Nur der Blick in die Vergangenheit mag lehren, was zeitlosen Wesens ist und worauf es immer neu ankommt. Ferner läßt insbesondere die Geschichte noch eher als die Philosophie erkennen, daß nach vorn, in die Zukunft, nicht alles möglich ist, was sich Menschen erträumen und dreist einfordern. Die Geschichte illustriert in lebenden Bildern das Drama, in dem der Mensch stets stand; in ihr finden sich die Möglichkeiten der technischen wie die Grenzen der sozialen Utopie illustriert.
Während man die Geschichte der Technik fasziniert anschaut, bietet die Sozial- bzw. Politikgeschichte die notwendigen bitteren Lehrstücke. Ohne einander sind beide, die wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten wie die daran anschließenden politischen Träume, nicht zu denken, verleiteten doch die technischen Faszinationen zu der Illusion, dem Menschen wäre ebenso gesellschaftspolitisch alles möglich, er könne sich in seiner eigenen geistigen und körperlichen Substanz quasi technisch weiterentwickeln, „upgraden“, also als Konstrukt seiner selbst die natürlichen Grenzen überschreiten und zu einem utopisch anmutenden Androiden werden.
Insbesondere die bolschewistisch-stalinistische Variante des Kommunismus führte solche Perversion bis in die gestaltete Bildwelt ihrer Künste und Propaganda hinein aus und zündete damit eine gewaltige Inspirationskraft, die zunächst den Blick auf die Verbrechen verstellte, ohne die dieses fatale Experiment nicht zu haben war.
Der Kommunismus scheint vorerst erledigt, aber seine utopistische Genetik spinnt weiter fort. Marxismus ist der Versuch einer materialistischen Weltanschauung mit der schwierigen Erblast des deutschen Idealismus, der, vor allem in der Gestalt von Hegels Geschichtsphilosophie, die Erlösungshoffnung des Christentums „wissenschaftlich“ weitertrug. Marx wiederum fand dafür neue Jünger. Letztlich verteidigt die „Antifa“ mit kindlicher Wut das unerreichbare Ziel des „Prinzips Hoffnung“.
Die Linke versteht sich bis heute als Vollstreckerin der Aufklärung. Selbst das, was linksgrüne Politiker wie Habeck-Baerbock verkünden, klingt zunächst verlockend gut, weil es dem Menschen als ethischem Wesen ein Kompliment nach dem anderen macht. Das ist moralisches Jakobinertum in freundlicher Gestalt. Gerade der Moralismus und das falsche Versprechen, Welt und Mensch endlich retten zu können, entwickeln eine erotische Anziehungskraft, vermutlich weil Welt und Mensch eben nicht zu retten sind – eine Tragik, mit der es jedoch zu leben gilt.
Der Aufklärung und allem, was daraus wurde, hat die Menschheit einerseits viel zu danken, wie etwa die (vermutlich nur vorübergehende) Abgrenzung von religiösem Wahn, zu dem derzeit insbesondere der massiv antiaufklärerische Islam prädestiniert. Anderseits hat die Aufklärung in ihrer fortschrittsgläubigen Euphorie – und dabei weitgehend blind gegenüber der Janusköpfigkeit von Wissenschaft und Technologie – den Menschen in seinen Möglichkeiten weit überschätzt. Und genau hier liegt die Antwort auf die Frage, vor der Adorno und Horkheimer standen:
Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.
In ihrer „Dialektik der Aufklärung“ entwickelten sie ihre Schlußfolgerungen auf schwierig überbildete, aber deutlich desillusionierte Weise und formulierten dazu eine komplizierte Argumentation, die die intellektuelle Linke seither ungelenk zu begreifen und auszulegen versucht.
Und tatsächlich ist – nicht nur von rechts – gar eine einfachere Antwort möglich, und sie war seit Genesis 3 sogar längst und vielfach gegeben: Der Mensch gerät mit seinen Vorhaben und Werken nämlich stets und ständig, und zwar ganz unweigerlich in Barbarei, sobald ihn wissenschaftliche und technische Möglichkeiten dazu verleiten, sich selbst zu entgrenzen. Diese Einsicht ist Grundbestand aller Mythologie. Nur meinte die liberale und später die marxistische Intellektualität, daß eben mit der Aufklärung und ihrer radikalen Forcierung und Ausweitung die Vorgeschichte der Menschheit beendet wäre und kraft vermeintlicher Vernunft in der Moderne endlich doch alles möglich sei.
Mit diesem geschichtsoptimistischen Fanal begann die Ouvertüre zur Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, die im einundzwanzigsten ihr Fortsetzung finden wird, weil dem Menschen die Grundannahme, er könnte die in seiner Natur liegenden Probleme technisch lösen, sie in toto quasi totalitär regeln, nie mehr auszutreiben sein wird. Immer neue Welt- und Menschenbeglücker werden also immer neues Welt- und Menschenelend heraufbeschwören, bis der technische Zugriff auf die ganze Welt – dank „Big Data“ so wie noch nie möglich – eben die gesamte Welt erledigt, mindestens ihre Biosphäre vergewaltigt haben wird.
Figuren wie Habeck-Baerbock sind mit Blick aufs Ganze freilich nur neudeutsche Komparsen, folgen aber enthusiasmiert genau diesem Prinzip und begreifen als politische Komödianten die den Prozessen eingeschriebene Tragödie nicht.
