Der Marsch durch die Institutionen

PDF der Druckfassung aus Sezession 84/Juni 2018

Zahl­rei­che 68er haben eine beweg­te Ver­gan­gen­heit, aber sind erfolg­reich in ein­fluß­rei­che Posi­tio­nen gewan­dert. Viel­fäl­tig geehrt wur­den sie zu fei­nen Stüt­zen der Gesell­schaft, die längst die ihre gewor­den ist. Nach­fol­gend eini­ge Beispiele.

ELMAR ALTVATER  (1938 –2018)

Das SDS-Mit­glied Elmar Alt­va­ter betä­tig­te sich wäh­rend der APO-Zeit in der »Sozia­lis­ti­schen Assis­ten­ten­zel­le« am Otto-Suhr-Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der FU Ber­lin. Zudem galt Alt­va­ter als einer der füh­ren­den Köp­fe des »Sozia­lis­ti­schen Büros« der Neu­en Lin­ken in Offen­bach. 1970 grün­de­te er das mar­xis­ti­sche Maga­zin PROKLA, was für »Pro­ble­me des Klas­sen­kamp­fes« stand und spä­ter den Zusatz »Zeit­schrift für kri­ti­sche Sozi­al­wis­sen­schaft« erhielt. Die­ses Enga­ge­ment schien ihn befä­higt zu haben, 1971 eine Pro­fes­sur für Poli­ti­sche Öko­no­mie an der FU zu erhalten.

Alt­va­ter gehör­te zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der Grü­nen und saß im Auf­sichts­rat der »Taz.genossenschaft«. Zudem war er von 1999 bis 2002 Mit­glied der Enquête-Kom­mis­si­on des Deut­schen Bun­des­ta­ges zur »Glo­ba­li­sie­rung der Welt­wirt­schaft«. 2005 ver­faß­te er das pro­gram­ma­ti­sche Buch Das Ende des Kapi­ta­lis­mus, wie wir ihn ken­nen. Eine radi­ka­le Kapi­ta­lis­mus­kri­tik. Den bestehen­den »bar­ba­ri­schen«, auf dem Pri­vat­ei­gen­tum beru­hen­den Macht­struk­tu­ren sol­le dem­nach eine »sola­re und soli­da­ri­sche Gesell­schaft« ent­ge­gen­ge­setzt wer­den. Nach der Eme­ri­tie­rung enga­gier­te er sich im wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat von Attac, trat 2007 der Lin­ken bei und ver­faß­te regel­mä­ßig Arti­kel im Frei­tag. 2013 erhielt er den Salz­bur­ger Lan­des­preis für Zukunftsforschung.

REINHARD BÜTIKOFER  (*1953)

Rein­hard Büti­ko­fer ist kein 68er, aber ein im K- Grup­pen-Milieu der Post-68er-Bewe­gung groß gewor­de­ner Poli­ti­ker. 1971 begann er ein (nicht abge­schlos­se­nes) Stu­di­um der Phi­lo­so­phie und Geschich­te in Hei­del­berg. In die­ser Zeit enga­gier­te er sich bei der »Kom­mu­nis­ti­schen Hoch­schul­grup­pe« (KHG) und im mao­is­ti­schen »Kom­mu­nis­ti­schen Bund West­deutsch­land« (KBW).
Er war Mit­glied im AStA und Senat der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg. 1984 trat er den Grü­nen bei und wur­de vier Jah­re spä­ter baden-würt­tem­ber­gi­scher Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter, dann Lan­des­vor­sit­zen­der und war bis 2008 Bun­des­vor­sit­zen­der. 2009 wur­de Büti­ko­fer als Spit­zen­kan­di­dat sei­ner Par­tei in das Euro­päi­sche Par­la­ment gewählt.
Dort sitzt er heu­te als einer der bei­den Vor­sit­zen­den der Euro­päi­schen Grü­nen Par­tei. Sei­ne mao­is­ti­sche Ver­gan­gen­heit dürf­te dabei gehol­fen haben, daß er zudem als stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der der Dele­ga­ti­on des Euro­päi­schen Par­la­ments für die Bezie­hun­gen zur Volks­re­pu­blik Chi­na tätig ist. Dane­ben ist Büti­ko­fer Board Mit­glied der Ber­li­ner Depen­dance der dem »Ide­al der offe­nen Gesell­schaft« ver­pflich­te­ten US-ame­ri­ka­ni­schen Denk­fa­brik Aspen-Insti­tut, Mit­glied des Advi­so­ry Board des Ame­ri­can Jewish Com­mit­tee in Ber­lin und Mit­glied des trans­at­lan­ti­schen Netz­werks Atlan­tik- Brücke.

DETLEV CLAUSSEN (*1948)

Inter­es­sant ist an ihm eine viel­leicht als volks­tüm­lich zu bezeich­nen­de Marot­te: Claus­sen ist ein lei­den­schaft­li­cher Fuß­ball­fan – kein ganz typi­scher Zug für einen Hoch­schul­leh­rer, zumal er mit sei­nen Bemü­hun­gen, Fuß­ball im Rah­men von Hoch­schul-Semi­na­ren zu ana­ly­sie­ren, auch auf Skep­sis bei Kol­le­gen stieß. 2011 äußer­te er in einem Inter­view: »Wenn man Migran­ten in die Natio­nal­mann­schaft beruft, kann man zei­gen, daß es gar kei­nen Sinn hat, wenn die sich unse­rer tra­di­tio­nel­len Spiel­wei­se anpas­sen. Im Gegen­teil: Sie berei­chern uns offen­sicht­lich mit ihren eige­nen Qua­li­tä­ten. Ansons­ten wer­den Migran­ten bei uns ja immer als defi­zi­tär betrach­tet. Außer­dem zeigt sich bei den neu­en Trai­nings­me­tho­den, wie wich­tig es ist, daß wir uns der Aus­bil­dung des Indi­vi­du­ums zuwen­den. Wenn der Ein­zel­ne Auf­merk­sam­keit bekommt, ent­wi­ckelt er auch Teamgeist.«

Von 1966 bis 1971 stu­dier­te das SDS-Mit­glied Claus­sen in Frank­furt Phi­lo­so­phie, Sozio­lo­gie, Lite­ra­tur und Poli­tik, unter ande­rem bei Ador­no. Von 1994 bis 2011 besetz­te er als Pro­fes­sor einen Sozio­lo­gie-Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Han­no­ver. The­men­schwer­punk­te: Anti­se­mi­tis­mus, Xeno­pho­bie, Natio­na­lis­mus, Ras­sis­mus, Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaf­ten, Migra­ti­ons­be­we­gun­gen, Psychoanalayse.

