Das liegt vermutlich an ästhetischen Gründen einer narzißtischen und sexualisierten Selfie- und Instagram-Gesellschaft vereinzelter Einzelner. Aber überhaupt ist der Begriff dauerpräsent: Fit machen für die Zukunft, fürs „Abi“, für den „Job“, fit sein für neue Herausforderungen, „Slim fit“ als schlanker Schnitt derer, die es geschafft haben. – Starke Körperbezogenheit ist ansonsten für Bereiche oder in Situationen symptomatisch, in denen man über kaum mehr verfügt als noch über seinen Körper, meist dort, wo Ästhetik wichtiger ist als Ethik, wo also der äußere Körper – wichtiger als Denken und Sprache – gänzlich Ausweis der Persönlichkeit ist oder sogar Waffe.
Aber wie fit ist die Nation? Mal abgesehen davon, daß ihre Bevölkerungspyramide bereits einer Urnenform gleicht. Inwiefern sind wir rein physisch – als Deutschland – noch widerstandsfähig, vital, „resilient“ im Sinne des „Volkskörpers“, so es den überhaupt noch – als ausgemacht deutschen Corpus – geben mag.
Unsere moderne Zivilisation ist gekennzeichnet von enormen Entlastungen, ermöglicht von einer alle Bereiche durchdringenden Hochtechnologie. Die entstand auf der Basis der noch körperliche Arbeit leistenden, aber mittlerweile gegenüber den smarten Computer- und Webjobbern alternden Industriegesellschaft und sichert einen Komfort, der – als allzu selbstverständlich empfunden – die Gefahr einer forcierten physischen und kulturellen Degenerierung im Sinne von „Verhausschweinung“ (Konrad Lorenz) birgt.
Zum einen bedarf man immer weniger praktisch anwendungsbereiter Kenntnisse, da vielfältige Dienstleistungen oder einfach Computerprogramme und Apps das übernehmen, wofür Kopf und Hand nicht mehr befähigt sind; zum anderen überlebt man in einer technisch abgesicherten Welt weitgehend ohne Kondition und Kraft und darf fürs Alter darauf hoffen, vom medizinisch-pharmazeutischen Komplex klinisch richtig „eingestellt“ zu werden, bevor es schmerzarm ans Sterben geht.
Technisch ist ganz markttauglich für beinahe alles und jeden gesorgt. Zudem strebt die Inklusionskampagne an, dass Stärke und Schwäche hinsichtlich gerechter Teilhabe keinerlei Unterschiede bedingen mögen.
Umstandslos kann jedes materielle Bedürfnis befriedigt werden, wenn das Geld stimmt. Neuerdings schon per Mausklick. Allerdings: Die erste Begegnung mit dem Super-Markt des Westens bedeutete für die damals noch den Mangel gewohnten Ostler nicht nur die Erfüllung ihrer Intershop-Träume, sie war für nachdenkliche Neukunden durchaus bedrückend. Plötzlich sollte alles nicht nur vorhanden, sondern permanent zuhanden sein.
Die ganze Welt, eben nicht nur der Pfennigartikel Banane, im Discounter verbraucherfreundlich versammelt: Welch unheimliches, sichtlich ungesundes, völlig entgrenztes Übermaß! Alles, aber auch wirklich alles war endlich zur Ware geworden. Eingestanden, dies um den Preis, daß man sich selbst als Ware feilzubieten hatte, aber immerhin: Ein hedonistischer Gewinn, wie man ihn sich vor der Währungsunion nicht vorstellen konnte, als man um Lebensgenuß noch zu ringen hatte, das Holz für das Anfeuern des Ofens selbst hacken und die Kohlen aus dem Schuppen oder Keller herbeischleppen mußte.
Nicht mal der Winter stellte jetzt mehr eine Herausforderung dar: Die Fenster erst zweifach, dann dreifach, schließlich vierfach verglast, die Wohnung in sich keimfrei und hermetisch gegenüber der Natur abgedichtet, das Belüftungssystem so leise wie verläßlich arbeitend, die Temperatur über Sensoren stufenlos regelbar. Nichts mehr unmöglich, von Kommunikation bis Einparkhilfe. Alles algorithmisiert, was früher noch Abenteuer war.
