber nicht gänzlich inszenieren. Doch das gewaltige Ziel der Herstellung einer Gesellschaft auf Basis des kategorischen Imperativs, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Marx), scheiterte kolossal; die Mehrzahl der Menschen wurde erniedrigt und geknechtet, sah sich verlassen und wurde verächtlich gemacht.
Die Rechte und das linke Erbe
Doch wenn man deshalb en bloc die Beschäftigung mit dem widersprüchlichen Erbe der Oktoberrevolution, die sich direkt auf das Marxsche Werk bezog, aufgibt oder sich als unbeteiligter Nichtlinker entlastet zurücklehnt, verkennt man einen zentralen Punkt: Die zeitgenössische Erinnerung an das »Jahrhundertereignis« wird, wie der Politikwissenschaftler Frank Deppe zutreffend resümiert, »in erster Linie vom Ende der Sowjetunion und dem Scheitern des von ihr beanspruchten Modells des ›realen Sozialismus‹ bestimmt«. Das Deutungsmonopol der »bürgerlichen« Geschichtswissenschaft und ihrer Sprachrohre in den Mainstreammedien zementiert in diesem Kontext den Mythos der Alternativlosigkeit.
Jeder noch so zaghafte theoretische Versuch, die Logik des Kapitals grundlegend zu hinterfragen und alternative Wege in Richtung einer souveränen, demokratischen und postkapitalistischen Gesellschaftsordnung wenigstens zu diskutieren, kann mit dem Verweis auf das Scheitern der Ok- toberrevolution respektive ihres real existierenden Sowjetkonstrukts unterminiert werden.
Die selbst auch auf Gewalt basierende kapitalistische Ordnung scheint so nicht mehr prinzipiell in Frage gestellt werden zu können; man sieht sich sonst implizit oder explizit in einer geistigen Ahnenreihe mit Menschenschlächtern vom Schlage Stalins stehen. Gewiß: Das betrifft weitaus mehr das linke Spektrum mit seinen offen sozialistisch bis kommunistisch ausgerichteten Strömungen.
Tatsächlich hat die nichtkapitalistische Rechte also einen Vorteil, da sie einer anderen Denktradition entstammt. Sie kann unvoreingenommen an die Oktoberrevolution, ihre Abwege und Entgleisungen, ihre Motivation und Ausgangslegitimation herantreten, ferner ungezwungen die damals wirkenden mannigfachen Denkrichtungen – von (ukrainisch-)nationalanarchistisch über »volkstümelnd«-sozialrevolutionär bis bolschewistisch – begutachten und das intellektuell Reizvolle vom überwiegenden doktrinären und »irrenden« Ballast scheiden.
Gleiches gilt auch für eine rechte Kapital-Lektüre. Während die Linke 150 Jahre das Kapital selektiv studiert hat, indem sie auf das Werk durch feststehende ideologische Brillen blickte, je nachdem, welchem ideologischen Flügel man angehörte – ob man also, um nur zwei Denk- schulen zu nennen, in den elaboriert-esoterischen Diskurs-Labyrinthen der Wertkritik versank oder orthodox marxistisch-leninistisch Zugang suchte –, kann die Rechte auf direktem Wege zum Text selbst zurückkehren und mit ihm lernen. Da bisher keine fruchtbringende rechte Kapital- Lektüre stattgefunden hat, fehlen ideologische Mittler: Man müßte keine Dogmenverletzung scheuen, und das hieße, man könnte ohne tradierte Denkblockaden prüfen, was man verwerfen müßte, und nutzen, was man nutzen könnte.
Im 150. Jahre des Kapital Marx zu entdecken und einen (für die Rechte) neuen Denkkosmos zu erschließen, hieße beispielshalber, den Begriff der »industriellen Reservearmee« zu adaptieren. Marx sah ihr Entstehen durch die Überzähligmachung von Arbeitern begründet; hochaktuell ist dieser Topos in Zeiten der Masseneinwanderung Geringqualifizierter, und zugleich wird dies besonders virulent im Rahmen der Digitalisierung ganzer Industriezweige (vgl. Sezession 78). Auch die alte Formel Basis/Überbau läßt sich neu lesen: In Zeiten eines sich ausdifferenzierenden Kapitalismus (als der materiellen Basis der Gesellschaften) ist ein unterschiedlicher (ideologischer) Überbau möglich. Dieser muß der Basis zwar weitgehend entsprechen bzw. darf mit ihr in essentiellen Fragen nicht über Kreuz liegen, ist aber nicht gänzlich durch sie determiniert.
