Vom ersten Bücherschrank an wurde hier schon mehrmals, und nicht zufällig, auf die Schriften des Autors und Friedenspreisträgers Reinhold Schneider Bezug genommen, etwa auf seine berühmte Erzählung Las Casas vor Karl V. (1938) oder auf den eindringlichen, tiefgründigen Essay Was ist Geschichte? von 1944 (vgl. Sezession 55, 59, 68, 70). Vor sechzig Jahren, am 6. April 1958, ist Schneider in Freiburg i.Br. verstorben. Anlaß genug, noch einmal einen genaueren Blick auf sein umfangreiches Werk zu werfen.
Dreißig Jahre lang, von 1928 bis 1958, war der Autor in allen Gattungen aktiv, wir finden Gedichte, Dramen, Essays, längere und kürzere Erzähltexte, Geschichtswerke, Heiligendarstellungen, Tagebücher, autobiographische Texte, Vorträge. Aus dieser Vielzahl seien hier drei repräsentative Beispiele vorgestellt, aus drei Jahrzehnten und drei unterschiedlichen Gattungen: Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrschaft Lothars von Supplinburg (1937), Das Vaterunser (1941) und Innozenz und Franziskus (1952).
Als überzeugter Monarchist teilte Reinhold Schneider die Ablehnung von liberaler Demokratie und Republik mit anderen Vertretern der Konservativen Revolution, und Armin Mohler rechnete ihn zurecht zu den »Reichskatholischen Dichtern« – denn das Reich war ihm immer noch der »höchste deutsche Wert«.
Doch nahm Schneider eine Sonderstellung ein, was vor allem an seiner Begeisterung für die, ja Identifizierung mit den iberischen Kulturen lag: Fasziniert von der portugiesischen und spanischen Geschichte, von Luís de Camões und Philipp II., von Belém und vom Escorial, von Cascais und Toledo, und aufgeladen mit dem ganzen kultu- rellen Gewicht dieser königlichen, kaiserlichen Geschichte, mußten Schneider jene harten nationalistischen Töne einigermaßen fremd bleiben, die für manchen Konservativen Revolutionär doch typisch waren.
Im Unterschied etwa zu Wilhelm Stapel, der die »nationale Revolution« gewollt und mit herbeigeschrieben hatte, um dann nach 1933 mit den sich zwangsläufig einstellenden Enttäuschungen fertig zu werden, hatte Schneider schon im Dezember 1931 im Tagebuch notiert, daß eine »Bewegung wie die nationalsozialistische nur zur Katastrophe führen« könne.
Von seinen Reise in den Süden in jenes »tragische Reich« zurückgekehrt, hoffte Schneider noch auf die Restauration, so diffus diese Hoffnung auch gewesen sein mag und so wenig die konkrete politische Option in Form von Alfred Hugenbergs und Franz von Papens »Kampffront Schwarz-Weiß- Rot« bei der Wahl vom 5. März 1933 Begeisterungsstürme auszulösen vermochte. Da waren die Würfel aber längst gefallen.
Seinen beiden Büchern zur portugiesischen und spanischen Geschichte Camões und Philipp II. stellte Schneider Das Inselreich. Gesetz und Größe der britischen Macht (1936) zur Seite, widmete sich in diesen Jahren aber in vier Büchern auch intensiv der deutschen Geschichte: noch 1932 mit Fichte. Der Weg zur Nation, dann mit den Hohenzollern. Tragik und Königtum (1933), gefolgt von den Skizzen Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich (1934), bevor er sich 1937 eine fast vergessene Gestalt der deutschen Geschichte als Sujet wählte: Lo- thar III., der seit 1125 deutscher König und von 1133 bis zu seinem Tod 1137 römisch-deutscher Kaiser war.
Wer diese Bücher heute aufschlägt, kann ei- nen deutschen Geist atmen, der in seiner Feinnervigkeit so gar nichts zu tun hat mit der Inbesitznahme des Deutschen durch die Nazis – darin sind Schneiders Arbeiten, der in diesen Jahren im engen Kontakt stand mit allen namhaften Repräsentanten des konservativen, insbesondere monarchistischen Widerstands, u.a. mit Karl Ludwig Freiherrn von und zu Guttenberg, Helmuth James von Moltke, Graf Schenk von Stauffenberg oder Peter Graf Yorck von Wartenburg, am ehesten der grandiosen Deutschen Geschichte von Ricarda Huch verwandt und vergleichbar, einem Werk, das ebenfalls spürbar gegen den niederen Zeitgeist entstand.
