Nabelschau

pdf der Druckfassung aus Sezession 12 / Januar 2006

sez_nr_12von Karlheinz Weißmann

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift Unsere Agenda, die von der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung herausgegeben wird, hat Caspar von Schrenck-Notzing eine Bilanz des deutschen Konservatismus in der Nachkriegszeit gezogen (Ausgabe 3 / August 2005, zu beziehen gegen eine Spende an die FKBF / Knöbelstraße 36 / 80538 München).

Es ist – kaum über­ra­schend – eine nega­ti­ve Bilanz, bestimmt von Ana­chro­nis­men, ver­geb­li­chen Bemü­hun­gen und irre­ge­lei­te­tem Idea­lis­mus. Schrenck-Not­zing läßt Revue pas­sie­ren, was es an Orga­ni­sa­ti­ons­be­mü­hun­gen im Hin­blick auf Par­tei­en (die Deut­sche Par­tei noch mit rela­ti­vem, alle spä­te­ren mit sehr viel gerin­ge­rem Erfolg) und Insti­tu­tio­nen (Abend­län­di­sche Aka­de­mie, Stu­di­en­zen­trum Wei­kers­heim etc.) gab, um sich dann den Ver­su­chen geis­ti­ger Samm­lung (um ver­schie­de­ne Zeit­schrif­ten wie das von Schrenck-Not­zing selbst her­aus­ge­ge­be­ne Cri­ticón, aber auch Neu­es Abend­land, Kon­ser­va­tiv heu­te und ande­re) zuzu­wen­den. Auch die­se Anläu­fe sind zu einem gro­ßen Teil längst ver­ges­sen, domes­ti­ziert oder umge­grün­det, was Schrenck-Not­zing aber nicht resi­gnie­ren läßt. Er weist auf eine neue Gene­ra­ti­on von Kon­ser­va­ti­ven hin, für die die Wochen­zei­tung Jun­ge Frei­heit reprä­sen­ta­tiv ist und for­dert ein eher prag­ma­ti­sches Vor­ge­hen, das es bei ins­ge­samt ver­än­der­ter poli­ti­scher Lage erlau­ben könn­te, das kon­ser­va­ti­ve Ele­ment wie­der ins Spiel zu brin­gen. Bis dahin muß man sich vor­be­rei­ten und die Fra­ge nach den Ursa­chen des Schei­terns stellen.

Der wid­met sich auch der Sam­mel­band der von der För­der­stif­tung getra­ge­nen Schrif­ten­rei­he Stu­di­en und Tex­te zur Erfor­schung des Kon­ser­va­tis­mus (Bd 6, hrsg. von Frank-Lothar Kroll, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2005, kt., 347 S., 78.00 €), der unter dem Titel Die kupier­te Alter­na­ti­ve erschie­nen ist. Das „Kupie­ren“ bedeu­tet gemein­hin ein Wir­kungs­los­ma­chen, und in der Tat befas­sen sich die meis­ten Bei­trä­ge mit dem Schick­sal von kon­ser­va­ti­ven Ein­zel­nen (Hans B. von Sothen in einem vor­züg­li­chen Bei­trag über Hans Zeh­rer, Hans-Chris­tof Kraus über Fried­rich Sieburg, Micha­el Hen­kel über Eric Voe­gel­in, Klaus Hor­nung über Hans Roth­fels und der in der Ten­denz etwas irri­tie­ren­de Auf­satz von Susan­ne Peters über Wil­liam S. Schlamm) oder Grup­pen (Sol­da­ten, Beam­te, Ver­trie­be­ne), die in der Anfangs­zeit der Bun­des­re­pu­blik einen gewis­sen Ein­fluß aus­üben konn­ten, aber seit den sech­zi­ger Jah­ren all­mäh­lich ent­mach­tet wur­den. Bei deren Beur­tei­lung wer­de, so der Gene­ral­te­nor die­ser Auf­sät­ze, häu­fig über­se­hen, daß es gera­de die kon­ser­va­ti­ven Kräf­te waren, die einen ent­schei­den­den Bei­trag zur Sta­bi­li­sie­rung des Lan­des in der Nach­kriegs­zeit geleis­tet haben. Auch Cle­mens Albrecht führt in sei­nem ein­lei­ten­den Bei­trag aus, daß es im wesent­li­chen Kon­ser­va­ti­ven zu ver­dan­ken gewe­sen sei, daß die bar­ba­ri­schen Affek­te der Revol­te von ’68 in der Bun­des­re­pu­blik nur begrenz­te Wir­kung ent­fal­ten konnten.

