Schon vor dem berühmten Mai 1968, im frühen Frühjahr bereits, prallten gewalttätige »linksextremistische« Gruppen und militante nationalistische Bewegungen (im wesentlichen Occident und Action française) in Paris aufeinander. Der Mai selbst mit seinen »revolutionären« Studentenkrawallen rund um die Sorbonne war dabei aus rechter Sicht nur ein Intermezzo: Es kam auch danach quasi täglich zu Straßenkämpfen.
Sie fanden ihren Höhepunkt in vier besonders gewalttätigen Schlachten: in Nanterre am 16. Februar 1970, in der Universität Panthéon-Assas (ebenfalls im Februar, während der Rückeroberung des Gebäudes), am Bahnhof Saint-Lazare im November und im Palais des Sports de Paris am 9. März 1971. Dabei beherrschten die Linken aller Strömungen die Straße. Die Kämpfe häuften sich und wurden immer gewalttätiger, mit einem Wort: »professioneller«.
Wir entschieden, unseren Ordnungsdienst entsprechend auszubauen und gründeten die »Commissaires d’Action française«, als deren Verantwortlicher ich eingesetzt wurde. Unser Freikorps war 80 Mann stark und von einem Tag auf den anderen mobilisierbar, in Teilen sogar innerhalb einer Stunde. Dazu kamen 50 »Reservisten«. Die Truppe war in vier Einheiten gegliedert, deren Mitglieder nach ihrem Wohnort zugeteilt.
Die Mannschaft Paris Ost wurde von Stephen Roche geführt, der heute ein großes Unternehmen leitet. Jene von Paris Zentrum wurde von einer Doppelspitze geführt, von Pierre B., Erbe eines der größten französischen Verlagshäuser, und Philippe Lomont, der später an der Ausbildung des Panzerkorps der saudischen Armee teilnehmen sollte.
Paris West hatte als Kopf Alain Sanders, einen zukünftigen Journalisten und Schriftsteller. Diesen drei Einheiten intra muros schloß sich die der Hauts-de-Seine an, dessen harter Kern von der Gruppe Saint-Cloud gebildet wurde und dessen Chef, Jacques L., später den Kleinkrieg bei den Spähern der rhodesischen Armee anführen durfte.
Unsere Commissaires waren zugleich Korsaren und Musketiere. Man praktizierte französisches Boxen und bastelte an»organischen Kon- struktionen« à la Charles Maurras, war also immer im »Wehrgang des Festungswalles«, denn die Kämpfe reihten sich aneinander – wie an jenem Tag im Januar 1969, an dem das Programm mit einer Schlägerei an der Sorbonne begann, gefolgt von einem Zusammenstoß in Censier, der übergangslos in eine »muskulöse« Verteilung von Flugblättern im Lycée Voltaire mündete, denn der Übergang war eine »Attacke« im Universitätsrestaurant »Le Mazet«. Es ging mit einer großen Schlacht auf dem place de l’Odéon weiter – und das Ende dieses »sportlichen« Tages bildete ein Aufeinandertreffen am Bahnhof von Saint-Lazare, und zwar gegen mehrere hundert Linksextremisten.
Einige Aktionen endeten im Krankenhaus oder in Untersuchungshaft und führten zu Verurteilungen und Gefängnisstrafen – eine harte Schule, aber: sehr lehrreich! Das Kopiergerät lief die ganze Nacht, und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Ein Flugblatt mit dem Titel »Gegen die Hunnen, alles auf zu den Katalaunischen Feldern!«, das die »opiumsüchtigen Weicheier« anprangerte (wir waren nicht gerade zimperlich), konnte am Morgen des
16. Januar 1970 auf dem Campus von Nanterre verteilt werden – er war von Linken aus allen Pariser Fakultäten besetzt worden
Um 8.30 Uhr versammeln wir uns – 16 Mann – am Bahnhof Nanterre-La Folie. Die Gruppe macht sich auf den Weg, entlang der tristen Mauer, die die Bahngleise säumt. Gleich zu Beginn läuft unsere Aktion aus dem Ruder, da unsere provokanten Flugblätter die Wut einer Masse weckt, die anwächst und uns entgegenströmt; uns bleibt keine Wahl, wir müssen die geisteswissenschaftliche Fakultät sofort wieder aufgeben und uns in die juristische Fakultät zurückziehen. Die Bolschewiken haben inzwischen Zeit gehabt, uns zu zählen: 16 leichtsinnige »Faschisten«, mit denen sie kurzen Prozeß machen würden.
