Rechte Kapitalismuskritik in Deutschland

PDF der Druckfassung aus Sezession 82/Februar 2018

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Die poli­ti­sche Lin­ke ist in Auf­ruhr: Rech­te Akteu­re hät­ten im Zuge der per­p­etu­ier­ten Kri­se der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten (Mas­sen­mi­gra­ti­on, Wäh­rungs­kri­se, Jugend­ar­beits­lo­sig­keit, Explo­si­on der Ungleich­heit, um nur eini­ge zu nen­nen) die Kapi­ta­lis­mus­kri­tik für sich ent­deckt, heißt es. Sogar die tra­di­ti­ons­rei­che mar­xis­ti­sche Zeit­schrift für Phi­lo­so­phie und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten Das Argu­ment gewährt einer Abhand­lung über Quer­front­be­stre­bun­gen und rech­ten Anti­ka­pi­ta­lis­mus immer­hin fünf­zehn Text­sei­ten, die ansons­ten für ver­zweig­te Marx- und Gramsci-For­schun­gen reser­viert sind.

Aber auch auf der poli­ti­schen Rech­ten herrscht Unru­he; neben Zustim­mung zu einer sozi­al­ori­en­tier­ten Neu­jus­tie­rung poli­ti­scher Theo­rie und Pra­xis (ins­be­son­de­re unter jün­ge­ren Neu­rech­ten) herrscht dif­fu­ses Unbe­ha­gen (ins­be­son­de­re im demo­gra­phi­schen Mit­tel­bau). Die Skep­ti­ker argu­men­tie­ren ganz unter­schied­lich. Die gefähr­lichs­ten unter ihnen sind jene, die höh­nen, »Neo­li­be­ra­lis­mus« als Bezeich­nung für den Zustand der kapi­ta­lis­ti­schen Welt sei eine lin­ke Kampf­for­mel ohne Rea­li­täts­bin­dung – ein Beweis für Phil­ip Mirow­skis The­se, wonach der Neo­li­be­ra­lis­mus als »ideo­lo­gie­freie Ideo­lo­gie« so stark im All­tags­be­wußt­sein ver­an­kert sei, daß man alles durch eine neo­li­be­ra­le Bril­le betrachte.

Hin­ter die­sem Schlei­er wird es unmög­lich zu ver­ste­hen, daß der Neo­li­be­ra­lis­mus gera­de nicht den klas­sisch libe­ra­len Nacht­wäch­ter­staat als Leit­bild hegt, gera­de nicht die Abschaf­fung des Staa­tes for­dert wie radi­ka­le Liber­tä­re, son­dern daß der Neo­li­be­ra­lis­mus den Staat zum aus­füh­ren­den Organ des Mark­tes degra­diert und ent­spre­chend rück- und umbaut, um eine Welt nach den Ideen eines Mil­ton Fried­man oder aber, am Ende des neo­li­be­ra­len Ideen­spek­trums ange­langt, eines Fried­rich von Hay­ek zu konstruieren.

Wie­der­um ande­re leh­nen Kapi­ta­lis­mus­kri­tik schon des­halb ab, weil sie »klas­sisch links« sei, unter­lie­gen also Denk­blo­cka­den, die eine fun­dier­te Debat­te ver­hin­dern und an anti­fa­schis­ti­sche Ver­hal­tens­mus­ter erin­nern. »Kapi­ta­lis­mus­kri­tik von rechts« ist aber kein Phä­no­men der Gegen­wart. Die rech­te Kri­tik am Kapi­ta­lis­mus und sei­ner bür­ger­li­chen Gesell­schaft setz­te bereits ein, als die Ver­hält­nis­se zur Pro­le­ta­ri­sie­rung der Gesell­schaft, also zum Wachs­tum des Anteils der Lohn­ar­bei­ter in der Bevöl­ke­rung drängten.

Die Kri­tik kam von ver­ant­wor­tungs­be­wuß­ten, vor­nehm­lich preu­ßi­schen Kon­ser­va­ti­ven, die das Ver­damp­fen alles Stän­di­schen und den Ein­bruch des »eng­li­schen«, auf Pro­fit und rasan­tes Wachs­tum aus­ge­rich­te­ten Wirt­schaf­tens kon­sta­tie­ren muß­ten. Karl Rod­ber­tus (1805–1975) ist exem­pla­risch anzu­füh­ren: Der Rit­ter­guts­be­sit­zer und spä­te­re Natio­nal­ver­samm­lungs­ab­ge­ord­ne­te von 1848 kri­ti­sier­te in die­sem Sin­ne die libe­ra­le Kon­kur­renz­ideo­lo­gie, for­der­te gerech­te Löh­ne, Macht­be­tei­li­gung der Arbei­ter­schaft und argu­men­tier­te – bei grund­sätz­li­cher Treue zur Kro­ne – preußisch-sozial.