Lothar III. also. Warum gerade dieser Kaiser, dessen wenige Jahre der Herrschaft nur als Intermezzo zwischen Saliern und Staufern erscheinen? In der historischen Forschung des 19. Jahrhunderts ist man zu einer negativen Einschätzung seiner Regentschaft gekommen.
Wie der Mediävist Wilfried Hartmann im Vorwort der Neuausgabe von Schneiders Buch (1986) schreibt, sah man in Lothar lange Zeit nur den »Pfaffenkönig«, einen Regenten, der »den Interessen der Kirche dienstbar war«. Eben Schneider war es, der diese Wahrnehmung hinter sich ließ und einer neuen Interpretation den Weg bereitete. Er sei, so Hartmann, »zu einer Einschätzung Lothars gelangt, die mit der jüngeren Forschung übereinstimmt«.
Der Kern dieser neuen Einschätzung muß in Lothars Überzeugung gesehen werden, eine Politik nicht gegen den Papst, sondern mit dem Papst zu gestalten. Wenn Schneider also schon auf den ersten Seiten seines Werks schreibt: »Das Volk betrauerte und beklagte den Begründer und Wahrer des Friedens« – dann haben wir bereits zwei Motive, die Lothar für Schneider so relevant machten.
Er hat ein Bild eines Herrschers gemalt, der sich, einer höheren Macht bewußt, aus seiner Frömmigkeit heraus für das gemeinsame Ziel von Kaisertum und Papsttum einsetzte und seinem Volk – im Unterschied zu seinen Vorläufern und Nachfolgern – keine neuen Kriegszüge, sondern den Frieden bringen wollte. Alle »sollten sich daran erinnern, daß einmal Friede war, als der Supplinburger herrschte, und daß das Reich einmal Wirklichkeit gewesen«.
Ein Ideal, das in argem Kontrast stand zu jenen Herrschern des Jahres 1937, die weder einer höheren Macht gehorchten noch dem Reich Frieden bringen sollten.
Derweil stand Schneider im Briefwechsel mit dem Philosophen und Religionswissenschaftler Leopold Ziegler, mit einem der bedeutendsten Vertreter der Integralen Tradition und gewissermaßen dem deutschen René Guénon (noch immer lohnt die Lektüre Über die traditionelle Methode Walter Heinrichs aus dem Jahr 1954, in der er über Ziegler handelt).
Zieglers Anmerkung zum Lothar-Buch läßt ein wenig die Assoziationsweite und geistige Spannkraft dieses Dialogs erkennen: »Im Grunde wußte ich von diesem letzten Sachsenkaiser zwischen Saliern und Staufern so gut wie nichts. Jetzt bin ich ergriffen über diesen beglückenden Anblick einer freien Schwebung über den Gegensätzen, der die Erfüllung ahnen läßt kurz bevor sie endgültig verscherzt ist.
In manchem, das ich seit Jahren mit mir herumtrage, weiß ich mich bestärkt, und es wird vielleicht einmal davon zu reden sein, daß es das Verhängnis des Abendlandes war, die überlieferte Lehre von den zwei Gewalten, der autorité spirituelle und dem pouvoir temporel, nicht tief und richtig genug zu erfassen.
Und wieder wälze ich den Gedanken eines neuen Mittelalters, das nach der bevorstehenden Katastrophe, in einer gereinigten Welt, dort weitermacht, wo das erste Mittelalter scheiterte. Eigentlich erst dort hätte Lothar seinen ›geistigen Ort‹, und die künftigen Herrscher des ›Reiches‹ könnten ihn als eine temporäre Vorwegnahme preisen.«
Im Jahr der Veröffentlichung des Lothar- Buchs durchlebte Schneider seine fundamentale Reversion, seine Rückkehr zur Katholischen Kirche, die er rückblickend wie folgt beschreibt. »An einem Neujahrstag, 37 oder 38, ging ich in Potsdam zum erstenmal zur Heiligen Messe seit vielleicht zwanzig Jahren. Ich kam wie einer, der die Sprache verlernt hat, in die Heimat. Aber ich hatte die Sprache der Heimat nie erlernt, und nun, langsam, indem sich mir alle Lebensumstände umkehrten, versuchte ich sie zu lernen.
