Während die Abgeordneten durch einen Gesandten des Volksrates herzlich in einer Art Empfangsraum begrüßt werden, wird draußen das Gepäck umgeladen.
Der Fahrer der syrischen Botschaft in Beirut verabschiedet sich. Jede weitere organisatorische Abstimmung erfolgt nun mit den Mitarbeitern des offiziellen Protokolls. Man tauscht Nummern, kurze Abstimmung über den weiteren Ablauf. Dann besteigt die Delegation die schwarzen Limousinen, die zum Transport in die Hauptstadt bereitstehen. Der Konvoi setzt sich in Bewegung. Wie an einer Schnur gezogen surren die Autos in Richtung Highway. Das gleichmäßige Rollen der vielen Reifen gleicht einer Art Marschtritt, während die Fahrer Geschwindigkeit aufnehmen.
Nach dem letzten Duty-Free-Geschäft am Wegesrand ist die Autobahn in tiefe Dunkelheit getaucht. Fast in bedrohlichem Grau erheben sich ringsum Hügel, über die man nicht drüber schauen kann. Gelegentlich passiert der Konvoi kleine Checkpoint, an denen stets eine Handvoll Soldaten ihren Dienst tuen und salutieren. Ihre Gewehre hängen an kleinen Haken in den Wachhäusern. Alte Kalaschnikows, meist ohne Schulterstützen. Angespannt wirken die Soldaten nicht. Überhaupt erinnert auch entlang der Autobahn noch immer nichts an ein Kriegsgebiet.
Nur wenig Verkehr passiert den Highway, während der Konvoi durch die dunkle Wüste peitscht. Mit zunehmender Nähe zur Hauptstadt befreit sich die Autobahn aus den in der Dunkelheit beunruhigend wirkenden Felsen und fließt ab in die Ödnis der syrischen Wüste. Erst auf der Rückfahrt bei Tageslicht sollte Gelegenheit bleiben, die Peripherie von Damaskus zu bestaunen. Die Vororte der Gutsituierten, die in Aufbau befindlichen Siedlungen, Hotelanlagen. Und der viele Müll, der im Umland der Hauptstadt in der Wüste verteilt liegt. Zu dunkel ist es an der Strecke – und zu kostbar die Zeit.
Eine Stunde verhältnismäßige Ruhe, um offene Punkte im Projektplan durchzuschauen, Pressemitteilungen vorzubereiten. Mit Überfahren der Stadtgrenze reißt Damaskus die volle Aufmerksamkeit an sich. Der Laptop verschwindet in der Aktentasche. Ein Polizeimotorrad setzte sich an die Spitze des Konvois und schiebt den Verkehr regelrecht beiseite. Plötzlich eine Vollbremsung. In Ermangelung von Anschnallgurten bremsen die Unterarme die Fliehkräfte an der Rückenlehne des Beifahrersitzes ab. Ein junger Mann hatte versucht, zwischen den Autos her zu laufen, um die große Straße zu überqueren, die an dieser Stelle durch ein wuseliges Wohngebiet führt. Gerade so verhindert der Fahrer den Unfall, der junge Mann rennt perplex weiter, begleitet von arabischen Flüchen, die ihm der Protokollmitarbeiter vom Beifahrersitz aus hinterherruft.
Die Wagenkolonne passiert den Umayyad Square im Herzen der Stadt, den großen Kreisverkehr, der die wichtigsten Straßen verbindet. Im bunten Lichterglanz strahlt das die Mitte des Platzes zierende und von zahlreichen Wasserspielen umgebene Schwertmonument. Durch das Fenster strömt die stickige Luft einer Großstadt. Hupkonzert. Kleinbusse drängen sich durch den Verkehr, die so mit Menschen überladen sind, daß jeder bundesdeutsche Verkehrspolizist einen Herzinfarkt kriegte, müßte er dieses Schauspiel ansehen. Mofas mit drei Passagieren und behangen mit Plastiktüten schlängeln sich vorbei an den vielen Autos, aus deren Auspuffrohren pechschwarze Rauchwolken rauswabern.
Die große mehrspurige Straße ist nach Shukri al-Quwatli benannt, dem ersten Präsidenten des unabhängigen Syriens. Die Straße führt geradeaus zu auf die Altstadt von Damaskus. Weit kann es nicht mehr sein bis zum Ziel. Tatsächlich. Wenige Abbiegungen später stehen wir in der Einfahrt des Hotels. Große Sicherheitsvorkehrungen existieren auch hier nicht. Zumindest keine sichtbaren, die über kleinere Check-Points des Militärs in der Nähe der großen Hotels hinausgehen, die jedoch den nahöstlichen Durchschnitt keineswegs übertreffen.