Im kon­ser­va­ti­ven Milieu her­vor­zu­he­ben ist zudem, mit glei­cher Stoß­rich­tung wie Rod­ber­tus, der Ver­ein für Social­po­li­tik, der 1873 gegrün­det wur­de, mit­hin zwei Jah­re nach der tem­po­rä­ren Lösung der natio­na­len Fra­ge, die bis dato auf­grund der feu­da­len Klein­staa­te­rei der deut­schen Län­der die sozia­le über­schat­te­te. Der antrei­ben­de Akteur des Ver­eins war neben dem mon­ar­chis­ti­schen Sozi­al­kon­ser­va­ti­ven Gus­tav Schmol­ler (1838–1917) vor allem Adolph Wag­ner (1835–1917). Die welt­an­schau­li­che Aus­rich­tung des Uni­ver­si­täts­pro­fes­sors der Finanz­wis­sen­schaft und Poli­ti­schen Öko­no­mie basier­te auf einem skep­ti­schen Men­schen­bild, das der viru­len­ten bri­tisch-libe­ra­len Auf­fas­sung des Men­schen als einem eigen­tums­fi­xier­ten, ego­is­ti­schen Wesen wider­sprach und zugleich der Lin­ken ent­ge­gen­hielt, daß der Mensch nicht belie­big form­bar sei.

Wag­ner sah den Men­schen als gesel­li­ge, sei­ner anthro­po­lo­gi­schen Ver­faßt­heit nach unver­än­der­li­che Kon­stan­te der Geschich­te. Sein zen­tra­les Motiv war die Fest­stel­lung, daß das demo­gra­phi­sche wie öko­no­mi­sche Wachs­tum der Gesell­schaft dazu füh­re, daß es eine zuneh­men­de Anzahl an Gemein­schafts­auf­ga­ben gebe, die durch die kapi­ta­lis­ti­sche Pri­vat­wirt­schaft nur unzu­rei­chend gelöst wer­den kön­ne. Wag­ner plä­dier­te für eine staat­li­che Pla­nung und Len­kung in den Berei­chen Berg­bau, Forst, Post, Geld­sys­tem, Ban­ken- und Ver­si­che­rungs­we­sen, Sozi­al­für­sor­ge und Rechts­schutz, schließ­lich im Verkehrs‑, Gesund­heits- und Bil­dungs­we­sen. Die Zeit­schrift Der Staats-Socia­list (ab 1879) war sei­ne Ideen­platt­form, zwi­schen 1882 und 1889 war er Mit­glied im preu­ßi­schen Abgeordnetenhaus.

Der kon­ser­va­ti­ve »Staats­so­zia­lis­mus« Wag­ners fand auf der Rech­ten eini­ge Jahr­zehn­te spä­ter Reso­nanz unter ande­rem bei Wichard von Moel­len­dorf (1881–1937) und Wer­ner Som­bart (1863–1941). Som­bart kam aus dem sozia­lis­ti­schen Lager, wan­der­te schritt­wei­se nach rechts und erar­bei­te­te auf Basis eines an Wag­ner erin­nern­den Men­schen­bil­des die Kon­tu­ren sei­nes »Deut­schen Sozia­lis­mus«, den er 1934 vorlegte.

Aber noch ein­mal Wag­ner: Sei­ne Wir­kungs­zeit waren die 1880er Jah­re, das Jahr­zehnt, in das Bis­marcks Sozi­al­ge­setz­ge­bung fällt, die bis heu­te, mit eini­gem Recht, als vor­bild­haft ange­se­hen wird. Sie ist indes­sen im Kon­text der erstar­ken­den Arbei­ter­be­we­gung zu sehen, die auch durch das Sozia­lis­ten­ge­setz 1878 nicht zer­schla­gen wer­den konnte.

Hen­ning Eich­berg sprach bezüg­lich Bis­marcks aus­glei­chen­der Sozi­al­po­li­tik von einer »prag­ma­ti­schen, auto­ri­tä­ren und die bestehen­den Ver­hält­nis­se zemen­tie­ren­den Mischung aus Schutz­zoll, Inter­es­sen­ge­mein­schaft von Schwer­indus­trie und Groß­grund­be­sitz, Zucker­brot und Peit­sche für die Arbei­ter­klas­se«, wäh­rend Bis­marcks zeit­wei­li­ger Mit­ar­bei­ter Her­mann Wage­ner (1815–1889) mit sei­nen Ideen vom zukunfts­träch­ti­gen Bünd­nis zwi­schen Kro­ne und Arbei­ter­klas­se gegen die Bour­geoi­sie ähn­li­che Ansät­ze wie Charles Maur­ras in Frank­reich ver­focht, aber bei eben­je­nem Bis­marck auf tau­be Ohren stieß.

Ein Jahr vor Wagen­ers Tod schien aber kurz­zei­tig prak­ti­sche Bewe­gung in die­se theo­re­ti­sche Syn­the­se zu gera­ten: Der jun­ge Wil­helm II., inter­es­siert an moder­ner Tech­nik wie an der sozia­len Fra­ge, wur­de Kai­ser. Die Hoff­nun­gen eini­ger dama­li­ger »Natio­nal-Sozia­ler« – von Fried­rich Nau­mann (1860–1919) bis Theo­bald Zieg­ler (1846–1918) – auf den über den Klas­sen ste­hen­den mon­ar­chi­schen Sozi­al­staat wuch­sen, wur­den aber rasch enttäuscht.