Ich war auf objektive Wahrheit gestoßen, die Wahrheit in Fleisch und Blut und zugleich göttliche außerweltliche Macht. Sie ist für mich die einzige Macht, die ein Leben aus den Angeln heben kann.«
Seit diesem Zeitpunkt verortete Schneider seine Literatur stets in Bezug auf die christliche Wahrheit, auf die christliche Offenbarung. Es ist nun überaus erstaunlich zu beobachten, wie sich diese beiden Geistesgrößen, wie Schneider und Ziegler, zeitgleich und im Angesicht der »bevorstehenden Katastrophe«, von der Ziegler gesprochen hatte, dem Vaterunser zuwandten, um es zu durchdringen und ihrer Zeit auf neue Weise nahezubringen. Beide Autoren haben die Bitten des Vaterunser kommentiert, sie sind in den Text eingedrungen, in seine Bilderwelt und seine theologischen Implikationen.
Schneider tat dies auf seine poetisch-essayistische Weise, Ziegler als Wissenschaftler und Repräsentant der Integralen Tradition. Im Ergebnis liegt uns heute ein schmales Buch von Schneider vor, Das Vaterunser von 1941, mit seinen 55 Seiten der Erstausgabe, und die beiden umfangreichen Bände von Zieglers Menschwerdung, mit 780 Seiten. Zieglers opus magnum war 1944 abgeschlossen, erschien aber erst 1948 und nur in der Schweiz.
»Ich bringe nur noch Stoßgebete heraus«, schrieb Schneider an Ziegler, »als ein solches nötigte mir ein Freund das Vaterunser ab, das in keiner Beziehung wagt, in die Nähe Ihrer Arbeit zu treten.« So war Schneider bewußt, daß Zieglers Interpretation in ganz andere Dimensionen vorstoßen sollte. Schneiders Text ist hin- gegen im Kontext jenes »literarischen Sanitätsdienstes« zu sehen, den der Autor nach Ausbruch des Krieges zunächst legal, dann in der Illegalität leistete: Im Frühjahr 1944 durchsuchte die Gestapo Schneiders Wohnung, Schneider selbst versteckte sich bis zum Kriegsende, zuletzt in einem evangelischen Stift.
Die von ihm verfaßten Broschüren, Erzählungen, Gedichte, Aufsätze und Portraits, zu denen auch Das Vaterunser gerechnet werden kann, lassen sich als eine Berufung auf die christlichen Grundlagen und als Mobilisierung der christlichen Vorbilder gegen die »satanische« Macht lesen. Die Haltung der Heiligen, die Gnade der »geheiligten Leben«, Jesus, Petrus, Franziskus, Teresa von Ávila, Juan de la Cruz, ihr Leiden und ihr Vorbild sollten wieder zum Maßstab einer kranken Gegenwart werden.
»Wir bitten in Demut: führe uns nicht in Versuchung; schütze uns vor den Wünschen, die unsere Seelen vergiften, laß uns in der bittersten Not auf keine Hilfe hoffen als auf die deine! Verlösche den Glanz, das Blendwerk der Gedanken! Zerbrich das Saitenspiel der Betörung in unserer Hand! Es ist ein Weg, wo wir kei- nen sehen; der Herr selbst ist der Weg; hilf uns, daß wir ihn nicht verlassen. Gehe diesen Weg in uns! Denn der Versucher ist tausendmal stärker als wir; aber dein Sohn hat ihn besiegt, und nur über die Demut, die er war, wird der Versucher keine Macht erlangen.« Man wird die tröstende, helfende, aufbauende, ja heilende Wirkung dieser Zeilen nicht gering veranschlagen dürfen, auf die Orientierung suchenden Leser der frühen 1940er Jahre.
In Bezug auf dieses Zitat sei eine aktuelle Anmerkung erlaubt. Am 6. Dezember 2017 berichtete Radio Vatikan, Papst Franziskus habe die sechste Vaterunser-Bitte »Und führe uns nicht in Versuchung« als »keine gute Übersetzung« bezeichnet. Es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um dann zuzusehen, wie er falle, sagte der Papst.
»Ein Vater tut so etwas nicht: ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt«, so Franziskus, »ist Satan.« Was würde Schneider, was würde Ziegler zu einer solchen dürftigen Einlassung des Papstes sagen? Zunächst würden sie darauf hinweisen, daß die Übersetzung der Überlieferung völlig korrekt ist. Hier kann also kaum das Problem liegen.
Jahrhunderte von theologischen Erörterungen zum Verständnis dieser Stelle scheinen keine Spuren bei dem prominenten und populären Kritiker hinterlassen zu haben (was hat etwa Thomas von Aquin zu dieser Stelle gesagt?), so daß man leider nur zur naheliegendsten Erklärung greifen kann: Im Zug der Zeit geht es dem Papst um eine inhaltliche Modernisierung.
