Mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA vollzog sich ein ökonomischer Paradigmenwechsel. Über 70 Jahre lang wurden außenwirtschaftspolitische Maßnahmen im europäisch-amerikanischen Teil der Welt mit Verweis auf die Funktion des Marktes und dessen – tatsächlich oder vorgeblich – positive Auswirkungen für die Menschheit gerechtfertigt.
Durch Trumps ökonomische Agenda unter dem Slogan »America First!« und die zeitweilig scharfen antideutschen und antieuropäischen Äußerungen einiger Vertreter seiner Regierungsmannschaft erlebt seither das Phänomen des ökonomischen Nationalismus eine ungeahnte Renaissance.
Dieser – traditionell der Rechten zugeschlagenen – Richtung der Außenwirtschaftspolitik liegt die Vorstellung zugrunde, daß Angehörige einer Nation über alle sozioökonomischen Differenzen hinweg neben dem politischen auch ein wirtschaftliches Schicksal teilen (sollten). Entscheidendes Merkmal ist die Legitimierung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen durch den nationalen Imperativ, die gemeinsame Identität, Abstammung oder geschichtliche Erfahrung.
Dadurch, daß die territorial begrenzte politische Einheit das Bezugssystem der Idee der Nation ist und diese, wie Bernard Willms es ausdrückte, das »Bewußtsein der Vielfalt« bringt, stehen sämtliche Varianten des ökonomischen Nationalismus in scharfer Opposition zu allen außenwirtschaftspolitischen Vorstellungen, denen Kosmopolitismus zugrunde liegt und die auf eine entgrenzende Globalisierung und unipolare Welt hinauslaufen.
Man mag die Bezeichnung »ökonomischer Nationalismus« unglücklich finden. Aus heutiger Sicht sollte es aber unstrittig sein, daß eine Politik mit Bezugnahme auf das Eigene das Wirtschaftsleben nicht außer acht lassen kann. Es besteht zwar ohne Zweifel aufgrund der historischen Erfahrungen Konsens darüber, daß eine ökonomische Dauerordnung nur auf der dezentralen Koordination der Wirtschaftssubjekte gründen kann.
Zur Überführung des sich auf deutschem Gebiet vollziehenden Wirtschaftslebens in eine Volkswirtschaft oder Nationalökonomie bedarf es heutzutage der Setzung von Grenzen und einer Segmentierung der Wirtschaftsräume. Es gilt, politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen.
Das häufig von Liberalisten vorgebrachte Gegenargument, ökonomische Sachzwänge hätten aus ihrer inneren Logik heraus zur globalisierten Wirtschaft geführt, wodurch die Globalisierung unumkehrbar geworden sei, stellt bekanntlich nur die halbe Wahrheit dar, da es die Bedeutung des Politischen für das Wirtschaftsleben verkennt. In der Geschichte hat es niemals eine politikfreie Wirtschaft gegeben.
Vielmehr war es der Staat, der die Institution des Marktes, so wie wir sie heute kennen, aus realpolitischen Gründen geschaffen hat; mit dem Freihandel verhielt es sich nicht anders. Es waren die existierenden politischen Einheiten, die aufgrund einer oder mehrerer Entscheidungen im Rahmen des Prozesses einer »deliberativen Handelspolitik« (Herrmann-Pillath) Zutritt zu ihren Wirtschaftsräumen gewährten.
Die Folge dieser politischen Entscheidungen war es allerdings, daß Kräfte in Gang gesetzt wurden, die zu dem führten, was in der heutigen Wirtschaftswissenschaft als Lock-in-Effekt bezeichnet wird – eine Entwicklung, der man nicht ohne weiteres entrinnen kann und die daher so vielen Zeitgenossen tatsächlich als nicht veränderbar erscheint. Heterodoxe Ökonomen vergleichen den Prozeß der Globalisierung mit der Ausbildung eines Netzwerks aus Handels- und Investitionsverträgen, die die Struktur der internationalen Arbeitsteilung (grenzüberschreitende Produktionsprozesse, Verdrängung inländischer Anbieter) bestimmen.
Sollte ein Land aus dem Netzwerk aussteigen, würde die globalisierte Produktionsstruktur diesem Land hohe Kosten verursachen. Aufgrund der weitgehend freien, d.h. der staatlicher Regulierung entzogenen Güter- und Kapitalmobilität herrscht innerhalb dieses globalen Netzwerks wiederum Druck zur ökonomischen Effizienzsteigerung, dem sich ein einzelnes Land nicht entziehen kann, möchte es nicht einen Standortnachteil erleiden und an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Andere Politikinhalte bleiben dabei auf der Strecke. So gesehen trifft die Aussage, es seien Sachzwänge, die den Raum des Politischen begrenzen, zu.
