Mein Exemplar strotzt vor Anstreichungen zu Beginn des Buches und ist blütenweiß am Ende. Das liegt, wie schnell klar wurde, an der Repetitivität des Buches. Rosa sagt Bedenkliches, ja sogar Bedeutendes, aber er sagt es immer wieder, in Variation zwar, aber doch durchschaubar. Erst zum Ende des unverschämt gut lesbaren Buches, das man in drei, vier Stunden durch hat, zieht er – etwas überraschend, aber erfreulich – die Schrauben noch einmal an.
Im Grunde versucht er sich an einer neuen Großerzählung, nur spielen weder Ökonomie, Produktionsverhältnisse, Ideologie, Begehren, Angst und andere Zentralbegriffe verbrannter Welterklärungen die zentrale Rolle, sondern die »Resonanz«. So lautete auch sein voluminöser Bestseller und Vorläufer des vorliegenden Titels. Das Moment der Verfügbarkeit stellt letztlich nur einen Teilaspekt jenes »Beziehungsmodus« Resonanz dar, den Rosa zum archimedischen Punkt erklärt.
Diese Perspektive leistet einiges, aber sie verstrickt sich auch in etliche Widersprüche. Sie macht zuvörderst das Falsche und Verkehrte des spätmodernen Lebens sichtbar.
»Unverfügbarkeit konstituiert menschliches Leben und menschliche Grunderfahrung«, die Moderne wiederum zeichnet sich durch das wachsende Versprechen der Verfügbarkeit (»Reichweitenerweiterung«) aus und zwar, wie Rosa in diversen Exkursen darlegt, auf allen Ebenen: individuell, kulturell, institutionell und strukturell. Der Pferdefuß an der Verfügbarkeit ist der veränderte Weltzugang der Menschen: die Welt begegnet ihnen als Aggressionspunkt, als to-do-Liste, als noch zu Erledigendes, noch zu Erlebendes. Das freilich verunmöglicht das wahre Erleben, sprich den Resonanzzustand. Resonanz ist unverfügbar, sie ist eine Gabe, ein Geschenk.
Das alles ist nun nicht neu, man kennt ähnliche Gedanken aus Philosophie, Psychologie und Theologie zur Genüge, Rosa aber nimmt für sich in Anspruch, soziologisch zu argumentieren, er meint, daß unsere Bezogenheit zur Welt nicht anthropologisch festgelegt sei, sondern von den »sozialen und kulturellen Bedingungen, in die wir hinein sozialisiert werden«, primär abhänge. Wovon allerdings die sozialen und kulturellen Bedingungen abhängen, wird uns nicht erläutert.
Stattdessen widmet sich der Autor den Dimensionen der Verfügbarkeit, ihren Paradoxien, ihrem Ideal (Resonanz), der Unverfügbarkeit von Erfahrung und Begehren, der modernen Verfügbarkeit im Laufe eines individuellen Lebens von Geburt bis Tod oder ihrer Bedeutung als institutionelle Notwendigkeit.
Das alles ist immer wieder so angelegt, daß der Leser einen Selbsterkenntniseffekt erlebt. Ein gelungener Blick in den Spiegel. Ein Verweisen auf die Hamsterräder, in denen wir alle laufen, die Glashäuser, in denen wir sitzen. Auch wenn sich Rosa zahlreich Unterstützung aus der großen weiten Welt der Philosophie holt, bleibt die Nähe zum New Age nicht unbemerkt.
Man könnte meinen, das Buch sei zu glatt, es fehle dem Verfasser an Mut, wirklich widerständig zu sein. Alles ist sauber in PC, keine Beanstandungen, nichts hat Vor- oder Nachteile, man legt nur wertfrei dar etc. Nur wenn man die leisen Töne vernehmen will, die blitzartig auf- und untertauchenden Äußerungen zu Heimat, Tradition, Abtreibung, Asyl oder die »unkontrollierbare Eigendynamik der Medien«, dann könnte man einen Kryptorechten vermuten. Aber psst!, das bleibt unter uns – man will schließlich keine Karrieren verbauen.
Nur ganz zum Schluß verrät er sich mit seinem ausgeprägten Kulturpessimismus, da möchte man ihn fast brüderlich in die Arme schließen: »Das Programm der Verfügbarmachung der Welt droht am Ende zu einer radikalen Unverfügbarkeit zu führen, die kategorial anders und schlimmer ist als die ursprüngliche Unverfügbarkeit …«
Noch ein bißchen mehr Mut, vielleicht noch ein Buch über die »Resonanz der Liebe« und Rosa hätte das Zeug, der Erich Fromm der Generationen X bis Z zu werden.
Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, Wien / Salzburg: Residenz Verlag 2019. 131 S., 19 € – hier bestellen