Er hielt sich nah an die zu verändernde Lebensrealität – insbesondere Afrikas.
In seinem jüngst erschienenen Band geht es nun um eines seiner Lebensthemen: Volkssouveränität als Voraussetzung für Ernährungssouveränität et vice versa. Amin wünscht sich eine genuin afrikanische Herangehensweise an afrikanische Widersprüche auf dem Weg zu einer multipolaren Welt handlungsfähiger Nationen. In seinem Fokus steht das Ziel einer flächendeckenden afrikanisch-bäuerlichen Landwirtschaft, deren Binnenpreise durch souveräne Nationalstaaten (mit starken Bauernbewegungen) festgelegt werden sollten – nicht vom Weltmarkt. Denn daß der von der westlichen Welt oktroyierte Freihandel in Afrika dazu führe, daß sich der Markt für Nahrungsmittelimporte aus dem Globalen Norden öffne, wobei afrikanische Landwirte mit ihren agrarpolitisch subventionierten und hochprofessionellen Konkurrenten aus dem Westen in keiner Weise mithalten können, ist für Amin ein Kernproblem.
Amins Weg besteht insbesondere darin, allen Bauern – der Bevölkerungsmehrheit Afrikas, aber auch Asiens, insgesamt 2,5 Milliarden Menschen – gleichen Zugang zu Land zu gewähren. Der jeweilige Staat (als Alleineigentümer des gesamten Bodens seines Territoriums) solle die bäuerliche Familie als Nutznießer einsetzen, in den Dörfern Verteilungsgerechtigkeit herstellen und qua Autorität garantieren. Die Bauern wären unmittelbare Profiteure ihrer eigenen Arbeit, die Produkte könnten sie in regionalen Wirtschaftskreisläufen frei verkaufen, der Staat würde durch geplante Ankäufe Mindestpreise ermöglichen und Kredite, Saatgut und Marktzugänge stellen.
Ohne diese und weitere Vorschläge zur fundamentalen afrikanischen Agrarreform an dieser Stelle diskutieren zu können, ist zweierlei festzuhalten:
Erstens hat Amin in zentralen Punkten recht: Afrika kann durch vermeintliche Wohltäterei des Westens niemals auf eigenen Beinen stehen; es müßte originär autochthone Wege finden, die zentrale Versorgungsproblematik als Schritt zur ökonomischen Gesundung des Kontinents in den Griff zu bekommen. Weiterhin ist Amin beizupflichten, daß der Boden einer Nation nie als veräußerliche »Ware« zu betrachten ist. Und auch Amins Fundamentalkritik der volksfernen und kapitalhörigen EU als »Instrument der Amerikanisierung Europas« in kultureller wie ökonomischer Hinsicht ist nicht viel hinzuzufügen.
Zweitens sind Mängel offenkundig. Amin kritisiert korrekterweise den neuen Imperialismus der »Triade« aus den USA, der EU und Japan, der für Verheerungen unterschiedlichster Art sorgt. Aber seine maoistische Prägung macht ihn blind für andere Akteure mit materiellen Interessen – allen voran China, das längst ein entscheidender Player ist. Auch Amins Afrika-Begriff ist problematisch: Der Kontinent ist in sich äußerst heterogen – ethnisch, religiös, kulturell. Amin suggeriert gelegentlich, hier hätte man einen mehr oder weniger einheitlichen Raum vor sich, für den es analoge Lösungsansätze gäbe. Doch allein im von Amin genannten westafrikanischen Binnenstaat Mali gibt es verschiedenste Ethnien und Religionen, der Staat ist schwach, Banden und Terroristennetzwerke stark, und neben der bäuerlichen Familie – dem Subjekt von Amins Theorie – gibt es ganze Landstriche, die noch von vorkapitalistischen Hirten und Jägern geprägt sind und sich derzeit Verteilungskämpfe mit seßhaften Bauern liefern, die bereits zu Hunderten Toten führten. Wie sollen da gar panafrikanische Lösungen aussehen?
Der Einwände ungeachtet empfiehlt sich die Lektüre Samir Amins für jeden politisch Aktiven hierzulande, der weiß, daß massenhafte Migrationsbewegungen nicht durch Stacheldraht und Frontex enden werden, sondern daß komplexe geopolitische und ‑ökonomische Lösungsansätze notwendig sind, die es Millionen von Menschen ermöglichen, ein Auskommen in ihrer Heimat zu finden. Amin bietet hierfür Denkanstöße.
Samir Amin: Souveränität im Dienst der Völker. Plädoyer für eine antikapitalistische nationale Entwicklung, Wien: Promedia Verlag 2019. 144 S., 17.90 € - hier bestellen
Brandolf
Herr Amin könnte ein nützlicher Verbündeter der Neuen Rechten in Europa, insbesondere für jene in den Mitgliedstaaten der EU, sein, denn sein Primärziel einer eigenständigen Versorgung der afrikanischen Staaten mit Nahrungsmitteln, Wasser und Energie würde aus langfristiger Perspektive zwangsläufig zu einer Minderung des Auswanderungsdruck in den afrikanischen Herkunftsländern und damit einhergehend zu einer Verringerung der Massenzuwanderung in die europäischen Zielländer der interkontinentalen und in der wirtschaftlichen Ungleichheit begründeten Armutswanderungsbewegungen führen.
Die afrikanischen Strategen einer auf Selbstversorgung ausgerichteten Entwicklung und die europäischen Souveränisten sowie die US-amerikanischen Anti-Interventionisten (Trump-Anhängerschaft) müssten sich demnach gegen die neoimperialen Transatlantiker verbünden.
Die von ideologisch marktradikal-globalkapitalistisch und pro-amerikanisch ausgerichteten transnationalen Eliten-Netzwerken dies- und jenseits des Atlantiks geplante, organisierte und gelenkte afro-asiatische Replacement-Migration in die EU-Mitgliedstaaten hat einen geoökonomischen Hintergrund.
Teil 1