Die rech­ten Kapi­ta­lis­mus­geg­ner im Kai­ser­reich schei­ter­ten letzt­end­lich am wil­hel­mi­ni­schen Klas­sen­staat wie am Feh­len eige­ner Reso­nanz­räu­me: Die Arbei­ter­be­we­gung frem­del­te mit jenen Köp­fen, die im Regel­fall aus bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­sen stamm­ten, und vie­le Sta­tus-quo-Kon­ser­va­ti­ve ver­sag­ten aus inhalt­li­chen wie stra­te­gi­schen Moti­ven ihre Unter­stüt­zung. Nicht weni­ge befürch­te­ten, daß über rech­te preu­ßi­sche »Staats­so­zia­lis­ten«, die ein skep­ti­sches, rech­tes Men­schen­bild for­mu­lier­ten, und gera­de des­halb eta­tis­tisch-sozia­le Kon­zep­te favo­ri­sier­ten, der Ein­fall lin­ker Ideen­wel­ten drohe.

Erst durch die Erfah­run­gen in den Schüt­zen­grä­ben des Ers­ten Welt­kriegs und den Unter­gang des Kai­ser­reichs wur­de eine fun­da­men­tal neue Situa­ti­on geschaf­fen: Stan­des­dün­kel wur­den durch die Rea­li­tät des gemein­sa­men Kamp­fes zur alber­nen Hal­tung; Natio­na­lis­mus und (mili­tä­ri­sche) Soli­da­ri­tät waren gera­de bei der Front­kämp­fer­ge­ne­ra­ti­on posi­tiv kon­no­tiert, Libe­ra­lis­mus und Kapi­ta­lis­mus wur­den hin­ge­gen als west­lich und feind­lich dekla­riert – man war durch die west­li­che Welt besiegt und mit­tels Ver­sailles gede­mü­tigt worden.

Die natio­na­le Fra­ge erfuhr als Revan­che­be­mü­hung eine Radi­ka­li­sie­rung. die Ver­elen­dung brei­ter Schich­ten im Zuge der Infla­ti­on sorg­te dafür, daß sich die sozia­le Fra­ge exis­ten­ti­ell stell­te. Bei­de Fra­gen wur­den in der Fol­ge – vor allem im natio­nal- und sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Flü­gel der »Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on« nach Armin Moh­ler – immer wie­der explo­siv zusam­men­ge­mischt. Das Ziel war die »tota­le Mobil­ma­chung« des Vol­kes gegen den im Welt­krieg sieg­rei­chen »Wes­ten«.

Des­sen eini­gen­des Band war der Kapi­ta­lis­mus als Gesell­schafts- und Wirt­schafts­ord­nung, den die Kon­ser­va­tiv-Revo­lu­tio­nä­ren fol­ge­rich­tig zum Feind erklär­ten, wenn­gleich die­ser Feind­er­klä­rung, und das war ideen­po­li­tisch zugleich ihr mit­tel­fris­ti­ges Todes­ur­teil, kei­ne metho­disch erar­bei­te­te Gesell­schafts­ana­ly­se zugrun­de lag, auf deren Basis man Schritt für Schritt ein kohä­ren­tes rech­tes, nicht­ka­pi­ta­lis­ti­sches und sozia­les Ideen­ge­bäu­de ohne Aus­mor­dung »Ande­rer« (Juden, »Bür­ger« usw.) hät­te errich­ten können.

Ernst Jün­ger etwa nutz­te anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Meta­phern und ent­spre­chen­des Voka­bu­lar, doch blieb sei­ne Kapi­ta­lis­mus­kri­tik anti­bür­ger­lich-habi­tu­ell. Immer­hin schied er sei­nen Natio­na­lis­mus vom Patrio­tis­mus der bür­ger­li­chen Reak­ti­on und optier­te offen für die Quer­front der Anti­ka­pi­ta­lis­ten: Alle tat­säch­li­chen revo­lu­tio­nä­ren Kräf­te inner­halb eines Lan­des ver­kör­per­ten unge­ach­tet der ideo­lo­gi­schen Ant­ago­nis­men, so Jün­ger in einem Gast­bei­trag für ein lin­kes Organ, unsicht­ba­re Ver­bün­de­te, da der gemein­sa­me Feind durch die bestehen­den bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Ver­hält­nis­se defi­niert sei. Wäh­rend bei der Grup­pe um Jün­ger das Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re vor allem aus der Front­er­fah­rung rühr­te und das Sozi­al­re­vo­lu­tio­när-Anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche meist mehr­deu­tig-nebu­lös for­mu­liert wur­de, agier­ten Autoren und Wis­sen­schaft­ler um die (jung)konservativ – (national)revolutionäre Zeit­schrift Die Tat fundierter.

Auch ein Links­in­tel­lek­tu­el­ler wie Fritz Stern­berg beschäf­tig­te sich daher spä­ter aus­führ­lich mit öko­no­mi­schen Stand­punk­ten der Tat-Akteu­re. Stern­berg hono­rier­te die kapi­tal­geg­ne­ri­schen Abhand­lun­gen, vor allem Fer­di­nand Frieds Schrift »Das Ende des Kapi­ta­lis­mus« (1931), und lob­te des­sen »aus­ge­zeich­ne­te Ana­ly­se«. Wei­ter­hin attes­tier­te er ihm her­vor­ra­gen­des »kon­kre­tes Anschau­ungs­ma­te­ri­al über die Ver­falls­er­schei­nun­gen im Nie­der­gang des Kapi­ta­lis­mus«. Bean­stan­det wur­de aber, ange­sichts des Publi­ka­ti­ons­orts Welt­büh­ne erwart­bar, die rech­te, also natio­na­le Grun­die­rung des Anti­ka­pi­ta­lis­mus um Fried, Carl Rothe, Gisel­her Wir­sing, Ernst Wil­helm Esch­mann und Hans Zehrer.