Viel­leicht muß man die­se Wir­kung im Rück­blick aber kri­tisch sehen. Was mit die­sem Vor­be­halt gemeint ist, sei an dem Auf­satz von Ulrich Zel­len­berg deut­lich gemacht, der die „Apo­lo­gie des demo­kra­ti­schen Ver­fas­sungs­staats bei Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de, Josef Isen­see, Her­bert Krü­ger und Hel­mut Qua­rit­sch“ behan­delt. Es geht also um jene Grup­pe von Staats­recht­lern, die seit 1962 die Zeit­schrift Der Staat her­aus­gab und schon mit deren Titel eine dezi­diert eta­tis­ti­sche Linie zum Aus­druck brach­te. In ihrer Mehr­zahl waren die genann­ten – eine Aus­nah­me bil­det Her­bert Krü­ger – durch die Theo­rien Carl Schmitts geprägt, sie alle sahen die Staat­lich­keit durch Moder­ni­sie­rung und Libe­ra­li­sie­rung in Gefahr, glaub­ten aber an die Mög­lich­keit, der Bun­des­re­pu­blik jene Kor­sett­stan­gen ein­zie­hen zu kön­nen, die nötig sein wür­den, um deren Bestand auf Dau­er zu gewähr­leis­ten. Ihr Cre­do bringt Zel­len­berg tref­fend auf die For mel: „Inne­re Sou­ve­rä­ni­tät, Ein­sei­tig­keit der Ent­schei­dun­gen und Unwi­der­steh­lich­keit kraft des Mono­pols legi­ti­mer phy­si­scher Gewalt­sam­keit, Rechts­ge­hor­sam und Frie­dens­pflicht, Nicht­iden­ti­fi­ka­ti­on und staats­frei­es Ethos, reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie bei rela­ti­ver sozia­ler Homo­ge­ni­tät auf der Grund­la­ge natio­na­ler Über­zeu­gun­gen eines durch die Staats­an­ge­hö­rig­keit bestimm­ten Vol­kes“. Daß ein sol­ches Bekennt­nis noch 1962 in hohem Maße kon­sens­fä­hig war (und nicht ein­mal, wie der Fall des Sozi­al­de­mo­kra­ten Bök­ken­för­de zeigt, mit einer Opti­on für das bür­ger­li­che Lager ein­her­ge­hen muß­te), ist unbe­strit­ten; daß es heu­te kaum noch eine Rol­le spielt, eben­so wenig. Was man in dem sehr infor­ma­ti­ven Bei­trag von Zel­len­berg ver­mißt, ist eine deut­li­che­re Bezug­nah­me auf die­sen wich­ti­gen Aspekt.

Denn der Ein­satz der Kon­ser­va­ti­ven für den west­deut­schen Staat erfuhr nicht nur kei­nen Dank, son­dern trug sogar zur Mar­gi­na­li­sie­rung ihrer eige­nen Posi­ti­on bei. Psy­cho­lo­gisch bemer­kens­wert – viel­leicht auch typisch kon­ser­va­tiv – ist, daß trotz­dem nie­mand dar­an dach­te, die Loya­li­tät aufzukündigen.
Ein Grund für die Unbe­dingt­heit, mit der vie­le Kon­ser­va­ti­ve die poli­ti­sche Ord­nung der Bun­des­re­pu­blik deck­ten, lag in der kom­mu­nis­ti­schen Bedro­hung. Wes­halb auch geklärt wer­den muß, wel­che Fol­gen der Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on und des Ost­blocks für die­ses Mei­nungs­la­ger hat­te. Dem Pro­blem geht vor allem der Bei­trag von Ste­fan Winck­ler über „Kon­ser­va­ti­ve Intel­li­genz im ver­ei­nig­ten Deutsch­land“ nach. Dabei kon­zen­triert sich Winck­ler in ers­ter Linie auf jene „demo­kra­ti­sche Rech­te“, die nach 1989 unter Füh­rung von Rai­ner Zitel­mann, Heimo Schwilk und Ulrich Schacht den Ver­such unter­nahm, die kul­tu­rel­le Hege­mo­nie der Lin­ken anzu­grei­fen. Winck­ler stellt die Prot­ago­nis­ten vor und schil­dert die ein­zel­nen Pro­jek­te – wie die Her­aus­ga­be von Sam­mel­bän­den und diver­se öffent­li­che Auf­trit­te – bis zum Zusam­men­bruch der Initia­ti­ve 1995. Was an sei­ner Dar­stel­lung trotz der Detail­liert­heit stört, ist das Feh­len der Mikroebe­ne, etwa im Hin­blick auf die Ein­fluß­kämp­fe in der Welt, und das unver­bun­de­ne Neben­ein­an­der aller mög­li­cher Per­so­nen, Publi­ka­tio­nen und Aktio­nen. Die­se metho­di­sche Schwä­che ist auch in dem von Winck­ler geschrie­be­nen Buch Die demo­kra­ti­sche Rech­te (Euro­päi­sches Forum, Bd 14, Frank­furt a. M.: Peter Lang 2005, kt., 187 S., 39.00 €) fest­zu­stel­len, das sehr viel umfang­rei­cher die­sel­be Fra­ge­stel­lung wie der erwähn­te Auf­satz behan­delt. Man bedau­ert, daß ange­sichts des mit Fleiß zusam­men­ge­tra­ge­nen Mate­ri­als die Durch­drin­gung nicht gelin­gen will und inso­fern ein unbe­frie­di­gen­der Gesamt­ein­druck entsteht.

