die dezidiert und vehement noch Nation sein wollte.
Zu einer Zeit, als es die BRD gerade nicht mehr sein konnte, maßgeblich weil deren Jugend, verzärtelt von einem Luxus, den sie selbst nicht erarbeitet hatte, der radikalen Illusion einer alles nivellierenden Gerechtigkeits- und Multikultigesellschaft anzuhängen begann, ohne zu problematisieren, daß diese Umgestaltungen auf einem Ressourcenverschleiß basierten, der den ethischen Lippenbekenntnissen diametral zuwiderlief.
Deutschland sollte für diese neuen Hedonisten alles hergeben, ohne dabei noch deutsch zu bleiben. Alles Deutsche, ob geschichtlich oder kulturell, fand sich unter den Generalverdacht gestellt, für Faschismus und Nationalsozialismus prädestiniert zu sein.
Während die Westrepublik in Verbindung mit dem Weltmarkt mehr und mehr Bedürfnisse der zu Verbrauchern reduzierten Bürger erfüllte, verblieb die DDR zeit ihrer Existenz im Mangel, gerade weil er nicht durchweg selbst und nicht mal durchweg systemisch verursacht war.
Dieser Mangel hielt ihre Leute fit, körperlich wie geistig. Die Geburtenraten waren stabil; das Land erschien trotz ökonomischer Probleme und verfallender Innenstädte jung. Zudem blieb die abgeschottete DDR monoethnisch deutsch, ja provinziell, pflegte im „sozialistischen Vaterland“ die muttersprachliche Ausbildung der Heranwachsenden und widmete sich überhaupt aufmerksam einer sehr soliden „polytechnischen Bildung“ in „Schlüsseltechnologien“ – mit dem Ziel, in einer „Systemauseinandersetzung“ ingenieurtechnisch zu obsiegen. Hier ein eindrucksvolles und sehr aufwendig gearbeitetes Feature dazu.
Mitunter kurios wirkend und vom Westen diskriminiert und belächelt, hielt die DDR an ihrem bisweilen verbissenen Patriotismus fest. Und wenn der – wie im Leistungssport – des Dopings bedurfte, so setzte sie es eben ein. Sie verhielt sich in ihrer Not auch in anderer Weise clever, gerade wenn ihr die Sowjetunion wirtschaftliche Probleme aufbürdete.
Es mag komisch anmuten, welche Lieder gesungen und welche Gedichte rezitiert wurden, aber es wurden eben Lieder gesungen und Gedichte rezitiert. Und das kulturelle Erbe der reichen deutschen Geistesgeschichte hielt dieses Land schon deswegen hoch, weil es, sehr vermessen, sich nicht nur in dieser großen Tradition sehen, sondern sogar deren Vollenderin sein wollte.
Daß Weimar nun mal in der DDR lag, paßte ihr sehr ins Konzept. Man vermag diesen Anspruch nachzuvollziehen, wenn man sich die „Kinderhymne“ von Johannes R. Becher und Hanns Eisler ohne innere Überheblichkeit anhört. Ein anders Lied, in der DDR ebenfalls dauerpräsent, mutet heutigen Hörern in seinem Heimatbezug geradezu romantisch an, galt aber DDR-Hineingeborenen in seiner Aussage als selbstverständlich.
In gewisser Hinsicht – Schlichtheit, Verbindlichkeit, Pflichtgedanke – kann die DDR vielleicht gar als eine Karikatur Preußens gelten. Und sie übernahm eine vom Nationalsozialismus disziplinierte und militarisierte Arbeiterschaft, die die Stalinisten für sich rekrutierten, während im Westen weit mehr als die „freiheitlich rechtliche Grundordnung“ der forcierte Konsumismus – einerseits in Gestalt der „Wegwerfgesellschaft“, andererseits als adipöser Übergewichtskapitalismus – einen selbstgerechten Zusammenhalt im Überlegenheitsgefühl gegenüber den armen und sonderbaren Vettern im Osten ermöglichte, die ihre Lebensmittel noch in braunes Packpapier einschlugen und die den „Super-Markt“ nicht kannten. Ihnen schickte man Pakete mit Discounterwaren, sah sich als Gönner, hatte die Verwandten ansonsten aber grundsätzlich aufgegeben. Schon für Adenauer begann Asien an der Elbe.
