Sie war DDR-Leichtathletin, Doping- und Stasi-Opfer und ist jetzt Professorin an der Schauspielschule „Ernst Busch“. Uns einstigen DDR-Bürgern erläutert sie, weshalb wir verkappten Typen mit PEGIDA spazierten und dann zu Anhängern der populistisch-demagogischen AfD wurden.
Ihr persönliches Selbstverständnis schon jahrelang aus erlittenen Traumata herleitend und wieder und wieder ausbreitend, deutet sie den „toxisch-braunen Osten“ insgesamt als durchneurotisiert und tendenziell psychopathisch. Die DDR hätte als stalinistisches Gebilde im Kalten Krieg eine vom Nationalsozialismus disziplinierte Bevölkerung übernommen, die sich bündig in das neue eiserne Band einpassen ließ, andererseits aber ihre kollektiven Traumata – Leid, Schuld und Scham – nie „aufarbeitete“, auch nach der Wende nicht.
Dem „Cicero“ gab die Autorin eines ihrer vielen Interviews anläßlich ihres neuen Ost-Erklärbuches „Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass“. Darin diagnostiziert sie aufs neue und erklärt – passend zu den jüngsten Landtagswahlen – den Erfolg der AfD, deren Kernwählerschaft ihrer Meinung nach die inwendig beschädigten „Kriegsenkel“ aus dem Osten bilden. Bestsellerverdächtig:
In meinem Buch stelle ich die These auf, daß das (die Affinität zur AfD – H. B.) im Kern noch immer mit den unverarbeiteten Erfahrungen zweier Diktaturen im Osten zusammenhängt – mit dem Nationalsozialismus und der SED-Diktatur. Diktatur im Doppelpack sozusagen. Da geht es um Gewaltlust, Schweigesysteme und um eine fragwürdige Identitätspolitik. (…) Diese Generation ist wie in einem Käfig sozialisiert worden. Der äußere Einschluß entsprach einer inneren Verkapselung. Diese Generation hat den inneren Hitler in sich konserviert wie in einer Krypta.
Wir Ostdeutschen hätten es versäumt, unsere belasteten Familiengeschichten kritisch anzusehen und uns im Sinne Mitscherlichs der Trauerarbeit zu widmen, was andererseits der Westen ja so eindrucksvoll absolviert hat. Daher zeigt er sich immuner und gefestigt gegen die gefährlichen Rechten. Wir Ostler hingegen sähen mit Blick auf die DDR nicht klar und schon gar nicht in Richtung Gegenwart, weil wir mit unserer Elterngeneration und den belasteten Familiengeschichten „überidentifiziert“ wären. Stattdessen gerierten wir uns immerfort als Opfer und schöben Verantwortung an den Westen ab.
Weil unser schlimmes Land, die DDR, „marode bis in die letzte Pore“ und schließlich doch pleite war, haben wir die Einheit, die D‑Markt und die Treuhand zwar gewollt, ließen uns also weiterhin versorgen, versäumten es dabei aber sträflichst, uns dringend um all die Gespenster in unseren abgründigen Seelen zu kümmern. Es gehe weniger um die Probleme der Wiedervereinigung als darum, daß wir über unser infantiles Jammern unsere Geschichtshausaufgaben nicht beflissen erledigten und daher nicht erkannten, zu was für kranken und innerlich verwachsenen Menschen wir als Kinder einer älteren „Vernichtungs-“ und einer daran nahtlos anschließenden jüngeren „Versorgungsdiktatur“ geworden waren.
2015, während der Flüchtlingskrise, drehten wir dann folgerichtig durch. Da „hatten viele Menschen im Osten das Gefühl, die Bundesregierung hätte die Versorgungspolitik ihnen gegenüber aufgekündigt. Plötzlich kamen eine Million Menschen von außen. Das war ein Schock. Der innere Schauplatz der alten Ohnmachtserfahrung hat sich in diesem Ereignis wie neu aufgeladen. Der Osten war lange Zeit ein wüstes Angstsystem. Angst ist ja nicht einfach weg, nur weil die Mauer fällt.“ – Im Gegenteil: Aus unserer verwüsteten Seelenlandschaft heraus traten die rechten Zombies ans Licht.