Politische Kräfte, die auf ein Ausscheiden aus dem globalen Netz hinzielen, sollten sich der Probleme, die eine Übergangszeit mit sich bringen wird, bewußt sein. Wie hoch die Kosten letztlich sind, wird wesentlich von der Durchlässigkeit und der Form der künftig eingezogenen Hindernisse, dem Zeitraum, in dem sie errichtet werden, und der Größe und Stärke des Wirtschaftsraumes, der sich innerhalb dieser »Grenze« befindet, abhängen.
Die Schwierigkeit, ein »unlocking« zu vollziehen, um wieder relative ökonomische Selbstbestimmung zu erlangen, wird dadurch erschwert, daß die gesellschaftlichen Gruppen, die ihr Geschäftsmodell auf die Globalisierung ausgerichtet haben und durch sie profitieren, ihre politische Macht einsetzen, um dieses Netzwerk zu stärken. Eine Rückbesinnung auf die eigene Souveränität in Wirtschaftsfragen impliziert daher das Unterfangen, die Voraussetzungen zu schaffen, durch die eine Transformation privatwirtschaftlicher Stärke in politische Macht so weit wie möglich verhindert werden kann.
Ökonomischer Nationalismus wird zwar zumeist mit protektionistischen Maßnahmen assoziiert, mit der Idee der Nation lassen sich aber alle möglichen außenwirtschaftspolitischen Grundpositionen verbinden. Der Gedanke der Autarkie findet sich dabei auf der einen, der Freihandel auf der gegenüberliegenden Seite des Spektrums möglicher Konzeptionen. Ein autarker Wirtschaftsraum soll in Zeiten, in denen die Wirtschaft eine wirksame Waffe zur Durchsetzung politischer Ziele darstellt, für Blockadesicherheit im Ernstfall sorgen. Der Staat führt hierfür durch den bewußten Einsatz von Ein- und gegebenenfalls Ausfuhrverboten oder prohibitiv hohen Schutzzöllen (inklusive Transaktionssteuern) wirtschaftliche Selbstversorgung herbei mit dem Zweck, die Güterversorgung zu sichern.
Freihandel läßt sich dagegen aus nationaler Sicht damit begründen, daß die ungehinderte Disposition und der möglichst freie ökonomische Austausch der privaten Wirtschaftssubjekte die optimale Bedingung für erhöhten Leistungsdruck und damit gesteigerte Innovationskraft und sinkende Preise sowie für die Realisierung der positiven Wirkung von Exporten auf das Nationaleinkommen ist. Weder vollkommene Autarkie noch vollkommener Freihandel waren in der Regel Gegenstand nationaler Programme in Deutschland. Zumeist umfaßten sie nicht alle wirtschaftlichen Güter, sondern beschränkten sich auf einige bestimmte Sektoren oder es wurde ein unvollständiger Grad bei einigen oder allen Gütern angestrebt.
Der von Johann Gottlieb Fichte entworfene »geschlossene Handelsstaat«, mit dem er den Deutschen durch Domestikation Selbst- und Nationalbewußtsein anzuerziehen gedachte, um darauf aufbauend den Vernunftstaat zu errichten, stellte in seiner Radikalität eine Ausnahme dar. Mit dem nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden Niedergang des Goldstandards und der gleichzeitig eintretenden Forderung nach Währungssouveränität war der Ruf nach Autarkie zwar unüberhörbar, aber selbst den meistgelesenen Protagonisten eines autarken Wirtschaftsraumes, Werner Sombart und Ferdinand Friedrich Zimmermann, schwebte damals weniger die vollkommene Abschottung als vielmehr umfassende »Autarchie«, Selbstherrschaft, d.h. Lenkung der grenzüberschreitenden Transaktionen vor.
Sie wollten das Prinzip der im Rahmen der Weltwirtschaftskrise eingeführten Devisenbewirtschaftung auf andere Bereiche erweitern und von einer ursprünglichen Notmaßnahme zum außenwirtschaftspolitischen Fundament ihres Deutschen Sozialismus machen. Mit dem »Neuen Plan« von 1934, der die bereits bestehenden Instrumente der Zahlungs- und Verrechnungsabkommen systematisierte, und dem Vierjahresplan von 1936, der noch weitergehende Steuerungsmaßnahmen implementierte, kam man der Autarkie bereits nahe.
