Das sei da gerufen worden, auf der linken Demo, das habe man selbst gehört, nun stehe es im Internet, und da seien noch ganz andere Sprüche gefallen.
Dem in solchen Situationen üblichen, kommentierenden und empörten Nachsatz “Das geht doch nicht, dagegen muß die Polizei doch was unternehmen”, hatte ich auch diesmal nichts hinzuzufügen. Und es wird bei dieser Empörung bleiben. Die Polizei hat nichts dagegen unternommen und wird nichts dagegen unternehmen. Ich könnte Strafanzeige stellen, aber wozu? Der ganzen Lästigkeit noch gutes Geld und gute Zeit hinterherwerfen?
Lieber nicht. Überhaupt erfuhr ich erst aus dem Mund des besorgten Nachbarn vom Spiel der Antifa mit ihren Gewaltphantasien, die – das wissen wir längst und das weiß so langsam jeder, der es wissen will – immer öfter keine Phantasie bleiben, sondern umgesetzt werden. Ich kriege von solchen Vorfällen sowieso nur dann etwas mit, wenn mir jemand davon erzählt. Meine Neigung, mich mit Leuten zu beschäftigen, die ihre kleine politische Bedeutung aus dem Umstand ableiten, daß es uns gibt und ihnen jemand die Anfahrt aus Halle oder Leipzig bezahlt, hält sich nämlich in sehr engen Grenzen.
Überhaupt ist das ein Umstand, auf den ich rätselnd blicke: Wie kann jemand in jedem Text und bei jeder Gelegenheit betonen, unsere Arbeit sei unwichtig, dumm und nicht der Rede wert – und dennoch wird planmäßig gegen uns demonstriert, erscheint monatlich ein Buch über die Arbeit, den Einfluß, die Netzwerke Schnellrodas, beschäftigen sich Dutzende Gegner auf vollen Stellen tagein tagaus mit uns, während wir pro Monat ungefähr zehn, fünfzehn Minuten aufwenden, um zu sehen, ob da mal ein Halbkluger oder Halbfairer dazugestoßen sei.
Die klügeren Linken, also die, von denen Benedikt Kaiser zweieinhalb Regalmeter in seinem Bücherschrank stehen hat, schreiben nämlich nicht denunziatorisch, also wie Deppen über uns, sondern entlang unserer Themen, die sie uns gern wieder abjagen würden. Kaiser nannte in seinem Akademie-Vortrag “Links lesen” Namen wie Mausfeld, Stegemann, Friedrich, Wagenknecht – und eben nicht W oder Sp oder F … (mehr fallen mir gerade nicht ein).
Wie gut es ist, wenn man sich auf die Inhalte einer Akademie konzentriert! Die Versuchsanordnung war diesesmal so: keine AfD-Prominenz, also keine Dauerschleife inmitten der rechten Gesellschaft des Spektakels, sondern Grundlagenarbeit, Substanz. Ein Versuch war das insofern, als bei den letzten vier, fünf großen Akademien stets die Liste nach drei Tagen geschlossen werden mußte, weil eben das Spektakuläre lockte.
Diesmal dauerte es drei Wochen, bis alle 150 Plätze vergeben waren, und am Ende blieben wieder fast fünfzig Teilnehmer auf der Warteliste. Die anderen konnten eine der besten Akademien besuchen, die wir Organisatoren je erlebt haben (und wir blicken mittlerweile auf die stolze Zahl von 40 Akademien zurück).
Daß diese Akademie so gut gelang, lag auch an den Teilnehmern: Der an gründlicher Lektüre und breit angelegtem Wissensaufbau weniger stark interessierte Teil an jungen Partei-Karrieristen hatte auf eine Teilnahme verzichtet, weil die Chance auf ein Selfi mit Weidel, Gauland Kalbitz oder Meuthen nicht bestand. (Daß Björn Höcke vorbei kam und ein Grußwort sprach, stand erst am Vorabend fest: eine spontane Geste auf der Durchreise.)
