Maaßen referierte dann tatsächlich, aber er trug nicht dort vor, wo er erwartet wurde: nicht vor der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, sondern auf einer CDU-Abendveranstaltung im Wahlkreis des früheren Innensenators von Berlin, Frank Henkel. Per twitter bedankte sich Maaßen noch am selben Abend bei seinem Gastgeber und merkte an: “Wir schaffen die Politikwende”.
Zur selben Stunde gab es auf der Veranstaltung der Erasmus-Stiftung lange Gesichter: Die teils von weit her angereisten Teilnehmer erfuhren erst zu Beginn des Vortragsabends, daß nicht Hans-Georg Maaßen, sondern der aus dem Libanon stammende Regisseur Imad Karim referieren werde – zweifellos ein interessanter Mann, aber eben nicht Maaßen. Auch die Polizei, die den Zugang zum Veranstaltungslokal mit Absperrgittern und sechs Einsatzfahrzeugen absicherte, war offensichtlich über die Absage nicht informiert.
Viel Aufwand, lange Anreisen, Enttäuschung über einen entgangenen Clou: ein Maaßen-Referat im AfD-Umfeld, mit Beisein einiger Bundestagsabgeordneter und Teilnehmern aus den diplomatischen Vertretungen Polens und Kroatiens; vielleicht ein paar Details aus dem Innenleben einer aus dem Ruder laufenden Behörde, die ja unmittelbar nach Maaßens Abgang widerrechtlich und gegen jeden bisher angelegten Maßstab die AfD öffentlich zum Prüffall für den Verfassungsschutz erklärt hatte; ein geistiger Schulterschluß der Verhaßten mit dem Geschaßten.
Tatsächlich halten nicht wenige AfD-Leute Maaßen für einen aufrichtigen Beamten, der mit der notwendigen preußischen Kälte des Herzens und sozusagen jenseits aller Parteilichkeit umgesetzt habe, was Amt und Gesetz forderten. Die Frage, wie jemand gestrickt sein müsse, wenn er es unter der gegebenen Parteienkonstellation an die Spitze eines parteipolitisch mißbrauchten Inlandsgeheimdienstes geschafft hat, spielt bereits keine Rolle mehr.
Maaßen: mit so einem könnte man leben; Maaßen: das Opfer einer linken Intrige: Maaßen: hat keine Berührungsängste mehr. In der Tat: Berührungsängste vielleicht nicht mehr, jedoch: ein Berührungskalkül. Deshalb hielt ja auch Imad Karim einen Vortrag, und nicht Maaßen.
Bis hierher ist die Sache nicht mehr als eine typisch konservative Fehleinschätzung, ein typisch konservatives Schielen nach Anschluß an Mainstream-Figuren und Amtsträger aus der Mitte der Gesellschaft. Pikant wird die Angelegenheit indes aufgrund einer Tatsache, die noch am Abend durchsickerte und für Empörung sorgte: Die Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, hatte mindestens eine Woche vor der Veranstaltung bereits gewußt, daß Maaßen nicht kommen würde. Nur wenigen Mitgliedern der Stiftung teilte sie dies mit, alle anderen erfuhren vom geänderten Programm erst zu Beginn der Veranstaltung.
Dies alles wäre ohne besondere Bedeutung und könnte unter der Rubrik “schlechter Stil” abgelegt werden – wäre die Konstellation nicht so, wie sie sich derzeit darstellt. Und so bietet sich mit der Erwähnung dieses Details die Gelegenheit, auf einen Umstand hinzuweisen, der sich bereits jetzt negativ auf die AfD auswirkt und sich zu einem strukturellen Problem ausweiten dürfte, wenn sie zum zweiten Mal in den Bundestag eingezogen sein wird:
Die AfD arbeitet an entscheidenden Punkten mit Leuten zusammen, deren politische Reformvorstellungen nicht über das hinausgehen, was sich innerhalb der CDU in der WerteUnion versammelt hat. Und mehr: In der Desiderius-Erasmus-Stiftung lenken Leute die Geschicke, die entweder jahrzehntelang innerhalb der CDU als konservatives Feigenblatt dienten (exemplarisch: Erika Steinbach) oder noch immer Mitglied sind (exemplarisch: Max Otte). Otte bekennt sich zur WerteUnion.
Mit ihrer Doppelzugehörigkeit und mit ihrer Herkunft aus Zusammenhängen, die für den deutschen Sonderweg unserer Tage hauptverantwortlich sind, stärken diese Leute den Mut zum Bruch mit der CDU nicht, sondern verhindern das Ausprobieren und Einüben echt alternativer Verhaltenslehren und die klare Profilierung der AfD.