Die echten Herausforderungen beginnen erst mit Havarien und Blackouts, die dank Mehrfach- und Backupsicherungen immer unwahrscheinlicher wurden. In der alten DDR waren nicht mal die Städte „urban“, sondern gerade sie eine Herausforderung. Mit der Sterilisierung ihrer Lebensverhältnisse sterilisierten die Menschen zunehmend ihre eigene Epidermis bis zur Ganzköper- und Intimrasur und wirken überhaupt in dem Maße immer uniformer, in dem sie als individuell und unverwechselbar gelten wollen. Schöne neue Welt.
Aber irgendwie packt oder bedrückt uns dieser Gedanke des Abenteuers noch. Rührt daher die Vorliebe für Dystopien und Katastrophenfilme, dieser Schauerromane der Gegenwart? Die Fortschrittshoffnung nimmt jedenfalls ab. Greta Thunberg wirkt wie ein düsterer Engel. Die Baby-Boomer, schon immer im Vorteil, gelten als die letzten, die als Erbnehmer noch einigermaßen heil durchkommen werden.
Wie fit aber ist die Jugend, der angeblich die Zukunft gehört? Interessant wären Studien, die das physische Leistungsvermögen Heranwachsender über Jahrzehnte verglichen, wenn das möglich wäre. Keine Frage, wir werden gerade verhausschweint dank Medizintechnik und Pflegeversicherung immer älter, wir sind immer gesünder; „Studierende“ leben aus ethischen Gründen vegan, solvente Greise sind multifit mit E‑Bikes unterwegs, und wie man liest, wird in Ergebnis der penetranten Gesundheitspropaganda weniger gesoffen und geraucht, wie überhaupt wohl Leidenschaften seltener und die Amplituden immer flacher werden.
Aber wie steht es mit Kraft und Ausdauer? Alle so langlebig schick und gesund! Aber was ist mit Mumm? Will man in Form bleiben, braucht es Leistung, ansonsten nimmt die Entropie zu. Das Konsequenz des zweiten Hauptsatzes des Thermodynamik ist fürs Alltagsleben nun mal der Verfall.
Klischees drängen sich auf: der adipöse Dauergamer, der bleiche Hikikomori, der „Lauch“mit dem Hänge-Seitenscheitel. Als Oberschüler warteten wir bei Radtouren und Wanderungen einst höflich darauf, daß unsere Lehrer, ältere Damen und Herren, bitte schön gut mitkamen. Heute ist’s umgekehrt: Die vergleichsweise trainierten Alten ermutigen freundlich und mit viel Zuspruch die Jungen, wenn es mal ärger bergauf geht. – Täuscht der Eindruck, daß das deutsche Kiezkind gegen das orientalische grundsätzlich schlechte Chancen hat, wenn die Gebote der Toleranz mal nicht befolgt werden und es was auf die Fresse gibt?
Welcher Stellenwert kommt dem physischen Leistungsvermögen heutzutage zu? Nur etwa zwanzig Prozent des BIP Deutschlands werden noch vergleichsweise kraftvoll in der Industrie erarbeitet, und die gegenwärtige Maloche ist mit der des Wirtschaftswunders nicht mehr vergleichbar. Hier und da sieht man noch „den Arbeiter“, aber als seltenes Exemplar, zudem technisch weitgehend entlastet und in spielzeugbunter Kluft. Während vom „Bauer“ oder „Landwirt“, überhaupt vom Mythos des Bodens, rein gar nichts übrig blieb.
Braucht es dennoch Kraft für anstehende Auseinandersetzungen? – Die DDR organisierte alljährlich Wettkämpfe unter der Berufsschuljugend um den Titel „Stärkster Lehrling“ und „Sportlichstes Mädchen“. Die kleine poststalinistische, aber so preußisch anmutende Republik bedurfte in sich athletischer Kraft, weil die marode Technik die „Arbeiterklasse“ dort weniger entlastete und das Ländchen im Kalten Krieg auf seine Verteidigung vorbereitet sein wollte. Vermutlich würden solche Wettkämpfe heute als faschistisches Turnen gelten.
Andererseits war der Aufstieg der großen kultur- und kapitalexportierender Nationen in der Geschichte ohne starke Physis und die damit verbundene ästhetische Dimension leistungsfähiger Körper nicht zu denken. Das betrifft nicht allein die Antike, sondern ebenso etwa England mit seiner normannischen Härte wie überhaupt alle imperialen Mächte, die ihre Jugend wehrfähig gestählt wissen wollten, was das postheroische Zeitalter heute ja gleichfalls als faschistoid verachtet. –
Was aber, wenn die Zeiten, pauschal ausgedrückt, härter werden, weil Ressourcen und damit im Zusammenhang gleich noch internationales Vertrauen schwinden? Wären dann die erforderliche Stärke und gar ein Wehrwillen wieder herstellbar? Den alten Nationen fehlt der früher so signifikante „Youth-Bulge“, während die Flüchtlingsregionen fast ausschließlich davon bestimmt werden, als Ursache ihrer Probleme, die sich bei Gunnar Heinsohn beschriebenfinden.
