Ein Menschenbild, das gegenwärtig beinahe von Staats wegen nicht mehr in Frage gestellt werden darf. Diesem verordneten Leitbild umfassender Gerechtigkeit und Antidiskriminierung nach ist allen Menschen per se alles möglich, wenn man ihnen nur gefällige Umstände einrichtet. Es handelt sich wesentlich um eine in Rousseau gründende Anthropologie, die den Menschen – zumal den Heranwachsenden – als prinzipiell gut oder generell nur gut aufzufassen meint.
Böses oder Problematisches eignet ihm prinzipiell nicht, sondern gilt allein als Folge gesellschaftlicher Umstände. Sie allein benachteiligen. Ändert man sie, ändert man den Menschen weiter zum Positiven, zum Gesunden, insofern er dann zu seiner eigentlichen Natur, seinem guten Wesen, zurückfindet. – Alle Utopien zur Heranbildung des „neuen Menschen“ gründen in dieser so einseitigen wie gefährlichen Annahme; folglich scheiterten sie sämtlich tragisch. Offenbar kann sich die Politik nicht von der fatalen Träumerei lösen, das Wesen des Menschen in Richtung auf ein umfassendes Heil zu verbessern, an dem dann kein Fehl mehr ist.
Dieses im Grundformat rousseauistische Menschenbild, diametral der Auffassung Arnold Gehlens vom Menschen als „Mängelwesen“ und der daraus resultierenden Notwendigkeit kompensierender Institutionen entgegengesetzt, verklärt den Einzelnen nicht nur, sondern behindert die Entwicklung von Leistungsorientierung, Selbstüberwindung und Anstrengungsbereitschaft, insofern davon ausgegangen wird, der Mensch bringe von sich aus alles mit, Bildung müsse ihm nur etwas zureichen, wonach er von selbst zu seiner Entwicklung verlangt, abgesehen davon, daß sein Charakter per se gut wäre.
Das Lernen könne, ja müsse ausschließlich freud- und lustvoll geschehen. Grenzen zu setzen wäre problematisch. Sie aufzugeben führt jedoch zu problematischen Entgrenzungen, die Individualentwicklung und Zusammenleben gefährden.
Einzusehen wäre hingegen von neuem, daß das Kind eben nicht nur gut, wertvoll und herzig ist, sondern einer fürsorglichen, aber konsequenten Erziehung bedarf, die es erst zum Kulturwesen bildet. Forderungen zu stellen darf nicht mit Diskriminierung verwechselt oder als solche stigmatisiert werden. Faßt man Diskriminierung jedoch im Wortsinne auf, so ist sie sogar erfordert, als notwendige „Unterscheidung“ nämlich.
Man gebrauche dieses Wort nicht in der Weise von Kränkung, sondern im Luhmannschen Sinne als systemtheoretischen Leitbegriff, man habe also den Mut zu Unterscheidungen. Pädagogisch gehandhabt führen klare Unterscheidungen aus der Einheitsschule heraus und offenbaren das Erfordernis unterschiedlicher Bildungswege. Sie führen nicht zu Benachteiligungen, sondern versuchen, der naturgegebenen Disparität von Menschen Rechnung zu tragen.
Menschen sind ihrem Wesen, den Anlagen und Prägungen sowie ihrem Charakter und ihrem kognitiven wie sprachlichen Vermögen nach verschieden. Sie zum allergrößten Teil in einer Schulart zu unterrichten, dem zur neuen Gesamtschule aufgeblähten und damit im Wert herabgesetzten Gymnasium, karikiert das Anliegen dieser einst höchsten schulischen Bildungseinrichtung ebenso wie es die meisten Gymnasiasten überfordert, jedenfalls dann, wenn man an das Abitur, die Hochschulreife, noch einigermaßen traditionelle Anforderungen stellt.
Die vergleichsweise wenigen Schüler wiederum, die selbst nach umfassender Öffnung des Gymnasiums immer noch als nicht abiturabel gelten, finden sich zu oft in „Restschulen“ wieder, in denen guter Unterricht in der Sekundarstufe kaum mehr möglich ist, weil einfach gute Schüler fehlen. Hier wird je nach Möglichkeit noch erzogen, aber kaum mehr gebildet. Die Inklusionskampagne, wiederum ideologischen Vorstellungen folgend, mutet diesen schwierigen nichtgymnasialen Schulen zudem die Integration der früheren Sonderschüler und die wachsende Zahl jener mit Verhaltensstörungen zu.
