Sie stehen links, wenngleich der Aufhänger für diesen Beitrag vom Gegenteil ausgeht. Theodor W. Adorno hielt 1967 einen Vortrag über Aspekte des neuen Rechtsradikalismus vor linkssozialistischen Studenten in Wien. Nun wurde die Tonaufnahme von einst verschriftlicht herausgegeben und vom linken Publizisten Volker Weiß kommentiert. Weiß verhebt sich aber – einmal mehr, denn schon beim »Islamofaschismus« blamierte er sich – an seinem Gegenstand.
Dabei hat Weiß, der aus dem Umfeld der als »antideutsch« geltenden Jungle World kommt und überdies für weitere Periodika der extremen Linken wie das Antifaschistische Infoblatt schreibt (aber weiterhin vom Mainstream zum Experten stilisiert wird), durchaus Recht mit der Feststellung, daß Adornos Analyse »mehr als ein halbes Jahrhundert später« frappierende »Gültigkeit« besitzt und daß sich diese »passagenweise wie ein Kommentar zu aktuellen Entwicklungen liest«. Das mag so sein, nur versteht der ideologisch fixierte Weiß es falsch.
Es ist nicht, wie von Weiß postuliert, die derzeitige Entwicklung, wonach sich »eine äußerste Rechte erneut zur einflussreichen Kraft entwickelt«, die Adornos Vortrag lesenswert macht, sondern die enthaltene zeitlose Typenskizze, die schlechterdings 2019 eine andere Konnotation aufweist als eben 1967, ja die konkret mit antifaschistischen Denk- und Handlungssystemen aufs engste verbunden ist.
Als erstes von fünf Beispielen für diese These kann Adornos kurzer Abschnitt über den »manipulativen Typ« gelten. Menschen jenen Typs wären solche, »die gleichzeitig kalt, beziehungslos, strikt technologisch gesonnen, aber ja in gewissem Sinne eben doch irre sind«. Deren »merkwürdige Einheit von Wahnsystem und technologischer Perfektion« scheint »in diesen Bewegungen überhaupt wieder eine entscheidende Rolle zu spielen«.
Geht man 2019 auf die Suche nach Vertretern jenen manipulativen Typs, so landet man unweigerlich bei antifaschistischen Überzeugungstätern, die – finanziell bestens ausgestattet – nahezu perfekte Datenbanken samt Fotostrecken ihrer heterogen zusammengesetzten politischen Gegner angelegt und sich damit der von Adorno angeführten »Einheit von Wahnsystem und technologischer Perfektion« zumindest genähert haben.
Der Wahn – das ist die Manie, Andersdenkende in Datenbanken zu erfassen und Steckbriefe politischer Gegner zu erstellen. Die technologische Perfektion – das ist die Ausnutzung aller Möglichkeiten, in kürzester Zeit Informationen aus den Feindbeobachtungskarteien aufbereitet Antifa-Vollstreckern oder kollaborativen Massenmedien zur Verfügung zu stellen.
Das zweite Beispiel für eine fruchtbringende Relektüre des Adorno-Textes mit Augenmerk auf Antifaschisten unserer Zeit ist, nach dem manipulativen Typ, »das Modell der autoritätsgebundenen Persönlichkeit«. Adorno spricht hier von Propaganda, die weniger der Verbreitung einer bestimmten Ideologie, sondern vorwiegend massenpsychologischen Zwecken dient.
Diese Propaganda appelliert an ebenjene autoritätsgebundene Persönlichkeit und nutzt dafür, so Adorno, »eine relativ kleine Zahl immer wiederkehrender standardisierter und vollkommen vergegenständlichter Tricks«, welche »ganz arm und dünn sind, die aber auf der anderen Seite gerade durch ihre permanente Wiederholung« wirksam sind. Es drängt sich bei dieser Beschreibung geradezu auf, den »Kampf gegen Rechts« der Gegenwart als praktische Umsetzung dieser »Tricks« zu deuten.
Was sollen die ewig gleichen Bilder von weißgeschnürten Springerstiefeln in der Tagesschau, das Phantasma allgegenwärtiger »rechter Gewalt« durch gefakte und visualisierte Statistiken, das Hitler-artige Darstellen von nichtlinken Politikern (man denke an dahingehende Höcke-Bilder) oder primitive, aber eingängige Netzwerkdarstellungen klandestiner rechter Strukturen (etwa Kubitschek als Spinne im Netz, von der Pfeile ausgehen usf.) denn anderes sein als Propagandatricks, die »ganz arm und dünn sind, die aber auf der anderen Seite gerade durch ihre permanente Wiederholung« Wirksamkeit bei den Empfängern dieser standardisierten Manipulation beanspruchen können?