Die »Rede von der Iden­ti­tät« bezeich­net Claus­sen als »Mode«: »Sechs­ein­halb­tau­send Jah­re kam die Mensch­heit ohne sie aus, auf ein­mal hat das nun angeb­lich jeder, eine per­sön­li­che wie eine natio­na­le. Das sind alles Reak­tio­nen auf die Säku­la­ri­sie­rung.« Dem stellt er die Idee der Auf­klä­rung ent­ge­gen, das »gute Leben«, den »Anspruch auf Glück, wie er in der ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung for­mu­liert ist«. Zwar gäbe es
»die gemein­sa­me Sache eman­zi­pa­to­ri­scher Gesell­schafts­ver­än­de­rung, an der die unter­schied­lichs­ten Leu­te arbei­ten«, doch in den aktu­el­len Bil­dungs­plä­nen stän­den nur noch indi­vi­du­el­le Erfolgs­kar­rie­ren im Mit­tel­punkt, resü­mier­te er 2011 ent­täuscht nach sei­ner Emeritierung.

DANIEL COHN-BENDIT (*1945)

Der »rote Dany« gehört zu den am meis­ten im Ram­pen­licht der Medi­en ste­hen­den 68ern. Cohn-Ben­dits Eltern waren Juden. Sein Vater arbei­te­te in Ber­lin als Rechts­an­walt, ver­stand sich als Trotz­kist. Die Eltern emi­grier­ten 1933 nach Paris, gehör­ten zum Freun­des­kreis von Han­nah Arendt.
Auf­grund einer geplan­ten Aus­wan­de­rung in die USA ver­säum­ten es die Eltern, die fran­zö­si­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit für den Sohn Dani­el zu bean­tra­gen, der somit zunächst staa­ten­los blieb. Aus Geld­grün­den zogen die Eltern nach Deutsch­land zurück, Cohn-Ben­dit besuch­te die reform­päd­ago­gi­sche Odenwaldschule.
1961 wähl­te er die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit, um sich dem fran­zö­si­schen Mili­tär­dienst zu ent­zie­hen (2015 bekam er auch die fran­zö­si­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­lie­hen). 1965 nahm er ein Mathe­ma­tik­stu­di­um in Paris auf, wech­sel­te nach nur einer Woche zur Sozio­lo­gie und nahm Kon­takt zu einer anar­chis­ti­schen Grup­pe auf. Er ver­trat 1968 die »Liai­son des Etu­di­ants Anar­chis­tes« (Bund anar­chis­ti­scher Stu­den­ten) beim gro­ßen Viet­nam­kon­greß an der TU Berlin.
Dabei ließ er sich von Rudi Dutsch­kes Stra­te­gie der direk­ten, pro­vo­ka­ti­ven Akti­on inspi­rie­ren. Cohn-Ben­dit über­nahm eine Füh­rungs­rol­le bei den fran­zö­si­schen Pro­tes­ten. Sein Appell einer lin­ken Eini­gung in der »Bewe­gung 22. März« wur­de von vie­len Stu­den­ten aus anar­chis­ti­schen und kom­mu­nis­ti­schen Klein­grup­pen befolgt. Zahl­rei­che Lehr­ver­an­stal­tun­gen wur­den von die­sem Bünd­nis ver­hin­dert, Hör­sä­le besetzt.
Nach dem Atten­tat auf Dutsch­ke lud Cohn-Ben­dit den SDS-Vor­sit­zen­den Karl Diet­rich Wolff nach Nan­terre ein, und die Stu­den­ten stürm­ten nach des­sen Rede die Uni­ver­si­täts­räu­me, was zur teil­wei­sen Schlie­ßung der Uni­ver­si­tät führte.

Die maß­geb­lich von Cohn-Ben­dit vor­an­ge­trie­be­nen Pro­vo­ka­tio­nen führ­ten zu Stra­ßen­schlach­ten, bei denen Pflas­ter­stei­ne und Molo­tow-Cock­tails zum Ein­satz kamen. In einem öffent­li­chen Gespräch mit Jean-Paul Sart­re for­der­te er den Sturz der Regie­rung unter Prä­si­dent Charles de Gaul­le. Kurz dar­auf plä­dier­te er vor dem Ber­li­ner SDS, die Tri­ko­lo­re durch die Rote Fah­ne zu erset­zen. Als die fran­zö­si­sche Regie­rung ihm die Wie­der­ein­rei­se ver­wei­ger­te, de- mons­trier­ten Pari­ser Stu­den­ten für Cohn-Ben­dit mit der Losung »Wir sind alle deut­sche Juden«.

