Von den angemeldeten Teilnehmern kam ein Drittel nicht, und von denjenigen, die gekommen waren, begrüßte sich die Hälfte sichtbar ironisch durch Berühren des Ellenbogens oder der Fußspitzen, bevor sie unter dem Beisein einiger “Juden in der AfD” aus dem Mund des beleibten, zu Theatralik aufgelegten Tenenbom erfuhren, daß vom Virus des Antisemitismus noch immer rund achtzig Prozent der Deutschen befallen seien.
Über die Briten, dem Gegenstand des neuesten “Allein unter”-Buchs des Autors, wissen wir nun, daß ihnen weder das Weltklima noch das Coronavirus schlaflose Nächte bereitet, sondern allein die Hoffnung auf die Freiheit Palästinas von ihren Unterdrückern.
Dies alles ist nichts als die gespielt oder tatsächlich naive Performance eines Ein-Mann-Theaters, und vielleicht gibt es Leute, die so etwas genießen können oder etwas darauf geben, daß sich Tenenbom auch “mit uns” in einen Raum setze, um sozusagen situationsbeschreibend zu berichten, daß er mit jedem rede, der nichts dagegen habe, am Ende eine Rolle in einem Buch zu spielen.
Es gab Zeiten, da dachten wir, daß dieses Reden oder auch die Einladung ins Adlon zur Präsentation jenes Buches von Tenenbom, in dem wir ein ganzes Kapitel füllen, etwas austrüge: daß es Normalität signalisiere und etwas in unsere Waagschale werfe. Aber es war ziemlich egal, es gab nur ein bißchen Feuilletongerede, und auf die Präsentation folgte ein Abend in der Hotellobby. Man saß zusammen und dachte während der Gespräche, daß das jetzt doch am besten mal einer von oben filmen und aufnehmen sollte, als Beleg dafür, daß man “mit uns umgehen” kann.
Es gibt diese Filme aus neutraler Vogelperspektive nicht. Gäbe es sie, wären sie uns mittlerweile peinlich: Die Arbeit an einer Normalisierung des Umgang etablierter Medien und Personen mit uns war getragen von einer seltsamen Fairneß-Gläubigkeit, einem Setzen auf Restanstand und so etwas wie Herrschaftsscham.
Auch wir verfielen also für die Dauer einiger “Kontakte” dem Charme bedeutenderer Orte und jener Menschen, die sich in ihnen bewegen wie Fische im Wasser. Aber dann: der penetrante Geruch von Schmiermittel, von geölter Kommunikation, von Begegnungsmechanik und einer ebenso asozialen wie alternativlosen Übereinkunft.
Wann war das vorbei, dieses Hinarbeiten auf eine Beteiligung als interessanter Gegenentwurf, mit dem zu reden sei? Wir wissen es nicht genau, aber Hanau, Erfurt und nun Haldenwang – das sind die Eckpunkte jener Konkurrenzkriminalisierung, über die wir seit Jahren schreiben und vor der wir seit Monaten immer deutlicher warnen.
Der Flügel der AfD “rechtsextremistisch”, seine Beziehung zu uns auch irgendwie ein Beleg? Solche Einstufungen sind kein Schock mehr, denn wir wissen, daß der Verfassungsschutz keiner ist. Ihm kommt in unseren politischen Herrschaftsverhältnissen die Rolle zu, dem Delinquenten die Bestecke zu zeigen, und Delinquent ist, wer Erbhöfe attackiert.
Ist denn nicht die AfD, sind denn nicht unsere Projekte zuallererst Schläge gegen die Selbstsicherheit und Selbstherrlichkeit von Erbhöfen? Schläge gegen Beutemacher, die dachten, daß es ewig so weitergehe mit einem lahmarschigen Hin- und Hergeschiebe, einer Simulation von Regierung und Opposition, einem versteckten Proporz, einer verantwortungslosen Alternativlosigkeit?
Die Gründung der AfD: ein Hieb, der saß. Seither versucht der plötzlich gar nicht mehr so geschmeidige und eingespielt “streitbare” politisch-mediale Betrieb, sich von diesem Hieb zu erholen, der nichts anderes war und ist als der Anspruch, der Normalität in diesem Lande wieder eine Stimme zu verleihen und jene Experimente zu beenden, deren Auswirkungen nie diejenigen ausgesetzt sind, die sie ins Werk gesetzt haben.
Ausgesetzt zu sein: Das ist das Lebensgefühl derjenigen, in deren Lebensordnung (und das ist nichts anderes als: in deren Alltagsgewohnheit und Verhaltensgewißheit) ein nicht selbst gewähltes Chaos eingebrochen ist, eine Unsicherheit, eine moralpolitische Infragestellung, ein aufdringliches Aufgefordertwerden nach innerer und äußerer Wandlung entlang zivilreligiöser Glaubenssätze. Manchmal denke ich: AfD zu wählen und sich in oppositionellen Strukturen zu engagieren – das ist schon beinahe phantasielos.