Für die Richtigkeit dieser These oder Vermutung sprechen gute Gründe:
1. Die WerteUnion wurde im März 2017 gegründet, also erst zwei Jahre nach dem für viele konservative Deutsche schockierenden Jahr 2015. Eine offene Rebellion gegen den Bruch geltenden Rechts an und hinter den offenen Grenzen Deutschlands gab es innerhalb der Union nicht, sondern nur außerhalb der Partei jener Kanzlerin, die den “Staatsstreich von oben” erst in Gang gesetzt hatte.
Wer heute noch in der Union Mitglied ist und diese Partei für reformierbar hält, ist zu echt alternativen Schritten nicht in der Lage und für eine alternative Politik nicht zu gebrauchen. Er wird stets mit denjenigen auskommen müssen, die mit Kurskorrekturen vergessen machen wollen, was in den vergangenen Jahren geschah.
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2. Die programmatische Ausrichtung der seit einem guten Jahr aktiven WerteUnion ist in einem “Konservativen Manifest” niedergelegt – es ist als konservatives Minimum formuliert, das von etlichen liberal-konservativen AfD-Mitgliedern ohne Bedürfnis nach Verschärfung unterschrieben werden könnte.
Die Forderungen reichen von einer Einwanderungsobergrenze von 50 000 Migranten pro Jahr und einer restriktiven Auslese nach dem Bedarf an Fachkräften bis hin zu konsequenter Abschiebung illegaler Einwanderer. Integration reiche nicht aus, Assimilierung sei das, was man von den Migranten erwarte.
Man ist gegen die Vergemeinschaftung von Staats- und Bankenschulden in der Europäischen Währungsunion, will Familien und Steuerzahler entlasten, bekennt sich zur EU, ist aber gegen deren zentralistische Organisation und Führung. Im Bildungsbereich soll das Leistungsprinzip gelten, außerdem ist man bei der Besetzung von Stellen gegen Quoten und für die Eignung.
Dies alles klingt kompatibel und mag aus Sicht CDU-naher AfD-Mitglieder Koalitionsmöglichkeiten nahelegen. Vergessen wird dabei allerdings, daß dieser Entwurf (der entschieden nicht weit genug geht) innerhalb der Unionsparteien den rechten Flügel bildet, keinesfalls also Konsens ist und aufgrund dessen auch nicht als konservatives Minimum innerhalb der Union gelten darf.
Man blickt klarer, wenn man sich jenseits solcher Manifeste und Formulierungen das Verhalten in konkreten Situationen in Erinnerung ruft, etwa das knappe Dutzend bisher gescheiterter Versuche der AfD, mit den Stimmen anderer Parteien einen Kanditaten für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten durch eine Wahl zu bringen.
CDU und CSU haben in dieser unwesentlichen Frage wie stets auch in wesentlichen Entscheidungen zusammen mit den anderen Altparteien eine Allianz gebildet und der Alternative das ihr Zustehende verhindert. Sie hat das nicht als hermetischer Block getan, aber der Anteil derer, die für den AfD-Kandidaten stimmten, war wohl ebenso groß wie die Bedeutung der WerteUnion für die Gesamtpartei – nicht ausreichend.
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3. Die Schlußfolgerung des Manifests ist eine Loyalitätserklärung:
Die WerteUnion möchte diese Ziele gemeinsam mit ihren Mutterparteien CDU und CSU vorantreiben. Hierfür halten wir es für notwendig, dass unsere drei Säulen des Markenkerns die konservative, die wirtschaftsliberale und die christlich-sozialewieder an Profil gewinnen. Die Union muss hier für Persönlichkeiten aufbauen, die diese Flügel durch ihr Auftreten glaubhaft vertreten können. Angesichts der Etablierung einer Partei rechts von CDU/CSU ist insbesondere der konservative Flügel zu stärken und zu integrieren, statt ihn auszugrenzen.Die WerteUnion möchte ihren Teil dazu beitragen, dass CDU und CSU wieder zu erfolgreichen Volksparteien werden.
Dies ist die Langfassung jenes Tweets, den Maaßen an jenem Abend absetzte, als in einem anderen Stadtteil Berlins fünfzig düpierte, AfD-nahe Teilnehmer vergeblich auf ihn gewartet hatten. “Wir schaffen die Politikwende”, und zwar innerhalb des Altparteien-Kartells und sicherlich unter Auschluß derer, die tatsächlich eine Alternative für Deutschland formulieren und politisch umsetzen wollten. Wer nämlich, wenn nicht die AfD, soll durch eine WerteUnion ausgedünnt werden?
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4. Dies alles geschieht in einer Lage, in der in entscheidenden Punkten immer wieder die AfD gegen einen Altparteienblock von grün bis christdemokratisch und das langsam entstehende alternative Milieu gegen ein breites, zivilgesellschaftliches Bündnis aus Kirchen, Bezahlfunk, aufgefütterten Initiativen, Kulturszene und Bildungseinrichtungen antreten muß.