Spä­ter ließ sich Cohn-Ben­dit in Frank­furt nie­der, besuch­te Vor­le­sun­gen von Ador­no und Haber­mas, ohne sein Stu­di­um zu been­den. Cohn-Ben­dit soli­da­ri­sier­te sich (»Die gehö­ren zu uns!«) mit den Kauf­haus-Brand­stif­tern Andre­as Baa­der und Gud­run Ens­slin, die er mehr­mals im Gefäng­nis besuch­te. Er grün­de­te 1969 eine »Betriebs­pro­jekt­grup­pe« des Frank­fur­ter SDS zur Unter­wan­de­rung der Gewerk­schaf­ten, aus der die Grup­pe »Revo­lu­tio­nä­rer Kampf« entsprang.
Gemein­sam mit Tom Koe­nigs, Joseph Fischer und dem spä­te­ren Varie­té-Direk­tor John­ny Klin­ke grün­de­ten sie die Frank­fur­ter Karl-Marx-Buch­hand­lung. Cohn-Ben­dit betei­lig­te sich am Wider­stand gegen den Abriß leer­ste­hen­der Häu­ser im Frank­fur­ter West­end, lehn­te aber die Gewalt­tä­tig­keit von Fischers
»Putz­trup­pe« ab. Er arbei­te­te in einer Kin­der­ta­ges­stät­te, aus der die »Kinderladen«-Bewegung hervorging.
1978 fun­gier­te er als Mit­or­ga­ni­sa­tor bei der Grün­dung der hes­si­schen Grü­nen. Wäh­rend Fischers Amts­zeit als hes­si­scher Umwelt­mi­nis­ter fun­gier­te Cohn-Ben­dit als des­sen Poli­tik­be­ra­ter. 1989 wur­de er Lei­ter des Frank­fur­ter »Amtes für Mul­ti­kul­tu­rel­le Angelegenheiten«.

Cohn-Ben­dit sam­mel­te For­de­run­gen Frank­fur­ter Ein­wan­de­rer und ver­such­te die­se durch­zu­set­zen: Die Grün­dung einer kom­mu­na­len Aus­län­der­ver­tre­tung, Rechts­be­ra­tung für Migran­ten­ver­ei­ne, Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­pro­gram­me für Beam­te in Poli­zei und Stadt­ver­wal­tung. Eine städ­ti­sche Anti­ras­sis­mus-Woche und ein »Tag der deut­schen Viel­falt« wur­den orga­ni­siert. Von 1994 bis 2014 saß Cohn-Ben­dit als Abge­ord­ne­ter im Euro­päi­schen Par­la­ment, teils für die deut­schen, teils für die fran­zö­si­schen Grünen.

JOSEPH MARTIN FISCHER (*1948)

Der Sohn ungarn­deut­scher Eltern enga­gier­te sich mit 19 Jah­ren in der APO, jobb­te beim Frank­fur­ter SDS-Ver­lag Neue Kri­tik, der klas­si­sche Theo­re­ti­ker des Kom­mu­nis­mus neu auf­leg­te, und war 1970 Mit­grün­der der Karl- Marx-Buch­hand­lung im Stadt­teil Bocken­heim, die als Anlauf­stel­le des sich bil­den­den Spon­ti- Milieus dien­te. 1971 begann Fischer eine Tätig­keit bei der Adam Opel AG in Rüs­sels­heim mit dem Ziel, Arbei­ter über eine Betriebs­grup­pe revo­lu­tio­när zu politisieren.
Das führ­te zur Ent­las­sung nach einem hal­ben Jahr. Es folg­ten Gele­gen­heits­ar­bei­ten, unter ande­rem bis 1981 als Taxi­fah­rer. Dane­ben fun­gier­te Fischer als füh­ren­de Figur der Vor­läu­fer der spä­te­ren »Auto­no­men«. Er war Mit­glied der Grup­pie­rung »Revo­lu­tio­nä­rer Kampf« und betei­lig­te sich an Stra­ßen­kämp­fen mit Poli­zis­ten, die dabei teil­wei­se schwer ver­letzt wurden.
Auf einem spä­ter bekannt gewor­de­nen Foto von 1973 ist der ver­mumm­te Fischer zu sehen, der gemein­sam mit dem spä­ter ver­ur­teil­ten Ter­ro­ris­ten der »Revo­lu­tio­nä­ren Zel­len« Hans-Joa­chim Klein einen am Boden lie­gen­den Poli­zis­ten schlägt.
Letzt­lich erfolg­los ver­lie­fen dama­li­ge Ermitt­lun­gen gegen Fischer wegen Land­frie­dens­bruchs, ver­such­ten Mor­des und der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung. 1978 kom­men­tier­te er meh­re­re RAF- Mor­de noch wohl­wol­lend, wovon er sich spä­ter distanzierte.
1981 wur­de die Tat­waf­fe zur Ermor­dung des hes­si­schen Wirt­schafts­mi­nis­ters Heinz-Her­bert Kar­ry in Fischers Auto­mo­bil trans­por­tiert. Fischer erklär­te dazu, das Fahr­zeug damals Klein aus­ge­lie­hen zu haben, um einen neu­en Motor ein­bau­en zu las­sen, nichts aber von wei­ter­ge­hen­den Absich­ten des Ter­ro­ris­ten gewußt zu haben.
1983 wur­de er für die Grü­nen in den Bun­des­tag gewählt und begann als Par­la­men­ta­ri­scher Geschäfts­füh­rer zu arbei­ten. In die­se Zeit fiel der legen­dä­re Anwurf gegen den christ­so­zia­len Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­dent Richard Stück­len: »Mit Ver­laub, Herr Prä­si­dent, Sie sind ein Arsch­loch.« 1985 wur­de er hes­si­scher Staats­mi­nis­ter für Umwelt und Ener­gie in der ers­ten rot-grü­nen Lan­des­re­gie­rung. Legen­där ist sei­ne Ver­ei­di­gung in Turn­schu­hen und zer­knit­ter­tem Sakko.
1998 wur­de Fischer Außen­mi­nis­ter und Vize­kanz­ler in der rot-grü­nen Regie­rung unter Ger­hard Schrö­der. In sei­ne Zeit fällt die Betei­li­gung der Bun­des­wehr an Aus­lands­ein­sät­zen in Afgha­ni­stan und im Koso­vo. Letz­te­ren recht­fer­tig­te er 1999 folgendermaßen:

»Ich ste­he auf zwei Grund­sät­zen, nie wie­der Krieg, nie wie­der Ausch­witz, nie wie­der Völ­ker­mord, nie wie­der Faschis­mus. Bei­des gehört bei mir zusam­men.« 2005 setz­te er sich dafür ein, daß das Aus­wär­ti­ge Amt kei­ne Nach­ru­fe mehr für ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter ver­öf­fent­lich­te, die NSDAP-Mit­glie­der gewe­sen waren. Nach der ver­lo­re­nen Bun­des­tags­wahl 2005 leg­te Fischer sein Abge­ord­ne­ten­man­dat nie­der und über­nahm eine Gast­pro­fes­sur für inter­na­tio­na­le Wirt­schafts­po­li­tik an der Uni­ver­si­tät Princeton.
2010 folg­te eine Gast­pro­fes­sur der Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf. Fischer wur­de Grün­dungs­mit­glied und Vor­stand des vom Mil­li­ar­där Geor­ge Sor­os finan­zier­ten »Euro­pean Coun­cil on For­eign Rela­ti­ons«. Es folg­ten zahl­rei­che Bera­ter­ver­trä­ge, unter ande­rem mit den Ener­gie­kon­zer­nen RWE und OMV, mit BMW, Sie­mens und dem World Jewish Con­gress. Mitt­ler­wei­le ist Fischer unter ande­rem Ehren­dok­tor der Uni­ver­si­tät Hai­fa, er erhielt die höchs­te Aus­zeich­nung des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land, den Leo-Baeck- Preis, für Ver­diens­te im Nah­ost-Kon­flikt, und die Euro­pa­me­dail­le des Frei­staa­tes Bayern.

TOM CARL JOERGE KOENIGS (*1944)

Der Sproß einer Köl­ner Ban­kiers­fa­mi­lie stu­dier­te an der FU Ber­lin und in Frank­furt Betriebs­wirt­schafts­leh­re. Er betei­lig­te sich an Haus­be­set­zun­gen und Stra­ßen­kämp­fen, wur­de Mit­glied der Grup­pe »Revo­lu­tio­nä­rer Kampf«. Nach dem Stu­di­um nahm er eine Tätig­keit als Schwei­ßer bei Opel an, arbei­te­te dann als Buch­händ­ler. Sein Mil­lio­nen-Erbe ver­schenk­te Tom Koe­nigs 1973 dem Viet­cong und chi­le­ni­schen lin­ken Akti­vis­ten. »Ich fand, daß das Geld mir nicht zustand, weil mei­ne Vor­fah­ren es nicht durch eige­ne Arbeit, son­dern ver­mut­lich durch Aus­beu­tung ange­häuft hat­ten«, erklärt er dazu. Koe­nigs trat bei den Grü­nen ein und hat­te dort von 1983 bis 1997 diver­se Ämter inne. Danach folg­ten Tätig­kei­ten für die Ver­ein­ten Natio­nen, etwa als Lei­ter der UN-Mis­si­on in Gua­te­ma­la und als Vor­stands­mit­glied von UNICEF Deutsch­land. Von 2009 bis 2017 war er Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter. 2016 über­nahm er eine fünf­jäh­ri­ge Bürg­schaft für einen syri­schen Ein­wan­de­rer im Rah­men einer Initia­ti­ve des Ver- eins »Flücht­lings­pa­ten Syrien«.

WOLFGANG KRAUSHAAR (*1948)

Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler ist der bekann­tes­te Chro­nist der 68er-Bewe­gung. Die fami­liä­ren Ver­hält­nis­se sei­ner Kind­heit waren ein­fach. Ein nord­hes­si­sches Dorf, die Mut­ter betrieb ein Geschäft für Lebens­mit­tel, der Vater ver­dien­te sein Brot als Kfz-Mecha­ni­ker. 1966 /67 ver­wei­ger­te Kraus­haar den Wehr­dienst, zu die­ser Zeit ein Ein­zel­fall. Die Zivil­dienst­zeit in einer psych­ia­tri­schen Kli­nik ende­te mit der vor­zei­ti­gen Ent­las­sung, weil Kraus­haar eine bis dahin unüb­li­che Ver­samm­lung mit­in­iti­iert hat­te, in der Pati­en­ten ihre Anlie­gen vor­tra­gen konnten.
Kraus­haar stu­dier­te Phi­lo­so­phie und Ger­ma­nis­tik in Frank­furt, wur­de 1972 Mit­be­grün­der der »Sozia­lis­ti­schen Hoch­schul­in­itia­ti­ve« und danach AstA-Vor­sit­zen­der. Zwi­schen 1975 und 1982 arbei­te­te Kraus­haar als Lek­tor im ursprüng­lich eng mit dem SDS ver­bun­de­nen Ver­lag Neue Kri­tik und als Mit­ar­bei­ter am Didak­ti­schen Zen­trum der Uni­ver­si­tät Frankfurt.

Nach der Dis­ser­ta­ti­on bei Iring Fet­scher wur­de Kraus­haar seit 1987 bei dem von Jan Phil­ipp Reemts­ma gegrün­de­ten »Ham­bur­ger Insti­tut für Sozi­al­for­schung« tätig. In die­sem Rah­men hat er zahl­rei­che Publi­ka­tio­nen zu deut­schen Pro­test­be­we­gun­gen, Tota­li­ta­ris­mus, Extre­mis­mus­theo­rien, 68er-Zeit, K‑Gruppen und RAF-Ter­ro­ris­mus ver­faßt. 2004 wur­de er zudem Gast­pro­fes­sor an der Bei­jing Nor­mal Uni­ver­si­ty in Peking.