Aber auch in dieser phantasielosen Selbstverständlichkeit geht es alles andere als nüchtern zu. Man erlebt dort eine Zuordnung, ein Mitgehangensein, ein Phalanxgefühl. In solch einer Phalanx, einer geschlossenen Verteidigungsreihe, muß es jeder den andern, die mit ihm dagegenhalten wollen (und müssen), so leicht wie möglich machen, und das heißt: Er muß sie schonen, darf ihnen nicht auch noch etwas aufhalsen, sie verunsichern, sie den Kopf schütteln lassen, während dem Feind die Stirn geboten werden muß.
Wir haben nicht vergessen, wie das war, als Hans-Olaf Henkel in die AfD eintrat und seine Freunde dazu ermutigte, dasselbe zu tun. Er tat das aber nicht ohne gleich zu signalisieren, daß es da noch etwas zu reparieren, daß es da noch Ballast abzuwerfen gelte. Er trat denen, die schon etwas länger in der Phalanx standen, voll auf die Sandale.
Erik Lehnert hat das damals für uns aufgespießt, Mitte Oktober 2014, und zwar unter dem Titel “Wer will wen warum ausschwitzen?”. Ich zitiere:
Daß diese Leute die Parteinahme nicht als Philanthropie, sondern als Kampfansage auffassen, hat dankenswerterweise einer der Betreffenden zum Ausdruck gebracht. Heinrich Weiss, Aufsichtsratschef eines Maschinenbauunternehmen mit Milliardenumsatz und wie Henkel Ex-BDI-Chef, gibt, kaum daß er seinen Scheitel über die Deckung geschoben hat, die Richtung vor.
Er fordert nicht nur einen wirtschaftsliberalen Kurs in der AfD, sondern auch, daß man „die Rechten wieder ausschwitzen“ müsse, um „mittelfristig erfolgreich zu bleiben“. Wer sich an der Wortwahl stört, darf sich als Rechter angesprochen fühlen. Die Querfront von Antifaschisten bis Wirtschaftsliberalen goutiert die klaren Worte und wird die Reaktionen aufmerksam registrieren – und den Daumen senken oder heben.
Die Kamarilla um Henkel hat sich damit massive Unterstützung in ihrem Kampf gegen die eigene Basis an Bord geholt und dürfte ihrem Ziel, das Erbe der FDP als Mehrheitsbeschaffer der CDU in Form eines konservativen Feigenblatts anzutreten, ein Stück näher gekommen sein. Interessant wird sein, wie die Auszuschwitzenden, die Rechten, reagieren werden.
Es war die Wortwahl von Heinrich Weiss und dieses abschätzigen Henkel-Netzwerks, das in den “Rechten” die Idee reifen ließ, man müsse mal die Basis sammeln, sich der Basis vergewissern. Letztlich führte das zur Gründung des “Flügels”, und die Henkels dieser Welt zogen von dannen – wie solche Leute das immer machen, deren Bewegungsprofil eher einem Dax-Index gleicht als einer grundsätzlichen Strömung.
Bei Weiss brachte das Bild vom “ausschwitzen” keiner mit “Auschwitz” in Verbindung, aber: Schon damals hörte es sich ganz unpassend an. Es kommt aus einem Sprachbereich, den wir aus dem Sport, der Sauna und von Fieberschüben her kennen. Aus Phalanxen wird keiner “ausgeschwitzt” – man kann ihm nahelegen, daß er ins zweite Glied rückt oder aufs Altenteil geht (oder einfach mal die Schnauze hält).
Vor dem Hintergrund dessen, was gerade nicht nur in Deutschland abläuft (oder eben: nicht mehr läuft), wird das, was nun als Höcke-Gate durch die Medien geprügelt wird, nicht in Erinnerung bleiben. Bloß: Die Parteifreunde (von denen – oh Wunder – auch ein paar parteiinterne Gegner sind) haben da eine andere Perspektive, ein Gedächtnis wie ein Kamel – und nun einen Pfeil mehr im Köcher.
Darf ich zuletzt daran erinnern, was ich neulich schrieb?
Ich rate jedem, der mich fragt, vor Reden, Vorträgen, Äußerungen das Manuskript, das Herz und das Gehirn für ein paar Minuten in den inneren Gefrierschrank zu legen und nicht von dem abzuweichen, was man notiert hat und verantworten kann. Sich nicht mitreißen lassen – das ist ein Grundsatz.
Lotta Vorbeck
@Götz Kubitschek:
"Darf ich zuletzt daran erinnern, was ich neulich schrieb?"
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Ja dürfen Sie. - Sie sollten sogar immer wieder daran erinnern.
Einen wie Sie, hätte ich mir während der eigenen, jugendlichen Sturm-und-Drang-Phase als Mentor gewünscht!