Wie schreibt man über einen Krieg, der den Heldentod zur industriell abgefrühstückten Massenware machen musste; der vor einhundert Jahren auf eine Weise endete, die schon unter Zeitgenossen einen “zweiten Dreißigjährigen Krieg” beschwor? Wie schreibt man heute über das Blut der Gefallenen, in dem sich jedes Jahr sogenannte “Staatschefs” suhlen, wenn sie die Denkmäler derer, die schon länger hier liegen, als Bühnen für ihre globalistische Seifenoper nutzen?
Am besten vielleicht gar nicht? Vielleicht lieber in einen Gottesdienst gehen und für die Seelen der Abberufenen beten? Vielleicht eine Kerze anzünden an einem der Denkmäler, die es (noch) in fast jedem Ort gibt? Womöglich ist ja sogar der eine oder andere nach Warschau gereist, um Seite an Seite mit Kameraden aus ganz Europa vor Ort die polnische Unabhängigkeit zu feiern, oder aber er ist gerade deswegen zuhause geblieben, weil er die Kraft, die diese Überwindung für einen Deutschen kosten würde, besonders heute nicht aufbringen kann.
Wer weiß, vielleicht schreibt man sich auch lieber heiß für all’ die jungen Kerls aus den stolzen Nationen Europas, die mit einem Lachen auf den Lippen in ihr erstes und letztes Abenteuer zogen, beim Gedanken an die Familienväter die stoisch dem Ruf der Pflicht folgten, oder denen, die sich bis zuletzt ans Leben klammerten, weil sie sich im Schlamm der Schützengräben darum betrogen fühlten.
Man kann auch verfallen in den moralinsauren Tonfall der Pazifisten, wissend jedoch, dass ihre ewige Schwäche bleiben wird, dass sie einen guten Tod genauso wenig zu schätzen wissen, wie sich die nachträglich Kriegsbegeisterten in ihren warmen Stuben und Kneipsälen nicht vorstellen wollen, dass unzählige Helden unter den erbärmlichsten Qualen verreckt sind; zerfetzt von irgendeiner Kartätschengranate, die im Trommelfeuer nur unwesentlich weniger anonym ist als eine moderne Drohne, oder im Bann der Urangst erschlagen von einem angeschärften Klappspaten.
Einhundert Jahre sind auch eine lange Zeit; zwischen 1918 und 2018 liegt immerhin nochmal ein ganzer Weltkrieg, die deutsche Teilung und Wiedervereinigung und Aufstieg und Fall einer zweiseitigen Weltordung, die uns das heute unter der Oberfläche brodelnde Chaos hinterlassen hat. Einhundert Jahre also, in denen auch die Verbindung zu denen, die gefallen sind, strapaziert, verdünnt und vielfach durchgeschnitten wurde – wir leben in dem Jahrzehnt, das die letzten Soldaten des ersten Weltkriegs in die Ewigkeit heimgerufen hat.
Sie sehen vielleicht, werte Leser, so ganz mit mir im Reinen bin ich diesmal auch nicht. Aber, wenn ich in die Erde lausche, in der die Gefallen ruhen, dann weiß ich, dass ich die Hand meiner französischen, oder englischen Kameraden beim nächsten Treffen ein bisschen fester drücken werde, eingedenk der Tatsache, dass unsere Urgroßväter vielleicht aufeinander geschossen haben.
Was am Ende – auch heute noch – bleibt, ist das Opfer der Gefallenen, völlig losgelöst aus Zeit und Zweck als eigenes für sich selbst stehendes Fanal. Uns bleibt die Jugend von Langemarck, der Weihnachtsfrieden und der Unbekannte Soldat von Verdun – ein Bild, eine Erinnerung, ein gemeinsames Gewissen, das die Feinde der Völker niemals aus unserer Mitte reißen können, auch wenn sie es mit Pomp und Pathos, mit United Nations und Human Rights versuchen: Die Toten gehören ihren Völkern, nicht der Menschheit.
Tobinambur
Danke für den Beitrag. Der letzte Abschnitt ist ergreifend.
Ich habe diesen Sommer die Normandie besucht - all die Orte der Schlachten, deren Namen wir nur zu gut kennen, die Soldatenfriedhöfe... nach Völkern getrennt. Wenn dann - wie in Bayeux, einem britischen Soldatenfriedhof - auch einige deutsche Soldaten auf dem Friedhofsfeld ruhen, dann ist das immer bemerkenswert im wahrsten Sinne dieses Wortes. Es bringt den Geist auf die richtige Fährte, ganz im Sinne Ihres Artikels. Das wäre nicht der Fall, wenn diese Friedhöfe "bunt" wären und der "Menschheit" gehörten - ja, dann wären es wahrscheinlich längst vergessene Massengräber.