WINFRIED KRETSCHMANN (*1948)

Kei­ne NS-Ver­strick­ten, kei­ne NS-Opfer. Win­fried Kret­sch­mann bezeich­ne­te sei­nen Vater als »sehr libe­ral« und die Mut­ter als unpo­li­tisch. Aus Ost­preu­ßen waren sie ver­trie­ben wor­den, und Vater Kret­sch­mann wünsch­te sich für sei­nen Sohn, daß die­ser katho­li­scher Pfar­rer wür­de, was sich mit des­sen Kind­heits­wün­schen deckte.
Katho­lik blieb Kret­sch­mann juni­or bis heu­te, doch das neue Kli­ma der 68er- Revol­te mach­te allen theo­lo­gi­schen Phan­ta­sien einen Strich durch die Rech­nung. Er stu­dier­te von 1970 bis 1975 Bio­lo­gie, Che­mie und Ethik für das Gym­na­si­al-Lehr­amt in Hohen­heim. Mit dem Beruf als Leh­rer wäre es nach dem Wil­len des Ver­fas­sungs­schut­zes womög­lich nichts gewor­den. Die­ser mel­de­te dem Ober­schul­amt, daß Kret­sch­mann für kom­mu­nis­ti­sche Stu­den­ten­grup­pen zur Wahl des Stu­den­ten­kon­vents kan­di­diert hat­te, was wegen des Radi­ka­len­er­las­ses ein Berufs­ver­bot im öffent­li­chen Dienst hät­te nach sich zie­hen können.
Meh­re­re Jah­re war er AstA-Vor­sit­zen­der und in der Hoch­schul­grup­pe des mao­is­tisch ori­en­tier­ten »Kom­mu­nis­ti­schen Bun­des West­deutsch­land« aktiv. Hier­von soll­te er sich spä­ter distan­zie­ren. Nach Über­prü­fung wur­de er dann doch ver­be­am­te­ter Gym­na­si­al­leh­rer in diver­sen baden-würt­tem­ber­gi­schen Städ­ten. 1979 /80 gehör­te er zu den Mit­be­grün­dern der Grü­nen im Länd­le, wur­de 1980 erst­mals in den Land­tag gewählt und wur­de bald Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. 1986 /87 arbei­te­te er für Josch­ka Fischer als Grund­satz­re­fe­rent im hes­si­schen Umwelt­mi­nis­te­ri­um. Danach lan­de­te er wie­der im Stutt­gar­ter Land­tag, um dort 2011 nach einem bedeut­sa­men Wahl­er­folg zum ers­ten von den Grü­nen gestell­ten Minis­ter­prä­si­den­ten gekürt zu werden.

CLAUS LEGGEWIE (*1950)

Claus Leg­ge­wie ist heu­te einer der öffent­lich­keits­wirk­sams­ten Ver­tei­di­ger der 68er-Bewe­gung. Der aus einem bür­ger­lich-katho­li­schen Eltern­haus stam­men­de Publi­zist trat um 1966 der Jun­gen Uni­on bei. Damals nahm er an einer gro­ßen Schü­ler­de­mons­tra­ti­on gegen die Erhö­hung der Stra­ßen­bahn­prei­se auf dem Köl­ner Neu­markt teil. Ihn inter­es­sier­te dabei nur das Macht­ge­fühl an sich, wie er 2015 dem Spie­gel ver­riet: »Man hat­te zum ers­ten Mal das Gefühl von Macht in einer Gemein­schaft, das Gefühl, etwas poli­tisch bewir­ken zu können.

Sol­che Momen­te wün­sche ich 16-Jäh­ri­gen heu­te.« 1968 nahm er sein Stu­di­um in Köln und Paris auf. Nach eige­nen Aus­sa­gen plan­te er damals einen Anschlag auf das spa­ni­sche Kon­su­lat in Köln. Die Aus­füh­rung sei aller­dings dar­an geschei­tert, daß er und sei­ne Mit­strei­ter in der betref­fen­den Nacht zu betrun­ken gewe­sen sei­en. Heu­te bezeich­net Leg­ge­wie die­ses Vor­ha­ben als »kolos­sa­le Dumm­heit, aber der Anlaß war die Bru­ta­li­tät der Franco-Justiz«.

Einen ein­zi­gen Pflas­ter­stein hät­te er damals in ein Fens­ter geworfen.Um sich vom ortho­do­xen Mar­xis­mus abzu­gren­zen, sah Leg­ge­wie kei­ne ande­re Alter­na­ti­ve, als Mao­ist zu wer­den. 1977 ver­brei­te­te er mit ande­ren Uni-Dozen­ten das Pam­phlet Buback – ein Nach­ruf, das den RAF-Mord am dama­li­gen Gene­ral­bun­des­an­walt recht­fer­tig­te. »Wir haben das ver­öf­fent­licht, weil wir Anhän­ger einer radi­ka­len Rede- und Mei­nungs­frei­heit waren«, recht­fer­tig­te Leg­ge­wie sich 2015.
1989 begann Leg­ge­wie mit sei­ner Tätig­keit als Poli­tik-Pro­fes­sor in Gie­ßen. Leg­ge­wie erhielt zahl­rei­che Uni­ver­si­täts­prei­se sowie den Ver­dienst­or­den des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len. 2008 wur­de er Mit­glied des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats der Bun­des­re­gie­rung »Glo­ba­le Umwelt­ver­än­de­run­gen«. Er ist Mit­glied im wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat von »Attac« und im »Rat für Migration«.
Heu­te bringt er 1968 mit den Begrif­fen »Frei­heit, Demo­kra­tie, Repu­blik« in Ver­bin­dung. Die Bewe­gung sei in eine »Fun­da­men­tal- Libe­ra­li­sie­rung« Deutsch­lands gemün­det. Das ste­he im Gegen­satz zu heu­ti­gen »Revi­sio­nis­ten«, die 1968 auf der Basis eines »iden­ti­tä­ren Gegen­pro­gramms« kri­ti­sie­ren, »das im Grun­de auf die Bewah­rung der Domi­nanz des wei­ßen Man­nes hin­aus­läuft«. Der alte wei­ße Mann warnt des­halb heu­te: »Inso­fern hat 68 noch lan­ge nicht gewon­nen. Es steht alles auf dem Prüf- stand, es steht vie­les auf der Kippe.«
Leg­ge­wie ver­steht links und rechts als eine »nach wie vor […] wich­ti­ge Unter­schei­dung im poli­ti­schen Sys­tem«. Und da nun »die Rech­te so stark wird«, bräuch­te es ein lin­kes »Gegen­ge­wicht«. 2015 zog er sein per­sön­li­ches Resü­mee: »Ich fin­de es groß­ar­tig, wie wir inzwi­schen in der Regel mit den Flücht­lin­gen umge­hen. Des­we­gen ste­he ich zu Mul­ti Kul­ti – und zu 68.«

