Es gibt Regionen, die es zum pars pro toto gebracht haben. Sie stehen als Symbol, gleichsam als Synonym für wichtige Begebenheiten, die sich in ihnen zugetragen oder für entscheidende Entwicklungen, die dort ihren Ausgang genommen haben. Jeder Kundige weiß sogleich, was gemeint ist, wenn er den Namen des betreffenden Landstrichs nur hört. In diesem Sinn historische Regionen sind in Deutschland etwa Baden im Südwesten (im Zusammenhang mit der 1848-Revolution) oder neuerdings das Bundesland Sachsen im Osten (vor allem als Hort und Brennpunkt verfemten nationalen Widerstandes).
Während der Wirren der Französischen Revolution gelangte vor allem eine kleine Region im äußersten Westen Frankreichs zwischen dem Atlantik und der Loire zu grenzüberschreitender Berühmtheit. Die Vendée wurde nicht nur zum Schauplatz einer überraschend effektiven Revolte gegen die Revolutionsregierung in Paris, sondern darüber hinaus zu einem Symbol für jeden konterrevolutionären Kampf.
Sie war fortan mit Konterrevolution geradezu konnotiert und fand gar Eingang in die Redewendungen. Bismarck etwa soll seine Treue zur preußischen Monarchie mit dem Ausruf »treu bis in die Vendée« illustriert haben. Und selbst Hitler wies in einer Rede am 24. Oktober 1933 auf die Gefahr hin, daß im ordnungsliebenden Deutschland eine Vendée hätte entstehen können, wenn seine Revolution vom 30. Januar desselben Jahres nicht im legalen Gewand einhergeschritten wäre.
Die Bedeutung solcher Regionen wie überhaupt der Regionalismen wird eher zu- als abnehmen (siehe Katalonien). Schon spricht man seit der Revolutionierung des deutschen Gemeinwesens durch die Grenzöffnung im September 2015 von einer möglichen Re-Tribalisierung, und dies ist nicht nur auf die Neuankömmlinge gemünzt. Solcherart Rückbesinnung geht immer einher mit einer Territorialisierung des Zusammenlebens. Deutsche ergreifen die Flucht, lassen die urbanen No-Go-Areas hinter sich, rücken zusammen, ziehen in homogenere Gegenden, entdecken ihre Wurzeln neu und entwerfen Strategien für ein zukünftiges ethnisches (wie ökonomisches) Überleben.
Daß dies in den Augen der Machthaber keineswegs unschuldig ist, hatte schon die Vendée in den Jahren nach 1793 bitter erfahren müssen. Übrig blieben ein regionales Trauma, eine bis heute verdrängte Seite der Revolution, ein paar Standbilder lokaler Helden und der Stolz eines gewagten Aufbegehrens.
Das Netzwerk: die Association bretonne
Der Umschwung kam nicht über Nacht. Manch einer, der gegen die Revolution konspirierte, war zunächst ihr Anhänger und ein Gegner des Absolutismus gewesen. Das gilt im Besonderen für den Landadel in der nordwestlichen Ecke Frankreichs. Der Adel in der Bretagne, im Anjou, im Poitou, in den Gebieten, welche später die Vendée militaire ausmachen würden, war alteingesessen, geachtet, lebte eng mit der Landbevölkerung zusammen und hielt sich weitgehend von der opulenten Versailler Hofgesellschaft fern.
Zugleich bildeten die dortigen Grundherren (zusammen mit dem Klerus) einen intakten Machtfaktor. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein sprach die bäuerliche Landbevölkerung nur ehrfürchtig von not’ maître (»unserem Herrn«). Die Aristokratie war stolz auf die regionalen Besonderheiten im Land der Megalith-Kultur und pochte auf ihre Traditionen, besonders, als 1788 die Einberufung der Generalstände für den 1. Mai 1789 verkündet wurde. Das Kommende war bis dahin nur in den periodischen Schlägereien zwischen der bürgerlichen und adligen Jugend, etwa in Rennes im Januar 1789, zu erahnen.
Einer der ersten namhaften Kritiker der neuen Zustände war eine schillernde Figur. Marquis de La Rouërie entstammte dem bretonischen Adel, stand dem Absolutismus gleichwohl ablehnend gegenüber, diente schon mit 15 Jahren im königlichen Gardecorps, nahm am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teil, floh in ein Trappistenkloster und landete schließlich als Häftling in der Bastille.
Er rief einen Geheimbund ins Leben, mit dem er zunächst die bretonische Eigenart zu verteidigen gedachte. Die Association bretonne war ein vorwiegend adliges Netzwerk, das vor allem in den kleineren Städten und Ortschaften Stützpunkte unterhielt, während die großen urbanen Zentren, wie Nantes oder Brest, auf Seiten der Revolution standen. Bald schon hatte sie sich die Verteidigung des Althergebrachten auf die Fahnen geschrieben und setzte ihre Hoffnungen auf heimliche Kontakte mit England und Spanien.