Die­se Per­so­nen bil­de­ten zwi­schen 1929 und 1933 den Kern des »Tat­krei­ses«. Die ideel­len Inspi­ra­to­ren hie­ßen Wer­ner Som­bart und Carl Schmitt, das Ziel war eine sozia­le und natio­na­le Neu­glie­de­rung Deutsch­lands, und den Weg ver­such­te man mit Gene­ral v. Schlei­cher und ori­gi­nä­ren »lin­ken« Natio­nal­so­zia­lis­ten um Otto und, jeden­falls tem­po­rär, Gre­gor Stras­ser zu gehen. Die Tat war dabei kein rand­stän­di­ges Sek­tie­rer­blätt­chen, son­dern eines der bedeu­tends­ten poli­ti­schen Orga­ne der Wei­ma­rer Repu­blik. Die Redak­ti­on arbei­te­te sys­te­ma­tisch an einem nicht­ma­te­ria­lis­ti­schen Anti­ka­pi­ta­lis­mus sowie am Aus­bau eines gene­ra­ti­ons­spe­zi­fi­schen rechts­in­tel­lek­tu­el­len Bewußt­seins, aus dem her­aus die kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re Trans­for­ma­ti­on der bestehen­den Ver­fas­sung gedacht wurde.

Rück­grat der ange­streb­ten kon­ser­va­ti­ven und sozia­len Revo­lu­ti­on soll­ten abstiegs­be­droh­te Mit­tel­schich­ten, auf­stre­ben­de Arbei­ter und die  Bau­ern­schaft  bil­den; die Wirt­schaft wäre kor­po­ra­tiv-genos­sen­schaft­lich neu zu glie­dern, wobei – ähn­lich wie bei Adolph Wag­ner 60 Jah­re frü­her – min­des­tens die  Pro­duk­ti­ons­mit­tel, der Grund und Boden sowie die Ban­ken in Staats­hand über­führt wer­den soll­ten, um die Grund­ver­sor­gung gemein­schaft­lich und ohne Pro­fit­ma­xi­mie­rung pri­va­ter Akteu­re zu sichern.

Im Herbst 1932 erreich­te man mit die­ser die Rechts-links-Dicho­to­mie auf­he­ben­den Pro­gram­ma­tik die Auf­la­gen­höchst­zahl von 30.000. Die Ent­kopp­lung der hete­ro­ge­nen Gewerk­schafts­be­we­gung von SPD, KPD und Co. war das real­po­li­ti­sche Pri­mär­ziel der Tat als dem »Sam­mel­platz der jün­ge­ren natio­na­len Bewe­gung« (Ernst Robert Cur­ti­us). In die­sem Sin­ne ziel­ten zahl­rei­che publi­zier­te Über­le­gun­gen der Tat­kreis-Prot­ago­nis­ten dar­auf ab, aktu­el­le Wider­sprü­che in der viel­fäl­ti­gen Arbei­ter­be­we­gung zu ana­ly­sie­ren und durch kor­po­ra­ti­ve Ideen Brü­cken nach links zu bau­en. Der His­to­ri­ker Axel Schildt wies dar­auf hin, daß die Avan­cen, die in Rich­tung der Gewerk­schaf­ten und ande­rer sozi­al ori­en­tier­ter Krei­se for­mu­liert wur­den, »durch­aus ehr­lich gemeint« gewe­sen sei­en, also kei­nes­wegs bloß Tak­tik und Dem­ago­gie folgten.

Authen­tisch anti­ka­pi­ta­lis­tisch und rechts zugleich war auch Ernst Nie­kisch. 1918 noch für die Revo­lu­ti­on in Mün­chen aktiv, eck­te er zuneh­mend bei den lin­ken Mit­strei­tern an, über­warf sich mit ihnen spä­ter auch mit der natio­nal­ge­sinn­ten »Alten Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei« (ASP) in Sach­sen, um 1926 schließ­lich bis zu ihrem Ver­bot 1934 die monat­lich erschei­nen­de Zeit­schrift Wider­stand herauszugeben.

Nie­kischs Syn­the­se aus Sozia­lis­mus und Natio­na­lis­mus läßt sich am äuße­ren lin­ken Rand der rech­ten KR ver­or­ten, und die Welt­an­schau­ung der »Wider­stands­be­we­gung« Nie­kischs ist tref­fend als ein »preu­ßi­scher« (aske­ti­scher, eta­tis­ti­scher), nicht­mar­xis­ti­scher Sozia­lis­mus zusam­men­ge­faßt. Nie­kisch berief sich bei der Aus­ar­bei­tung sei­ner anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Idee von rechts ideen­po­li­tisch zugleich auf Arthur Moel­ler van den Bruck und Ernst Jün­ger wie auf Karl Marx und den Kom­in­tern-Kader Karl Radek.