Afrikanische Länder galten mal als „junge Nationalstaaten“, waren aber nie Nationen im herkömmlichen Sinne und sollen es heute nach linkshumanitärer Weltsicht auch gar nicht sein, insofern doch vielmehr „eine Welt“ in „Weltbürgerschaft“ angestrebt wird. Was aber, wenn daraus nichts wird, nicht etwa nur, weil die böse Rechte das verhindert, sondern weil dem objektive Differenzen entgegenstehen? – Doch wieder Zeit für „faschistisches Turnen“?
Das normative Projekt des Westens könnte scheitern. Er ist etwa ohne die USA nicht denkbar, aber die beschreiten mit Trump rückbesonnen einen sehr eigenen Weg. Großbritannien verläßt zudem vermutlich die EU, und die NATO erscheint eher geschwächt als gestärkt.
Wesentlicher noch: Die westliche Demokratie funktionierte nach dem Zweiten Weltkrieg bislang ausschließlich als Wohlstandsprojekt – zu Lasten der Natur und in Ausbeutung der einstigen Drittweltländer. Steht dieser Wohlstand als Selbstverständlichkeit in Frage und wächst er nicht mehr, drohen gar ungewohnte Einschränkungen, dann bleibt vom Westen in seiner bisherigen Verfaßtheit nicht viel. Selbst grüne Öko-Träume akzeptiert die „neue Mitte“ nur solange, bis ihr Lebenskomfort spürbar eingeschränkt wird.
In Zeiten neuer Entbehrungen und Unsicherheit mag von der Demokratie hoffentlich noch die Rechtsstaatlichkeit übrig bleiben. Die alten Demokratien gefährden sich jedoch am allermeisten selbst, indem etwa Gerechtigkeitsphantasien so weit getrieben werden, daß sie der conditio humanageradezu widersprechen.
Über Jahrzehnte versprach die Demokratie, was sie eigentlich nicht halten kann, indem eben nie und nirgends allen alles rechtzumachen ist, auch nicht, wenn sich der Westen seit der Aufklärung als politischer Lernprozeß versteht. Im letzten Jahrzehnt strukturierten sich die einstigen Industrienationen ihrem Anspruch nach mindestens verbal und rhetorisch geradezu sozialistisch um, während das mindestens in seiner Herrschaftsform kommunistische China auf seine Weise zeigt, wie Zufriedenheit und wachsender Wohlstand ganz ohne Demokratie und Pluralismus möglich sind, indem aus Marxismus und Konfuzianismus eine tragende Staatsideologie generiert wird.
In Ost- und Südeuropa werden zudem Tendenzen der Rückbesinnung auf Nationalismus und autoritäre Herrschaft deutlich. Darauf regiert der noch satte Westen mit solcher Hysterie, weil seine Leitlinienbestimmer offenbar unbewußt spüren, daß uns Gleiches erwartet. Worauf die ultrarechten Bewegungen im Osten und Süden reagieren, inwiefern sie Konsequenzen aus Fehlentwicklungen zu ziehen versuchen, das sollte man sich höchst aufmerksam und kritisch anschauen.
Was dort geschieht, ist nicht zuletzt der Versuch, die eigene Nation und das eigene Volk wieder fit zu machen – geistig, mental, physisch. Weil es eine neue Stärke braucht, um als Land von eigener Kultur und Würde doch weiter bestehen zu können.
Nordlicht
Zu:
"... Bevölkerungspyramide (hat) bereits einer Urnenform ..."
Japan hat mE dazu eine bessere Lösung gefunden als Deutschland.
Zu: Fitness
Der Anteil der Migranten-Männer in den Mucki-Buden scheint mir extrem hoch zu sein. Wer weder studiert noch arbeitet und auch sonst wenig geistige Interessen hat, kann Stunden um Stunden für den Muskelaufbau aufbringen. Im Hinblick auf zu erwartende Auseinandersetzungen müsen wir wohl auf Intelligenz setzen.