Es steht heutzutage nicht gut um die Philosophie. Da hat sich die einstige ancilla theologiae mühsam von ihrer alten Herrin, der Theologie, emanzipiert und sich einem neuen, vermeintlich besseren Herrn, der Naturwissenschaft, angedient und muß sich aus der Feder seines derzeit bekanntesten Würdenträgers zum Dank dafür totsagen lassen.
Schlimm daran ist, daß Stephen Hawking mit seinem Diktum, daß die Philosophie infolge ihrer Unfähigkeit, die großen Fragen zu beantworten, tot sei, nicht einmal ganz falsch liegt.
Zumal, wenn man einen Blick auf die ideologischen Tollheiten wirft, mit denen sich die offizielle Berufsphilosophie oft abgibt. Für das persönliche Vorankommen in den Institutionen der westlichen Welt mag es heute geboten sein, nach allen Regeln der Kunst zu konstruieren und zu dekonstruieren, trendige Luftschlösser zu bauen und opportune Ismen zu betreiben, die ewigen Menschheitsfragen aber berührt man damit nicht im geringsten, da hat Hawking völlig recht.
Unrecht hat der amtierende Physikpapst insofern, als es sehr wohl Philosophen gibt, die heute noch den Fragen nach den Grundlagen des Daseins nachgehen, doch solche Leute machen in keinem Betrieb eine steile Karriere, noch erreichen sie ein verzücktes Millionenpublikum. Wer bräuchte noch so etwas überholtes, ja abwegiges wie Metaphysik (d.h. die Lehre von den Dingen hinter den Dingen)? Höchstens jemand, den die Antworten der Naturwissenschaft und ihrer Magd, der modernen Philosophie, auf die großen Fragen nicht mehr zu überzeugen vermögen.
Ein Abweichler dieser Art ist der amerikanische, in Pasadena lehrende Philosoph Edward Feser (*1968), der zu Beginn seines Philosophenlebens als Atheist die üblichen Grundannahmen der modernen Lehre teilte und felsenfest überzeugt davon war, daß sich alles Seiende zur Genüge aus seinen materiellen Bestandteilen erklären läßt.
Die metaphysischen Lehren der großen Denker von einst seien daher allenfalls von historischem Interesse. Einer ersten Irritation begegnete Feser mit einer eigenen Arbeit zum Leib-Seele-Problem (Feser: Philosophy of Mind, 2006), doch die kartesianische Position, die er damit vertrat, befriedigte ihn nicht wirklich.
Erst als er im Rahmen einer Lehrveranstaltung zur Religionsphilosophie seinen Studenten einen Eindruck der klassischen Gottesbeweise vermitteln sollte, begann sich Feser eingehender mit den Argumenten der abendländischen Metaphysiker zu beschäftigen. Er war es leid, seine Veranstaltung damit zu bestreiten, die üblichen argumentativen Pappkameraden aus den gängigen Handbüchern aufzustellen, um sie dann niedermachen zu lassen.
Denker wie Aristoteles oder Thomas von Aquin sind erwiesenermaßen keine Dummköpfe gewesen und haben allein deshalb Achtung verdient. So begann Feser die metaphysischen Schriften der Klassiker gründlich zu studieren, um ihren Argumenten gerecht zu werden und seinen Unterricht etwas niveauvoller zu gestalten: weg von den Reflexen, hin zur Reflexion.
Im Laufe dieses Quellenstudiums mußte er feststellen, daß die Argumente dieser Metaphysiker stimmig sind und wenig mit den Karikaturen gemein haben, auf die neuzeitliche Philosophen wie Descartes, Hume oder Russell ihre Kritik richten. Die vielbeschworene Widerlegung der überlieferten Lehren über, aristotelisch ausgedrückt, »das Sein als solches« durch den unerbittlichen Fortschritt der modernen Wissenschaft erwies sich, wohlwollend betrachtet, als das Produkt peinlicher Uninformiertheit oder, uncharmanter gedeutet, als ein höchst tendenziöser Mythos wie ihn gerade der sogenannte Neue Atheismus geräuschvoll propagiert.
Der Widerlegung dieser angeblichen Widerlegung des Alten Denkens durch die schöne neue Wissenschaftlichkeit widmete Feser 2008 sein bisher bekanntestes Buch The Last Superstition. Darin entfaltet er sein virtuoses Talent, hochabstrakte Sachverhalte in klarer Sprache verständlich zu machen. Auch seine beherzte Parteilichkeit – Feser hat eine deutliche und wohlbegründete Meinung über die intellektuelle Redlichkeit der Neuen Atheisten – macht die Lektüre dieses Buches zu einem besonderen Vergnügen.
Das Buch fängt praktisch an, nämlich mit dem Blick auf den Zerrüttungsgrad des Westens. Fesers Einschätzung nach ist die gegenwärtige Dysfunktionalität Einzelner wie ganzer Gemeinschaften die zwingende Folge falscher Prämissen.
Als man im westlichen Denken den Blick auf den rein materiellen Aspekt der Dinge zu verengen begann, begab man sich in eine geistige Sackgasse. Die Abkehr von jenem realitätsgerechten Tiefenblick, der Antike und Mittelalter kennzeichnet und der in den einzigartigen Leistungen der abendländischen Kultur resultierte, ist also kein folgenloses Geschmacksurteil, sondern ein schwerer Irrtum.