Davon, daß sei­ne Ideen eines Tages ein ful­mi­nan­tes Come­back erle­ben wür­den, zeig­te sich nicht zuletzt Sebas­ti­an Haff­ner über­zeugt. Von Nie­kisch gibt es, ent­ge­gen anders­lau­ten­der Dif­fa­mie­run­gen, kei­nen ein­fa­chen welt­an­schau­li­chen Über­gang zum Natio­nal­so­zia­lis­mus Hit­ler­scher Prä­gung. Im Gegen­teil: Als Kopf sei­ner Wider­stands­be­we­gung und bekann­ter Ideo­lo­ge der Annä­he­rung an die Sowjet­uni­on wur­de der streit­ba­re »lin­ke Rech­te« in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger gesperrt und erst 1945 befreit.

Gewiß: Der Natio­nal­so­zia­lis­mus der Hit­lers, Görings und Rosen­bergs koket­tier­te mit sozia­lem und anti­bür­ger­li­chem Voka­bu­lar, er ver­trat klas­sen­kom­pro­miß­le­ri­sche Stand­punk­te im Zei­chen einer auch im Wirt­schaft­li­chen strikt hier­ar­chisch geglie­der­ten Volks­ge­mein­schaft, er pro­pa­gier­te die Hebung des mate­ri­el­len Niveaus aller Schich­ten im Zei­chen der Deut­schen Arbeits­front und er stei­ger­te »staats­ka­pi­ta­lis­ti­sche« Unter­neh­mun­gen; dezi­diert anti­ka­pi­ta­lis­tisch war er nicht. Der adli­ge Groß­grund­be­sitz bei­spiels­wei­se oder auch die star­ke poli­ti­sche Gestal­tungs­macht der finanz­in­dus­tri­el­len Fami­li­en­dy­nas­tien – alle­samt im Visier der sozi­al­ori­en­tier­ten Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­nä­re – stan­den nie zur Disposition.

Der Kapi­ta­lis­mus soll­te vor allem ras­sisch »gesäu­bert« und natio­nal gezü­gelt wer­den. Die hit­le­ris­tisch-völ­ki­sche Bewer­tung des Kapi­ta­lis­mus ver­ne­belt sein kom­plex-fle­xi­bles Wesen, sie ver­schiebt die »Ursa­che der kapi­ta­lis­ti­schen Ant­ago­nis­men auf einen (pseudo-)konkreten, von außen ein­drin­gen­den (ras­sisch) Ande­ren und erweckt so die Phan­ta­sie­vor­stel­lung, man müs­se die­sen Ande­ren nur los­wer­den«, wie Sla­voj Žižek zusammenfaßte.

Inner­halb des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sam­mel­be­ckens war es indes eine – vor 1933 aus der Par­tei aus­ge­tre­te­ne und ab 1933 bru­tal ver­folg­te – Min­der­heit, die die »natio­nal-sozia­lis­ti­sche« Ter­mi­no­lo­gie ernst nahm und von rechts her die »anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Sehn­sucht des deut­schen Vol­kes« (Gre­gor Stras­ser) bedie­nen woll­te. Ihr Wort­füh­rer war bald Otto Stras­ser, des­sen »Schwar­ze Front« zeit­wei­se eben­so mit KR-Grup­pen um Nie­kisch und Jün­ger koope­rier­te wie mit natio­nal auf­ge­schlos­se­nen Lin­ken. Die Pro­gramm­er­klä­rung »Die Sozia­lis­ten ver­las­sen die NSDAP« vom Juli 1930 ent­hielt eini­ge für die Rech­te jener Zeit bahn­bre­chen­de wie ein­ma­li­ge Ansät­ze, doch fällt auf, daß weder in die­ser Erklä­rung noch in den Schrif­ten Stras­sers selbst eine anspruchs­vol­le und die Zei­ten über­dau­ern­de Theo­rie­ar­beit geleis­tet wur­de; häu­fig blieb es bei ober­fläch­li­chen und zum Teil in sich wider­sprüch­li­chen Ausarbeitungen.

Gleich­wohl wur­de hier – dezi­diert von rechts – das Ende des Pri­vat­ei­gen­tums an Pro­duk­ti­ons­mit­teln im Sin­ne einer »Lehen­s­trä­ger­schaft« sowie die Erar­bei­tung einer Misch­form aus Plan- und Markt­wirt­schaft gefor­dert. Nach 1945 ver­paß­te Otto Stras­ser eine inhalt­li­che Wei­ter­ent­wick­lung sei­ne durch Freund und Feind offen­ge­leg­ten Schwach­stel­len; über­dies war das Zeit­al­ter des soge­nann­ten Wirt­schafts­wun­ders ohne­hin kein Zeit­al­ter für Kapi­ta­lis­mus­kri­tik – geschwei­ge denn von rechts.