Noch konsequenter wurde allerdings mit Art. 9 Abs. 5 der Verfassung der DDR ein autarkieähnlicher Zustand in Deutschland von kommunistischer Seite geschaffen, indem die »Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft« zum staatlichen Monopol erklärt wurde.
Der Freihandel als ein Mittel nationaler Weltanschauung erlebte den Höhepunkt seiner Popularität im 19. Jahrhundert, als Liberalismus und Nationalismus noch zwei Seiten derselben Medaille waren. Die Forderung nach Freihandel zielte jedoch für einen langen Zeitraum in erster Linie nach innen, auf die Schleifung der innerdeutschen ökonomischen Grenzen. Das Postulat der Liberalisierung hatte in diesem Zusammenhang nicht zwangsläufig etwas mit dem Abbau der Außenzölle zu tun.
Dies änderte sich erst, nachdem der Rückstand gegenüber England aufgeholt und die deutsche Industrie in einigen Bereichen Weltmarktführer geworden war. Nun begann das Freihandelspostulat eine nach außen, auf Export und Erschließung von Absatzmärkten gerichtete expansive Form anzunehmen. Entsprechend wurde gefordert, die »Ruhepolitik« aufzugeben und endlich »deutsche Weltpolitik« und Weltwirtschaftspolitik zu betreiben, um im internationalen Wettkampf der Nationen bestehen zu können.
Ziel war es nunmehr, »Weltindustrie- und ‑handelsstaat« (Großadmiral von Tirpitz), geschützt durch eine starke deutsche Flotte, zu werden. Insgesamt herrschte damals freier Warenhandel jedoch nur in der kurzen Periode zwischen 1862 und 1879, freie Kapitalmobilität immerhin zwischen 1871 und 1914.
Den Protagonisten eines national legitimierten Freihandels ging es dabei aber niemals um ein abstraktes Prinzip, sondern darum, Freihandel in die »wirkliche Welt« bestehender Nationalstaaten einzuführen. Einen dauerhaften und vollkommen freien Außenhandel sahen sie als wenig realistisch an, wodurch ihre Position von der Idee eines gemäßigten Protektionismus nicht weit entfernt war.
Das Konzept des Protektionismus steht zwischen Autarkie und Freihandel. Zu diesem außenwirtschaftspolitischen System tarifärer (Zölle) und nicht-tarifärer Handelshemmnisse (Konformitätsanforderungen) wird gegriffen, um den eigenen Wirtschaftsraum vor Importen ausländischer Güter zu schützen, ohne jedoch eine vollkommene Abkapselung anzustreben. Anders als bei der Autarkie werden mit solchen Maßnahmen handels‑, sozial‑, kultur- oder infrastrukturpolitische Ziele verfolgt.
Zumeist wird hier eine flexible Handhabung präferiert. Friedrich List beispielsweise wollte seine Erziehungszölle nur solange aufrechterhalten wissen, bis Deutschland den Industrialisierungsstand Englands erreicht hatte, und Bismarck befürwortete Zollerhebungen erst nach dem sogenannten Gründerkrach mit dem Ziel, das fragile Gebilde Deutsches Reich zusammenzuhalten und es finanziell unabhängig von den einzelnen Landesfürsten zu machen.
Die Wirtschaft in den Dienst des Gemeinwohls der Nation zu stellen, sagt mithin wenig über den Inhalt der uns an dieser Stelle ausschließlich interessierenden Außenwirtschaftspolitik aus. Der allgemeine Verweis auf das nationale Interesse ist ebenfalls nicht hilfreich, da es bis auf wenige Ausnahmesituationen unbestimmt sein dürfte. Welche Ausrichtung konkret angestrebt wird, hängt von verschiedenen Parametern ab.
Erst im Zusammenspiel der im Inland verfügbaren Faktoren wie Arbeit, Kapital und Wissen mit der in der Gesellschaft bestehenden Verteilung von Wertpräferenzen und Macht wird sich herausschälen, ob als Reaktion auf die im Ausland wahrgenommenen Herausforderungen und Möglichkeiten einer eher freihändlerischen, protektionistischen oder gar autarkistischen Linie gefolgt wird.
