Insofern jedes verantwortungsvolle, also moralische Handeln auf innerem Zurücksetzen, auf Egoismusverhalt, mithin auf Maß, Verzicht und, ja, Demut gründet, der Ökonomismus als Betriebssystem der Gesellschaft aber die Fixierung auf das Mehr und auf Wachstum, Wachstum, Wachstum verlangt, mag gar ein unlösbarer Grundwiderspruch vorliegen.
Adam Smith, Hauptvertreter einer klassischen Ökonomie, verstand sich als Ethiker, aber die moderne Ökonomie ist mittlerweile weit über ihn hinaus, schon weil sie über eine ganz andere, dem Planeten ans Mark greifende Maschinerie verfügt. Zugestanden, es wird regelnd eingegriffen – u. a. über politische Regularien, Preise, Steuern und Gesetze.
Aber es kann, soll oder darf das grundlegende Prinzip der fortlaufenden Reproduktion auf Kredit – also aufs Zukunftsversprechen zum größeren Verbrauch hin – nicht gefährdet werden, was schon immer, mittlerweile aber exponentiell zu einem wahnwitzigen Ressourcenverschleiß führte, der offenbar unhintergehbar ist, weil sich jede nachwachsende Generation, die sich wiederum exponentiell größer, schwerer, breiter als die vorangegangene auswächst, ein Recht nicht nur auf den bisherigen Standard, sondern auf einen noch besseren, also etwa energie- und rohstoffintensiveren anmaßt.
Die Welt ist „verfügbar“; alle melden – gleiche Würde, gleiches Recht – einen Anspruch auf alles an, selbstverständlich gerade jene, die bisher keinen vollen Zugriff hatten. Und die, denen alles zur Verfügung steht, wollen nichts mehr reduzieren. Der Soziologe Hartmut Rosa:
Es ist nicht die Gier nach mehr, sondern die Angst vor dem Immer-weniger, die das Steigerungsspiel aufrechterhält.
Effizienzsteigerung, Rationalisierung, Innovationsdruck, überhaupt Beschleunigung gelten als unverhandelbar, weisen sich kurzfristig als Fortschritt aus; aber mit gesteigerter Dynamisierung nehmen die Kontingenzen zu. Erhöht sich die Drehzahl der zahllosen Räder, dann crasht das System unweigerlich, und abgesehen vom nicht mehr zu beherrschenden Tempo wird es durch seine Komplexität anfälliger.
Ist diese mephistophelische Dynamisierung Teil der „conditio humana“? Und: Kann die Moral da mithalten? Die DAX-Linie muß immer nach oben weisen. Sonst werden, heißt es, die Märkte nervös. Und wenn die erst nervös sind, dann gnade uns Gott! Lineares Denken: Wo endet der Zeitstrahl der Menschheitsgeschichte? Ferner gerückt ist dieses Ende nicht, sondern näher. Wird es sich um eine Erlösung handeln?
Der chinesische Wanderarbeiter wünscht sich genau jenen Aufstieg, den der Proletarier des Manchesterkapitalismus sozialgeschichtlich längst absolvierte, vom tuberkulösen Lohnsklaven im Pauperismus zum feisten, rundum versorgten Gewerkschaftler des „Wohlfahrtsstaates“. Ein anthropologisches Gesetz? Vermutlich ja, ein Selbstläufer der „progressiv“ genannt wird, was letztlich aber zu einer Selbstverdauung des Lebens führt. Unausweichlich?
Der sahelafrikanische „Flüchtende“ flüchtet entgegen üblicher Legenden nicht zuerst mit Richtung auf Freiheit und Demokratie, sondern zum Super-Markt, den er erreicht hat, sobald er Weltbürger für die Weltkonzerne geworden ist. Und all die Wohlmeinenden sehen ihre mitmenschliche Pflicht darin, ihm – Um Gottes willen! – dabei zu helfen, zumal seiner Herkunftsregion selbst mit jahrzehntelanger Entwicklungshilfe nicht zu helfen war.