OSKAR REINHARD NEGT (*1934)

Der in Ost­preu­ßen auf­ge­wach­se­ne Sohn einer Ver­trie­be­nen-Fami­lie stu­dier­te Sozio­lo­gie und Phi­lo­so­phie in Frank­furt bei Hork­hei­mer und Ador­no, der auch sein Dok­tor­va­ter wur­de. Von 1962 bis 1970 arbei­te­te er als Assis­tent für Jür­gen Haber­mas in Hei­del­berg und Frank­furt, ehe er 1970 einen Lehr­stuhl für Sozio­lo­gie in Han­no­ver über­nahm, den er bis zur Eme­ri­tie­rung 2002 innehatte.

In den SDS war er bereits 1956 ein­ge­tre­ten, warb dort für die enge Zusam­men­ar­beit zwi­schen mar­xis­ti­scher Lin­ker und Gewerk­schaf­ten. Dabei brach­te er es zum stell­ver­tre­ten­den Lei­ter einer DGB-Bun­des­schu­le. Eine Absa­ge erteil­te Negt dem als »ver­bre­che­risch« bezeich­ne­ten Ter­ro­ris­mus, da die­ser der lin­ken Sache schade.
Nach einer Epi­so­de als APO-Wort­füh­rer hat­te er das »Sozia­lis­ti­sche Büro« in Offen­bach inne. Es folg­te der Kampf für gerin­ge­re Arbeits­zei­ten, kon­kret: Die 35-Stun­den-Woche, die als qua­li­ta­ti­ver Sprung in eine neue Gesell­schaft bewer­tet wur­de. Spä­ter folg­te der Ein­satz für das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men. Negt gehör­te zu den Mit­be­grün­dern der reform­päd­ago­gi­schen Glock­see­schu­le in Han­no­ver, in der die Prin­zi­pi­en des Pro­jekt­un­ter­richts und der Selbst­re­gu­la­ti­on herrschten.

Bereits 1994 beun­ru­hig­te Negt »die geis­tig-poli­ti­sche Vor­herr­schaft kon­ser­va­ti­ver und neo-libe­ra­ler Ideo­lo­gien im öffent­li­chen Leben«. 2013 rief er die SPD-Mit­glie­der zur Ableh­nung des Ver­trags zu einer Gro­ßen Koali­ti­on auf. Ange­sichts des Erstar­kens von »Popu­lis­mus« und »rechts­ra­di­ka­len Ten­den­zen« in Euro­pa plä­dier­te Negt dafür, wie­der eine »prak­tisch ein­grei­fen­de Kapi­ta­lis­mus­kri­tik« zu ent­wi­ckeln. Da erst­mals wie­der seit 1945 die »Gefahr von Wei­mar« vor der Tür ste­he, favo­ri­siert Negt eine rot-rot-grü­ne Koali­ti­on: »Nur die arbeits­tei­lig zusam­men­ar­bei­ten­de Lin­ke ist in der Lage, den Zusam­men­bruch demo­kra­ti­scher Insti­tu­tio­nen zu verhindern.«

FRANZ-JOSEPH RUPERT OTTOMAR VON PLOTT-NITZ-STOCKHAMMER (*1940)

Gebo­ren in Dan­zig, stu­dier­te von Plott­nitz Jura in Gre­no­ble, Frank­furt und der FU Ber­lin. Er trat in den Frank­fur­ter SDS ein und begann 1969 in der Main­me­tro­po­le als einer der pro­mi­nen­tes­ten lin­ken Rechts­an­wäl­te zu arbei­ten. Sei­ne Fer­tig­kei­ten konn­te er im Stamm­hei­mer RAF-Pro­zeß anwen­den, in dem er den Ter­ro­ris­ten Jan-Carl Ras­pe ver­tei­dig­te. 1987 wur­de er hes­si­scher Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter für die Grü­nen, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der und 1995 Jus­tiz­mi­nis­ter in Wies­ba­den. Nun setz­te er sich dafür ein, daß Sitz­blo­cka­den zur gewalt­frei­en Demons­tra­ti­ons­form wur­den, daß das »Lebens­lang« für Mör­der abge­schafft und Deutsch­land zum Ein­wan­de­rungs­land erklärt wur­de. Doch selbst Bauch­tän­ze­rin­nen als Unter­hal­tungs­an­ge­bot bei Gefäng­nis­fei­ern ver­hin­der­ten nicht eini­ge spek­ta­ku­lä­re Aus­brü­che in sei­ner Minis­ter­zeit. Heu­te lebt von Plott­nitz in einem Stil­alt­bau im Frank­fur­ter Nor­dend. Er enga­giert sich im Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat von Attac sowie im Kura­to­ri­um von »med­ico inter­na­tio­nal« und ist Mit­glied im Staats­ge­richts­hof des Lan­des Hessen.