Mit der Versimpelung dieser Textstelle soll, und es ist traurig dies festzustellen, ein Gottesbild etabliert werden, das jedem sofort einleuchtet, das dem Zeitgeist entspricht und somit gewiß nicht zuviel zu denken mit auf den Weg gibt. Gott ist gut und barmherzig, ein solcher Gott führt niemanden in Versuchung, das wäre ja absurd, Punkt. Differenziertere Betrachtungsweisen, wie wir sie bei Schneider und Ziegler finden, braucht man dazu dann nicht mehr.
Doch damit wieder zurück zum eigentlichen Thema. Im Zusammenhang mit dem Vaterunser von 1941 sei auch noch auf den Kreuzweg (1942), Die dunkle Nacht (1943) sowie Das Gottesreich in der Zeit (1943/44) hingewiesen, auf verschiedene essayistische, erzählerische und lyrische Texte der letzten Kriegsjahre, die Schneider den Mächten seiner Zeit kompromißlos und ohne viele Schnörkel entgegenhielt: »Nun baut der Wahn die tönernen Paläste …«. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese tönernen Paläste in sich zusammenstürzen mußten.
Nach dem Zusammenbruch des Reiches, als das Land in Trümmern lag, setzte Schneider seine ganze »Hoffnung auf das christliche Abendland«, in geistiger Nähe zur Abendländischen Bewegung, in welcher unter anderem Otto von Habsburg, Lorenz Kardinal Jaeger, Hans- Joachim von Merkatz, Emil Franzel, Heinrich Hellwege, Wilhelm Stählin und Freund Werner Bergengruen (seit 1953 per »Du«) präsent waren.
Als publizistische Plattform diente die Zeitschrift Neues Abendland, herausgegeben von Johann Wilhelm Naumann (dessen Verlag heute noch existiert und seit 1948 die katholische Tagespost herausbringt). Als Schneider aber Kritik an der Wiederbewaffnung anmeldete (und dazu auch DDR-Publikationen nutzte), setzten sich die abendländischen und kirchlichen Kreise teilweise schroff von ihm ab. Schneiders Ideale der Nachkriegsjahre waren somit schon bald mit der Realpolitik zusammengestoßen, mit seiner radikalen Betonung des christlichen Anspruchs stand er angesichts des wirkmächtigen Säkularismus in Gestalt der West-Bindung, der Wiederbewaffnung und des Wirtschaftswunders auf verlorenem Posten, einmal mehr desillusioniert.
Zwischen 1945 und 1958 entstanden mindestens 130 Essays, Vorträge, Gedichtbände, Erzählungen … und auch acht Dramen. In Schneiders Werkgeschichte findet sich das Drama als Gattung erst in der Nachkriegszeit, die bekanntesten sind Der große Verzicht (1950) und Innozenz und Franziskus (1952). Fundamentale, dramatische Konflikte auf dem Theater zu gestalten, lag fraglos nahe, man wird aber sofort verstehen, daß das Publikum seine Schwierigkeiten hatte, die komplexen historischen Themen, die Schneider wählte, auf die Gegenwart zu beziehen, etwa den Amtsverzicht bzw. die Abdankung von Papst Coelestin V. im Jahr 1294, denn mit Borchert, Dürrenmatt oder gar Bekkett hatte das alles doch sehr wenig bis nichts zu tun.
Nichtsdestoweniger darf die von Heinz Dieter Kenter inszenierte Essener Uraufführung von Innozenz und Franziskus 1954 als literarisch-gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges betrachtet werden: Vor der umjubelten Premiere hielt Werner Bergengruen einen Vortrag, im Anschluß gab der anwesende Bundespräsident Theodor Heuss einen Empfang.
Der Innozenz-Stoff war bei Schneider schon seit 1931 präsent: Das in diesem Jahr abgeschlossene Manuskript Innozenz III. blieb zwar unveröffentlicht (es erschien erst posthum 1960), hat den Autor aber »zwanzig Jahre nicht losgelassen«, bis das Thema 1952 wieder im Drama Innozenz und Franziskus aufgetaucht ist.
Es liegt darin kein Antagonismus zwischen Krone und Tiara vor, zwischen weltlicher und geistlicher Macht: Das Stück bezieht sich auf eine innerkirchliche Thematik, die hier aber auch nur in komprimierter Form angedeutet werden kann. Papst Innozenz III. repräsentiert die Kirche als Institution, ihre Macht; Franziskus hingegen – und so hatte Schneider es bereits 1946 in seinem Aufsatz »St. Franziskus und das Abendland« betont – steht für die Imitatio Christi bzw. für die Imitatio vitae pauperis Christi, also für die christliche Nachfolge eines der Armut geweihten Lebens.
