Paul Collier: Sozialer Kapitalismus!

Die Bücher des Entwicklungsökonomen Paul Collier von der Universität Oxford bestechen immer wieder mit einer Vielzahl an empirischen Belegen für die aufgestellten Thesen.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Wer die Poli­tik des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus zer­le­gen will, soll­te des­halb die dafür nöti­gen Fak­ten zur Migra­ti­on in Col­liers Arbeit Exodus (2014) nach­schla­gen. Wer sich hin­ge­gen fun­diert zur wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on Afri­kas äußern möch­te, kommt an Die unters­te Mil­li­ar­de (2008) nicht vorbei.

Sozia­ler Kapi­ta­lis­mus! ist eben­falls unver­zicht­bar, aber aus einem ande­ren Grund. Col­lier ent­wi­ckelt dar­in Wege, wie die geo­gra­phi­sche, sozia­le und glo­ba­le Spal­tung über­wun­den wer­den kön­ne. Haupt­säch­lich wid­met er sich dabei der Sinn­kri­se des rei­chen Wes­tens. Deren Ursa­che sei, daß sich »qua­li­fi­ka­ti­ons- und natio­na­li­täts­ori­en­tier­te Iden­ti­tä­ten pola­ri­sier­ten«. Hoch­qua­li­fi­zier­te hät­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten damit begon­nen, sich nur noch über ihre Bil­dung zu defi­nie­ren, wäh­rend Gering­qua­li­fi­zier­te wei­ter­hin »ihre Natio­na­li­tät stär­ker gewichten«.

Es gibt damit kei­ne gemein­sa­me Iden­ti­tät mehr zwi­schen Basis und Über­bau, wodurch einer­seits das Ver­trau­en der Men­schen in die Eli­te zusam­men­bricht und ande­rer­seits die Eli­te durch ihre gestei­ger­te Distanz alle Pflich­ten gegen­über dem Volk ver­gißt. Col­lier hält nun nichts davon, die­sen Spalt mit popu­lis­ti­schen Mit­teln zu ver­tie­fen. Er warnt aus­drück­lich vor Donald Trump, Mari­ne Le Pen in Frank­reich und der AfD. Viel­mehr hofft er, daß sich in der »müh­sa­men Mit­te« wie­der das Bewußt­sein für »Ver­bun­den­heit mit einem Ort« sowie sozia­len Pflich­ten herauskristallisiert.

Wie das gelin­gen soll, bleibt vage. Letzt­end­lich wäre Col­lier in Deutsch­land ein Kan­di­dat für die Wer­te­Uni­on der CDU, die auch trotz aller Ent­täu­schun­gen der letz­ten Jah­re noch an eine Hei­lung der Volks­par­tei­en glaubt. Die Sub­stanz sei­nes Buches liegt somit nicht in poli­ti­schen Emp­feh­lun­gen. Hier erweist er sich als naiv bis illusorisch.

Bril­lant ist aller­dings sei­ne Bestim­mung des Sozia­len im Kapi­ta­lis­mus. Wir den­ken dabei intui­tiv an die Umver­tei­lung in einem anony­men Sozi­al­staat. Skiz­ziert man die­se als einen mecha­ni­schen Vor­gang, wird damit jeder patrio­ti­sche Gehalt negiert, den eine öko­no­mi­sche Theo­rie not­wen­di­ger­wei­se bie­ten muß. Denn, so Col­lier: »Der Wunsch nach Zuge­hö­rig­keit und Wert­schät­zung ist genau­so fest in uns ein­pro­gram­miert wie das Bedürf­nis nach Nah­rung.« Aus die­sem Grund wur­den in der Mensch­heits­ge­schich­te Ego­is­ten frü­her oder spä­ter ver­trie­ben, was sich als eine Dro­hung gegen­über den aktu­ell herr­schen­den Eli­ten in Poli­tik, Wirt­schaft und Medi­en lesen läßt.

Col­lier plä­diert also dafür, das Sozia­le als aus­glei­chen­des Gegen­ge­wicht zum ratio­na­len, da Mas­sen­wohl­stand erzeu­gen­den, Kapi­ta­lis­mus zu sehen. »Sozi­al« bedeu­tet dabei für ihn das Bewah­ren der natio­na­len Iden­ti­tät als gemein­sa­mes Nar­ra­tiv sowie die Gegen­sei­tig­keit von Rech­ten und Pflichten.

Bezo­gen auf die geo­gra­phi­sche Spal­tung von Stadt und Land hei­ße dies, daß die Metro­po­len ihren Teil zur Stär­kung des länd­li­chen Raums bei­tra­gen soll­ten. Eine Abschöp­fung bzw. Besteue­rung der Agglo­me­ra­ti­ons­ge­win­ne sei dar­über hin­aus ethisch gerecht­fer­tigt, weil die hohe Pro­duk­ti­vi­tät der Städ­ter maß­geb­lich ein Resul­tat vor­an­ge­gan­ge­ner, kol­lek­ti­ver Inves­ti­tio­nen in die Infra­struk­tur sei. Col­lier hat hier­zu ein Steu­er­mo­dell ent­wi­ckelt, das Ein­kom­men und Wohn­sitz berück­sich­tigt. Es zählt zu den stärks­ten, kon­kre­ten Vor­schlä­gen des Buches und zeigt, wo sei­ne unnach­ahm­li­che Bega­bung liegt. Wie schon bei sei­ner Idee, ech­ten Flücht­lin­gen Städ­te in Hei­mat­nä­he auf­zu­bau­en, schafft er es auch dies­mal, der Poli­tik ein öko­no­misch durch­dach­tes Kon­zept vor­zu­le­gen, das eigent­lich nur noch umge­setzt wer­den müß­te, wenn man denn dafür Mehr­hei­ten gewin­nen könnte.

Paul Col­lier: Sozia­ler Kapi­ta­lis­mus! Mein Mani­fest gegen den Zer­fall unse­rer Gesell­schaft, Mün­chen: Sied­ler Ver­lag 2019. 320 S., 20 € – hier bestellen

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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