Ihrem Ruf als politische Theaterbühne Europas macht die Alpenrepublik weiterhin alle Ehre: Der Wahlkampf für die außerplanmäßige Nationalratswahl im September läuft auf Hochtouren und neben dem blassen Hofer, der vor allem durch unnötige Distanzierungen und begriffliche Querschüsse auf sich aufmerksam macht, liegt der politische Fokus auf jenem Mann, der zur Gretchenfrage der ÖVP-FPÖ-Regierung wurde: Dem ehemaligen Innenminister Herbert Kickl.
Im Sommerinterview mit dem populären Privatsender “Servus TV” stellte er sich vor wenigen Tagen den Fragen des Moderators Fleischhacker, bereits zwei Wochen zuvor war er im Format “Fellner Live” zu Gast, wo er dem überraschend handzahmen Moderator Rede und Antwort stand.
Die Einschaltquoten waren jeweils hervorragend: Bei “Servus TV” folgte Kickl direkt auf ein einstündiges Interview mit Sebastian Kurz und lief ihm mit einem Sendrekord von 173.000 Zuschauern deutlich den Rang ab, sein Gespräch mit Wolfang Fellner gehört – neben den bisher drei Sendungen mit Martin Sellner – zu den populärsten Ausgaben der Sendung “Fellner Live”.
Dabei ist Kickl eigentlich kein typischer Publikumsliebling: Sein nüchternes, geradliniges Auftreten, der Anzug, den er eher wie eine Uniform, denn wie ein Kleidungsstück trägt und die wachen Augen die kaum aus der Ruhe zu bringend über eine Beamtenbrille schauen, sind quasi die stilistische Antithese zu jener Chimäre aus Vater und Schwiegersohn, die etwa Matteo Salvini darstellt, oder auch zum immer leicht am Trash vorbeischrammenden Vorzeige-HC.
Gemein hat er mit Salvini hingegen den Innenministerbonus: Mit einem ungeahnten Arbeitseifer nutzte er die wenigen Monate der Koalitionsregierung für eine starke und scharfe Innenpolitik, die besonders im Umgang mit der illegalen Ersetzungsmigration neue Maßstäbe setzte. Die Vorgabe, der er sich dabei verschrieb, war es wohl, die ihm letztendlich das Genick brach: Das Recht hat der Politik zu folgen, nicht umgekehrt.
In einer Zeit, die die universalen Menschenrechte zu einem religiösen Dogma erhoben hat, ist diese Aussage nichts anderes als eine Revolte, ja, eine Ketzerei – zumal, wenn sie mit jener entspannten Kälte vorgetragen wird, die das Markenzeichen des Extremsportlers Kickl geworden ist.
Wenig verwunderlich also, daß Sebastian Kurz, bzw. seine Berater, sich veranlaßt sahen, seine Abdankung (und Ersetzung durch einen ÖVP-Innenminister) zur Bedingung für das Fortbestehen der Koalition zu machen.
Ob das so eine gute Idee war, wird sich zeigen – die momentanen Umfragen zeigen eine FPÖ, die sich allmählich von der Regierungskrise erholt, schon die Europawahl fiel mit 17% wesentlich weniger dramatisch aus, als das von den Freiheitlichen teilweise befürchtet wurde. Kickl hingegen konzentriert sich auf dem Wahlkampf, für den ihm die aktuelle “Schredder-Affäre” sicherlich einiges an Munition und Motivation geliefert hat.
Die zwei von mir erwähnten Interview sind nicht im eigentlichen Sinne spektakulär, und doch beachtlich, zeigen sie doch einen Mann, der bereit ist, nicht nur zu verwalten, sondern auch zu regieren und dabei seinen mit gröberem Stil operierenden Kollegen in Italien oder auch Deutschland an Schlagfertigkeit und Selbstbewußtsein um nichts nachsteht.
qvc1753
Hm. Mit dem Satz „Das Recht folgt der Politik“ habe auch ich so meine Schwierigkeiten.
Menschenrechte sind, zumindest in Deutschland, unmittelbar geltendes Recht. Kein Dogma.
(Dogma im herkömmlichen Sinne versteht sich als unveränderbarer Glaubenssatz. Die Grund- und Menschenrechte sind aber Recht und kein Glaube).
Damit sind bestimmte Änderungen und Einschränkungen möglich, aber eben nur ohne den Wesensgehalt zu ändern.
Der Satz des österreichischen Innenministers kann, vermitlich auch vor dem Parteihintergrund, dann auch so verstanden werden, das die Politik das Recht bestimmt.
Dies wiederum verstösst gegen die Gewaltenteilung.
Gerne und ausgiebig kann man dann zwar über die Besetzung und Auswahl von Richterstellen sprechen.
So wie es das Beispiel Polen zeigt ist die Neubesetzung von Richterstellen am Verfassungsgericht so oder so ein Politikum.
Oder das Beispiel des Supreme Court in den USA, dessen Entscheidungen hochpolitisch waren und sind. Wie auch die Besetzung der Richterstellen.
Wesensgehalt der parlamentarischen Demokratie oder überhaupt westlich geprägter Demokratie ist der Erhalt der Unabhängigkeit der Justiz.
Das diese stets und immer politisch beeinflusst ist, alleine dadurch das Parteien und Parlamente in irgendeiner Form entscheiden müssen, das ist kein Grund die Justiz an die Kette der Politik zu legen.
Von Herrn Kickl in entsprechender Kälte und Unbedingtheit vorgetragen lässt in mir Zweifel aufkommen, ob dieser der Ansicht ist (seine) Politik muss in jedem Falle der Überprüfung durch Justiz standhalten.
Oder anders: es kann Österreich passieren, dass ein Innenminister der Ansicht ist, Gerichte oder Menschenrechte sind etwas, das notwendigen politischen Entscheidungen nicht im Wege stehen darf.
Man kann das aber auch so verstehen, das unveränderliche Menschenrechte der Politik nicht im Wege stehen dürfen.
Das ich so etwas zu Beginn des 21. Jahrhunderts einmal öffentlich ausgesprochen höre, das hätte ich vor 10 Jahren auch nicht geglaubt.