Daß dies zermürbend wirkt, steht außer Frage. Daß man auf diese Dauerinfragestellung mit Selbstverharmlosung reagieren kann, ist verständlich. Daß daraus aber die Hoffnung auf Verständnis und die Bitte nach Schonung resultieren, ist das Resultat schwacher Tage und das typische Verhalten schwacher oder berechnender Charaktere. Eines ist es aber auf keinen Fall: politisch. Denn in der Politik gibt es keine Schonung jenseits ausgekungelter Machtverhältnisse.
Die AfD ist noch längst kein akzeptierter Mitbewerber um Machtanteile, und ihrem Selbstverständnis nach ist sie auch nicht angetreten, um irgendwann als Krähe den anderen Krähen kein Auge mehr auszuhacken.
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5. Ein letztes: Der rasante, für jeden Gegner beängstigende, für jeden Sympathisanten befeuernde Vorstoß der AfD ist zum Stehen gekommen. Institutionen wie die WerteUnion, die als grundsätzliches Korrektiv innerhalb der Unionsparteien die Funktion des “Flügels” innerhalb der AfD kopierten, haben den Zweck, den beinahe abtrünnigen Mitgliedern und Wählern der Mutterparteien zu signalisieren, daß es sich lohnen könne, doch noch abzuwarten: Kommt es nicht bereits zu Rückwanderungsbewegungen, weg von der Alternative, hin zur reformwilligen Union?
Wem gehört im Falle des Falles die Loyalität derer, die irgendwo zwischen WerteUnion und libralkonservativer AfD platziert sind? Einer altgedienten Partei, deren Rolle als durchlässige Mauer gegen die AfD auch von den Medien und der Zivilgesellschaft begriffen und gefördert wird – die also den vor dem Dauerbeschuß Flüchtenden Rückkehr und Aufnahme in eine ruhigere politische Heimat anbietet? Oder einer neuen, alternativen Partei, die gegen die geballte Medien- und Gesellschaftsmacht auf ihrer grundsätzlichen, auch habituellen und verhaltensmäßigen Gegenposition beharren muß, wenn sie vorankommen will?
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Was nun? Mir ist keine andere Partei bekannt, die in ihrem recht bald sehr finanzkräftigen und damit sehr stabilisierenden Stiftungsvorfeld Leuten das Sagen überlassen hat, deren Loyalität nicht eindeutig, deren Gestaltungsmut nicht alternativ genug und deren Bewertungsmaßstäbe aus dem Establishment stammen.
Nicht jeder schießt dabei so deutlich übers Ziel hinaus wie David Berger, der (Kuratoriumsmitglied der Erasmus-Stiftung) in Artikeln und Tweets den vorsichtigen Kritikern seines politischen Kurses und seiner Angewohnheit, mit seiner katholisch unterlegten Homosexualität hausieren zu gehen, im Antifa-Stil zusetzt und ihnen Homophobie ebenso grundlos vorwirft wie Antisemitismus und totalitäre, eliminatorische Politikentwürfe.
Noch einmal: Was nun? Auf solche Dissonanzen hinzuweisen und die Grundaufstellung für falsch zu halten, bedeutet nicht, die Debatte abzulehnen oder unentschiedene Kantonisten aus den Strukturen fernhalten zu wollen. Mitmachen sollen sie, auf jeden Fall! Nur sollten sie nicht führen, nicht die Richtung vorgeben.
Denn die Alternative für Deutschland ist ihrem Selbstverständnis nach als Alternative zum Altparteien-Block gegründet worden. Sie ist die Alternative für Deutschland, und keine Variante der Union. Nur eine Variante zu sein, wäre zu wenig, das hätte man billiger haben können, das ist die Rolle der WerteUnion. Dort sammeln sich diejenigen, denen der Mut zur Alternative fehlt oder die manchmal laute Ungezogenheit des alternativen Verhaltenstrainings peinlich ist.
Wir nehmen Absatzbewegungen wahr. In solchen Situationen ist es schlecht, wenn man bei der ein oder anderen Säule nicht weiß, wo sie steht und was sie trägt.
Hier noch ein Filmchen zur Thematik. Solche Verknüpfungsreportagen üben maximalen Druck auf diejenigen aus, sich innerhalb der Unionsparteien wenigsten bis in die WerteUnion vorgewagt haben. Botschaft: Holt zurück, wen ihr zurückholen könnt, aber geht nicht zu weit …
Ein gebuertiger Hesse
Womit die Lage 2019 erneut in verantwortungsvoller Klarheit beschrieben wäre. Wer Augen hat, die sich nicht immer wieder aufs Neue schließen wollen, wird lesend begreifen - und handeln (und sei es nur, indem er das eigene Verhalten einer Prüfung unterzieht).