Sie zögern allerdings etwas: Bedeutet so eine kleine Zahl Abenteurer inmitten hunderter Gegner nicht eine Falle? Warten die »schwarzen Horden« nicht irgendwo im Hinterhalt, um sich auf die Freiheitsliebenden zu stürzen? Es werden also Späher ausgeschickt, die das Gebiet umrunden: ganz offensichtlich – wirklich nur 16. Die Stunde des Lynchens ist nahe.
Hinter die großen Glasfenster der juristischen Fakultät zurückgezogen, sehen wir die mit Pfählen, Eisenstangen und Haken bewaffnete Horde kommen. Die Mitglieder der juristischen Studenten-Korporation, deren Hauptaktivität die Organisation des Juristen-Balles ist, flehen uns an zu gehen, da wir die Katastrophe auf ihr bis dahin verschontes Gebäude zögen. Sie zeigen uns sogar einen diskreten Ausgang.Uns zurückziehen, wo doch unsere Spezialität der Angriff einer gegen zehn ist? Das kommt gar nicht in Frage. Aber: Heute sind es wohl eher einer gegen hundert. Deshalb räumen wir den Eingangsbereich, nicht ohne vorher die Möblierung der Halle am Fuße der Treppe zu einer großen Barrikade aufzutürmen, auf der wir die Fahne der Action Française Paris hissen, schwarz mit weißem Kreuz und vergoldeter weißer Lilie. Sie ziert heute mein Büro.
Wir entscheiden uns in dem Augenblick zum Angriff, als die Spitze der Horde die Glastüren zersplittern läßt, und der Rest sich drängt, um auch an die Reihe zu kommen. Auf diesen Augenblick wartend, haben wir uns in einer Reihe aufgestellt und das alte Lied der napoleonischen Garde angestimmt: J’aime l’oignon frit à l’huile. Dann marschieren wir langsam und schneidig in Richtung der Typen, die damit beschäftigt sind, die Glastüren der juristischen Fakultät zu zerstören. Ein Unbekannter gesellt sich zu uns: »Was für eine Haltung, ich gehöre zu euch!«
Wir sind nun also 17. Wir haben nicht die Zeit, uns zu beglückwünschen, denn erstaunt, daß das Wild sie angreift, statt davonzulaufen, zögern die Linken für einen Augenblick. Befehl zum Angriff: Unsere Schlagstöcke fahren nieder, die Nunchakus kreisen … und die Bolschewiken ziehen sich zurück. Doch dann gehen sie zum Angriff über.
Ich falte die Fahne und schiebe sie unter meinen Gürtel, dann ziehen wir uns an den Fuß der Treppe zurück, schließlich in den ersten Stock, von wo aus wir die vom Haß trunkene Masse mit Metalbechern, Wandtafeln für den Unterricht und allem, was uns in die Hand fällt, bombardieren. Freilich nutzlos, da die Flut der Linken bereits die Treppe hinaufschwappt. Es ist also dringend geboten, einen ausreichend schmalen Korridor zu finden, um den Effekt der Masse der Angreifer zu egalisieren und eine Frontlinie zu bilden.
Wir finden ihn im zweiten Stock, wo Alain Sanders sich einer Schultafel auf Rädern bemächtigt, die uns als Schild dient, denn nun greift man uns mit Schleudern an. Ein neuerlicher Nahkampf entwickelt sich, bei dem Alain im Gesicht und am Schädel verletzt wird. Er blutet heftig und wird halb bewußtlos. Wir gewinnen einige Minuten, dank Vincent L., der eine Kiste mit Neonröhren entdeckt hat, eine beachtliche Waffe.
Aus der Deckung der Tafel hervorbrechend, werfen wir uns in den Gegenangriff, indem wir die Neonröhren auf den Helmen der Bolschos zersplittern lassen. Im Rückzug erreichen wir einen gebogenen Korridor, im Grunde eine Sackgasse, die im Büro des Dekans V. mündet. Alle Ausgänge der Fakultät sind blokkiert. Wir sitzen in der Falle. Wir brechen also die Tür auf und dringen in den Salon des Dekans ein. Unser Verletzter wird auf den Boden gelegt, als der Dekan, zögernd die Tür seines Büros öffnend, stammelt: »Aber der blutet mir ja den Teppich voll!«
Eine Serie von Flüchen ist die Antwort auf diesen schlechten Scherz. Ich bedeute dem gediegenen Juristen, zurück in sein Büro zu gehen … und er gehorcht! Den Vorteil ausnutzend, deklariere ich: »Betrachten Sie sich als unsere Geisel!«, und nehme mir sein Telefon.
Am anderen Ende des Drahtes antwortet mir unser Verantwortlicher, daß er, was durchaus offensichtlich ist, nicht in der Lage sei, Verstärkung zu schicken, um uns dort herauszuhauen.