Ein dritter Aspekt, der charakteristisch für die zeitgenössische antifaschistische Linke ist, wird von Adorno »Formalismus juridischer Art« genannt. Er ist schlagend. Meinte Adorno noch altrechte Argumentationsweisen beispielsweise in Richtung Münchner Abkommen – es sei ja freiwillig von den Westmächten gezeichnet worden, sei also geltendes Recht, das müsse man wahrhaben etc. –, ist dies heute frappierend aktuell. Man dürfe doch alles sagen, höhnt es links der Mitte, Meinungsfreiheit sei gesetzlich garantiert, niemand werde doch gehindert daran, AfD zu wählen oder sich als »rechts« zu betätigen.
Das Perfide an diesem bundesdeutsch-antifaschistischen Formalismus juridischer Art ist dabei, daß dies de jure so sein mag. Ignoriert wird durch die hypokritischen Formalisten indes, daß ein rechtlich garantiertes Abstraktum noch nichts über die reale Wirksamkeit desselbigen verrät. Natürlich, und das zeigen drei folgende aktuelle Beispiele, kann sich ein Polizist frei äußern oder für die AfD kandidieren, nur muß er dann mit beruflichen Repressionen rechnen. Natürlich kann ein geisteswissenschaftlicher Forscher vom neulinken Mainstream abweichen, nur wird er dann mit gesellschaftlichen Ächtungen und Ausgrenzungen umgehen lernen müssen. Natürlich können Lebensschützer in Deutschland gegen den Abtreibungsfanatismus demonstrieren, nur werden sie dann von tonangebenden Medien diffamiert und von Antifaschisten attackiert usw. usf.
Der vierte Aspekt ist mit dem dritten verbunden. Adorno nennt ihn den »Komplex der punitiveness, den man vielleicht am besten mit Straffreudigkeit, nämlich den anderen gegenüber, übersetzen könnte«. Auch hier trifft man die zeitgenössische Linke, nicht ihr rechtes Pendant. Denn die allfällige Forderung nach Verboten (von Parteien, Zeitungen oder Musikstücken), nach Repressalien (gegen Andersdenkende jeder Couleur) oder nach strafrechtlichen Verschärfungen (Hate Speech etc.) kennzeichnet die zur Totalität neigenden Antifaschisten des Jahres 2019.
Die ostentativ zur Schau gestellte »Straffreudigkeit« richtet sich also gegen all jene, die den (links)liberalen Konsens des Politischen verlassen, und die geforderte Einschränkung von Grundrechten für weltanschaulich Abweichende ist nicht weiter eine womöglich randständige Meinung des äußerst linken Lunatic fringe, sondern findet auch in »moderaten« Kreisen linker Provenienz immer mehr Anhänger.
Der fünfte Aspekt, weshalb Adornos Vortrag in der Tat Anspruch auf aktuelle Gültigkeit besitzt und zugleich gegen die antifaschistische Sphäre unserer Tage gerichtet werden muß, ist Adornos Verweis darauf, wonach Träger des autoritätsgebundenem Charakters »nichts an sich herankommen lassen«. Man muß hier auch an Adornos Weggefährten Erich Fromm erinnern. Denn daß der Antifaschist von Heute keine substantiellen Gegenargumente oder auch nur abweichende Meinungen erträgt, liegt vor allem daran, daß der »manipulative Typ«, den Adorno skizzierte, »von seinen emotionalen Strebungen bestimmt« wird, wie Fromm in Die Furcht vor der Freiheit akzentuierte.
Wer einmal einen kreischenden Antifaschisten erlebt hat, wer den aufbrausenden Gestus einer hysterischen Linksradikalen live vernahm, wer die irritierenden Videos (ein Beispiel hier) der linksgepolten Klimaszene ansieht, wird keinen Zweifel an der Emotionalisierung heutiger linker Bestrebungen mehr hegen: Sie stürzen sich – in ihrem nachträglich bisweilen rationalisierten Wahn – gleichermaßen auf patriotische Demonstranten, auf AfD-Funktionäre auf dem Weg zum Parteitag oder auf konservative Abtreibungsgegner; sie riskieren (freilich folgenlose) Strafanzeigen und (freilich folgenlose) Verhaftungen, während sie diese Ablenkziele tätlich angreifen.
Es mangelt ihnen dabei indessen an der von Fromm so genannten »offensiven Potenz«, welche »anzugreifen vermag, auch ohne daß man sich zuvor einer anderen, stärkeren Macht versichert hat«. Im vorliegenden Beispiel ist die stärkere Macht verkörpert durch die verschiedenen Leitmedien und tonangebende zivilgesellschaftliche Instanzen, die medial und metapolitisch den antifaschistischen Tätern die hypermoralische Gewißheit frei Haus liefern, im Kampf gegen Rechts wieder einmal korrekterweise das ultimativ Böse bekämpft zu haben.
»Hat das Individuum erst einmal die Überzeugung gewonnen, daß es Menschen gibt, die bestraft werden sollten«, legte Adorno in seinen Studien zum autoritären Charakter (1950) dar,
hat es eine Bahn gefunden, in die es seine tiefsten aggressiven Triebe leiten und sich dennoch für durchaus moralisch halten kann. Spenden äußere Autoritäten oder die Masse solcher Aggression dann Beifall, vermag sie gewalttätige Formen anzunehmen und sich auch noch zu behaupten, wenn die konventionalisierten Werte, in deren Namen sie unternommen wurde, längst aus dem Blick geraten sind.