Das Pro­blem einer adäqua­ten Behand­lung erklärt sich natür­lich auch aus der man­geln­den Distanz zum Gegen­stand. Eine Schwie­rig­keit, die noch deut­li­cher wird, wenn nicht nur his­to­ri­sche Nähe eine Rol­le spielt, son­dern auch eine Par­tei­nah­me, die die poli­ti­sche Kon­fron­ta­ti­on erzwingt. Umso bemer­kens­wer­ter erscheint des­halb die Nüch­tern­heit, mit der Die­ter Stein, der Chef­re­dak­teur der Jun­gen Frei­heit, in einem Band der Rei­he „Edi­ti­on JF“ (Phan­tom „Neue Rech­te“. Die Geschich­te eines poli­ti­schen Begriffs und sein Miß­brauch durch den Ver­fas­sungs­schutz, Ber­lin: Jun­ge Frei­heit 2005, kart., 188 S., 10.90 €) zu der Fra­ge Stel­lung nimmt, was es eigent­lich mit dem Begriff „Neue Rech­te“ auf sich hat. Stein argu­men­tiert dahin­ge­hend, daß die­ser Ter­mi­nus im Grun­de eine „Erfin­dung“ des poli­ti­schen Geg­ners sei, der die Ein­heit­lich­keit ver­schie­de­ner, zum Teil auch ant­ago­nis­ti­scher Strö­mun­gen außer­halb des domi­nie­ren­den lin­ken Lagers behaup­te, um den Feind bes­ser bekämp­fen und durch­aus ver­fas­sungs­kon­for­me Strö­mun­gen als ver­fas­sungs­feind­lich brand­mar­ken zu kön­nen. Die Stär­ke die­ser von Stein im ein­zel­nen gut begrün­de­ten Posi­ti­on liegt im Nach­weis des mani­pu­la­ti­ven Umgangs mit der Bezeich­nung „Neue Rech­te“ durch die Medi­en einer­seits, durch gewis­se Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den ande­rer­seits. Ihre Schwä­che liegt in der Abwei­sung jedes heu­ris­ti­schen Wer­tes, was wie­der­um dazu führt, daß die eige­ne poli­tisch-welt­an­schau­li­che Stel­lung gar nicht oder nur unter Rück­griff auf älte­re Kon­zep­te benannt wer­den kann.
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Man soll­te dem aber kein all­zu gro­ßes Gewicht bei­mes­sen, denn tat­säch­lich sind ande­re als ter­mi­no­lo­gi­sche Fra­gen ent­schei­dend. Und wenn Stein im Schluß­teil sei­nes Buches dar­auf hin­weist, daß es der kom­men­den Gene­ra­ti­on oblie­ge, „eine neue deut­sche Posi­ti­on im 21. Jahr­hun­dert“ zu defi­nie­ren, dann wird man dem die Bereit­schaft ent­neh­men dür­fen, die kon­kre­te Her­aus­for­de­rung anzu­neh­men, den Feind zu bestim­men und sich erst dann dem Pro­blem zuzu­wen­den, das Ernst Jün­ger vor län­ge­rem auf­ge­zeigt hat: „Die Schwie­rig­keit, ein neu­es, glaub­wür­di­ges Wort für ‚kon­ser­va­tiv‘ zu fin­den, liegt tie­fer als im Ety­mo­lo­gi­schen. Ein sol­ches Wort wird nicht erfun­den, son­dern gebo­ren, und dadurch zwin­gend, daß es den Glanz alter und neu­er Wahr­heit in sich vereint.“

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