Rustikale Robustheiten zur Nacht
Wer als Städter mal wirklich das Glück hat, in etwas abgelegenere Gegenden zu kommen, der merkt: Der ländliche Raum und insbesondere das Dorf als eigener Organismus ist etwas, das offenbar allen Anbindungs‑, Integrations- und Partizipationsversuchen zum Trotz nicht ganz kontrollierbar wird. Zu urwüchsig, zu eigen und – zum Glück – von den großen, wachsamen Augen in den Redaktionen und Schaltzentralen der Metropolen lange Zeit nur wenig beachtet, fristen unzählige Gemeinden wie knorrige Gewächse ihr gemächliches Dasein in der Peripherie.
Wer in einer Großstadt lebt und einige Zeit auf dem Land verbringt, sei es in Bayern, in Mecklenburg-Vorpommern, oder in Sachsen, dem wird auffallen daß diese Regionen, gerade, weil sie sich in Charakter und Landschaft so unterscheiden, doch etwas gemein haben. Es ist eine bestimmte Art zu sprechen, es ist die (nahezu) Omnipräsenz von freiwilliger Feuerwehr, Fußballverein oder Kirche und Kneipe und allgemein eine verwurzelte Robustheit, die sich gern auch zur Grobschlächtigkeit verwächst.
Diese Robustheit der Dörfler wirkt wie eine Antithese zur Flexibilität jener alles stetig neu aushandelnden neuen Klasse aus den Ballungszentren der Welt, die sich am ehesten auf ihrem Sitzplatz im Flugzeug beheimatet fühlt. Sie hat Nachteile, weil sie polternd und unbarmherzig sein kann, aber aus ihr entspringt auch die Kraft und das Selbstbewußtsein jenes Vaters bei Jünger, der im entscheidenden Moment mit seinen Söhnen in der Tür auftaucht.
In der niederösterreichischen Gemeinde Dörfles (der Name ist Programm) ist genau dieser Fall eingetreten. Nachdem die elfköpfige Familie Abu El Hosna aus Palästina ein Haus in dem 300-Seelen-Dorf erwerben wollte, stellte sich die zuständige Grundverkehrskomission quer. Beziehungsweise, um es genau zu sagen, sie hatte “kein Interesse” daran, den staatenlosen Flüchtlingen eine Immobilie zu verkaufen.
Die Begründung der an der Entscheidung beteiligten Gemeinde ist auf den ersten Blick unspektakulär – das niederösterreichische Recht sieht einen Rechtserwerb durch Ausländer nur vor, wenn ein “volkswirtschaftliches bzw. wirtschaftliches, soziales oder kulturelles Interesse […] besteht.” Wie gering dieses Interesse ist, das bewiesen 100 Bürger (immerhin ein Drittel der Dorfbevölkerung), die sich in einer Unterschriftenaktion gegen den Zuzug der Großfamilie aussprachen.
Für die eigentliche Aufregung und das darauf folgende Interesse der österreichischen Öffentlichkeit sorgte indes ein zusätzlich beigefügter Passus:
“Es wird zu obigem Absatz noch angeführt, daß die unterschiedlichen Kulturkreise der islamischen sowie der westlichen Welt in ihren Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen weit auseinander liegen. Das zieht sich bis in ein gesellschaftspolitisches Leben.”
Die Folgen dieser Feststellung ließen nicht lange auf sich warten: Dem hysterischen Hüsteln in den Redaktionsstuben der österreichischen Medienschickeria folgten Verbalinterventionen migrantischer Sozialdemokraten und erste Fernsehteams mit schlauen Fragen und mitfühlenden Augen – viel mehr Aufmerksamkeit also für die kleine Gemeinde in der man an soviel Trubel offensichtlich “kein Interesse” hat.
Soviel Medienbuhei bleibt nicht folgenlos: Die sich arg diskriminiert fühlenden Abu El Hosnas überlegen inzwischen, ihre Traumimmobilie vor Gericht zu erklagen. Zu den Erfolgschancen kann ich nichts sagen, ich glaube auch nicht, daß sie wirklich in einen Ort ziehen wollen, in welchem sich jeder Dritte klar gegen sie ausgesprochen hat. Vielleicht findet sich in der nächsten Zeit ohnehin ein Speckgürteldörfchen um Wien herum, welches die Familie mit Kußhand zu sich einlädt.
Dörfles hingegen, so bleibt zu hoffen, kommt bald wieder zur Ruhe und kann so bleiben, wie ein Dorf eben ist: Rustikal, eigen und im richtigen Moment unhöflich genug.
eike
Hut ab, Herr Wessels! Nach den Komikern, die in der Karibik wohnen, endlich wieder würdige Sonntagshelden.
Ich hoffe die Niederösterreicher halten den zu erwartenden Sturm durch und
"Die sich arg diskriminiert fühlenden Abu El Hosnas überlegen inzwischen, ihre Traumimmobilie ..."
auf den Golan-Höhen zu erwerben.