„Was ist wirklich skandinavisch?“
„Absolut gar nichts […] Alles ist nachgemacht.“ – so lautet die Antwort der Fluggesellschaft Scandinavian Airlines, die mit einem jüngst veröffentlichten Werbefilm eine unerwartete Welle der Empörung lostrat. Dabei sollte der Spot eigentlich zum Reisen anregen – doch von vorne.
Solche charmanten Reisefilmchen kommen einem ja immer wieder unter– sei es für Ägypten, Irland, oder auch Montenegro. Sie laufen als Werbespots im TV, oder werden vor monetarisierte YouTube-Videos geschaltet und locken die Konsumenten in der Regel mit farbenprächtigen und im besten Sinne stereotypen Natur- und Kulturidyllen nach den vorgestellten Gestaden.
Wie gesagt: Mit Klischees wird in diesen Videos keinesfalls gespart, sondern geworben: Im Orient reizen bauchtanzende Schönheiten das Fernweh und in Griechenland scheint es nichts zu geben als weiße Häuser, Ruinen und das Mittelmeer – der eingesprochene Text folgt dabei dem obligatorisch-leeren Triptychon der „herrlichen Strände, der Landschaft und der Menschen“.
Die erwünschte Wirkung ist klar – es handelt sich um kommerzielle Werbung mit dem Ziel Besucher anzuziehen, indem man die Sonnenseiten des jeweiligen Landes anpreist. Dieses Gedanke lag, so muß vermutet werden, auch der neuesten Produktion der durchaus werbeaffinen Scandinavian Airlines zugrunde, ob ihm allerdings Genüge getan werden konnte, ist höchst fraglich.
Die Grundaussage der Produktion treibt die altbekannte Pizza-Argumentation, die wir sonst vor allem von Einwanderungsbefürwortern kennen, auf die Spitze: Alles was als typisch skandinavisch gilt, kommt tatsächlich irgendwo anders her und wurde von den Skandinaviern (, die es also doch gibt?!) auf der ganzen Welt zusammengeklaut, angepaßt und als ureigene Erfindung vermarktet.
Ob dieser Vorgang gut (= vielfältige Weltoffenheit), oder schlecht (= kulturelle Appropriation und Ausbeutung anderer Völker) ist, darüber scheinen sich die Macher des Videos selbst nicht so ganz sicher zu sein: Der vermeintliche Werbefilm wirkt wie ein großer Spagat aus weißem Schuldkult und globalistischer Kulturnivellierung – anders läßt sich die bedrückende Atmosphäre des Filmes kaum erklären.
So wird die entsättigte Kälte der Bilder, in welcher die enttäuschten, leeren Blicke der Protagonisten umherirren, als man ihnen mitteilt, daß das Mittsommerfest nicht etwa schwedisch, sondern deutsch sei, in ihrer Tristesse angereichert durch den monotonen Neusprech der Darsteller.
Es sind Worte der Selbstverneinung, die die Produzenten den Schauspielern in den Mund legen: Zwei blonde Zwillinge schauen ausdruckslos in die Kamera und sagen in monotonem Unisono „So etwas gibt es nicht“ (gemeint ist eine skandinavische Identität), später dankt ein gesichts- und kontextloser Chor von Frauenstimmen den Vereinigten Staaten für ihre Vorreiterrolle bei der Einführung von Frauenrechten.
Auf die emotionslose Ankündigung „Und es wird noch schlimmer“ folgt der inzwischen schon zur einer kleinen Negativikone gewordene „Höhepunkt“ des Videos, der zugleich die fragwürdige Konklusion des Machwerkes einleitet: Mit breitem Grinsen stellt ein schwarzer Neuskandinavier fest: „Wir sind nicht besser als unsere Wikinger-Vorfahren.“
Dieser Dolch hat natürlich zwei Schneiden: Nicht nur die offenbare Identitätsverirrung des jungen Mannes, dessen Vorfahren zwar womöglich auch räuberische Seefahrer, augenscheinlich jedoch keine Wikinger waren; sondern auch der unterschwellige, familiär-zutraulich formulierte Vorwurf, der in seinen Worten mitschwingt.
Es hat keinen Sinn, dieses Video logisch zu wiederlegen, wie es einige Kritiker auf YouTube ehrenwerterweise bereits versucht haben. Kein Nordeuropäer hat es nötig zum Zwecke der eigenen Identitätsversicherung auf Dreipunkt-Gurte oder Legosteine zu verweisen. Die ganze Provokation des Videos lebt ja davon, daß es (noch) ein typisches Skandinavien gibt, dessen ironische Brechung man als zersetzendes Stilmittel für seine Globalismuspropaganda einsetzen kann.
So verwundert es dann doch, daß die Videomacher auf die großen erhebenden Wirkmächte skandinavischen Fernwehs – auf Fjorde, Gletscher, Seen und Strände – weitestgehend verzichtet haben. In dem Video taucht kein einziger Runenstein, keine einzige Stabkirche auf.
Am Ende der ganzen Geschichte verbleibt allerdings ein kleiner Hoffnungsschimmer: Ähnlich wie schon andere Firmen (z.B. Gilette) sich mit ihren allzu moralinsauren Werbespots in die Nesseln setzten, sahen sich auch die Scandinavian Airlines nach kurzer Zeit gezwungen, ihr jüngstes Machwerk einstweilen den entsetzten Augen der Netzgemeinde zu entziehen.
Nachdem die Zahl der Negativreaktionen unter dem Video innerhalb kürzester Zeit explodiert war und auch eine kurzzeitige Entfernung des Videos vom hauseigenen YouTube-Kanal nur wenig ausgetragen hatte, weil unversehens Kopien des Filmchens hochgeladen wurden, entschloß man sich schließlich, die Produktion mit abgeschaltetem Kommentarbereich online zu lassen.
Inzwischen haben fast 100.000 Nutzer das Video negativ bewertet – so viele Lorbeerkränze habe ich nicht vorrätig und für einen kleinen Klick wäre das womöglich auch ein bißchen zuviel der Ehre. Es bleibt jedoch zu hoffen, daß sich die Scandinavian Airlines nach den ersten Trotzreaktionen (man machte etwa russische Trolls für den Flop des Werbespots verantwortlich) eines besseren besinnen und sich ein Beispiel an den älteren Filmen aus dem eigenen Haus nehmen. Die waren nämlich teilweise fast identitär.
Laurenz
Schon geil, das fast identitäre SAS-Video hat, wohl aufgrund dieses Artikels hier, auch ein Daumen-runter Cäsaren-Urteil erfahren.
Man kann sich schon fragen, was sich Skandis eigentlich denken? Vor 180 oder 200 Generationen lebte da kein Schwein im ewigen Eis. Natürlich stammen die indigenen Skandis allesamt aus dem kontinentalen Europa, inklusive des damals noch kontinentalen Britanniens ab, was sie vom Rest des Planeten fundamental unterscheidet.