Kaum jemand rechnete damit, daß es zuerst diese anderen Deutschen sein würden, die „in die Sozialsysteme“ einwanderten, so wie es in den letzten Kriegsjahren und kurz danach schon mal die eigentlichen Ostdeutschen – die etwa zwölf Millionen Pommern, Ostpreußen, Schlesier, Sudetendeutschen u.v.a. – gewesen waren, die im verbliebenen territorialen Restbestand zwangläufig eine neue Heimat zu finden versuchten, damals ähnlich als Fremde beargwöhnt wie später die Mitteldeutschen aus der DDR.
Daß viele Westdeutsche die DDR über Jahrzehnte als Feindesland angesehen hatten – wie auch umgekehrt -, das wurde allzu schnell vergessen. Sehr populär zudem der Irrtum, daß in Hamburg die genuinen Demokraten, elbabwärts in Dresden aber die politisch Ungebildeten lebten.
Man vergaß, daß die Linie zwischen beiden einfach von der Reichweite des sowjetischen Angriffs bestimmt gewesen war und nichts mit der Indoktriniertheit der einen im Vergleich zu Liberalität der anderen zu tun hatte, obwohl aktuelle Publikationen genau dies sogar nahezulegen versuchen und den Osten von jeher als Träger eines reaktionären Prinzips identifizieren möchten.
Die DDR wollte, bei aller ideologischen Überfrachtung, die besseren Ingenieure und Techniker hervorbringen, die dem Westen trotz dessen Ressourcen- und Weltmarktzugangs den Rang ablaufen sollten. Über der Sektion Informatik der TU Dresden hing das Transparent „Wir schlagen IBM!“. Daraus wurde nichts, klar, das mutet unfreiwillig sogar urkomisch an, aber es lag nicht primär an mangelnder ingenieurwissenschaftlicher Qualifikation, sondern an einem von außen oktroyierten ineffizienten System und daran, daß der Westen über die Cocom-Liste Know-how blockierte.
Auch der Kalten Krieg war nun mal ein Krieg. Die USA gewannen ihn; die Sowjetunion verlor ihn. Mit dem Sieger waren die Westdeutschen auf‑, die Ostdeutschen mit dem Verlierer abgestiegen. Man kann das gut finden, mindestens erscheint es kausal zwingend; man sollte nur nicht vergessen, welche Kontexte und übergreifenden Zusammenhänge es gab.
Die DDR wollte Deutschland sein, und zwar sogar das bessere Deutschland, nicht zuletzt bestimmt von einem starken militärischen Wehrgedanken. Sicherlich, das alles mit sozialistischem Vorzeichen, wobei dieser „Sozialismus“ der sowjetischen Zwangsvereinnahmung geschuldet war, zudem verbunden mit der enormen Last fortdauernder Ausplünderungen und Tribute.
Zum anderen blockierte eine bornierte neustalinistische Nomenklatura erfolgversprechende Innovationen, die von Wissenschaft und Wirtschaft angeregt wurden. Aber es gab im Gegensatz zum Westen eine echte nationale Dynamik und im Mittelbau eine durchaus veritable geistige und wissenschaftliche Elite, die sich insgeheim der Sowjetunion und den „Brudervölkern“ gegenüber als überlegen ansah, weitgehend zu Recht.
Weil sie eine „sozialistische“ Nation sein wollte, kränkte die DDR-Führung nichts so sehr wie die Nichtanerkennung ihrer Staatsbürgerschaft durch die BRD. Ihr Ärger über die westdeutsche Nichtakzeptanz des Elbgrenzverlaufes in der Talwegmitte des Flusses paßt genau dazu. Jeder Meter war dem kleineren Deutschland wichtig, und zwar als der souveräne Staat, der es sein wollte, gegenüber der Sowjetunion aber nicht sein durfte und gegenüber der BRD nicht sein konnte, weil die sich – Noch! – als einzige deutsche Nationbegriff.