Dies zeigt erneut das Beispiel USA. Es ist selbstverständlich naiv, anzunehmen, die USA hätte in den Jahrzehnten vor Trump nicht ihr eigenes Interesse verfolgt, sondern sich in den Dienst des Allgemeinwohls der Menschheit gestellt. Die USA handelten auch unter Obama stets nur, wenn es ihrem eigenen geopolitischen oder ökonomischen Vorteil diente.
Das, was sich mit der Wahl Trumps zum Präsidenten änderte, war nicht die Verfolgung des nationalen Interesses an sich, sondern die explizite Deklaration und der wirtschaftspolitische Inhalt derselben – ein Inhalt, der sich, wie Michael Wiesberg in einem Beitrag für Sezession im Netz gezeigt hat, durchaus auch aus amerikanischer Sicht hinterfragenläßt.
Nichtsdestoweniger lassen sich einige Grundsätze festlegen, durch die die deutsche Wirtschaftspolitik wieder stärker in die eigene Hand genommen werden kann. Ausgangspunkt ist die Machtfrage. Um die Möglichkeit des Einsatzes von militärischer oder wirtschaftlicher Macht durch andere Mächte gegen Deutschland zu begrenzen, bedarf es eigener militärischer und ökonomischer Stärke.
Voraussetzung hierfür ist eine leistungsfähige Wirtschaft. Außenwirtschaftspolitisch läuft dies auf eine moderate Variante von Offenheit hinaus, die einen wesentlichen Bei- trag dazu leistet, einen Staat oder eine Nation mit den Mitteln auszustatten, um im Außenverhältnis Macht ausüben zu können. Daß dadurch die Friktionen des Überganges gering gehalten werden, ist ein nützliches Nebenprodukt. Dies ist allerdings nur als Grundausrichtung zu verstehen und darf nicht mit einer dogmatischen Position verwechselt werden. Bestimmend bleibt das Ziel der wirtschaftspolitischen Selbstbestimmung. Dabei ist folgendes zu beachten:
Um die Souveränität der Handelspolitik zu gewährleisten, sind bilateral ausgehandelte Handelsabkommen als rechtliche Grundlage multilateralen Vereinbarungen vorzuziehen. Reziprozität geht dabei der Meistbegünstigung vor. Investitionsschutzklauseln, die private Schiedsgerichte vorsehen, vor denen privatwirtschaftliche Akteure die Vertragsstaaten verklagen können, sind abzulehnen.
Die Tatsache, daß der Bankensektor eine der am strengsten regulierten Branchen ist, sollte nicht davon abhalten, über die Einführung von Kapitalkontrollen nachzudenken. Solche können bei der ökonomischen wie politischen Stabilisierung nützlich und für den Staat ein wichtiges Mittel zur Selbstbehauptung aus machtpolitischen Gesichtspunkten sein. Trotz der rückläufigen Bedeutung natürlicher Ressourcen für das Machtpotential eines Staates verbleiben einige ökonomische Bereiche, bei denen ein inhärentes Risiko besteht, sich in Abhängigkeit fremder Mächte zu begeben. Diese Bereiche gilt es der ständigen Kontrolle des Staates zu unterwerfen. Der Beschluß der letzten Bundesregierung, in Zu- kunft Firmenübernahmen zu verbieten, wenn sogenannte »kritische Infrastrukturen« in Gefahr sind, kann nur der erste Schritt in die richtige Richtung sein.
Zu guter letzt: In einer Zeit, in der Großmächte wie USA, Rußland oder China die wesentlichen Akteure auf der politischen Bühne sind, führt das Aufwerfen der Machtfrage fast zwangsläufig zu der Erkenntnis, daß die Bezugnahme auf das Eigene um eine europäische Perspektive erweitert werden muß.
Die schlechten Erfahrungen mit der EU sollten nicht davor abschrecken. Die inzwischen vergessene Weltreichslehre, die unterschiedlichen Mitteleuropa-Ideen oder die verschiedenen Varianten des Großraumgedankens können als konzeptionelle Vorläufer dienen, die selbstverständlich einer zeitgemäßen Adaption bedürfen.
Aus wirtschaftlicher Perspektive ist das Denken in europäischen Dimensionen die einzige Möglichkeit, die Balance zwischen der aus Sicht der Nation politisch notwendigen Verortung des Wirtschaftslebens und einer leistungsfähigen, aber dennoch zu einem relativ geringen Grad auf Ex-und Importe angewiesenen Wirtschaft zu schaffen. Bei der Realisierung eines deutschen ökonomischen Nationalismus führt heutzutage kein Weg an dessen Einbettung in die größere Einheit Europa vorbei.