Unsere unbewältigten Angstneurosen konnten „durch die AfD neu beatmet werden“, so Ines Geipel in einen FAZ-Interview. „Dabei geht es nicht um Vorwürfe, sondern darum aufzuzeigen, wie sich der Nationalsozialismus im Inneren der DDR verschweißen konnte. In den neunziger Jahren brannten im Osten die Flüchtlingsheime, dann kam die NPD aus dem Westen, recht bald danach die NSU durch das Land. Die Gewalt war immer da.“
Überhaupt die mysteriöse NSU mit ihrem Horror. Dieses Monstrum nährte sich von unseren innerseelischen Finsternissen. Im Ton einer Verschwörungstheoretikerin raunt Geipel: „Die öffentliche Debatte hat sich immer auf dieses Trio fokussiert. Drei junge Menschen aus fragilen Elternhäusern, die nach der Wende von gebrochenen Autoritäten unterrichtet wurden. Aber wie kann ein Untergrund nur aus drei Personen bestehen? Mir fehlen die Sichtbarkeit und die Geschichte des Netzwerkes, aus dem heraus die drei operieren konnten.“
Würden wir uns endlich unserer Trauerarbeit befleißigen und mit unseren verhärteten Seelendefekten befassen, dann wäre alles ganz einfach. Passend zu der von ihr zusammengeklitterten kollektiven Tiefenpsychologie weist Ines Geipel uns die positive Perspektive:
Was uns fehlt, ist ein Einheitsnarrativ. Wir haben in diesem Land eine großartige Revolution hinbekommen, und zu dieser Revolution gehören ganz viele, die Bürgerrechtler, die DDR-Bürger auf der Straße, aber auch die Frau, die in einem bayrischen Dorf über vierzig Jahre hinweg Päckchen für ihre Ostverwandtschaft gepackt hat. Wir haben mit unserer Revolution die Welt verändert, und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Es ist doch mal wieder ganz deutsch, daß wir uns diese Revolution viel kleiner reden, als sie in Wahrheit gewesen ist. Die ganze Welt beneidet uns darum, was wir geschafft haben und von diesem historischen Moment sollten wir uns erzählen.
Was für ein Kitsch! Merkt die Ost-Erklärerin nicht, wie sie unwillkürlich selbst in die DDR-Propagandadiktion kippt und mit der Stimme einer Jungpionierin zu argumentieren beginnt, indem sie von den neuen Siegern der Geschichte spricht, von den Guten, die mit heißem Herzen und gesundem Bewußtsein „großartig“ auf der richtigen Seite stehen, und wie sie in diese Laudatio noch das liebe Westtantchen einbezieht, wie es treu – das Scherflein der Witwe – die Päckchen in den Osten sandte, „vierzig Jahre lang?“
Nur ein Gedanke hinterdrein: Daß die AfD Erfolg hat, und zwar nicht nur im angeblich seelenpflegebedürftigen Osten, liegt weniger an der Vergangenheit, wie Ines Geipel meinen möchte, sondern an der Gegenwart. Die Vergangenheit, insbesondere die braune und rote, für Erklärungen herbeizuziehen, ist billig, weil allzu stereotyp vielfach durchgespielt und instrumentalisiert, je nach politischem Interpretationsbedürfnis – mit dem Ergebnis der üblichen und mittlerweile sattsam bekannten Klischees.
Wesentlicher und akut notwendiger wäre die Revision der Gegenwart, die damit beginnen könnte zu fragen, woher jene symptomatische ideelle Erschöpfung rührt, die es trotz äußerer ökonomischer und sozialer Erfolge verhindert, daß dieses Land, das kaum noch bei seinem Namen genannt werden soll und das sich selbst schon gar nicht mehr als Nation gelten darf, kaum mehr Bindekräfte entfaltet und Identifikation ermöglicht, weil es mittlerweile geistig an einer Verphrasung leidet, die freie Rede und Neubesinnung verhindert.
Was immer man von PEGIDA und der AfD halten mag: Skandalisiert werden beide, weil sie mit Sprachregelungen brachen, die ihrerseits eben hochneurotisch verursacht sind.
Thomas Martini
Die "Revision der Gegenwart" wird das System zweifellos aus den Angeln heben. Ich höre schon das Zähneklappern von Angela Merkel, AKK und Frank-Walter Steinmeier. Und was ist das? Ich horche...schlotternde Knie bei Anja Reschke und Georg Restle?