Jedes Herrschaftssystem bringt einen ideologischen Überbau hervor, der mittels eines propagandistischen Apparats abgesichert wird. Viktor Klemperers legendäres Buch Lingua Tertii Imperii entlarvt die Wortmanipulationen des NS-Regimes.
Eine inhaltlich vergleichbare Schrift hat Ulrich Weißgerber für die DDR vorgelegt. Manfred Kleine-Hartlage seziert (durchaus in dieser Tradition) die Sprache der BRD in einer kürzlich neu aufgelegten Publikation. Seit kurzem ist »Framing-Manual« in aller Munde, mit dessen Hilfe betreutes Denken im systemkonformen Sinn medial forciert werden soll. Selten ist unverschämter versucht worden, eine Neuauflage des Orwellschen Neusprechs für die Gegenwart unter die Leute zu bringen.
Vor diesem Hintergrund wird der sich früh abzeichnende Erfolg von Alexander Kisslers Widerworte deutlich. Der Kulturjournalist spießt die in den letzten Jahren immer penetrantere Phrasendrescherei der Eliten ebenso scharfzüngig wie humorvoll auf. Jeder kennt die alles- und nichtssagenden Sprüche: »Wir schaffen das«; Migranten seien »wertvoller als Gold«; »das ist alternativlos«;»Menschlichkeit kennt keine Obergrenze«; »Heimat gibt es auch im Plural« und viele mehr.
Fünfzehn Plattheiten werden auf den Grad ihrer Abgedroschenheit hin analysiert. Kissler will die Phrasenerzeugung beendet sehen, um das Denken anzuregen und die Freiheit zu erhalten. Es ist nicht schwer zu belegen, warum solche Sprüche substanzloses rhetorisches Lametta beinhalten: »Wir schaffen das« – die berühmten drei Worte kreieren ein Kollektiv, das es nie gegeben hat, denn ein Großteil der Bevölkerung steht der Migrationspolitik kritisch gegenüber, hat es aber schwer, sich medial hinreichend zu artikulieren.
Weiter läßt sich beliebig füllen, was denn geschafft werden soll. Die Integration der Neuankömmlinge? Vielleicht, aber damit ist nicht klar, was konkret damit gemeint ist. Die Hoffnung der Regierenden und ihrer Helfershelfer in den Propagandazentralen liegt auf der Hand: Man muß nur ein und dieselben Plattitüden immer von neuem wiederholen, dann werden sie geglaubt.
Ungenauigkeiten und Widersprüche in den Aussagen werden gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Darstellungen wie die Kisslers können ein wenig dazu beitragen, daß die Fähigkeit zur Wirklichkeitsanalyse nicht ganz auf der Strecke bleibt. Dafür ist dem Ressortleiter des Cicero zu danken.
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+ Alexander Kissler: Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2019. 204 S., 18 € – hier bestellen
+ Die Besprechung von Felix Dirsch erscheint in der 91. Sezession (August 2019), die in wenigen Tagen ausgeliefert wird. Abonnenten erhalten das Heft zuerst; wer dazu stoßen möchte, sichert sich somit sein Exemplar – hier preisreduziertes Abonnement auswählen.
Laurenz
Die Lingua Tertii Imperii zu entschlüsseln, ist ja auch nicht wirklich eine besondere Kunst. Dazu braucht man nur lesen zu können. Welches Staatssystem nennt seinen Propaganda-Minister denn schon Propaganda-Minister?
Verschenkt das Buch des Großen Bruders zur Hochzeit der Bürger oder damals Volksgenossen? Ein Buch, in dem haargenau und haarklein, erklärt wird, wie Manipulation der Masse funktioniert und zu welchem Zwecke Begrifflichkeiten, wie Rasse, nicht nur einem Framing dienen, sondern tatsächliche Wirkung zeigen. Was nur verwundert, ist der unterschiedliche Erfolg der Framing-Systeme. Beim Genderismus greift sich die Mehrheit an den Kopf, anstatt den Protagonisten wie Pop-Sternen zuzujubeln.