Das ist wohl der übergeordnete Erkenntnisgewinn aus diesem Wochenende: daß Parteinachwuchs und jener des metapolitischen Mosaiks keine besonders große Schnittmenge bilden. Aber wie sollte es auch anders sein? Geistige Parteidisziplin beißt sich mit experimentellem, grundsätzlichem und unfertigem Nachdenken.
Es mag innerhalb von Parteistrukturen unzuträglich sein, die Vorläufigkeit des Standpunkts, die Unwissenheit auf Gebieten zuzugeben und die Zeit mit der Lektüre komplexer Texte zu verbringen. Auf Akademien ist aber gerade das die Atmosphäre, die wir brauchen, und wir Organisatoren und Redakteure lernen über die Tage wohl am meisten von allen dazu, denn wir sind es, die schon aus beruflichen Gründen von Tisch zu Tisch gehen und mit jedem Grüppchen ins Gespräch kommen.
Aber auch in der Debatte nach dem eigenen Vortrag kommt es zu sinnvollen Ergänzungen und Korrekturen. In einem Fall war es Hans-Thomas Tillschneider, der als echter Leser (wir lesen oft parallel!) etwas einwarf. Er besuchte wie rund vierzig weitere Tagesgäste (dies ein Rekord!) den Akademie-Sonntag und hielt den Begriff “Innere Emigration” für das ein oder anderen von mir vorgestellte literarische Werk nicht präzise. Er schlug zumindest für einen der Romane (für Kopetzkys Propaganda) “verklemmte Faszination” vor, und ich stimmte ihm zu.
Ob den Demonstranten klar ist, daß man über solche Lektüren sprechen und einander korrigieren und ergänzen kann, während sie draußen ihrem Gelüst Ausdruck verleihen, uns zu Gulasch zu verarbeiten oder wenigstens die Nase einzuschlagen? Ich bin mir sicher: nein. Aber das war schon immer das Problem von Stalkern und Wichtigtuern, und weil sie merken, daß sie wie Junkies an unserer Nadel hängen, wird das ganze immer aggressiver.
Die Mitteldeutsche Zeitung findet das ganz normal. Also, werden sehen, ob diese komische Schnegida aus dem Ruder oder leerläuft. Hoffentlich kriegen wir das dann mit, der Tillschneider und der Lehnert, der Kaiser und die Kositza, die Teilnehmer, das Dorf, die Küche (vorbildliche Arbeit für 150 und sogar 180 Hörer!) und ich, während wir nachdenken, diskutieren, kochen und arbeiten.
Oder es erzählt uns halt einer, hinterher
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Wir haben übrigens einen Lektüren-Bücherschrank zusammengestellt, mit einer Literaturauswahl aus den Vorträgen von Erik Lehnert (Geschichtsphilosophie), Linke lesen (Benedikt Kaiser) und Belletristik (das war mein eigener Vortrag). Hier ist er, und ein Hinweis an die Akademie-Teilnehmer: Bücher, die am Wochenende aufgrund der Nachfrage vergriffen waren, sind hier vorrätig und können bestellt werden.
Nordlicht
Offen bleibt die Frage, woher die AfD ihren personellen Unterbau bekommt. Auch jetzt noch dürfte die Zahl der wirklich guten Leute gering sein, die wagen zB Wiss. Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten zu sein.
Die Bundestags-Fraktion ist nach meiner Einschätzung organisatorisch schwach bis unbefrieidigend, was man zB daran erkennt, dass man auf Briefe keine Antworten erhält. Es gibt Abgeordnete, die exzellente Reden halten, es gibt auch aktive PR-Leute, aber der Mittelbau und der Unterbau scheinen schwach zu sein.
Die Akademien, so hatte ich einen Text im letzten Jahr verstanden, geben jungen Leuten, die im politischen Geschäft aktiv mitmachen wollen, eine ergänzende "alternative" Bildung. Dies ist notwendig, weil im universitären Bereich alle Disziplinen (- nicht nur Kultur(gechichte), Ökonomie, Soziologie, Recht bis Politologie, sondern auch die wichtigen Technik- und Umweltbereiche) überwiegend gleichgeschaltet sind.