Die west­deut­sche Nach­kriegs­rech­te – eine ost­deut­sche war durch die SED-Dik­ta­tur unmög­lich – wähl­te die Rol­le rück­wärts und kehr­te in den Schoß der bür­ger­li­chen Vor­stel­lungs­welt zurück. Der »bour­geoi­se Anti­kom­mu­nis­mus«, von Nie­kisch, Jün­ger und Co. noch ver­spot­tet, wur­de – auf­grund der zahl­lo­sen Mas­sen­mor­de durch die Sowjet­macht, auf­grund des eli­mi­na­to­ri­schen Anti­fa­schis­mus, den die Rote Armee vom Bal­ti­kum bis Ost­deutsch­land prak­ti­ziert hat­te – gewis­ser­ma­ßen Leit­bild der Nach­kriegs­rech­ten, die, von mar­gi­na­li­sier­ten Aus­nah­men abge­se­hen, im Kal­ten Krieg  frü­her oder spä­ter zur Affir­ma­ti­on der ideo­lo­gi­schen, mili­tä­ri­schen und öko­no­mi­schen West­bin­dung über­lie­fen. Sozia­le, all­ge­mein ehe als »links« wahr­ge­nom­me­ne Theo­re­me erschie­nen durch die Wucht des erleb­ten roten Ter­rors des­avou­iert. Die kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Rech­te fris­te­te in den 1950er und 1960er Jah­ren auch des­halb ein Schattendasein.

Erst Ende der sech­zi­ger und zu Beginn der sieb­zi­ger Jahr for­mier­ten sich um die jun­gen Publi­zis­ten Wolf­gang Strauss, Hen­ning Eich­berg und Lothar Penz expli­zit »Neue« Rech­te, die die sozia­le und natio­na­le Fra­ge auf der Höhe ihrer Zeit bear­bei­ten woll­ten und dabei, stark unter dem Ein­druck der Stu­den­ten­be­we­gung und der Neu­en Lin­ken ste­hend, einen Theo­rie- und Wis­sen­schafts­hun­ger bewie­sen, wie er im kon­ser­va­ti­ven Milieu der Bun­des­re­pu­blik bis dato unbe­kannt gewe­sen ist. In Zeit­schrif­ten wie Jun­ges Forum, Rebell, Neue Zeit oder Jun­ge Kri­tik wur­den öko­lo­gi­sche, demo­kra­tisch-sozia­lis­ti­sche und befrei­ungs­na­tio­na­lis­ti­sche Sujets dis­ku­tiert, ja eine sozia­le Neu­ord­nung West­eu­ro­pas gefor­dert, die Leis­tung und nicht Kapi­tal­be­sitz oder, all­ge­mei­ner, sozia­le Her­kunft in den Fokus stellte.

Die­se Neue Rech­te – man darf sich nicht dar­über hin­weg­täu­schen – umfaß­te selbst in ihrer Hoch­zeit Ende der 1960er bis Mit­te der 1970er Jah­re im Kern ledig­lich 40 bis 50 Kader, deren Nei­gung zur Aus­dif­fe­ren­zie­rung der eige­nen Posi­tio­nen zu Frik­tio­nen und Brü­chen führ­te. Denn die auf die ers­te Gene­ra­ti­on fol­gen­den Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re der spä­ten 1970er und 1980er Jah­re ver­zet­tel­ten sich in einer aus heu­ti­ger Sicht bizarr anmu­ten­den K‑Gruppen Spaltungsmentalität.

Mao­is­ti­sche, »volks­so­zia­lis­ti­sche«, euro­pä­isch-sozia­lis­ti­sche oder auch kon­ser­va­tiv- öko­lo­gi­sche Theo­re­me wur­den mit natio­na­len Ideen zusam­men­ge­führt. Der Zeit­geist stand jedoch auf Sei­ten der anti­au­to­ri­tä­ren  Lin­ken, und dort stand auch die Jugend, wäh­rend auf der Rech­ten habi­tu­ell gänz­lich anders auf­tre­ten­de bür­ger­li­che Kon­ser­va­ti­ve reüs­sier­ten, die sich zuneh­mend anglo­ame­ri­ka­nisch und pro­ka­pi­ta­lis­tisch äußer­ten; Cas­par v. Schrenck-Not­zing, Grand­sei­gneur des bemer­kens­wer­ten kon­ser­va­ti­ven Debat­ten­blatts Cri­ticón, war bei­spiels­wei­se Mit­glied in der liber­tä­ren US-ame­ri­ka­ni­schen Phil­adel­phia Socie­ty, deren Ideen um den markt­ra­di­ka­len Insti­tuts-Mit­be­grün­der Mil­ton Fried­man schlicht­weg für (fast) alles stan­den, was die kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Neue Rech­te die­ser Zeit ablehnte.

Schrenck-Not­zing teil­te dem­entspre­chend in einer Rezen­si­on zu Peter Glotz’ Streit­schrift Die deut­sche Rech­te (1989) mit, daß die »Neue Rech­te« aus­schließ­lich aus natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Grup­pen der 1970er Jah­re bestan­den habe, daß sie fer­ner als Bezeich­nung für die fran­zö­si­sche Nou­vel­le Droi­te zutref­fe, nicht aber für die kon­ser­va­ti­ve Intel­li­genz der Bun­des­re­pu­blik, die zwar eine neue Rech­te, aber kei­ne Neue Rech­te sei.

Eben­je­ne kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Neue Rech­te lös­te sich, wie Schrenck-Not­zing rich­tig bemerk­te, noch eini­ge Jah­re vor dem Ende der 1980er – aus­ge­rech­net im Sie­ges­jahr­zehnt des Neo­li­be­ra­lis­mus um Rea­gan und That­cher – all­mäh­lich auf, ihre Füh­rungs­köp­fe zogen sich ins Pri­vat­le­ben zurück, ver­such­ten an Rechts­par­tei­en anzu­do­cken oder lie­fen gar zur (däni­schen) Lin­ken über, so der 2017 ver­stor­be­ne Hen­ning Eichberg.

