Henning Eichberg (1942 – 2017) war so etwas wie der Großvater der heutigen Neuen Rechten und Identitären, aber er hatte auf den ersten Blick wenig Familienähnlichkeit mit seinen aktuellen Nachkommen. Als ich um 2005 zur Szene hinzustieß, spielte er in der neurechten Rezeption kaum eine Rolle, und ich kann mich nicht erinnern, daß viel von seinem berühmten Schlagwort »Ethnopluralismus« die Rede war.
Dafür tauchte es in so gut wie jeder Antifapublikation »gegen rechts« ad nauseam auf. Das Zentralorgan der Eichberg-Schule, die von Siegfried Bublies seit 1979 herausgegebene Zeitschrift wir selbst war 2002 eingestellt worden (ihr Nachfolger Volkslust brachte es nur auf ein paar wenige Ausgaben), Ellen Kositza hatte sich dort frühe publizistische Sporen verdient.
Eichberg selbst lebte seit den achtziger Jahren in Dänemark, wo er eine akademische Karriere eingeschlagen hatte und Mitglied der rot-grünen Sozialistischen Volkspartei (Socialistisk Folkeparti) geworden war. Er hatte kaum noch Kontakte zur deutschen »Szene« und betrachtete bereits die Junge Freiheit mit Mißfallen.
Diese wie auch das Institut für Staatspolitik leiteten sich eher von der Criticón-Linie um Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing ab. Eichberg hatte seit 1973 nicht mehr in dieser Zeitschrift veröffentlicht, und seit Mitte der siebziger Jahre Blätter der unorthodoxen Linken als Publikationsort vorgezogen.
Um diese Zeit wurden die antikapitalistischen »Nationalrevolutionäre« um Eichberg und andere als die eigentliche »Neue Rechte« Deutschlands identifiziert, so etwa in der Studie von Günter Bartsch Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten (Freiburg i. Breisgau 1975).
Liest man als Identitärer des Jahres 2018 Bartschs Buch, so erscheint einem vieles darin ebenso fremd wie vertraut. Die antikapitalistische Emphase ist sehr stark und im Duktus der Zeit gehalten, das heute virulente Einwanderungsproblem wird als »Gastarbeiterfrage« verhandelt, wobei der »große Austausch« der Bevölkerung bereits damals am Horizont auftauchte.
So wandte sich das Hamburger Junge Forum, damals Eichbergs publizistisches Hauptquartier, »gegen die gestaltlose Europa – Vorstellung von Wirtschaftstechnokraten, welche die kulturelle und biologische Substanz Europas einem ökonomischen Riesenapparat opfern«.
Bereits 1975 hatte der Spiegel auf der Titelseite die Frage gestellt »Sterben die Deutschen aus?« (13/1975), und den entsprechenden Artikel mit Cartoons illustriert, die den türkischen Geburtenvorsprung thematisierten. Eichberg betonte gerne die Bedeutung des »Habitus«, der zu bestimmten politischen Neigungen disponiere, analog zum marxistischen Prinzip von Basis und Überbau.
Vielleicht ist das auch ein Grund, warum er sich zunehmend von den Milieus der Rechten »abgekoppelt« hat. Speziell auf Fotos aus den achtziger und neunziger Jahren wirkt er ausgesprochen feminin und »gutmenschlich«. Runde, weiche Lippen, ein sanfter Blick, ein jugendliches, bartloses Gesicht, ein ergrauender, wilder Lockenkopf, der an Rainer Langhans erinnert, locker sitzende, bunte Kleidung, dazu ein Hauch von evangelischem Jugendlager und Ökosponti.
Schon Günter Bartsch bemerkte, er gelte in seinem Wohnort als »linksradikal« oder als »Anarchist«: »Dieser falsche Eindruck wird bis zu einem gewissen Grade durch Kleidung und Haarschnitt begünstigt.« Damals schrieb Eichberg noch unter seinem Pseudonym »Hartwig Singer«, das Bartsch im Gegensatz zur heute üblichen »Entlarvungsliteratur« nicht lüften wollte.
Er wurde 1978 von einer kommunistischen Studentengruppe »geoutet«, was in der Folge seiner akademischen Karriere schadete (er sprach später gar von einem »Berufsverbot«). Er fand schließlich dauerhaftes Exil – und endlich eine Heimat? – in Dänemark, wo er als Professor für Soziologie in Odense und Kopenhagen lehrte.
Dreißig Jahre später besuchte ihn dort der Journalist Toralf Staud in seinem »Büro in einem idyllisch gelegenen Haus auf dem Lande«, an dessen Haustür ein Blechschild mit der Inschrift »Hennings Himmel« angebracht war. Eichberg trug »Hemd, Strickjacke und Cordhose«, »vom ersten Satz an duzt er den Besucher.« (Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD, Köln 2005).
Der einstige Nationalrevolutionär hatte stets den überragenden Einfluß betont, den der jüdische Philosoph Martin Buber mit seiner Schrift Ich und Du auf ihn ausgeübt hatte. Nun war er in ein skandinavisches Land gezogen, wo sich (IKEA-Besucher wissen es) wie in Schweden und Norwegen das Du als übliche Anredeform durchgesetzt hat.
Seit 2013 lebte Eichberg im Blangstedgaard-Viertel von Odensee, das Thomas Wagner, der ihn kurz vor seinem Tod besuchte, so beschrieb:
Hier leben Muslime, Christen, Einwanderer, Leute mit Alkoholproblemen, sogenannte normale Bürger und Studenten eng beieinander.