Das hieße konkret: Der Kapitalismus kann einen autoritär- partei»kommunistischen« Überbau (China) ebenso akzeptieren wie einen sunnitisch-wahabitischen Verblendungszusammenhang (Saudi-Arabien, Katar) oder einen autoritär-patriotischen Rollback (Ungarn), solange die »Produktionsweise des materiellen Lebens« (Marx) durch die Basis, die Gesamtheit kapitalistischer Strukturen also, vorgegeben werden kann.
Der liberale Fehlschluß
Es gibt im unvollendet gebliebenen Werk von Marx viel zu entdecken, das darauf wartet, für das 21. Jahrhundert und seine Herausforderungen nutzbar gemacht zu werden. Es spricht – wie ausgeführt – einiges dafür, daß die Rechte hier zukunftsorientiert und im Vergleich zur Linken unkomplizierter agieren kann.
Lediglich ein grundsätzlicher Fehler ist bei einer rechten Herangehensweise an Kapital und Oktoberrevolution zu vermeiden: Man hüte sich davor, mit der liberalen Faschismuskeule, der Hiebwaffe des bundesdeutschen Tugendterrors, auf Marx und den Marxismus einzuschlagen – was aber immer dann droht, wenn man etwa zu dicht entlang der Thesen Ernst Noltes operiert.
Dieser versperrte sich über Jahrzehnte der von Zeev Sternhell und anderen geleisteten Forschungserkenntnis, wonach der Faschismus auf einer Synthese basierte, die vorzugsweise zwischen einer Revision des marxistischen Sozialismus und einem dynamisch-modernen Nationalismus vonstatten ging. Weil sich dieser Grundsatz nicht adaptieren ließ, ohne eigene, ältere Leitmotive aufzugeben, zeigten Nolte und seine Schüler sich Jahre später baß erstaunt, daß es im Faschismus »linke« oder »moderne« Einflüsse gab, die sie bisher geflissentlich marginalisierten, weil sonst die Ur-These von den Faschismen als militanter Reaktion auf den Sündenfall der Oktoberrevolution gefallen wäre.
Nun aber partiell geläutert und auf der Suche nach neuen Invektiven »dem« Marxismus vorzuwerfen, ganz wie »der« Faschismus »regressive« oder »rassistische« Züge aufzuweisen, weil man in Marxens und Engels’ zehntausen- den Seiten Werk einige entsprechende Textstellen finden kann (zumeist in privater Korrespondenz), legt nahe, daß man, und sei es unbewußt, der liberalen Front gegen jedwede grundsätzlich ausgerichtete Alternative bei- getreten ist; einer Front, deren aparter Kern mal verschleiert, mal unverhohlen die Predigt von der Alternativlosigkeit der Kapitallogik ist, während sich linke wie rechte Gegenentwürfe aufgrund von kommunistischer Oktoberrevolution und faschistischer irregulärer Revolution von selbst desavouiert hätten.
Einer solchen Logik der Verächtlichmachung nichtliberaler Konkurrenz bei Verwendung politisch-korrekter Winkelzüge (vgl. Faschismuskeule) aber zu folgen, anstatt die zahlreich vorhandenen sachlichen Gegenargumente zu bemühen, hieße, die von den Liberalen jeder Couleur zur Herrschaftssicherung perpetuierte Dichotomie Liberalismus versus Totalitarismus (d. i. jedwede Abweichung von der »offenen Gesellschaft«) anzuerkennen. Man steckte dann so tief im zeitgeistigen Gedankengebäude des Bestehenden, daß daran auch keine neue Marx-Lektüre etwas ändern könnte.