Mit den Geschehnissen der Wende waren die DDR-Bürger kurz die Helden. Mit der Währungsunion und Wiedervereinigung mußten sie sich jedoch als Teil der Konkursmasse im „Beitrittsgebiet“ verstehen und sich oberlehrerhaft erklären lassen, wie man richtig wirtschaftet, damit sich alles rechnet. Weil dies oftmals vormundschaftlich geschah, womit man von früher her nun mal ein Problem hatte, und weil man spürte, daß man die erhoffte Selbstbestimmung an die neuen Lokatoren mit dem dicken Zaster verlor, bildeten sich im Osten markante alltagskulturelle Reservate.
Der Vergleich mit den nach den Sezessionskriegen vom Norden dominierten Süden der USA ist mit Blick auf Verklärung und stille alltagskulturelle Resistenz nicht ohne Charme. Yankee-Ökonomismus und Rationalismus hatten zwar – wie stets – gesiegt, nur reichte das der Seele nicht. Ganz abgesehen davon, daß die DDRler erstaunt registrierten, in einem Staat angekommen zu sein, der sich mehr und mehr in einer „europäischen Integration“ aufzugeben bereit war und eben gerade keine Nation mehr sein wollte, sondern eine „bunte Republik“ im Kompromiß zwischen linksgrünem Neubürgertum und neoliberaler Wirtschaft.
Eine bunte Republik, überaus „tolerant“ gegenüber allen und jedem, ein Konglomerat aus Zuwanderung und selbsterklärtemWeltbürgertum, zudem u. a. auf französischen Wunsch erst die starke D‑Mark und damit die Regulierung der Währung und dann immer mehr sehr wesentliche hoheitliche Rechte, letztlich sogar jene über die eigenen Grenzen, an „Europa“ abtretend.
Irritierend ferner, daß man sich eben nicht in der „Leistungsgesellschaft“ wiederfand, sondern wiederum in einer Art Sozialismus, der vor allem in der Bildungspolitik, im „öffentlichen Dienst“ und in den immensen Sozialtransfers deutlich wurde.
Und schließlich erwies sich die Berliner Republik als zunehmend ideologisiert und versammelte sich vom Unternehmer bis zum Linken und Grünen unter der Leitpropaganda „Gegen rechts, gegen Nazis!“, oft genug in dem Verdachtsmoment, daß „der Nazi“ insbesondere im Osten hauste, während man im Westen dank Umerziehung und Sozialkundeunterricht längst alle wichtigen Lehren aus der Geschichte gezogen hätte.
Pegida in Dresden, Abwehrverhalten in Bautzen und Cottbus, das Erstarken der AfD in den ostdeutschen Ländern, all das hat durchaus mit einem eigenwilligen Milieu aus der untergegangenen DDR zu tun. Schnellroda auch. Gerade diese Wiedergängerei stiller, aber zäher Resistenz stört – und will stören.
MARCEL
Der Wille zum Überleben war und ist im Osten unseres Landes größer. Dort waren auch die Gewalterfahrungen am Ende des Krieges schlimmer. Wer das durch hat, ist gegen Naivität gefeit. Dieser Wille zum Überleben findet seinen Ort in einer alltäglichen Solidarität (in und trotz der Bespitzelung), die es im Westen so kaum gegeben hat. Konsum, Bequemlichkeit und Amerikas Waffen (und seine Leitbilder!) ließen das nicht zu, außer als "Seelen-Deko"im Hinblick auf die Fernsten dieser Erde.
Auf Tichys Einblick schrieb einmal jemand, dass Ostdeutschland, würde man es lassen, heute wohl zu den Visegrad-Staaten zählen würde.