»Kritik« im Titel meint nicht das Kritisieren dieses Vorganges – oder doch nur als zweiten Schritt –, sondern, ganz marxistisch, seine historischen Gründe unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Zusammenhänge aufzuklären und sie vom ideologischen Beiwerk – der die Migration als Kampfbegriff ummantelt – zu befreien. Die Methode hat Schwächen und Stärken.
Hofbauer gelingt es in groben Zügen – es mangelt ein wenig an belastbarem empirischem Material –, die im Migrationsprozeß versteckte und vermutete innere Kapitallogik aufzudecken und die Diskussion um einen oft nur stiefmütterlich behandelten Zusammenhang zu bereichern, aber andererseits blendet er andere Erklärungsmodelle weitgehend aus. Die in bestimmten Milieus als Heiliger Gral behandelte Theorie des »youth bulge«, des Jungmännerüberschusses und der schier demographischen Explosion von Gunnar Heinsohn etwa, wird noch nicht mal im Literaturverzeichnis erwähnt. Auch die Rolle der Medien, der Werthomogenisierung in hegemonialen Verhältnissen, der technischen Mobilität oder der globalen Infrastruktur wird nur peripher und funktional thematisiert.
Gleich zu Beginn räumt Hofbauer als Prämisse mit einer instrumentalisierten Fehlwahrnehmung auf. Auch wenn es Migration immer gab, ist Seßhaftigkeit doch die Norm, und zwar in überwältigendem Maße. Sie läßt sich auf einige Grundursachen zurückführen: Zerstörung der Subsistenz, Krieg, Umweltveränderungen, religiöse und politische Konflikte sowie soziale Verwerfungen. Sie wird nicht selten im Interesse des Kapitals initiiert.
Das läßt sich an der westlichen Migrationsgeschichte immer wieder nachvollziehen – bezeichnenderweise vergißt der Autor, die stalinistischen Umvolkungen auch nur zu erwähnen. Zudem scheint ein Kategorienfehler vorzuliegen, wenn Gastarbeiterwellen, die Migration im Zuge der Jugoslawienkriege oder der Wiedervereinigung mit der heutigen Lage verglichen werden.
Was immerhin allen gemeinsam bleibt, ist die Existenz von Push- und Pullfaktoren. Beide werden im Dienste der Kapitallogik hergestellt und auch ideologisch-medial abgefedert. Subtil werden im Zielland Begriffe verändert (Fremdarbeiter-Gastarbeiter-Integration), weniger subtil im Herkunftsland soziale Strukturen und mehr oder weniger funktionierende Ökonomien zerstört. Kritik wird als »Fremdenfeindlichkeit« zum Schweigen gebracht. Demokratische Legitimationen hatte es in keinem Fall gegeben.
Besondere Aufmerksamkeit im historischen Rückblick verdient natürlich »die große Wanderung der Muslime«. Auch hier sieht Hofbauer ein »ökonomisches Kalkül«, das mit den dürren Zweigen humanitärer Motivation bedeckt werden konnte. Einerseits wurden Schlüsselländer wie der Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien destabilisiert, innere Unruhen wurden »von außen dynamisiert«, andererseits ein soziales Netz vorbereitet und dessen Existenz medial – neue und alte Medien – in die Welt gesendet.
Jedoch: »Hinter der vordergründigen Menschlichkeit kam bald der deutsche Imperialismus zum Vorschein.« Solche Sätze machen die inneren Antagonismen des Buches deutlich. Ein klares, der reinen Vernunft geschuldetes Problembewußtsein wird mit einer kräftigen, wenn auch antiquierten Terminologie behandelt. Spannenderweise führt das mitunter gerade zur Dekonstruktion der linken Begrifflichkeit aus sich selbst heraus. Im letzten Drittel geschieht das dann auf abstrakter Ebene.
Migration ist ein Zeichen dramatischer sozialer Unterschiede. Diese sind dem kapitalistischen Wirtschaftssystem inhärent und werden z. T. auch bewußt verstärkt. In den Zielländern geht es darum, eine Reservearmee zu unterhalten, die entscheidend für die Lohnregulierung ist. Zudem benötige der globale Kapitalismus mobile Arbeitskräfte. Es gibt »vier kapitalistische Freiheiten – ungehinderter Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften«.
Dem kurzfristigen Gewinn stehen freilich langfristige Verluste sowohl in deren Herkunfts- als auch den Zielländern gegenüber, sie ist eine Entwicklungs- und Fortschrittsbremse. Hier ist sie innovationsfeindlich und zerstört das soziale Gleichgewicht, dort bluten Länder aus und werden an eigenständigen Entwicklungen gehindert.
Hofbauers Arbeit stellt ein Unikum dar. Weiß man vom blinden Fleck der Methodologie und der Sprache und sieht man von seiner zu engen Fokussierung ab, so hat man hier ein maßgebliches, per se zur Querfront einladendes Werk, das einen erfrischend anderen Blick auf das Phänomen der modernen Massenmigration wirft.
Hannes Hofbauer: Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert, Wien: Promedia 2018. 272 S., 19.90 € – hier bestellen
Laurenz
Die Besprechung ist gut, bis auf einen Satz. Zitat- Migration ist ein Zeichen dramatischer sozialer Unterschiede.-Zitatende .... Diejenigen, die aus anderen Kontinenten hier ankommen, gehören keinesfalls zu den sozial Schwachen in ihren Herkunfts-Staaten. Die sozial Schwachen kommen da erst gar nicht weg. Siehe hier .... https://youtu.be/KCcFNL7EmwY