Verursacht wiederum davon, daß die korrupten Chiefs seiner bisherigen Regierung ihre Karriere zum Weltbürger über eine unredliche Akkumulation von westlicher Entwicklungshilfe betrieben. Und weil es am Fuße der Bevölkerungspyramide immer mehr und mehr wurden, die ein Recht auf Bedürfnisbefriedigung beanspruchen. Wenn das in der Heimatregion nichts wird, dann auf ins gelobte Land. Sie wollen endlich zugreifen, und der Markt will auf sie zugreifen.
Das Christentum wird gegenwärtig nur zu gern als eine „Religion der Flüchtenden“ dargestellt. Wohin floh die Heilige Familie des Matthäus-Evangeliums? Fort von der Bedrohung durch Herodes. Sie suchte nicht den Super-Markt, selbst nicht jenen, den es damals schon gab.
Das ist im weitesten Sinne eine politische Flucht. Aber mittlerweile ist alle Politik ausschließlich ein Marktplatz, auf den der verwurstete Planet feilgeboten wird. Die Reise geht zu den vollen Fleischtöpfen; der Tanz ums goldene Kalb läuft so exzessiv wie nie.
Nach der „Teilhabe“ daran suchten genauso die einstigen DDR-Bürger, denn sie blieben Jahrzehnte „vom Markt“ abgeschnitten. Einblicke erlaubten allein Westfernsehen und „Intershop“. Ja, es heißt, sie waren vielmehr auf dem Weg zu Menschenrecht, Freiheit und Demokratie, es ging ihnen primär um ihre Würde, um freie Entfaltung ihrer Vernunft, um Menschen- und Bürgerrechte.
Nur waren selbst die subversivsten nickelbebrillten Bürgerbewegten recht schnell befriedet von dem Angebot, auf das sich „der Westen“ hauptsächlich verstand und das ihn schon jahrzehntelang über die Mauer hinweg glänzen ließ: Konsum!
Schon der ärgerlichere Bordeaux aus den unteren Regalmetern, saure Hektoliterware, mundete besser als der verschlackte bulgarische Cabernet, den man vorher in Pfarrers Garten beim Ersinnen neuer Utopien genoß. Und dabei blieb es. So wie sich die Discounter füllten, leerten sich die Kirchen.
Zum Kern: Wo es zuerst um den Verbrauch, den Verschleiß, das äußere Wachstum und also den Gewinn geht, da hat es Moral per se schwer, obwohl sie immer lauter und lauter deklariert und beschworen wird. Die Linken und Grünen moralisieren mehr als jede andere politische Fakultät, befleißigen sich aber nicht minder einer „imperialen Lebensweise“ (Ulrich Brand, Markus Wissen), für die der Boom des SUV stehen mag.
Konservatismus, sollte es ihn tatsächlich heute noch geben, bedarf der Beschränkung, fordert die Umkehr, setzt ein, was selten wurde, weil es viel kostet, nämlich die Haltung. Die mag darin liegen, nach wie vor Ehrfurcht zu empfinden vor der Schöpfung, die man eben nicht verwursten darf, sondern zu bewahren hat.
Oft genug steht der Konservative gerade hier auf verlorenem Posten: Eben nicht zu moralisieren, sondern – und sei’s im Als-ob – selbst beim als richtig Erkannten zu bleiben, obwohl es rundum in die Irre geht. Was tröstet? Mindestens der sachliche Blick, mindestens aufs Politische, stoisch, manchmal zynisch.
Laurenz
Nachts ist es kälter als draußen?
Christentum und linke Ideologie sind ein - und dasselbe. Sie dienen dem Regime-Change und folgendem Totalitarismus. Selbst der Moslem kann sich dem nicht entziehen.
Konservative benötigen, laut Herrn Bosselmann, Wohlstand. Denn nur der Wohlhabende kann Verzicht üben, Konservatismus ist also nix für arme Besucher von Discountern.
Dem christlichen Virus kann sich wohl keiner entziehen, auch der hart gesottene Heide nicht. Selbst Genosse Stalin schaffte das nicht. Allerdings ist das Phänomen nicht global. Es gibt resistente Arten. Die erfolgreichste Ideologie auf dem Planeten ist die Bilanzierung nach IAS.