Bildung, die es mit verschiedenen Eignungen ernst meint, muß selektieren, idealerweise frühzeitig. Eine modern verstandene Dreigliedrigkeit – seit Jahrzehnten verteufelt – wäre ebenso angemessen wie die Beibehaltung der Sonderschulen, die über Jahrzehnte eine hervorragende Arbeit leisteten und in sich für eine erfolgreiche Inklusion sorgten. Gute integrative Gesamtschulen gibt es derzeit eher nur noch in freier Trägerschaft oder privat, weil dort Kinder vorzugsweise kultivierter Elternhäuser ausgebildet werden, die sich mit einer Schulidee identifizieren, die einfühlsame Erziehung mit echter Befähigung verbindet.
Es bedürfte neu einzurichtender Haupt- und Sonderschulen, deren Besuch gerade nicht „diskriminiert“, sondern eine solide Bildung für künftige Handwerker und Arbeiter bereithält, die dort praxistaugliches Wissen erwerben. Ebenso könnten neue Realschulen wieder Realien vermitteln und Heranwachsende für Tätigkeiten im gesellschaftlichen Mittelbau vorbereiten, ohne daß diese Aspiranten für eine normale Lehrstelle durch das Gymnasium hindurch müßten, mithin etwa für die Verwaltung, für den Handel und Banken, für medizinische Facharbeit und für durchaus qualifizierte Bereichsleitungen, bspw. in der Pflege.
Das Gymnasium bliebe so echten Talenten vorbehalten, die einer wissenschaftlichen oder Lehrtätigkeit entgegensehen. Alle Abschlüsse sollten wieder redlich erarbeitet anstatt über stetige Senkung der Anforderungen und Entwertung der Zensur lediglich zuerkannt werden, was gegenwärtig die Folge hat, daß allzu viele das Studium und sogar die Lehre abbrechen.
Erst die eigene Bewährung macht Schüler stolz auf das Erreichte und sichert so Selbstvertrauen und Souveränität. Grundsätzlich sollte zur Haltung erzogen werden. Dieses Begriff fehlt in der Bildungsforschung übrigens völlig. Er meinte einst das charakterliche Format, mit erprobten ethischen Werten in einer Weise des Trotzdem zu bestehen und durchzuhalten, wenn es im Leben schwierig wird. Neuerdings ist viel von Resilienz die Rede. Wie alle Modewörter verdankt auch dieses seinen häufigen Gebrauch dem sicheren Eindruck, daß das so Bezeichnete in der Wirklichkeit längst fehlt: Widerstandkraft ist selten.
Zugegeben, an den sogenannten Gymnasien fühlen sich zahlreiche Schüler im Streß und überfordert, aber das liegt zum einen daran, daß nun mal häufig die Falschen und überhaupt allzu viele zum Abitur drängen, zum anderen sind die Stressoren meist hausgemacht, wenn allzu enge Stoffeinheits- und Klausurpläne sowie überhaupt der Kalender wichtiger wurden als die ruhig besonnene und Konzentration schulende Vermittlung und das geduldige, aber gründliche Üben von Inhalten.
Insbesondere dürfte es allerdings schwierig sein, die Lehrer in deren Ausbildung und Praxis auf die neue Redlichkeit einer am inhaltlich Substantiellen wie an werteorientierender Erziehung orientierten Schule einzustellen, arbeiten doch bereits mindestens drei Lehrergenerationen, die selbst ein Bildungssystem sehr fragwürdiger Werte und Erziehungsauffassungen durchliefen. Sie sind – ganz im Gegensatz zu den Schülern – direkt mitverantwortlich für die Krise der Schule. Schon lange werden nicht unbedingt die besten Abiturienten und Studenten Lehrer; gegenwärtig sogar immer weniger, und gerade an nichtgymnasialen Schulen fehlen die starken Persönlichkeiten, die dort gebraucht würden, um Unterprivilegierten Orientierung zu geben.
Es bedürfte keiner weiteren Reformen und Reförmchen, da erforderliche Korrekturen nicht evolutionär, sondern nurmehr revolutionär vorstellbar sind. Dazu brauchte es jedoch eine prinzipielle kulturelle Wende, wie sie erst aus einem Krisenbewußtsein erfolgt, das erkennt, wie reformunfähig das System erstarrt ist. Es tröstet sich allein noch mit selbsterfüllenden Prophezeiungen, für die es aufwendig „Bildungsforschung“ betreibt, die zu Ergebnissen gelangt, welche jeweils schon intentional in den Ansatz der „wissenschaftlichen“ Zielstellung gelegt wurden. Man lese das in Poppers Wissenschaftstheorie nach. Selbst teure Investitionen wie der „Digitalpakt“ ändern nichts am korrekturbedürftigen Betriebssystem.