THOMAS SCHMID  (*1945)
Der Arzt­sohn Tho­mas Schmid flüch­te­te 1952 mit sei­ner Fami­lie aus der DDR, stu­dier­te Ger­ma­nis­tik, Anglis­tik und Poli­tik­wis­sen­schaft in Frank­furt. 1968 wur­de er SDS-Mit­glied und gehör­te neben Cohn-Ben­dit, Fischer und dem Kaba­ret­tis­ten Mat­thi­as Beltz zu den Grün­dern der Spon­ti-Grup­pe »Revo­lu­tio­nä­rer Kampf«. Nach einer Tätig­keit im Rüs­sels­hei­mer Opel-Werk arbei­te­te Schmid ab 1975 in der Redak­ti­on der Zeit­schrift Auto­no­mie. Danach war er als Lek­tor im Ver­lag Klaus Wagen­bach sowie für das lin­ke Stadt­ma­ga­zin Pflas­ter­strand, die Ber­li­ner taz und Die Zeit tätig.
Ab 1983 setz­te er sich wie Win­fried Kret­sch­mann für eine gemä­ßig­te Aus­rich­tung der Grü­nen hin zur Mit­tel­schichts­par­tei ein. Mit Cohn-Ben­dit ver­öf­fent­lich­te er 1993 das Buch Hei­mat Baby­lon. Das Wag­nis der mul­ti­kul­tu­rel­len Demo­kra­tie.

Im glei­chen Jahr inten­si­vier­te Schmid sei­ne jour­na­lis­ti­sche Kar­rie­re und wur­de Feuil­le­ton­chef der Ber­li­ner Wochen­post unter Chef­re­dak­teur Mathi­as Döpf­ner. Mit die­sem ging er zur Ham­bur­ger Mor­gen­post, wur­de schließ­lich 2006 Chef­re­dak­teur der Welt.

Schmid bewahr­te sich einen undog­ma­ti­schen Zug. 1994 gehör­te er zu den Mit­un­ter­zeich­nern eines Appells gegen den »anti­fa­schis­tisch« moti­vier­ten Brand­an­schlag auf die Dru­cke­rei der Jun­gen Frei­heit. Spä­ter ver­tei­dig­te er den FDP-Poli­ti­ker Jür­gen Möl­le­mann und sprach sich für eine His­to­ri­sie­rung des Natio­nal­so­zia­lis­mus aus.

HANS-GERHART SCHMIERER  (*1942)

»Joscha« Schmie­rer war 1968 Mit­glied im Bun­des­vor­stand des SDS. 1969 ende­te Schmie­rers aka­de­mi­sche Lauf­bahn, nach­dem er sei­nen Dok­tor­va­ter, den Hei­del­ber­ger His­to­ri­ker Wer­ner Con­ze, bei einer Ver­an­stal­tung mit Eiern bewor­fen hat­te, als die­ser die Wehr­macht in Schutz nahm. 1975 folg­te eine acht­mo­na­ti­ge Haft­stra­fe in der JVA Walds­hut nach einer Ver­ur­tei­lung wegen schwe­ren Land­frie­dens­bruchs. 1973 gehör­te er zu den Mit­be­grün­dern der straff orga­ni­sier­ten mao­is­ti­schen K‑Gruppe »Kom­mu­nis­ti­scher Bund West­deutsch­land« (KBW) und fun­gier­te dort bis zu des­sen Auf­lö­sung 1985 als Führungsperson.
Bekannt wur­de Schmie­rer damals durch sei­ne Erge­ben­heit gegen­über dem mas­sen­mör­de­ri­schen Pol-Pot-Regime in Kam­bo­dscha. 1978 reis­te er mit einer KBW-Dele­ga­ti­on zu einem Soli­da­ri­täts­be­such in das süd­ost­asia­ti­sche Land. Noch 1980, Pol Pot war bereits gestürzt und der Mas­sen­mord an rund zwei Mil­lio­nen Bür­gern der Welt­öf­fent­lich­keit bekannt, schick­te Schmie­rer ein Tele­gramm an den Ex-Macht­ha­ber, in dem er die­sem »unse­re fes­te Soli­da­ri­tät« zusagte.
So viel außen­po­li­ti­sche Kom­pe­tenz hin­der­te Josch­ka Fischer nicht dar­an, Schmie­rer 1999 als Mit­ar­bei­ter in den Pla­nungs­stab des Aus­wär­ti­gen Amtes zu beru­fen. Im Gegen­zug ver­tei­dig­te Schmie­rer noch 2001 Fischers eins­ti­ge Gewalt­ex­zes­se und gab der Poli­zei eine Mit­schuld dar­an. In sei­ner Tätig­keit im Aus­wär­ti­gen Amt beschäf­tig­te sich Schmie­rer unter ande­rem mit Grund­satz­fra­gen der Euro­pa­po­li­tik. Schmie­rer behielt auch noch unter Fischers Nach­fol­ger Frank-Wal­ter Stein­mei­er bis 2007 die­se Funk­ti­on. Der eins­ti­ge Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift Kom­mu­ne konn­te in vie­len Arti­keln für die Ber­li­ner taz, aber auch für die bür­ger­li­che Pres­se diver­se west­li­che Mili­tär­ein­sät­ze als »kon­se­quen­te Welt­in­nen­po­li­tik« rechtfertigen.

JÜRGEN TRITTIN  (*1954)