Es liegt also an uns, zu improvisieren. Priorität hat zunächst einmal die Evakuierung Alains, der immer stärker blutet. Es gelingt einem Rettungswagen, sich durch die Untergeschosse der Fakultät, die noch nicht erobert sind, hindurchzufädeln, und die Verbringung des Verletzten zum Krankenhaus läuft ohne große Probleme ab. Um sich unserer zu entledigen, will der Dekan uns überzeugen, daß wir das Gebäude verlassen könnten.
Aus dem Fenster seines Büros zeige ich ihm, wie draußen Hunderte Demonstrante brüllend unsere Köpfe fordern. Wenn wir hinausgingen, wär uns der Lynchmord sicher. Zur gleichen Zeit sperrt die mobil Gendarmerie den Campus ab, doch die Verantwortlichen der Universität gestatten nicht, daß sie das Gelände betreten. Di Regierung will einen neuerlichen Aufstand vermeiden, und der Dekan will nicht derjenige sein, der die Ordnungskräfte auf seinen Campus gelassen hat. Liebenswürdige Leute …
Ich verhandele am Telefon mit dem Polizeikommissar, der die Operation leitet. Er weiß, was uns erwartet, wenn wir in die Hände der Tollwütigen fallen, und antwortet bedauernd, daß er für unsere Sicherheit erst garantieren kann, sobald wir den Gürtel um den Campus verlassen haben, daß er aber nicht im Inneren dieses Gürtels eingreifen wird. Ich kann ihm zwar immer wieder sagen, daß dies unterlassene Hilfeleistung an in Gefahr befindlichen Personen ist, doch es nützt am Ende nichts.
Wie sollen wir uns entscheiden? Wenn wir bleiben, werden wir am Ende geschnappt, doch wenn wir hinausgehen, haben wir nur geringe Chancen, bis zum Zaun zu kommen, und das quer durch die wütende Masse. Dafür müßten wir etwa 250 Meter zurücklegen, bis zum Eingang des Campus, entlang des Parkplatzes, der die geisteswissenschaftliche Fakultät von der juristischen Fakultät trennt. Ich stelle die Entscheidung zur Wahl, und sage, daß ich dafür plädiere, einen Ausbruch zu versuchen. Einstimmigkeit für meinen Vorschlag!
Von der Feigheit des Dekans angeekelt, schlägt uns ein Angestellter der Fakultät folgenden Plan vor: Er würde uns über den Heizungskeller bis zu einer metallernen Versorgungstür bringen, die dazu dient, die Schläuche für die Heizölversorgung einzulassen, und die auf den Vorplatz hinausführt. Nie mand würde davon ausgehen, daß wir dort hinauskämen.
Schweigend gehen wir im Gänsemarsch durch das Dunkel und sammeln uns hinter der Tür. Die letzten Absprachen werden getroffen: Mit Öffnung der Tür werden wir alle auf einmal hinausstürmen, »Tötet! Tötet!« schreien, um die Gegner abzuschrecken, und dann vor allem aufpassen, daß niemand in die Hände der Bolschewiken gerät. Durch eine kleine Öffnung beobachten wir die Situation draußen. Der Zeitpunkt ist günstig, denn die Linken stehen nun den Gendarmen gegenüber, und die Spannung steigt …
Die Entschlossensten sind schon in unmittelbarem Kontakt mit den Ordnungskräften, wir müssen durch diesen Schwachpunkt hindurch. Wir müssen dieses Loch ausnutzen. Ich öffne die Türe und wir stürzen uns auf die Masse, die wir von hinten durchqueren, Stück für Stück, mehrere verletzte Linke hinter uns lassend. Endlich erreichen wir die ersten Linien der Bolschewiken.
Eingekeilt zwischen den Gendarmen und uns flüchten sie …
Nie waren uns die Uniformen der Gendarmen so sympathisch. Die blaue Sperre öffnet sich, ich durchquere sie, schaue nach hinten und achte darauf, daß kein Kamerad in den Händen der Horde bleibt. Ein Capitaine spricht mich an:
»Wo sind die anderen?«
»Ich bin der letzte.«
»Und dafür sind wir so zahlreich hierhergekommen? Da können Sie sich aber brüsten, so ein schönes Theater angerichtet zu haben.«
Die Gratulationen halten nicht lange an, und laufend erreichen wir die Station Nanterre-La-Folie, wo wir in den ersten einfahrenden Zug springen, der nach Paris fährt. Wir kommen gerade wieder zu Atem, als der Kontrolleur uns ansteuert: Damals wurden die Fahrkarten in den Vorortzügen noch kontrolliert. Seiner Forderung »Fahrkarten, bitte!« folgt ein schallendes Gelächter. Verblüfft konstatiert der brave Beamte, daß das Lachen von einer Gruppe kommt, mit der man besser nicht in Streit gerät.