Das für das republikanische Integrationskonzept „à la francaise“ signifikante doppelte ius soli wurde bereits 1851 – in der Phase der Zweiten Republik – als einbürgerungspolitisches Instrumentarium eingeführt. Seine ursprüngliche Zielsetzung: die Rekrutierung von Ausländerkindern für das französische Militär, läßt freilich erkennen, wie wenig die Durchsetzung eines „supra-ethnischen“ französischen Staatsangehörigkeitsrechtes von Beginn an als Ausdruck eines republikanischen Universalismus der Menschen- und Bürgerrechte gelten konnte. Insofern ist es nicht ganz verwunderlich, wenn das staatsbürgerrechtliche „Territorialprinzip“ nicht in dem Maße als sakrosankt betrachtet wird, wie die laicité und deren gesetzliche Verankerung. So pflegen auch Politiker der „bürgerlichen Rechten“, die für sich reklamieren, den republikanischen Charakter Frankreichs gegenüber dem Front National konsequent zu verteidigen, geltende Regelungen des ius soli gelegentlich der öffentlichen Kritik zu unterziehen. Wenn beispielsweise Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy jüngst durch die Forderung hervortrat, die „automatische Bindung zwischen Heirat und Aufenthaltsgenehmigung“ müsse abgeschafft werden, so stellt er dadurch zwar nicht unmittelbar den Kern des Territorialprinzips in Frage; allerdings rekurriert er offen auf eine – „republikanischer“ Legendenbildung zum Trotz – auch unter Franzosen weitverbreitete Vorstellung der Nation als einer politischen und ethnisch-kulturellen Entität.
Dieser mangelnden Rezeption universalistischer Ideale hatte der Gesetzgeber bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre Rechnung getragen. Zwar sollte die Reform des code de la nationalité im Jahre 1993, die das Territorialprinzip modifizierte, das formelle Festhalten an einem universalistischen Begriff der (Staatsbürger-) Nation herausstreichen: Personen, die – als Kinder im Ausland geborener Ausländer – bis dahin im Alter von achtzehn Jahren automatisch naturalisiert worden waren, wenn sie in Frankreich geboren worden waren und dort seit mindestens fünf Jahren lebten, sollten nun zwischen ihrem sechszehnten und zwanzigsten Lebensjahr durch eine Willenserklärung ihre Absicht dokumentieren, Franzosen zu werden. Gerade die Beschränkung dieser Regelung, die sich vorgeblich auf das Verständnis der Nation als einer freien Assoziation mündiger Individuen gründet, auf Kinder von Nichtfranzosen ließ jedoch die Absicht aufscheinen, durch eine Reduzierung der Zahl der Einbürgerungen die Entwicklung Frankreichs in Richtung auf eine multiethnische Gesellschaft zu bremsen. So wurde ausgerechnet unter Berufung auf das Postulat eines „täglichen Plebiszits“, mithin des von Ernest Renan 1882 dargelegten französisch-republikanischen Alternativkonzepts zum ethnisch fundierten Nationalismus, ein gewisser Ethnozentrismus im französischen Staatsangehörigkeitsrecht wiederbelebt – analog zu der gegenwärtigen Forderung mancher Verfechter einer laicité plurielle – einer demokratisch-pluralistischen „Öffnung“ der laizistischen Republik –, im Namen des laizistischen Toleranz-Gebots das in dem Trennungsgesetz von 1905 verankerte Verbot jeglicher Subventionierung von „Kulten“ aufzuheben, um dem „französischen Islam“ eine gleichberechtigte „zivilgesellschaftliche“ Existenz zu sichern.