Inhalten und echten Befähigungen, vorzugsweise hinsichtlich des sicheren Könnens von Schreiben, Lesen und Rechnen, müßte wieder der Vorzug gegenüber der Methode und den mehr suggerierten als tatsächlich ausgebildeten „Kompetenzen“ zukommen. Das Wie sollte dem Was folgen, nicht umgekehrt. Schule ist zu sehr an Akte unsystematischen Machens und bloßen Meinens gewöhnt. Wirksames Bilden, letztlich bis zum Vermögen qualifizierten Urteilens, wäre nur sehr schwierig wiederzubeleben, würde dann jedoch die lediglich noch quantifizierende Schule erfrischen und das Bewußtsein wecken, daß es wieder um etwas geht, nämlich um umfassende Persönlichkeits- und Herzensbildung.
Kinder wollen ganz natürlicherweise etwas leisten und gefordert statt nur gefördert sein. Mit solcher Forderung – nach dreigliedriger Leistungskategorie – zöge wieder Leben ein in den Schulen, die derzeit eher Orte politischer Liturgien zur Beschwörung eines Wunsch-Menschenbildes sind.
Selbstverständlich kommen kleinere Klassen und mehr sowie gut ausgebildete Lehrer jeder Schule zugute. Es geht nicht um stressiges Leistungsdenken, sondern im Gegenteil um mehr Muße, mit der Wesentliches gründlicher und nachdenklicher verinnerlicht werden kann.
Und es geht gerade um die Gegengewichte zu einer hektischen Alltagskultur, also um Übungen im Handwerk und in der Technik, um den Schulgarten, um Handschrift, um Kunst, um Musik, um Chorsingen und Sport, Fächer und Bereiche, denen – wenn möglich – mehr Platz im Stundenplan zukommen sollte.
Erzieherisch gilt es, bewährte Werte erlebbar zu machen: Zugewandtheit, Einfühlung, Verständnis, Liebe zur Natur, die mit Artenkenntnis beginnt, Bescheidenheit im Verbrauchen, durchaus Demut und Ehrfurcht, verbunden aber mit dem Mut, spätestens als Jugendlicher das zu vertreten, was nach kritischer Prüfung als richtig erkannt wird.
Und solange das nicht geschieht? Solange die dringend erforderlichen Veränderungen in der gegenwärtigen völlig durchideologisierten Bildungspolitik nicht erfolgen können? – Solange müssen verantwortungsvolle Lehrer eben mit genauer Selbstprüfung ihren eigenen Maßstäben folgen.
Die immer einfacher und versimpelter gehaltenen Prüfungsvorgaben – neuerdings gern im flott zu vermessenden Multiple-Choice-Verfahren – gefährden sie damit nicht, im Gegenteil, denn sie heben ihre Schüler sogar auf eine höhere Anspruchsebene; und zu fürchten haben sie mit gutem Unterricht nichts.
Dessen Ziele lassen sich immer vertreten, mal ganz abgesehen davon, daß die behäbige Bildungsbürokratie kaum Revisionsdruck ausübt, zumal sie ihren Ideen und politischen Kampagnen hingegeben ist.
Niedersachse
Meiner Meinung nach gehört das Schulsystem bundesweit vereinheitlicht. Warum sollte Bildung Ländersache sein? Wir hatten übrigens ein gut funktionierendes, dreigliedriges Schulsystem, bis 2004 sogar noch mit Orientierungsstufe. Letztendlich gilt aber: Jedes System ist nur so gut, wie es umgesetzt wird. Wichtige Thematiken sind die ethnische Zusammensetzung der Klassen und die vermittelten Lerninhalte. Ethnisch vermischte Schulklassen sind wohl kaum als passendes Umfeld für gutes und zielgerichtetes Lernen zu bezeichnen. Wenn dann noch in den Lehrplänen Frühsexualisierung, Genderbender und "Schreiben nach Gehör" die Hauptthemen sind, steht der Heranbildung des minderbemittelten, politisch korrekten Merkeljüngers nichts mehr im Wege.