Bevor – und zeit­wei­se auch wäh­rend – Eich­berg sei­ner uni­ver­si­tä­ren und par­tei­po­li­ti­schen Kar­rie­re in Däne­mark nach­ging, arbei­te­te er im Rah­men des Zeit­schrif­ten­pro­jekts wir selbst! (1979 bis 2002) von Sieg­fried Bublies. Man ver­trat wie­der­um basis­de­mo­kra­ti­sche, öko­lo­gi­sche, anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche und iden­ti­tär-eth­no­plu­ra­lis­ti­sche Stand­punk­te. Zen­tral war für die Redak­ti­on im Rah­men ihrer »Fünf­fa­chen Revo­lu­ti­on« die Erhal­tung der Viel­falt der Völker.

»Nur die Gemein­sam­keit selbst­be­wuß­ter Völ­ker, die auf ihre Frei­heit pochen, kann der Pla­nie­rung der Erde durch das supra­na­tio­na­le Kapi­tal ent­ge­gen­wir­ken«, faß­te der zeit­wei­li­ge wir selbst!-Mit­ar­bei­ter Fried­rich Bau­nack in »Revo­lu­ti­on I« zusam­men. Wei­te­re Aspek­te betra­fen Volks­herr­schaft (anstel­le der Par­tei­en­herr­schaft), Human­wirt­schaft« als Gegen­teil des neo­li­be­ra­len Pri­va­ti­sie­rungs­wahns, der »nichts ande­res ist als ille­gi­ti­me Ver­hö­kern von Volks­ei­gen­tum« (Bau­nack), ganz­heit­li­che Öko­lo­gie und schließ­lich die Stär­kung regio­na­lis­ti­scher Ansätze.

Das Pro­gramm war klug; es fehl­te jedoch die quan­ti­ta­ti­ve Basis und die im All­tag Aus­wir­kun­gen zei­ti­gen­de Kri­sen­si­tua­ti­on der kapi­ta­lis­ti­schen Ord­nung des Wes­tens, wie wir sie heu­te vor­fin­den. Das Pro­jekt wur­de 2002 eben­so ein­ge­stellt wie das kurz­le­bi­ge Nach­fol­ge­or­gan Volks­lust aus dem Jahr 2004, das kapi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Ansät­ze von rechts und links ver­ei­nen woll­te, vor allem links jedoch kei­ne Part­ner fand.

Die Spann­brei­te kapi­ta­lis­mus­kri­ti­scher rech­ter Ideen, die vom Tat­kreis über Nie­kisch bis zu Eich­bergs Neu­er Rech­ten reicht, wird heu­te stär­ker in Frank­reich rezi­piert. Rébel­li­on ist der Name einer zwei­mo­nat­lich publi­zier­ten Zeit­schrift, die rech­te Kapi­ta­lis­mus­kri­tik im 21. Jahr­hun­dert fort­füh­ren möch­te. Neben Bezug­nah­men auf die genann­te rech­te Ahnen­ga­le­rie sowie auf Marx, Sor­el, Proudhon oder Pol­anyi fin­den sich immer wie­der Arti­kel von oder Gesprä­che mit Alain de Benoist, dem Vor­den­ker der Neu­en Rech­ten Frank­reichs, der die KR nach Frank­reich »impor­tier­te« und dort kon­se­quent mit den Erkennt­nis­sen der zeit­ge­nös­si­schen Wis­sen­schaf­ten wei­ter­dach­te, was zu einer neu­en Theo­rie­bil­dung führ­te, die nun gewis­ser­ma­ßen nach Deutsch­land »reimpor­tiert« wird.

Benoist kri­ti­siert zwar an Nie­kisch-  oder  am  Tat­kreis-Milieu,  daß sie in »längst obso­let gewor­de­nen his­to­ri­schen Umstän­den« wirk­ten, über­nimmt aber seit Jahr­zehn­ten ver­schie­de­ne Impul­se aus dem Erbe der rech­ten Anti­ka­pi­ta­lis­ten Wei­mars, zumal die grund­sätz­li­che Ana­ly­se der Mecha­nis­men und Geset­ze des Kapi­ta­lis­mus – auch unter den stark ver­än­der­ten tech­ni­schen Rah­men­be­din­gun­gen von heu­te – all­ge­mein­gül­tig bleibt.

Dabei besteht für Benoist, wie für das Gros rech­ter Anti­ka­pi­ta­lis­ten, kein Zwei­fel, daß der Libe­ra­lis­mus der »Haupt­feind« sei. Der Phi­lo­soph betont, daß er so bereits zu Zei­ten des Sowjet­kom­mu­nis­mus (»der letzt­lich nur ein Staats­ka­pi­ta­lis­mus war«) dach­te. Und: Er denkt in die­ser Wei­se noch heu­te, wo die libe­ra­le Ideo­lo­gie in einem glo­ba­len Maß­stab längst hege­mo­ni­al wur­de. Alle drei Pfei­ler die­ser uni­ver­sa­lis­ti­schen Ideo­lo­gie – Kapi­ta­lis­mus, »Reli­gi­on der Men­schen­rech­te« und Markt­ge­sell­schaft – fin­den har­sche Kritik.