Jür­gen Trit­tin ist zu jung, um als ech­ter 68er durch­zu­ge­hen, wenn­gleich er bereits 1969 als Schü­ler an Demons­tra­tio­nen in Bre­men teil­ge­nom­men haben soll. Doch er steht exem­pla­risch für jene, die unmit­tel­bar in jenen damals noch fri­schen Struk­tu­ren sozia­li­siert wur­den, die die 68er auf­ge­baut hat­ten. Der Sohn eines Sturm­bann­füh­rers der Waf­fen-SS stu­dier­te Sozi­al­wis­sen­schaf­ten in Göt­tin­gen. Er wur­de für die »Sozia­lis­ti­sche Bünd­nis­lis­te«, einer Koope­ra­ti­on der trotz­kis­ti­schen »Grup­pe Inter­na­tio­na­le Mar­xis­ten« (GIM), des mao­is­ti­schen »Kom­mu­nis­ti­schen Bun­des« (KB) und ande­rer Links­ra­di­ka­ler, Mit­glied im Fachschaftsrat.
1978 kan­di­dier­te er erfolg­reich für die »Lis­te demo­kra­ti­scher Kampf« des »Kom­mu­nis­ti­schen Bun­des« für einen AstA-Sitz und wur­de schließ­lich Prä­si­dent des Stu­den­ten­par­la­ments. Die Orga­ni­sa­ti­on von Demons­tra­tio­nen und die Betei­li­gung an Haus­be­set­zun­gen waren für das KB-Mit­glied Teil einer poli­ti­schen Gesamtstrategie.
»Wir woll­ten einen ande­ren Staat«, erklär­te er rück­blik­kend 2001. Trit­tin bekun­de­te, sich schon aus cha­rak­ter­li­chen Grün­den nicht an Gewalt­ak­ten betei­ligt zu haben. Den­noch sei das Ver­hält­nis des KB zum Ter­ro­ris­mus nicht von mora­li­scher, son­dern nur von instru­men­tel­ler Ableh­nung geprägt gewe­sen: »Wir sahen im Ter­ro­ris­mus ein­fach nicht das geeig­ne­te Mit­tel für unse­re Zie­le. Wir waren kei­ne pazi­fis­ti­sche Vereinigung.«
Anfang der 1980 wand­te sich Trit­tin der KB-Abspal­tung »Grup­pe Z« zu, deren Ziel die lin­ke Unter­wan­de­rung der im Ent­ste­hen befind­li­chen Grü­nen war.

1981 wur­de er wis­sen­schaft­li­cher Assis­tent der »grün-alter­na­ti­ven« Stadt­rats­frak­ti­on in Göt­tin­gen, arbei­te­te als Pres­se­spre­cher der nie­der­säch­si­schen »grü­nen« Land­tags­frak­ti­on und wur­de 1985 Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter. 1989 war Trit­tin einer der Mit­be­grün­der der berüch­tig­ten »anti­fa­schis­ti­schen« Zeit­schrift Der Rech­te Rand. Von 1990 bis 1994 fun­gier­te er als nie­der­säch­si­scher Minis­ter für Bun­des- und Europaangelegenheiten.
Es folg­te 1998 der Ein­zug in den Bun­des­tag und umge­hend bis 2005 die Tätig­keit als Bun­des­mi­nis­ter für Umwelt, Natur­schutz und Reak­tor­si­cher­heit. Ener­gie­wen­de, Öko­steu­er und Dosen­pfand wur­de unter sei­ner Ägi­de vor­be­rei­tet. 2012 nahm er an der Bil­der­berg-Kon­fe­renz in Chantilly/Virginia teil. Bereits 1999 hat­te Trit­tin Deutsch­land als ein »in allen Gesell­schafts­schich­ten und Gene­ra­tio­nen ras­sis­tisch infi­zier­tes Land« bezeichnet.

KARL DIETRICH WOLFF (*1943)

Der Rich­ter­sohn besuch­te ein hes­si­sches Gym­na­si­um, dann eine ame­ri­ka­ni­sche High-School und wur­de 1962 für zwei Jah­re Zeit­sol­dat bei der noch jun­gen Bun­des­wehr. Danach stu­dier­te er Jura in Mar­burg. Gemein­sam mit sei­nem Bru­der, dem Orches­ter­mu­si­ker Frank Wolff, wur­de er in der Stu­den­ten­be­we­gung aktiv. Er wur­de ins Frank­fur­ter Stu­den­ten­par­la­ment und den AStA gewählt. 1967 /68 fun­gier­te KD Wolff als Ers­ter Vor­sit­zen­der des »Sozia­lis­ti­schen Deut­schen Stu­den­ten­bunds« (SDS).
1969 reis­te er auf Ein­la­dung der 1960 gegrün­de­ten Orga­ni­sa­ti­on der Neu­en Lin­ken, »Stu­dents for a Demo­cra­tic Socie­ty«, durch die USA und muß­te sich dort vor dem »Komi­tee für uname­ri­ka­ni­sche Umtrie­be«, einem Gre­mi­um des Reprä­sen­tan­ten­hau­ses, recht­fer­ti­gen, weil er über einen US- Sena­tor als »ras­sis­ti­schen Ban­di­ten« gespro­chen hatte.
1970 besuch­te Wolf mit einer Dele­ga­ti­on die Volks­re­pu­blik Nord-Korea. Das Frank­fur­ter SDS-Mit­glied Wer­ner Olles, einst als Chauf­feur für Wolff tätig, schrieb 1998: »Wenn der ehe­ma­li­ge SDS-Vor­sit­zen­de K.D. Wolff von einer sei­ner Nord­ko­rea-Rei­sen zurück­kam und vol­ler Stolz das Kim-Il-Sung-Käpp­chen trug, aber über die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger des dor­ti­gen Regimes nichts zu erzäh­len wuß­te, sag­te auch das viel über das Ver­hält­nis der Neu­en Lin­ken zu den Dik­ta­tu­ren die­ser Welt aus, eben­so wie sein das nord­ko­rea­ni­sche Hen­ker-Regime glo­ri­fi­zie­ren­der Auf­satz im ›Kurs­buch‹.« Olles distan­zier­te sich von Wolffs Umfeld und Gewalt­apo­loge­tik, nach­dem es zu Anschlä­gen auf ame­ri­ka­ni­sche Ein­rich­tun­gen in Frank­furt gekom­men war und des Ver­rats ver­däch­ti­ge »Genos­sen« obser­viert wurden.
In die­ser Zeit begann auch Wolffs Tätig­keit als Ver­le­ger. Er grün­de­te den Ver­lag Roter Stern, der spä­ter in Stroemfeld/Roter Stern und Stroemfeld/Nexus umbe­nannt wur­de. In den 90er Jah­ren fun­gier­te Wolff als Bei­rats­mit­glied im Vor­stand des PEN- Zen­trums Deutsch­land. Die Deut­sche Natio­nal­bi­blio­thek in Frank­furt prä­sen­tier­te 2010 in ihren Räum­lich­kei­ten eine Aus­stel­lung anläß­lich der 40-jäh­ri­gen Grün­dung sei­nes Verlages.

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