Ganz Gallien? Die Vendée im Aufstand 1793–1796

PDF der Druckfassung aus Sezession 85/August 2018

Es gibt Regio­nen, die es zum pars pro toto gebracht haben. Sie ste­hen als Sym­bol, gleich­sam als Syn­onym für wich­ti­ge Bege­ben­hei­ten, die sich in ihnen zuge­tra­gen oder für ent­schei­den­de Ent­wick­lun­gen, die dort ihren Aus­gang genom­men haben. Jeder Kun­di­ge weiß sogleich, was gemeint ist, wenn er den Namen des betref­fen­den Land­strichs nur hört. In die­sem Sinn his­to­ri­sche Regio­nen sind in Deutsch­land etwa Baden im Süd­wes­ten (im Zusam­men­hang mit der 1848-Revo­lu­ti­on) oder neu­er­dings das Bun­des­land Sach­sen im Osten (vor allem als Hort und Brenn­punkt ver­fem­ten natio­na­len Widerstandes).

Wäh­rend der Wir­ren der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on gelang­te vor allem eine klei­ne Regi­on im äußers­ten Wes­ten Frank­reichs zwi­schen dem Atlan­tik und der Loire zu grenz­über­schrei­ten­der Berühmt­heit. Die Ven­dée wur­de nicht nur zum Schau­platz einer über­ra­schend effek­ti­ven Revol­te gegen die Revo­lu­ti­ons­re­gie­rung in Paris, son­dern dar­über hin­aus zu einem Sym­bol für jeden kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Kampf.

Sie war fort­an mit Kon­ter­re­vo­lu­ti­on gera­de­zu kon­no­tiert und fand gar Ein­gang in die Rede­wen­dun­gen. Bis­marck etwa soll sei­ne Treue zur preu­ßi­schen Mon­ar­chie mit dem Aus­ruf »treu bis in die Ven­dée« illus­triert haben. Und selbst Hit­ler wies in einer Rede am 24. Okto­ber 1933 auf die Gefahr hin, daß im ord­nungs­lie­ben­den Deutsch­land eine Ven­dée hät­te ent­ste­hen kön­nen, wenn sei­ne Revo­lu­ti­on vom 30. Janu­ar des­sel­ben Jah­res nicht im lega­len Gewand ein­her­ge­schrit­ten wäre.

Die Bedeu­tung sol­cher Regio­nen wie über­haupt der Regio­na­lis­men wird eher zu- als abneh­men (sie­he Kata­lo­ni­en). Schon spricht man seit der Revo­lu­tio­nie­rung des deut­schen Gemein­we­sens durch die Grenz­öff­nung im Sep­tem­ber 2015 von einer mög­li­chen Re-Tri­ba­li­sie­rung, und dies ist nicht nur auf die Neu­an­kömm­lin­ge gemünzt. Sol­cher­art Rück­be­sin­nung geht immer ein­her mit einer Ter­ri­to­ri­a­li­sie­rung des Zusam­men­le­bens. Deut­sche ergrei­fen die Flucht, las­sen die urba­nen No-Go-Are­as hin­ter sich, rücken zusam­men, zie­hen in homo­ge­ne­re Gegen­den, ent­de­cken ihre Wur­zeln neu und ent­wer­fen Stra­te­gien für ein zukünf­ti­ges eth­ni­sches (wie öko­no­mi­sches) Überleben.

Daß dies in den Augen der Macht­ha­ber kei­nes­wegs unschul­dig ist, hat­te schon die Ven­dée in den Jah­ren nach 1793 bit­ter erfah­ren müs­sen. Übrig blie­ben ein regio­na­les Trau­ma, eine bis heu­te ver­dräng­te Sei­te der Revo­lu­ti­on, ein paar Stand­bil­der loka­ler Hel­den und der Stolz eines gewag­ten Aufbegehrens.

Das Netz­werk: die Asso­cia­ti­on bretonne

Der Umschwung kam nicht über Nacht. Manch einer, der gegen die Revo­lu­ti­on kon­spi­rier­te, war zunächst ihr Anhän­ger und ein Geg­ner des Abso­lu­tis­mus gewe­sen. Das gilt im Beson­de­ren für den Land­adel in der nord­west­li­chen Ecke Frank­reichs. Der Adel in der Bre­ta­gne, im Anjou, im Poi­tou, in den Gebie­ten, wel­che spä­ter die Ven­dée mili­taire aus­ma­chen wür­den, war alt­ein­ge­ses­sen, geach­tet, leb­te eng mit der Land­be­völ­ke­rung zusam­men und hielt sich weit­ge­hend von der opu­len­ten Ver­sailler Hof­ge­sell­schaft fern.

Zugleich bil­de­ten die dor­ti­gen Grund­her­ren (zusam­men mit dem Kle­rus) einen intak­ten Macht­fak­tor. Noch bis ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein sprach die bäu­er­li­che Land­be­völ­ke­rung nur ehr­fürch­tig von not’ maît­re (»unse­rem Herrn«). Die Aris­to­kra­tie war stolz auf die regio­na­len Beson­der­hei­ten im Land der Mega­lith-Kul­tur und poch­te auf ihre Tra­di­tio­nen, beson­ders, als 1788 die Ein­be­ru­fung der Gene­ral­stän­de für den 1. Mai 1789 ver­kün­det wur­de. Das Kom­men­de war bis dahin nur in den peri­odi­schen Schlä­ge­rei­en zwi­schen der bür­ger­li­chen und adli­gen Jugend, etwa in Ren­nes im Janu­ar 1789, zu erahnen.

Einer der ers­ten nam­haf­ten Kri­ti­ker der neu­en Zustän­de war eine schil­lern­de Figur. Mar­quis de La Rouërie ent­stamm­te dem bre­to­ni­schen Adel, stand dem Abso­lu­tis­mus gleich­wohl ableh­nend gegen­über, dien­te schon mit 15 Jah­ren im könig­li­chen Gar­de­corps, nahm am Ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­krieg teil, floh in ein Trap­pis­ten­klos­ter und lan­de­te schließ­lich als Häft­ling in der Bastille.

Er rief einen Geheim­bund ins Leben, mit dem er zunächst die bre­to­ni­sche Eigen­art zu ver­tei­di­gen gedach­te. Die Asso­cia­ti­on bre­ton­ne war ein vor­wie­gend adli­ges Netz­werk, das vor allem in den klei­ne­ren Städ­ten und Ort­schaf­ten Stütz­punk­te unter­hielt, wäh­rend die gro­ßen urba­nen Zen­tren, wie Nan­tes oder Brest, auf Sei­ten der Revo­lu­ti­on stan­den. Bald schon hat­te sie sich die Ver­tei­di­gung des Alt­her­ge­brach­ten auf die Fah­nen geschrie­ben und setz­te ihre Hoff­nun­gen auf heim­li­che Kon­tak­te mit Eng­land und Spanien.

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