Wer sein Denken und Urteilen auf eine solche Eindimensionalität beschränkt, ist weit davon entfernt, ein korrektes Bild von der Welt zu haben. Feser demonstriert dies, indem er seinen Leser nach der Beschreibung des Problems »Neuer Atheismus« auf einen Gang durch die Ideengeschichte der klassischen abendländischen Philosophie mitnimmt.
Allein wegen seiner anschaulichen wie schlüssigen Darstellung der philosophischen Ausgangsfragen, der jeweiligen Überlegungen und Problemlösungen einzelner Philosophen von den Vorsokratikern bis zu den Scholastikern lohnt sich die Lektüre dieses Buches. Anhand dieses Abrisses begreift auch der untrainierte Laie die Motive und recht abstrakten Argumente der antiken und mittelalterlichen Geistesgrößen auf Anhieb.
Die letzten Kapitel, die sich an diese glänzende Darlegung anschließen, widmet Feser der Beschreibung der neuzeitlichen Fehlentwicklung in der Philosophie. Er zeigt hier genau, wo und wie die Kritik moderner Denker am klassischen Lehrgebäude zur Metaphysik wegen mangelnder Quellenkenntnisse in die Irre geht. Und in manchen Fällen war es nicht nur Uninformiertheit, die zu Fehlschlüssen führte, sondern auch eine offenkundige Voreingenommenheit manches Kritikers.
Dabei führt Feser unter anderem vor, daß die Ablehnung der metaphysischen Weltsicht nicht etwa bessere Antworten auf alte Fragen gibt, sondern vielmehr neue Probleme wie den modernen Leib-Seele-Dualismus gebiert, der in der nüchternen Antike völlig unbekannt wie unnötig war. Außerdem zerstört die moderne typische Leugnung von Kausal‑, Form- und Zweckursachen die Grundlage jeder Art von Wissenschaft.
Daran ändert auch der verräterische Umstand nichts, daß gemäßigte wie radikale Leugner aller Prinzipien die eigene Position immer stillschweigend aus ihrem ideologischen Kahlschlag aussparen (diese Form inkonsequenten wie unredlichen Denkens kannte die Alte Welt ebenfalls nicht). Fesers Auseinandersetzung mit dem Neuen Atheismus, dem besonders bornierten Vertreter neuzeitlicher Denkverbote, macht deutlich, daß auch die Philosophie ohne Grundlagenforschung, also Metaphysik, nicht betrieben werden kann, jedenfalls nicht, wenn jemand von Argumenten ein Mindestmaß an logischer Kohärenz erwartet.
Wie ein Blick auf seine jüngeren Veröffentlichungen (Aquinas, 2009; Aristotle on Methods and Metaphysics, 2013; Scholastic Metaphysics: A Contemporary Introduction, 2014; Neoscolastic Essays, 2015) zeigt, ist die Grundlagenforschung in der Philosophie und ihre öffentliche Rehabilitierung zu Fesers Hauptanliegen geworden.
In seinem jüngsten Buch Five Proofs of the Existence of God (2017) greift er die Argumente der klassischen Metaphysiker in aller Ausführlichkeit auf. Anders als der Titel es suggeriert, widmet sich Feser hier nicht den berühmten fünf Gottesbeweisen des Aquinaten, sondern zeichnet fünf verschiedene Beweisketten namhafter Denker wie Aristoteles, Plotin und Leibnitz detailliert nach. Er beginnt dabei mit je einer banal anmutenden Alltagsbeobachtung und verfolgt dieses Phänomen in kleinen analytischen Schritten bis zu ihrem äußersten, nicht weiter zergliederbaren Grund. Dort lau- fen die fünf verschiedenen Beweiswege schließlich zusammen.
Eine Auseinandersetzung mit den häufigsten Einwänden schließt dann jedes dieser Wegekapitel ab. Nachdem also die Existenz eines Urgrundes, der als Überstruktur alles in sich enthält, bewiesen wurde, untersucht Feser das Wesen dieses Urgrundes. Mit diskursiven Argumenten weist er bestimmte notwendige Eigenschaften des Urgrundes – etwa Allwissenheit, Unveränderlichkeit und Güte – nach und rundet diese erschöpfende Untersuchung mit einem Schlußkapitel ab, in dem er alle gängigen (auch die dümmlichen) Einwände gegen diese Naturtheologie aufgreift und widerlegt.
Feser bleibt in seinen Five Proofs wahrlich keine Antwort schuldig. Als einzige Möglichkeit angesichts dieser Fülle von sauber herausgearbeiteten Argumenten, dennoch an einem bequemen Atheismus oder Agnostizismus festzuhalten, bliebe einem überzeugten Gegenwartsmaterialisten nur, den Blick abzuwenden und ein persönliches Desinteresse an der gesamten Fragestellung zu bekunden, da der Weg der Vernunft, der intellektuellen Redlichkeit und Wahrheitsliebe ja in eine unerwünschte Richtung führt.
Es sind also subjektive Bedürfnisse und gedankliche Schludereien und nicht etwa nackte Tatsachen oder gar die ehernen Gesetze der Logik, die den oft bemühten modernen Menschen von jenem umfassenden Blick auf sämtliche Realitätsschichten, der für seine Ahnen in Antike und Mittelalter selbstverständlich war, abhält.
Wie Feser mit diesem Buch beeindruckend demonstriert, ist die Philosophie keineswegs tot, weil es entgegen der Performance heutiger Starintellektueller sehr wohl noch Philosophen gibt, die sich meisterlich den großen Fragen stellen.