Was kann man dagegen tun? Nichts. Eigenverantwortung und Verantwortung gegenüber dem anderen und den Mitgeschöpfen ist nurmehr in einer reaktionären Grundhaltung denkbar, die sich dem Unvermeidlichen sogar unvermeidlich erfolglos entgegenstemmt und also immer nur zeitweise auf letztlich verlorenem Posten noch befriedete Refugien sichert, ohne jedoch siegen zu können.
Siegen wird das Prinzip Aufklärung, mindestens in deren versachlicht rational-pragmatischer Gestalt, aber es siegt sich und alles andere eben zu Tode. Jeder Revolution stellt der Reaktionär seine Reaktion entgegen. Seine einzige Stärke: Er weiß um seine Vergeblichkeit, der Revolutionär nicht. –
Die Forderung nach „Klimaschutz“ und Emissionsreduzierung, wie sie von den „Kiddies“ der Fridays-for-Future-Bewegung unterm Beifall der Altlinken so vermeintlich liebenswert vertreten wird, erscheint unfreiwillig tragikomisch, weil weder diese Instagram- und Spotify-Kinder noch deren Biomarkt-Eltern in der Lage sein werden, ihren Hedonismus zu revidieren. Es bleibt wiederum beim Wunsch, weil alle Einschränkung des Komforts sogleich als unzumutbar empfunden würde.
Was Technik verspricht, will der Konsum halten. Jene, die gerade die Wachstumsgesellschaft kritisieren, sind deren Geschöpfe. Sie haben sich in Deutschland und Europa zwar vom unbedingten Leistungsgedanken abgekoppelt, weil dank Technik und internationaler Arbeitsteilung Anstrengungsbereitschaft kaum noch nötig erscheint; aber an der Bedürfnisbefriedigung können und wollen sie keine Abstriche zulassen.
Sie träumen sich eine gesündere Welt, ja, aber sie sind nicht ansatzweise in der Lage, dazu durch eigene Opfer beizutragen. Opfer sind ihnen per se fremd. Und Demut, Verzicht sowie Reduzierung der eigenen Ansprüche haben in der Geschichte noch nie ohne äußere Not die Massen ergriffen. Unvorstellbar, denn Einsicht reicht dazu nicht.
Darin besteht eben die Illusion der Aufklärung, daß der Mensch, zumal als Menschheit, vernünftig wäre. Daher die Suche nach dem Wunder der innovativen Technologien. Aber selbst diese werden Ressourcen ausschöpfen; wenn nicht die bisherigen weitgehend bereits erschöpften, dann eben andere, neu aufgerissene, die noch gewinnträchtig auszubeuten sind.
Der Idealismus, die Bereitschaft zum Opfer, mindestens die Orientierung auf die Kraft durch Askese, auf jeden Fall aber die Selbstbeherrschung in der Haltung des Trotzdem, des Dennoch, das sind vielmehr Wesenszüge des Konservatismus und seiner rechten Flügelposten.
In seinen Grenzen und seiner Beschränktheit kann sich der Mensch, ebenso wie in seiner naturbedingten Schuld, nur einzeln begreifen, niemals als „Weltbürger“, der ohnehin eine weitere utopische und technoide Konstruktion darstellt.
Der Reaktionär wird nie erfolgreich sein und ist zudem der Verunglimpfung durch seine „progressiven“ Zeitgenossen gewiß. Aber er personifiziert den notwendigen Widerstand, der für die Sicherung einer je noch lebbaren Frist notwendig ist. Gewinnen werden letztlich weder die Linken noch die Rechten, denn die einen wie die anderen überwindet das allumfassende Schicksal der Menschheit, von der technisch alles, im Natürlichen aber wenig zu erwarten ist. Ja, die Menschen wagen tiefe Blicke, selbst in All hinein, aber in sich selbst finden sie letztlich den Abgrund, auf den sie zulaufen.
Damit leben zu können, das braucht Stärke, weil es – wie alle tiefe Philosophie – den Tod vor Augen hat. Und genau deswegen läßt sich daraus keine anziehende Weltanschauung generieren, die eine Mehrheit je apart finden könnte.
Homeland
Die Endlichkeit des Sein, des Planeten im Generellen, des Menschen damit im Besonderen, als tatsächlichen Rahmen anzuerkennen und also anzunehmen, Realität zu sehen, erscheint doch als grundgesetzliches Prinzip, nicht weil es zweckmäßig ist, sondern unabänderlich.
Der Entgrenzungsversuch des Menschen, gerade der in ihrer Eigenwahrnehmung als Elite beschriebenen Parallelgesellschaft, ist doch damit nicht weniger als die Formulierung einer Utopie in geradezu religiösem Ausmaß.
Der Gegenentwurf, diese Begrenztheit doch gerade anzunehmen, erscheint demnach nicht nur aufrichtig, sondern zwangsläufig richtig. Ich sehe daraus abgeleitet nicht die Aufhebung des Finalen, sondern einen schlussigen, weil rationalen Umgang damit. Und zwar erst einmal und vornehmlich jenseits des allgegenwärtigen Materialismus, dem zugewandt, was wir dabei sind zu verlieren.