Nichts anderes meinte Adorno, als er 17 Jahre nach dieser Schlüsselschrift in seinem nun neu aufgelegten Vortrag von einem »Komplex der punitiveness«, also virulenter Straffreudigkeit, sprach. Dieser Komplex richtet sich 2019 einzig und allein gegen die oppositionelle Kraft von rechts, worin sich – strömungsübergreifend – liberale, linksliberale, linke und extrem linke Gesinnungsgruppen wiederfinden können, und zwar in trauter Gemeinsamkeit, ja förmlich in einer Wärme spendenden Simulation des seit Chemnitz 2018 kolportierten »Wir sind mehr«.
»Wer sein Selbst aufgibt und zu einem Automaten wird«, so Fromm vor über 70 Jahren, »fühlt sich nicht mehr allein und braucht deshalb keine Angst mehr zu haben«. Es kommt zu einem »zwanghaften Konformismus«, »in dessen Verlauf der isolierte Einzelmensch (…) sein Selbst verliert, obwohl er bewußt weiterhin der Überzeugung ist, er sei frei und nur sich selbst unterworfen«.
Dieses falsche Bewußtsein des zeitgenössischen Antifaschismus reproduziert sich stetig; man ist an und für sich nicht mehr frei und »unabhängig« (eine der bevorzugten Worthülsen der postmodernen Linken), sondern man ersetzt »seine Abhängigkeit bloß durch negative Übertragung«. Beim konformistischen Rebellen – unserem Antifaschisten der Gegenwart – aber »ist die negative Übertragung der Abhängigkeit noch mit dem Drang verbunden, pseudorevolutionär gegen jene vorzugehen, die in seinen Augen schwach sind«, so Adorno 1950.
Die politische Rechte in all ihren Schattierungen und Strömungen ist trotz der für sie günstigen Zeitlage aufgrund innerer Mängel an Charakter, Haltung und Entschlossenheit noch schwach, zersplittert und uneins, und wo sie all dies faktisch nicht ist, erscheint sie jedenfalls so. Dies aber macht ihre heterogen zusammengesetzten linken Widersacher – den manipulativen Typ, den autoritären Charakter, die Vertreter eines Komplexes der Straffreudigkeit – nur noch aggressiver.
Damit müssen wir rechnen, damit müssen wir uns beschäftigen. Es ist nicht ohne Ironie zu konstatieren, daß uns just bei diesem Prozeß sowohl Adorno als auch Fromm weiterhelfen werden. Daher war es eine selten verdienstvolle Tat Weiß’, gemeinsam mit dem Suhrkamp Verlag eine Edition des zeitlosen Adorno-Vortrags zu leisten. Allein, der konformistische Rebell wird die Früchte nicht ernten.
+ Den Vortrag Adornos kann man hier bestellen.
+ Den kaplaken-Band Blick nach links, in dem Kaiser ausführlich auch auf Fromm, Adorno, den autoritären Charakter im Kampf gegen Rechts und die konformistische Rebellion des zeitgenössischen Antifaschismus eingeht, kann man hier bestellen.
Atz
Sehr richtige und genau treffende Analyse. Es ist immer bemerkenswert, wie sehr scharf denkende Zeitgenossen im eigenen Lager ihren Verstand ausschalten. Da müsste man ja auch wohl irre werden oder eben ein Querulant mit dem keiner will.
Adornos Vortrag ist sehr gut und sehr treffend. Das Gift der Frankfurter ist aber das Unbehagen, das selbst immer wieder ins Ressentiment zurück fällt. Verführerisch für kritische Denker. Oder ist das kritische Dispositif etwa jederzeit nur das Ressentiment?
Die Rechte ist Projektionsfläche. Schon mal keifende Wolfskinfrauenmeuten gegen finstere Rechtshools beobachtet? Da muss man einen anderen Namen spielen: George Orwell und sein Emmanuel Goldstein Hassritual. Im Zeitalter der SJW kann freilich jeder Opfer werden, der die Leidensfiktion einer vorbezeichneten Opfergruppe anzweifelt, diskutiert, oder als Whack-a-mole Spielzeug es verdient hat, das man an ihm und seiner beruflichen Position ein Exempel statuiert. Doch nicht die SJW sondern die feigen wohlmeinenden Kollaborateuere sind es, die sich unerwartet mit den Hassmobs solidarisieren und berufliche Konsequenzen fordern. Die Charaktermuster um im Hotel Moskau zu überleben, wenn die Schergen Stalins umgehen, und die Opfer zu rationalisieren.
Adorno selbst ist da ein Beispiel. Er war tief betroffen von einem politisch leeren Protesthappening halbnackter Studentinnen gegen ihn. Wenig später starb er. Auch jemand wie Habermas erkannte den autoritären Charakter von Studentenmobs und wiedersprach scharf. Gleichwohl richteten maoistische Studenten in Europa weit weniger Unheil an als im Reich der Mitte.