Aber Benoist weiß, daß sol­che Denk­be­we­gun­gen im eige­nen Lager oft­mals schwe­ren Stand haben: Denn his­to­risch betrach­tet habe sich der wirt­schaft­li­che Libe­ra­lis­mus (Kapi­ta­lis­mus) stär­ker »rechts« mani­fes­tiert, wäh­rend der gesell­schafts­po­li­ti­sche Libe­ra­lis­mus sich eher »links« ver­or­te­te. Heu­te wie­der­um erle­ben wir die Fusi­on bei­der Libe­ra­lis­men im Zei­chen des herr­schen­den Links­li­be­ra­lis­mus, wie es Nor­bert Borr­mann erfaß­te, als er kon­sta­tier­te, daß wesent­li­che Tei­le der Lin­ken kein Inter­es­se mehr an einer »Expro­pria­ti­on der Expro­pria­teu­re« hegen, son­dern ihren Frie­den mit dem Kapi­tal geschlos­sen haben. Aus­ge­hend von der Tot­alem­an­zi­pa­ti­on der 68er habe man sich, so Borr­mann zutref­fend, von grund­le­gen­den Inter­ven­tio­nen ver­ab­schie­det, ja auf die kul­tu­rel­le Sphä­re beschränkt, wo man ton­an­ge­bend wurde.

Das bedeu­te, »daß der pos­tu­lier­te Gegen­satz zwi­schen Kapi­ta­lis­mus und lin­ker Ideo­lo­gie« heu­te nur noch Pro­pa­gan­da gleicht; die Lin­ke stel­le »nicht den Toten­grä­ber des Kapi­ta­lis­mus« dar, son­dern war »der Bahn­bre­cher eines rei­nen Wirt­schafts­den­kens, sprich: des tota­len Kapi­ta­lis­mus«. Für die damit erreich­te Syn­the­se aus lin­kem Über­bau (Poli­tik, Gesell­schaft, Medi­en) und kapi­ta­lis­ti­scher Basis kre­ierte der rech­te Den­ker den Neo­lo­gis­mus »Links­ka­pi­ta­lis­mus«, womit er ver­an­schau­lich­te, »daß sich mit Kapi­tal und Links­ideo­lo­gie zwei Tei­le gefun­den haben, die über­aus kom­pa­ti­bel sind«.

Gera­de die­se més­al­li­ance ist dafür ver­ant­wort­lich, daß für rech­te Kapi­ta­lis­mus­kri­tik heu­te und in Zukunft – skiz­ziert wur­de in vor­lie­gen­dem Bei­trag nur eine kur­ze Geschich­te – die Stun­de schlägt: Der unap­pe­tit­li­chen Quer­front aus Kapi­tal und Anti­fa­schis­mus ist eine ideel­le Syn­the­se kapi­ta­lis­mus­kri­ti­scher Ansät­ze auf der Höhe der Zeit ent­ge­gen­zu­stel­len, und zwar bei einem nicht hin­ter­geh­ba­ren Bezug auf das grund­le­gen­de rech­te Men­schen­bild, das, ob mit Adolph Wag­ner oder Arnold Geh­len gedacht, ein skep­ti­sches bleibt, auch wenn lin­ke Ana­ly­sen, etwa im Bereich der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, frei­lich selek­tiv ein­be­zo­gen wer­den müssen.

Bei Bezug­nah­men auf ori­gi­nä­re rech­te Tra­di­ti­ons­li­ni­en der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik (deren Aus­ar­bei­tung eben­falls eo ipso in der Aus­ein­an­der­set­zung mit Inhal­ten poli­ti­scher Geg­ner ver­lief), die zu oft ver­ges­sen oder ver­drängt wer­den, han­delt es sich nicht um Nost­al­gie, nicht um eine Flucht in die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on der Zwi­schen­kriegs­zeit oder um ein Recy­cling alter Ideen. Das Ziel ist viel­mehr theo­re­ti­sches »Upcy­ling«, »bei dem es nicht dar­um geht, alte Ideen kaputt zu schla­gen, son­dern ihnen in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Tei­len einen höhe­ren Wert zu geben« (Guil­laume Pao­li). Für die­ses ambi­tio­nier­te Vor­ha­ben, das in der anhal­ten­den Kri­se des Poli­ti­schen unver­zicht­bar ist, wird es zwin­gend not­wen­dig sein, Gesell­schafts­ana­ly­se, Öko­no­mie­kri­tik und poli­ti­sche Theo­rie­ar­beit – wie­der – stär­ker von rechts in Angriff zu nehmen.

Erst wenn eine neue Gene­ra­ti­on die­se Kärr­ner­ar­beit leis­tet und in prak­ti­sche Ergeb­nis­se umsetzt, kann, je nach Belie­ben, auf die der­zeit not­wen­di­ge Exege­se zeit­ge­nös­si­scher kapi­ta­lis­mus­kri­ti­scher Den­ker von links ver­zich­tet wer­den. Bis dahin wird rech­te Kapi­ta­lis­mus­kri­tik auch die eige­ne Geschich­te pro­duk­tiv erfor­schen müs­sen. Und Geschich­te ist, wie Domi­ni­que Ven­ner beton­te, defi­ni­ti­ons­ge­mäß offen.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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