Im Hotel selbst ist reger Betrieb. Gemeinsam mit dem Protokoll werden Zimmer verteilt und Koffer zugeordnet. Das Protokoll sah vor, das erste Abendessen im Hotel einzunehmen. Doch die Delegation hat andere Pläne. Unsere Kontaktpersonen vor Ort haben in einem anderen Restaurant reserviert – mitten in der Stadt, im Alltagsgeschehen. Da das Protokoll jedoch den Fahrdienst bereits weg geschickt hatte, ist Improvisation gefragt. „Da, steigt ihr zwei noch in dieses Fahrzeug ein.“
Der Protokollleiter zeigt auf einen grauen Kleinbus, der an der Straßenecke steht. Auf Arabisch ruft er den Insassen wohl zu, sie sollen uns etwas Platz machen. Ein in Flecktarn gekleideter Mann zieht die Schiebetür auf. Zwei andere klettern auf die hintere Rückbank und reichen ihre Gewehre ihren Kameraden, die schon hinten sitzen. Nur die Männer vorne tragen schwarze Anzüge und Funkgeräte. „Arabic?“, fragt der Beifahrer. Auf unser freundliches „No, sorry“ dreht er sich wieder um und schweigt. Wir sitzen in der Mitte der mittleren Sitzbank. Eine skurrile Situation, irgendwie.
Das Treiben der syrischen Hauptstadt erregt schnell jedoch mehr Interesse. Die Fahrt führt durch ein lebendiges Viertel. Eines, das eher gediegener zu sein scheint. Es gibt zahlreiche Restaurants und Cafés, mit französischer, russischer und italienischer Küche. Eine Straße ist nach Hugo Chavez benannt. Der Stadtteil macht einen äußerst gepflegten Eindruck. Vom Stil der Wohnhäuser und dem Ambiente könnte man fast meinen, man befände sich in einem etwas weniger innenstädtischem Viertel von Rom. Biegt man auf die Al Jalaa Straße in nordwestliche Richtung, fährt man geradeaus auf die hell erleuchteten Stadteile zu, die auf dem Berg errichtet sind, der Damaskus auf dieser Seite der Stadt umgibt. Ein faszinierender Anblick.
Wir betreten das Lokal, das an einem kleinen Platz liegt. Überall sitzen Menschen auf den Terrassen, essen, trinken und rauchen Wasserpfeife, ohne die es hier nirgendwo zu gehen scheint. Wir nehmen Platz an einem großen Tisch, der für uns zusammen geschoben wurde. Die Speisekarte ist üppig, es gibt örtliche Speisen aber auch Pasta und internationale Gerichte. Nur die Hamburger seien aus, läßt eine der vielen Kellnerinnen wissen. Personalkosten sind in Syrien extrem niedrig, so daß man fast in jedem Gastronomiebetrieb ein Heer an Bedienungen und Servicekräften vorfindet. Das süffige syrische Bier jedenfalls wird mindestens genauso schnell nachgeschenkt wie in einem Kölner Brauhaus.
Unwirklich sind die ersten Eindrücke, „abgefahren“ die Umschreibung, die einem in den Sinn kommt. Gegen Mitternacht geht es zurück ins Hotel. Am Morgen warten die ersten von letztlich über 25 Terminen und Gesprächspartnern, die in dieser Woche vor der Delegation liegen. In der Nacht schlagen israelische Raketen in einem Vorort ein und töten mehrere Zivilisten. Wir sind in der Realität angekommen.
Maiordomus
Die wohl noch interessansteste selber beobachtete politische Information scheint mir der Hinweis zu sein, dass eine Strasse nach Hugo Chavez benannt ist. Mit dem Hinweis ganz am Schluss über den Raketenbeschuss geht es immerhin mit dem angeblichen Report endlich los. Es fehlt aber der Hinweis, ob man bei der Sache mit den Raketen und den getöteten Zivilisten eigene Wahrnehmungen und Beobachtungen vor Ort gemacht hat oder ob man das nur so zur Kenntnis genommen hat, wie es ein Nahostkorrespondent in Istambul auch zur Kenntnis nehmen kann. Immerhin kommt der letzte Satz anscheinend zur Sache, wenngleich rein aus touristischer Perspektive.
Ansonsten stehen im zweiten Teil dieses im unterdurchschnittlichen Sinne schülerhaften bzw. touristenmässigen Berichtes die Autobahn und das Hotel im Vordergrund. Reisebeschreibungen aus dem 16. oder 18. Jahrhundert aus dieser Region, als man mit Pferd oder Maultier unterwegs war, erhalten eindeutig konkreteren und wertvolleren Informationsgehalt. Wenn meine 92jährige Schwiegermutter und ihr etwas jüngerer Freund von ihrer Dubai-Reise erzählen, ist der Informationsgehalt ähnlich, wobei die Alten im Winter vor allem wegen dem warmen Klima, trotz Klimaerwärmung im mittleren Europa, dorthin reisen. Ich wundere mich, dass der Bericht nicht wenigstens das Wetter thematisiert. Ist heute schliesslich ein Politikum.