In diesem Sinne weist auch der UMP-Matador Sarkozy, der das multikulturalistische Integrationsideal eines „Mosaiks“ der republikanischen „Schmelztiegel“-Konzeption der supra- ethnischen Homogenisierung vorzieht, in La République, les religions, l‘espérance. Entretiens avec Thibaud Collin et Philippe Verdin (Paris 2004) auf eine gesellschaftlich-politische Benachteiligung der etwa fünf Millionen Muslime hin; diese rekrutierten sich primär aus Einwanderergesellschaften, deren Elitebildung noch nicht abgeschlossen sei. Wenn Sarkozy daraus folgert, daß der laizistischen Republik die Pflicht obliege, einen Islam „à la française“ regierungspolitisch zu protegieren, so steht diese Maxime in Widerspruch zu Artikel 2 des Trennungsgesetzes sowie in einem diametralen Gegensatz zu der laicité de combat, die ihren historischen Ursprung in dem Postulat einer Ausschaltung religiöser Einmischung in das politische Leben der Republik hat.
Doch nicht nur der „geschlossene“ Laizismus, sondern das republikanisch-„jakobinische“ Integrationsmodell Frankreichs in seiner Gesamtheit wird vornehmlich seitens der „multikulturalistischen“ Linken in scharfer Form attackiert und als spätestens mit dem „Ende der Industriegesellschaft“ historisch obsolet eingestuft. Dagegen betrachten die französischen „Neorepublikaner“ – unter ihnen solch unterschiedliche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Alain Finkielkraut, Max Gallo, Emmanuel Todd, Pierre-André Taguieff, Régis Debray oder Jean-Pierre Chevènement – das französische Integrationsmodell gleichsam als einen Idealtypus europäischer, respektive „westlicher“ Verfassungsgeschichte, als eine historisch gelungene Vollendung emanzipatorischer Entwicklungen, die die Etat-Nation Frankreich mit anderen Staatsbürgergemeinschaften (nicht nur) des „Westens“ teile: Auch deren neuzeitliche Konstitutionalisierung ist geprägt von der tendenziellen und potentiellen Emanzipation des Begriffs der Nation als einer Assoziation freier und gleicher Rechtsgenossen von der – tribalistischen, ständischen oder religiösen / konfessionellen – Einbettung der Rechte und Pflichten des individuellen Einzelnen in „holistische“ Gemeinschaftsstrukturen.
Der republikanisch-jakobinische Universalismus hingegen nimmt seinerseits für die aus der Überwindung der ethnisch-kulturellen Pluralität des Ancien Régime hervorgehende französische Nationalkultur in Anspruch, in verdichteter Form universale zivilisatorische Werte und Prinzipien zum Ausdruck zu bringen. Folglich wird der radikale Multikulturalismus, der zugunsten eines Rechtes der einzelnen (ethno-)kulturellen Gruppierungen auf (kollektive) Selbstverwaltung sogar auf zentralstaatlicher Ebene gesetzte Grundwerte und ‑normen problematisiert, schroff abgelehnt; Begrifflichkeiten wie „Kommunitarismus“ und „Multikulturalismus“ werden weithin mit einem (angelsächsischen) Integrationsmodell assoziiert, das dem französischrepublikanischen diametral entgegengesetzt sei und dessen Verwirklichung einer „Balkanisierung“ Vorschub leisten würde.
Dabei wird die französische Nation auch von „neorepublikanischer“ Seite nicht als eine ausschließlich auf verfassungspatriotische Überzeugungen aller Bürger gestützte politische Gemeinschaft definiert. Einer der eloquentesten Parteigänger eines Festhaltens am republikanischen Integrationsmodell, der französisch-jüdische Philosoph Alain Finkielkraut, verortete in einem am 17. November 2005 veröffentlichten Interview mit Haaretz die jugendlichen „Unruhestifter“ arabischer oder schwarzafrikanischer Herkunft, deren Gewalttaten sich auch gegen Kindergärten und Schulen richteten, als Beteiligte an einem „anti-republikanischen Pogrom“, nicht ohne die ethno-religiösen Bruchlinien innerhalb der gegenwärtigen französischen Gesellschaft herauszustellen: Die Ausschreitungen seien „gegen Frankreich als frühere Kolonialmacht gerichtet, gegen Frankreich als europäisches Land, gegen Frankreich und seine christliche oder judäochristliche Tradition.“