Wahres
Eugen Ruge: Metropol. Roman, Hamburg: Rowohlt 2019. 432 S., 24 €
Was für ein krasses Buch! Gerade noch, 2018, hatten wir den Amerikaner Amor Towles gepriesen, der mit Ein Gentleman in Moskau den jahrzehntewährenden „Hausarrest“ des Grafen Rostov im Moskauer Luxushotel „Metropol“ in Romanform brachte.
Nun geht es um dasselbe Hotel; diesmal führt der deutsche Romancier (und studierte Mathematiker) Eugen Ruge (*1954) die Feder. Ruge wurde im Juni 1954 geboren, ein halbes Jahr nach Stalins Tod. 2011 hatte Ruge den mehrfach ausgezeichneten Familienroman In Zeiten des abnehmenden Licht vorgelegt, einen DDR- und Wenderoman.
Mit Metropol hat er die damals ausgeklammerte Lebensgeschichte seiner Großmutter Charlotte nachgereicht, verdichtet auf jene 477 Tage, die sie gemeinsam mit ihrem Mann im Hotel Metropol, Moskau, verbringen mußte. Hier werden nach und nach unter Verdacht geratene Mitglieder der kommunistischen Internationalen (Komintern) einquartiert.
In den Jahren 1936 bis 1938, der Zeit der stalinistischen “Säuberungen”, wurde auch der Nachrichtendienst der Komintern, die sogenannte OMS, liquidiert. Im Epilog, einem editorischen Bericht Ruges über seine Recherchen und den unglaublichen Zufall, der seine Großmutter überleben ließ, sind die reellen Personen hinter den Romanfiguren aufgelistet: Jeder Absatz schließt mit dem Datum der Erschießung oder des Todes im Gulag.
Wie funktioniert Gehirnwäsche? Hier sagt einer, der es wissen muß: „Die Menschen glauben, was sie glauben wollen. (…) Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg. Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt. Wird die Dinge so lange drehen und wenden, bis sie wieder in seinen Glauben hineinpassen, und seine ganze Klugheit wird ihn nicht etwa daran hindern, sondern ihm noch dabei behilflich sein.“
Sprechen wir über damals oder auch über – heute? Höchst erstaunlich, daß ein Rugetext zur Deutsch-Abi-Prüfung im Jahre 2018 (Sachsen-Anhalt) zugelassen wurde.
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Gutes
Patrizia Schlosser: Im Untergrund, Hamburg: Hoffmann und Campe 2019, 251 S., 18 €
Den Untertitel nenne ich hier nicht. Er hätte vermutlich dazu geführt, daß ich dieses Buch keines Blickes gewürdigt hätte. Was definitiv ein Fehler gewesen wäre! Die Reportage der jungen Journalistin Patrizia Schlosser ist ein echter Glücksfall. Ein aufschlußreiches Lesevergnügen für „m/w/d“, für Akademiker wie für praktisch Orientierte, für Linke wie Rechte.
Darum geht es: Frau Schlosser steckt noch in journalistischen Kinderschuhen. Ihr fehlt gewissermaßen das Knallerthema. Sie hört nun davon, daß drei Leute, die der „3. Generation“ der RAF zugrechnet werden, immer noch aktiv seien: Daniela Klette, Ernst-Volker Straub und Burkhard Garweg.
Sie sollen, mittlerweile als „RAF-Rentner“ immer noch im Untergrund leben und durch Raubüberfälle ihr Unwesen treiben. Patrizias Schlosser eigener Vater war „damals“ zu Hochzeiten der „Fraktion“, Kriminalbeamter. Mittlerweile führt er ein grummelndes Rentnerdasein. Sie holt ihn – gegen erhebliche Widerstände – ins Boot bei ihrer zu Beginn fast infantilen, dann immer reiferen Ermittlungsarbeit.
Patrizia Schlosser verschickt dutzende Anfragen, an Leute, die etwas wissen könnten über die Untergründler und ihre Motive. Sie trifft sich mit verrücktesten Leuten ‑echten „Systemaussteigern“, Paranoiden und Fachmännern mit Vergangenheit. Sie wird bedroht. Sie fühlt sich links, der Papa liefert den Gegenpol. Erst spät stellt sich heraus, wie direkt Vater Schlosser damals mit der RAF zu tun hatte… Abenteuerlich gut geschrieben: wie eine kluge Frau von ihren linken Utopien läßt. Jedenfalls so halbwegs.
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Schönes
Sebastian Schütze: Caravaggio. Das vollständige Werk. Köln: Taschen 2019, 524 S., 50 €
Caravaggio, der Prachtmaler des Frühbarock: das, Kinder, ist Kunst! Eine Zeitlang pflegten wir als ehrgeizige Eltern mit unseren Kindern „Kunstthemenmonate“. Das hieß: Jeden Monat gab es ein Bild und gewissermaßen abendliche „Meditationen“ dazu. Was wird hier gezeigt? Warum auf diese Weise? Welche Mittel nutzt der Künstler? Was fällt euch noch auf? In welcher Zeit befinden wir uns? Was malten damals andere Künstler?
Das war so ambitioniert, daß wir es irgendwann sein ließen. Die Kinder mochten diese kleinen Unterrichtssequenzen nach dem Abendbrot eigentlich gern. (Nur, wenn es in Abfragungen ausartete – “Und welches Ereignis, W., hatte damals gerade stattgefunden? Hatten wir doch vorgestern im Detail!”- verdrehten sie die Augen.)
Mit diesem wunderbaren Bildband will ich neu beginnen. Mit abendländischer Meisterschaft! Für mich ein konservativer Revolutionär avant la lettre!
t.gygax
Kleine Leseempfehlung: "Rote Asche" BrinkhausVerlag/Schweiz, Verfasser der Ex SVP Poltiker Oskar Freysinger.
Eine literarische Abrechnung mit dem Kommunismus in der UDSSR, speziell der Zeit der "großen Säuberung" Stalins 1935-1938.
Fiktional, das Ganze, aber gut erzählt- wesentlich besser als etwa sea changes/Notre Dame 2018/Guerilla und ähnlich dystopische Bücher, und vor allem: Freysinger hat einen ganz eigenen Stil, nicht umsonst kamen aus der Schweiz früher große Erzähler.Mich hat das Buch nicht mehr losgelasssen, obwohl der Inhalt mehr als unerfreulich ist...und jeder, der gerne Schach spielt, findet hier einige tiefsinnige Gedaken zu diesem Spiel.
Leider ist es in der BRD nicht erhältlich, ich musste eine Menge Zeit, Geld und Mühe aufwenden, um mir das Buch von einem Bekannten , der nahe der Schweizer Grenze wohnt, besorgen zu lassen. Und selbst der hatte in der Schweiz Mühe, das Buch zu erhalten...was er mir nachher von seinen Erfahrungen in Schweizer Buchläden erzählte, wäre Stoff für eine hüsche Kurzgeschichte...
Aber wie gesagt: das Buch ist es wert gelesen zu werden, und Freysinger tat gut daran, suich nach seinem Poiltikerleben wieder ganz dem Schreiben zuzuwenden.