Innozenz muß die falschen Lehren der Katharer verfolgen und sich mit den Streitigkeiten um den deutschen Thronfolger herumschlagen, er ist also vielfach verwickelt in machtpolitische Fragen, deren längerfristige Konsequenzen aber noch gar nicht abzusehen sind. Hier wird ein typisches Schneider-Thema angeschlagen: die unausweichliche Verstrickung von Herrschaft in Sünde und in Schuld.
Als der Heilige Franziskus an Innozenz’ Sterbebett erscheint, bekennt der Papst voller Selbstkritik: »Du bist das Reich. Du allein.« Dieses Reich, das Gottesreich, kann nur verwirklicht werden in der entsagenden, so schwierigen Nachfolge des Evangeliums, in der Nachfolge Christi. In den »geheiligten Leben« allein, wie eben in jenem des Heiligen Franziskus, scheinen die Wahrheit und die ersehnte Rettung für die Kirche auf.
Mag das Thema auch nicht eben en vogue gewesen sein, in Variationen wird es bis heute diskutiert (Stichwort »arme Kirche«). Und der Autor wurde vor dem Essener Premierenpublikum auf die Bühne gebeten: »Heuss klatschte unentwegt, ich konnte Kenter und den Künstlern auf offener Bühne danken, und es ist wohl auf über zwanzig Vorhänge gekommen.«
Reinhold Schneider war einer der größten Schriftsteller, den Deutschland zu bieten hatte. Er war ein mutiger Mann, ein konsequenter Denker, ein weltoffener Mensch, er trug in sich Potsdam und Portugal, Norden und Süden, tiefste Skepsis, innigsten Glauben und kämpferischen Sinn. Was aber alles noch keinen großen Autor gemacht hätte, wäre er nicht auch ein Stilist ersten Ranges gewesen, was vielleicht am besten an den Skizzen in Schicksal und Landschaft oder auch an seinen Sonetten abgelesen werden kann, eine Form, die er meisterlich beherrscht hat.
»Doch wird den Bann zerbrechend ungeheuer / Das Jenseits vor getäuschten Augen klaffen / In seinem Gluthauch welkt, was wir geschaffen / Und brennt wie Korn in blitzgetroffner Scheuer. // Die Seele nur und, was der Seele teuer / Wird sich der Werke Untergang entraffen / Indes die Kronen schmelzen wie die Waffen / Da Licht von oben kommt, von unten Feuer. // Groß ist der Toten Welt. An ihrem Saume / Ist unsres Wirrsals flüchtige Stadt ge- gründet / Aus der das Feuer läutert, was erle- sen. // Die Edlen thronen in verklärtem Raume / Hochsinn und Liebe walten treu verbündet / Und Recht ist, was von Anfang Recht gewesen.«
Nicht zuletzt war Reinhold Schneider der Wächter der Krone in einer vollkommen »unköniglichen Zeit«. Seine Tragik lag darin, daß das Notwendige längst unmöglich geworden war. »Ich habe«, so schrieb Schneider rückblikkend in Verhüllter Tag (1954), »einen großen Teil meiner Lebensarbeit auf die Krone gerichtet in der Absicht, an ihrer inneren Wiederherstellung mitzuarbeiten, die geistigen und religiösen Voraussetzungen zu schaffen, ohne die sie nie erhoben werden kann und darf.
Aber über den abgründigen Bruch geschichtlichen Lebens, der im Jahre 33 aufzuklaffen begann und nach zwölf Jahren vollzogen war, habe ich nur meine Gesinnung getragen, nicht meine Hoffnung und Absichten. Lieben kann ich nur die Krone, die ins Metaphysische weisende Ordnung, und eben weil ich sie liebe als verpflichtendes Bild und Gleichnis, als Symbol des Opfers und seiner Herrschaft, als Weihe der Macht und Einheit von Macht und Liebe, kann ich nicht wünschen, daß sie in dem Klima, in dem wir atmen müssen und wahrscheinlich untergehn, getragen werde.«
Seine Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1956) liegt als CD vor. Drei, vier Buchtitel werden wie der Las Casas weiterhin aufgelegt, alles weitere findet man nur noch im Antiquariat. Die Reinhold Schneider-Gesellschaft löste sich 2011 auf; der Versuch, mit den Reinhold Schneider Blättern – Neue Folge ein Periodikum zu installieren, das sich seinem Werk widmet, endete leider 2017 nach nur drei Heften wegen mangelnden Interesses. Christliche und geschichtsbewußte Literatur steht nicht eben hoch im Kurs in unseren unchristlichen, geschichtsvergessenen Zeiten.