Eichberg ziehe dieses Viertel den »vornehmeren Teilen der Stadt« vor:
Er liebe die Offenheit und die Vielfalt seiner Nachbarschaft.
(Die Angstmacher, Berlin 2017)
Eichberg ist der Erfinder des Begriffs »Ethnopluralismus«, der in linken Publikationen stets als angebliche »Leitideologie« der Neuen Rechten bezeichnet wird. Die von einschlägigem Personal okkupierte Wikipedia schreibt etwa: »Ethnopluralismus ist ein Weltbild der Neuen Rechten, deren Vertreter eine kulturelle ›Reinhaltung‹ von Staaten und Gesellschaften nach ›Ethnien‹ anstreben«, wobei der Strohmannbegriff »Reinhaltung« in keiner einzigen mir bekannten, maßgeblichen neurechten Schrift auftaucht (Eichberg hat allerdings einmal analog zur »Umweltverschmutzung« den Begriff der »Verwestlichung und Kulturverschmutzung« benutzt).
»Ethnopluralismus« sei eine »kulturalistische Neubegründung der Rassenlehre«, ein »sozialdarwinistischer ›Rassismus ohne Rassen‹« (Bundeszentrale für politische Bildung), führe »konsequent gedacht zur Apartheid als neuer Weltordnung« (Gero Fischer).
Der gemeinsame Nenner dieser Zerrbilder ist die Auffassung, es handle sich hierbei um eine Art von »Mimikry«, um eine alte böse Ideologie, die in eine zeitgemäße Sprache verpackt wurde. Ein ganzes Genre von Literatur »gegen rechts« zehrt von diesem Narrativ, nach dessen Muster auch die Doktorarbeit von Clemens Heni über Eichberg mit dem programmatischen Titel »Salonfähigkeit der Neuen Rechten« gestrickt wurde.
Eichberg hat sich zeitlebens mit der »nationalen« Identitätsfrage, nicht nur der Deutschen, sondern der Völker überhaupt, intensiv auseinandergesetzt. Eng damit verknüpft war für ihn aber auch die »soziale« Frage, und selbst sah er sich durchaus als Sozialisten. Geboren wurde er 1942 im niederschlesischen Schweidnitz, dem Heimatort des »roten Barons« Manfred von Richthofen. Die Familie wurde 1945 vertrieben; eine der frühesten Erinnerungen Eichbergs ist die Bombardierung Dresdens, die er als Kind aus der Ferne sehen konnte. Die Heimatvertriebenen waren in der Bundesrepublik jene Volksgruppe, die sich am stärksten ein verlustbedingtes »deutschnationales« Gefühl bewahrt hat.
Die folgenden Jahre verbrachte die Familie in der sowjetischen Besatzungszone Sachsen und gelangte 1950 durch illegalen Grenzübertritt in die Bundesrepublik. Ab 1961 begann er unter anderem für die Zeitschrift Nation Europa zu schreiben, die dem Erbe der Waffen-SS und dem faschistischen Europagedanken verpflichtet war. Seine Positionierung folgte zunächst üblichen rechten Mustern: Wesentliche Anliegen waren ihm die deutsche Einheit, die Wiedergewinnung der Ostgebiete und der Kampf gegen den Kommunismus. Sein Ablöseprozeß von der »alten Rechten« wurde durch Kontakte mit der »Nouvelle Droite« um Alain de Benoist, Jean Mabire und Dominique Venner stark befördert. Schlüsselerlebnis war ein Besuch im Jahre 1966 in einem Zeltlager junger französischer Nationalisten in der Provence, die »Castros Guerillakämpfer« ebenso verehrten wie die »antigaullistische Geheimarmee OAS« und die sich auf nicht-marxistische Sozialisten wie Proudhon oder Sorel bezogen.
Im Sommer 1968 begegnete er in Straßburg europäischen Föderalisten, Nationalisten, Trotzkisten, Anarchisten und Situationisten, die während der Unruhen im Mai
zeitweise auf derselben Seite der Barrikade gestanden hatten. In Deutschland »entheimatet« und »entfremdet« sein, das bedeutete für Eichberg nun von den Siegermächten des Weltkriegs doppelt »kolonisiert« und okkupiert zu sein, im Osten vom russischen Staatsmarxismus, im Westen vom amerikanischen Coca-Cola Kapitalismus, der sich besonders perfide und gründlich auswirkte, weil er zur »Selbstkolonisierung« des Inneren (Herder würde vielleicht sagen: »der Volksseele«) verführte.
Eichbergs gesamtdeutscher Nationalismus verknüpfte sich nun mit den »anti-imperialistischen« Revolten der Dritten Welt, mit der Selbstbehauptung der Ureinwohner Amerikas und der Schwarzen Nordamerikas wie Afrikas, die ihre postkoloniale »négritude« oder ihre »black power« suchten, ebenso wie mit dem Kampf der Basken, Bretonen und Iren, der Waliser und Schotten, der Ungarn, Kroaten und Tschechen um ihre Freiheit und Identität. Damit kamen zunehmend auch kleinere, regionalistische Identitäten und Solidargemeinschaften ins Spiel, in denen Eichberg ein revolutionäres, »emanzipatorisches« Potential erblickte.
So eröffnete sich ihm ein Panorama aus weltweiten Volksidentitäten, eine Internationale oder »Internationalität der Nationalismen«, die zum »Kampf
gegen die multinationalen Konzerne, welche die Völker ihrer Identität berauben und zu gesichtslosen Produzenten-Konsumenten machen« blasen sollte, zum Aufstand gegen die globale »Einheitskultur«, die Eichberg mit der »modernen Industriegesellschaft« und der »Hochmoderne« gleichsetzte.